Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hargassner als Vorsitzenden, den Vizepräsidenten Hon.-Prof. PD Dr. Rassi und den Hofrat Dr. Vollmaier sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Manfred Joachimsthaler und Helmut Purker (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei P*, vertreten durch Mag. Michael Unterweger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, wegen Alterspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 24. Juni 2025, GZ 9 Rs 64/25k 23, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob der Kläger unter Berücksichtigung allfälliger Kindererziehungszeiten Anspruch auf Alterspension hat.
[2] Der Kläger erwarb in Österreich insgesamt 79 Beitragsmonate der Pflichtversicherung und zwei Monate einer Ersatzzeit, in der Slowakei 96 Beitragsmonate der Pflichtversicherung. Nach 1982 erwarb er keine Versicherungsmonate mehr.
[3] Mit Bescheid vom 1. 8. 2024 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 18. 9. 2023 auf Zuerkennung einer Alterspension ab.
[4] Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Klage mit dem erkennbaren Begehren auf Zuspruch einer Alterspension im gesetzlichen Ausmaß.
[5] Das Erstgerichtwies die Klage ab. Der Kläger habe die Wartezeit nach § 120 GSVG nicht erfüllt. Er habe in den letzten 360 Kalendermonaten vor dem Stichtag (1. 10. 2023) keine Versicherungsmonate erworben, weshalb die Voraussetzungen des § 120 Abs 3 Z 2 lit a GSVG nicht gegeben seien. Ebenso wenig sei auch die Wartezeit gemäß § 120 Abs 6 GSVG nicht erfüllt.
[6] Das Berufungsgerichtgab der Berufung des Klägers nicht Folge. Zu Recht habe das Erstgericht (aus dem Akteninhalt hervorgehende) Kindererziehungszeiten des Klägers für seine 1972 geborene Tochter unberücksichtigt gelassen. Nach Maßgabe der am 1. 1. 2002 eingeführten Bestimmung des § 120 Abs 7 Satz 1 GSVG seien Kinderbetreuungszeiten erst ab diesem Zeitpunkt – im Ausmaß von höchstens 24 Kalendermonaten – als Beitragsmonate zu berücksichtigen. Eine rückwirkende Erfassung von Kindererziehungszeiten komme nicht in Betracht.
[7] Die dagegen erhobene außerordentliche Revisiondes Klägers ist mangels einer darin aufgezeigten Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[8]1. Gemäß § 120 Abs 7 Satz 1 GSVG sind als Beitragsmonate für die Erfüllung der Wartezeit für die Alterspension nach Abs 6 auch Ersatzmonate nach § 116a dieses Bundesgesetzes oder nach § 227a ASVG oder nach § 107a BSVG im Ausmaß von höchstens 24 Kalendermonaten je Kind zu berücksichtigen, gezählt ab der Geburt des Kindes, wenn 1. für diese Zeiten Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld besteht oder der Anspruch darauf ausschließlich nach § 6 Abs 1 Z 1 KBGG ruht und 2. sich diese Ersatzmonate nicht mit Beitragsmonaten decken.
[9]2. Die Bestimmung ist mit 1. 1. 2002 in Kraft getreten (§ 292 Abs 1 Z 1 GSVG); eine ausnahmsweise Rückwirkung auf früher verwirklichte Sachverhalte wurde nicht angeordnet (vgl § 5 ABGB; s dazu RS0008715 ; RS0008745 [T9, T17]).
[10] 2.1. Der Senat hat bereits in der Entscheidung zu 10 ObS 116/07tzur Frage der rückwirkenden pensionsrechtlichen Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten auf Grundlage der Parallelbestimmung des § 236 Abs 4a ASVG Stellung genommen, und dabei betont, dass die Rückwirkung einer Rechtsnorm einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung bedürfte, die der Norm nicht zu entnehmen sei. Da das Kinderbetreuungsgeld erst ab 1. 1. 2002 eingeführt worden sei und § 236 Abs 4a ASVG auf das Bestehen eines Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld abstelle, finde diese Bestimmung auf frühere Erziehungszeiten keine Anwendung.
[11]2.2. Wie bereits vom Berufungsgericht zutreffend gewürdigt, hat Entsprechendes auch für die im Wesentlichen idente Regelung des § 120 Abs 7 GSVG zu gelten. Eine rückwirkende Erfassung von Erziehungszeiten vor der Schaffung des KBGG, bei denen abstrakt der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld nach diesem Gesetz bestanden hätte, als Beitragsmonate kommt nicht in Betracht (vgl RS0123196).
[12]Der Kläger tritt der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts betreffend die fehlende Rückwirkungsanordnung in Ansehung des § 120 Abs 7 GSVG in der Revision auch nur insoweit entgegen, als er ohne nähere rechtliche Ausführungen ins Treffen führt, dass eine Rückwirkung in § 292 Abs 1 Z 1 GSVG „nicht explizit angeordnet“ sei (vgl aber zur Zweifelsregel des § 5 ABGB RS0008715 [T20]; RS0008745 [T10]).
[13]3. Der Umstand, dass Kindererziehungszeiten vor Schaffung des KBGG anders als nachfolgende Kindererziehungszeiten bei der pensionsrechtlichen Beurteilung der Frage, ob die Wartezeit nach § 120 Abs 7 GSVG erfüllt ist, unberücksichtigt bleiben, bewirkt entgegen dem Standpunkt des Klägers auch keine Verfassungswidrigkeit:
[14]3.1. Die zeitliche Differenzierung begründet weder einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art 7 B-VG) noch eine Diskriminierung aufgrund des Alters (Art 14 EMRK iVm Art 1 12. ZPEMRK) oder bei der Zuerkennung von Familienleistungen (Art 14 iVm Art 8 EMRK).
[15] Verboten sind zwar unsachliche Differenzierungen (vgl RS0053981[zu Art 7 B-VG]; RS0124747[zu Art 14 EMRK]). Eine Regelung ist aber nicht schon dann gleichheitswidrig bzw diskriminierend, wenn ihr Ergebnis nicht in allen Fällen als befriedigend angesehen wird. Dem Normsetzer muss es – insbesondere auch im Interesse der Verwaltungsökonomie – gestattet sein, eine einfache und handhabbare Regelung zu treffen ( RS0053882 ).
[16] Zugleich kommt dem Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs gerade bei Beurteilung sozialer Bedarfslagen und der Ausgestaltung der an diese Bedarfslagen knüpfenden sozialen Maßnahmen ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu (VfGH G 165/08 ua VfSlg 18.885 ; G 2575/2023 ; G 91/2024 ua; vgl auch RS0053889 ). Gerade im Sozialversicherungsbereich sind Stichtagsregelungen in Anpassung an die wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten unvermeidlich, mögen sie auch in Einzelfällen Härten mit sich bringen. Eine zeitliche Differenzierung durch eine Stichtagsregelung ist daher nicht grundsätzlich gleichheitswidrig (vgl ua 10 ObS 138/21y Rz 38: zur Anwendbarkeit des § 236 Abs 4b ASVG lediglich auf Pensionsanträge ab dem Stichtag 1. 1. 2020). Vielmehr liegt es im Wesen einer Änderung materiell rechtlicher Bestimmungen, dass Rechtsfälle je nach dem für maßgeblich erklärten zeitlichen Sachverhaltselement unterschiedlich nach der alten oder neuen Rechtslage behandelt werden. Es steht demnach in der rechtspolitischen Freiheit des Gesetzgebers festzulegen, wann eine neue, den Versicherten begünstigende Bestimmung zu gelten hat ( RS0117654 ; RS0053393 ua).
[17] Besondere Umstände, deretwegen die vorliegende Stichtagsregelung ausnahmsweise dennoch als sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung zu qualifizieren wäre, legt die Revision nicht dar.
[18] 3.2. Der Kläger steht zusammengefasst weiters auf dem Standpunkt, da ihn die Nichtberücksichtigung von Kindererziehungszeiten am Pensionsantritt hindere, seien seine bisherigen Beitragsleistungen „irrelevant“ gewesen, was einen unsachlichen Eingriff in sein verfassungsrechtlich garantiertes Recht auf Unversehrtheit des Eigentums bewirke (zur Einbeziehung des Pensionsanspruchs in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie nach Art 1 1. ZPEMRK vgl VfGH G 165/08, VfSlg 18.885 ).
[19] Diese Argumentation lässt unberücksichtigt, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs in der Sozialversicherung und vor allem in der Pensionsversicherung der Versicherungsgedanke zurückgedrängt ist. Es gilt innerhalb einer Solidargemeinschaft nicht der Grundsatz der Äquivalenz von Beitragsleistung und Versicherungsleistung. Vielmehr sind die Grundsätze der Einkommens- und der Risikosolidarität bestimmend, woraus folgt, dass es in manchen Fällen trotz Leistung von (höheren) Pflichtbeiträgen zu keiner (höheren) Versicherungsleistung kommt (VfGH B 111/09, VfSlg 18.786 ErwGr II.2.5.2. mwN; G 325/2020 ua).
[20] Darauf aufbauend hat der Verfassungsgerichtshof bereits wiederholt betont, dass mit den Beiträgen zur gesetzlichen Pensionsversicherung jeweils „nur“ die laufenden Pensionen der Leistungsbezieher finanziert, nicht aber Ansprüche der Beitragszahler „angespart“ werden. Es gelten grundsätzlich daher nicht versicherungsmathematische Grundsätze, sondern das Prinzip des sozialen Ausgleichs. Die Verpflichtung zur Beitragszahlung (welche an sich einen Eingriff in das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentumsrechts darstellt) ist im Rahmen dieses sogenannten „Generationenvertrags“ unter dem Gesichtspunkt sachlich zu rechtfertigen, dass ein der Versicherungsgemeinschaft angehörender Beitragszahler im Versicherungsfall auch selbst durch dieses System jedenfalls so weit geschützt wird, dass er in Abhängigkeit vom Ausmaß seiner Beitragszahlungen grundsätzlich eine nicht außer Verhältnis zu seinem früheren Erwerbseinkommen stehende Versorgung für eben dieselben Versicherungsfälle erwarten kann (vgl VfGH G 186/02 ua, VfSlg 16.764 ErwGr III.3.1.1.; G 197/2023 ua, VfSlg 20.646 Rz 207).
[21] 3.3. Soweit sich der Kläger im Übrigen pauschal auf einen „Verstoß gegen die Verfassung und verfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen” stützt, bleibt sein Rechtsmittelvorbringen unsubstanziiert, was aber einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit diesem Vorwurf entgegensteht.
[22] 3.4. Zusammengefasst teilt der Oberste Gerichtshof die geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht. Eine die Zulässigkeit der Revision begründende Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd§ 502 Abs 1 ZPO zeigt der Kläger folglich auch insoweitnicht auf (RS0116943; vgl RS0122865).
[23] 4. Die behauptete Aktenwidrigkeit wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Z 3 ZPO).
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