Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richterin Mag a . Berzkovics (Vorsitz) und die Richter Mag. Obmann, LL.M. und Mag. Petzner, Bakk. in der Strafsache gegen A*wegen des Verbrechens der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 26. März 2025, GZ **-27, nach der am 22. Oktober 2025 in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag a . Dexer, der Privatbeteiligtenvertreterin Rechtsanwältin Drin. Simonlehner (für B*), des Angeklagten und seines Verteidigers Rechtsanwalt Mag. Kohlbacher durchgeführten öffentlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
Der Berufung wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruchs über die Schuld wird nicht Folge gegeben.
Hingegen wird der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe Folgegegeben und über A* die gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene A* des Verbrechens der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 8. August 2024 in ** B* mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Genötigten unrechtmäßig zu bereichern, durch die sinngemäße Äußerung gegenüber B*, dass sie ihm EUR 2.500,00 sofort übergeben soll, da er sich andernfalls an ihrem PKW abarbeiten (gemeint: diesen beschädigen) werde und Wörter wie „Hure“ darauf sprühen werde, mithin durch gefährliche Drohung, zu einer Handlung, die sie am Vermögen schädigen hätte sollen, nämlich zur Übergabe des genannten Geldbetrags, zu nötigen versucht.
Hiefür wurde A* unter Anwendung des § 43a Abs 2 StGB nach § 144 Abs 1 StGB zur Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je EUR 40,00, im Uneinbringlichkeitsfall 90 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, und zur für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt sowie gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verpflichtet.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 1, 3, 4 und 5 iVm § 489 Abs 1 StPO) und wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe (ON 29.2). Der Privatbeteiligtenzuspruch an B* (EUR 100,00) blieb ausdrücklich unbekämpft.
Nur die Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe hat Erfolg.
Die Besetzungsrüge (Z 1) behauptet die Ausgeschlossenheit des Einzelrichters nach § 43 Abs 1 Z 3 StPO (zur Beachtlichkeit unter dem Gesichtspunkt der Z 1 vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 132). Dieser habe durch sein im Ablehnungsantrag vom 12. Februar 2025 im Detail beschriebenes Verhalten in der Hauptverhandlung, insbesondere durch seine Äußerungen gegenüber dem Angeklagten („wenn keine Erpressung, dann eine schwere Nötigung“) sowie gegenüber dem Verteidiger und der Zeugin B* seine Voreingenommenheit zu erkennen gegeben.
Der Rügeobliegenheit entsprach der Angeklagte diesbezüglich – zulässigerweise außerhalb der Hauptverhandlung (RIS-Justiz RS0097452 [T6]) – mit seinen schriftlich gestellten Ablehnungsanträgen vom 12. Februar 2025 (ON 15) und 26. Februar 2025 (ON 19). Den diese abweisenden Entscheidungen des Vizepräsidenten des Landesgerichts Leoben (ON 17 und 21) kommt für die Prüfung des Berufungsvorbringens keine Bindungswirkung zu (RIS-Justiz RS0125766). Die tatsächlichen Voraussetzungen sind vom Rechtsmittelgericht vielmehr auf Basis des Rechtsmittelvorbringens, der Akten und allenfalls gemäß § 470 Z 2 iVm § 489 Abs 1 StPO angeordneter Aufklärungen in freier Beweiswürdigung zu prüfen (RIS-Justiz RS0125767).
Ausgeschlossenheit im Sinn des hier angesprochenen § 43 Abs 1 Z 3 StPO liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn aufgrund des äußeren Anscheins der objektiv gerechtfertigte Eindruck entsteht, dass unsachliche Motive eine unparteiische Entscheidungsführung hemmen, etwa wenn ein Richter nicht gewillt ist, von einer vorgefassten Meinung auch angesichts gegenteiliger Verfahrensergebnisse abzugehen (RIS-Justiz RS0096733; Lässig , WK-StPO § 43 Rz 9 f mwN).
In der schriftlichen Stellungnahme vom 26. April 2025 (ON 20) legte der Einzelrichter nachvollziehbar dar, dass er mit der kritisierten Äußerung gegenüber dem Angeklagten „wenn keine Erpressung, dann eine schwere Nötigung“ – der Vorschrift des § 262 StPO entsprechend – nur seine Rechtsansicht wiedergegeben habe. Dies aber lässt keineswegs die Annahme begründet erscheinen, dass es ihm an der Bereitschaft gefehlt hätte, von einer (allfälligen) inhaltlichen Meinung über die Schuld des Angeklagten – selbst wenn er sich eine solche bereits im Vorfeld gebildet gehabt hätte – nach Maßgabe der Ergebnisse des gegen diesen geführten Verfahrens wieder abzugehen.
Der Umstand, dass sich die Rechtsansicht des Einzelrichters betreffend die – wie unten noch näher ausgeführt – rechtlich zutreffend unterbliebene Belehrung der Zeugin B* über ein Aussageverweigerungsrecht nach § 157 Abs 1 Z 1 StPO nicht mit jener des Angeklagten/Verteidigers deckt, ist ebenso wenig geeignet, die volle Unbefangenheit des Richters in Zweifel zu ziehen, wie allfällige – wenngleich gegen § 52 Abs 2 Geo verstoßende – Überreaktionen (vgl RIS-Justiz RS0096970 [zu verbalen Überreaktionen], RS0096992 [zu spontanen Körperreaktionen], RS0096746 [zu grob ungehörigen Äußerungen gegenüber dem Verteidiger]). Unter diesen Prämissen lässt aber die vom Angeklagten monierte Art der Verhandlungsführung, wie Vorhalte an die (für den Standpunkt des Angeklagten günstig aussagende) Zeugin B*, die Wortwahl durch den Vorsitzenden oder die Androhung von in der Strafprozessordnung ausdrücklich vorgesehenen Maßnahmen (§ 154 Abs 2 iVm § 248 Abs 1 erster Satz, § 93 StPO), keine Rückschlüsse darauf zu, dass sich der Einzelrichter bei seiner den Angeklagten betreffenden Entscheidung von unsachlichen Erwägungen hätte leiten lassen.
Dementsprechend bilden die kritisierten Äußerungen und Verhaltensweisen des Einzelrichters keinen Grund, der geeignet wäre, seine volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen.
Nichts anderes gilt – der weiteren Berufungskritik zuwider – für die vom Einzelrichter erstattete Disziplinaranzeige an die Rechtsanwaltskammer sowie für die vom Verteidiger gegen den Einzelrichter eingebrachte Disziplinar- und Strafanzeige (vgl RIS-Justiz RS0096914 [T12]; Lässig , WK-StPO § 43 Rz 15).
Der Vorwurf der Verfahrensrüge (Z 3), die Zeugin B* hätte – im Hinblick auf mögliche, nach § 288 Abs 1 StGB oder § 297 Abs 1 StGB zu beurteilende Falschaussagen – in der Hauptverhandlung über ihr Aussageverweigerungsrecht nach § 157 Abs 1 Z 1 StPO belehrt werden müssen, geht schon deshalb ins Leere, weil etwaige Verstöße gegen eine diesbezügliche Informationspflicht nicht unter Nichtigkeitssanktion stehen (vgl § 159 Abs 3 zweiter Satz StPO).
Mit der weiteren Verfahrensrüge (Z 4) beruft sich der Angeklagte auf eine nichtigkeitsbegründende Einschränkung von Verteidigungsrechten, weil das Erstgericht die Zeugin B* trotz entsprechenden Antrags nicht dahingehend belehrt habe, dass sie sich der Aussage „entschlagen“ könne, wenn sie sich selbst einer strafbaren Handlung bezichtigen müsste (ON 13.2.1, 5). Hiebei übersieht er allerdings, dass sich der reklamierte Aussageverweigerungsgrund der Selbstbelastungsgefahr nur auf die strafrechtliche Verfolgung früherer Delinquenz beziehen kann, nicht aber auf Aussagedelikte (§§ 288, 289 oder 297 StGB), die der Zeuge im selben oder in einem im Sachzusammenhang stehenden abgesonderten Verfahren begangen haben könnte (zum Ganzen RIS-Justiz RS0097660; Kirchbacher , WK-StPO § 157 Rz 3 f). Die Belehrung ist daher zu Recht unterblieben.
Zur vom Rechtsmittelwerber im Rahmen der weiteren Verfahrensrüge erblickten Nichtigkeit im Zusammenhang mit der Abweisung seines (außerhalb der Hauptverhandlung gestellten) Antrags auf Protokollsberichtigung vom 17. Februar 2025 (ON 18), ist zunächst auszuführen, dass unabdingbare Voraussetzung einer erfolgversprechenden Rüge aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO stets ein Antrag oder ein nach Art von Anträgen substantiierter Widerspruch, ein gegen den Antrag oder Widerspruch gefasster Beschluss oder die Nichterledigung eines Antrags oder Widerspruchs, welcher der Fall gleich steht, dass darüber erst zu einem Zeitpunkt erkannt wird, zu dem er bereits gegenstandslos geworden ist, sowie bei umfangreichem Aktenmaterial die genaue Angabe der Fundstelle von Antrag oder Widerspruch ist ( Ratz, WK-StPO § 281 Rz 302). Nur Anträge, die der Beschwerdeführer vom Beginn der Hauptverhandlung, also dem Aufruf der Sache (§ 239 erster Satz StPO), bis zum Schluss der Verhandlung (§ 257 erster Satz StPO) gestellt und nicht zurückgenommen hat, sind beachtlich ( Ratz,aaO § 281 Rz 309f). Indem die Berufung diesbezüglich (der Sache nach) jedoch bloß die Abweisung des außerhalb der Hauptverhandlung gestellten Protokollberichtigungsantrags rügt und behauptet, dass dadurch Gesetze und Grundsätze eines fairen Verfahrens hintangesetzt bzw unrichtig angewendet worden seien, wird solcherart nicht auf einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag, welcher jedoch Voraussetzung für die Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes ist, Bezug genommen (RIS-Justiz RS0099244). Aus Z 4 relevant können vielmehr nur (in der Hauptverhandlung) gestellte Anträge auf Feststellung einzelner Punkte im Protokoll nach § 281 Abs 1 zweiter Satz StPO oder Wiedergabe von Aufnahme oder Mitschrift nach § 271 Abs 6 erster Satz StPO sein ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 264). Eine dahingehende Antragstellung im Rahmen der Hauptverhandlung lässt sich jedoch weder dem Hauptverhandlungsprotokoll noch dem Antrag auf Berichtigung desselben entnehmen, sodass auch in dieser Hinsicht nicht auf einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag Bezug genommen wird.
Die Mängelrüge (Z 5) behauptet eine offenbar unzureichende Begründung der Feststellung, wonach „der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt davon ausgehen konnte, dass B* ihm die geforderten EUR 2.500,00 bezahlt oder er einen Anspruch darauf hat“ (US 4). Indem die Rüge unter bloßer Wiedergabe der – vom Erstgericht berücksichtigten (US 5) -- Angaben der Zeugin B* vor Gericht eigene Beweiswerterwägungen zum Nichtvorliegen des Bereichungsvorsatzes anstellt, zeigt sie keinen Begründungsmangel im Sinn des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes auf (RIS-Justiz RS0099455).
Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld vermag keine Zweifel an der ausführlichen Beweiswürdigung des Erstgerichts und den darauf beruhenden Feststellungen hervorzurufen. Der Einzelrichter stützte die Feststellungen zu den schulderheblichen Tatsachen auf die im Wesentlichen gleichlautenden Aussagen der Zeugen C* und B* vor der Kriminalpolizei und legte unter Verwertung seines persönlichen Eindrucks ausführlich und plausibel dar, warum er deren Schilderungen Glauben schenkte und die damit im Widerspruch stehende leugnende Einlassung des Angeklagten als widerlegt erachtete. Er ging dabei auch auf das geänderte Aussageverhalten der Zeugin B* ein und kam mit überzeugender Begründung zu dem Schluss, dass ihre frühere (den Angeklagten belastende und auch mit der Aussage der Zeugin C* übereinstimmende) Aussage vor der Kriminalpolizei den Tatsachen entsprach. Ebenso nicht zu beanstanden ist die Ableitung der subjektiven Tatseite aus dem äußeren Geschehen und der allgemeinen Lebenserfahrung. Soweit der Angeklagte in der Berufung weiterhin damit argumentiert, B* habe ihm die Zahlung des von ihm geforderten Geldbetrags zugesichert, weswegen er zu Recht vom Bestehen einer Forderung ausgehen durfte und konnte, verkennt er, dass sich der den Bereicherungsvorsatz ausschließende Irrtum über das Bestehen eines Anspruchs auf Umstände beziehen muss, aus denen sich in rechtlicher Wertung ein solcher Anspruch ergeben würde. Nicht genügend ist, wenn der Täter irrig einen von der Rechtsordnung überhaupt nicht anerkannten Anspruch für sich einfordert (RIS-Justiz RS0116483; Eder/Rieder , WK 2StGB § 144 Rz 31). Selbst wenn B* also aus einer moralischen Verpflichtung heraus bereit gewesen sein sollte, dem Angeklagten den von einer anderen Person verursachten Schaden an seinem Vermögen zu ersetzen, ändert dies nichts daran, dass er allein aus dieser Zusicherung keinerlei Rechtsansprüche ableiten konnte, was jedermann und umso mehr dem Angeklagten, der einmal Exekutivbeamter war, klar sein muss. Zusammengefasst hegt das Berufungsgericht keine Bedenken gegen die Beweiswürdigung und die darauf gestützten Feststellungen zu den – für die Schuld- und Subsumtionsfrage – entscheidenden Tatsachen.
Hingegen kommt der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe Berechtigung zu.
Strafnormierend ist § 144 Abs 1 StGB mit einer Strafdrohung von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe.
Besondere Erschwerungsgründe im Sinne des § 33 StGB liegen nicht vor. Zu dem vom Erstgericht in Anschlag gebrachten Erschwerungsgrund des § 33 Abs 2 Z 2 StGB (Tatbegehung gegen die frühere Lebensgefährtin) ist festzuhalten, dass eine außereheliche Lebensgemeinschaft im Sinne des § 72 Abs 2 StGB eine auf längere Zeit ausgerichtete, ihrem Wesen nach dem Verhältnis miteinander verheirateter Personen gleichkommende Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft voraussetzt (RIS-Justiz RS0092256), wofür aber nach dem Akteninhalt trotz der vom Angeklagten und dem Opfer in der Hauptverhandlung undifferenziert verwendeten Begriffe „Lebensgemeinschaft“ (ON 13.2.1, 2) bzw. „Ex-Lebensgefährte“ (ON 13.2,1, 4) keine Anhaltspunkte bestehen (vgl dagegen etwa die Angaben des Angeklagten in ON 2.7, 1 ff sowie des Opfers in ON 2.6, 4, wo stets nur von einer „Beziehung“ die Rede ist).
Mildernd wirkt, dass der Angeklagte bisher einen ordentlichen Lebenswandel geführt hat und die Tat mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch steht (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB) sowie der Umstand, dass es beim Versuch blieb (§ 34 Abs 1 Z 13 zweiter Fall StGB). Warum die Tat unter Umständen, die einem Schuldausschließungs- oder Rechtfertigungsgrund nahe kommen (Z 11), oder in einem die Schuld nicht ausschließenden Rechtsirrtum (§ 9 StGB) begangen worden sein soll, erklärt die Berufung nicht nachvollziehbar.
Aufgrund des Gewichts der Tat, der besonderen Strafbemessungsgründe (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) und der persönlichen Schuld des Angeklagten (§ 32 Abs 1 StGB) hält das Berufungsgericht das vom Erstgericht gefundene (hypothetische [OGH 14 Os 29/19z]) Gesamtstrafmaß von zehn Monaten für überhöht, weshalb es dem Tatunrecht und der personalen Täterschuld entsprechend auf das Mindestmaß von sechs Monaten Freiheitsstrafe zu reduzieren ist. Die Anwendung des § 43a Abs 2 StGB ist bei diesem Strafmaß ausgeschlossen. Schon wegen des Verschlechterungsverbots (§ 295 Abs 2 iVm §§ 471, 489 Abs 1 StPO) ist daher die gesamte Strafe gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachzusehen.
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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