Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätin Dr. Annerl, Mag. Waldstätten, Dr. Stiefsohn und Mag. Böhm in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch DDr. Wolfgang Doppelbauer, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei * GmbH, *, vertreten durch die BICHLER ZRZAVY Rechtsanwälte GmbH Co KG in Wien, wegen 6.238 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Jänner 2025, GZ 50 R 176/24z 29, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 6. September 2024, GZ 1 C 406/23x 23, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 751,92 EUR (darin 125,32 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Am 29. 12. 2022 buchte die damals 24 Jahre alte Klägerin in Begleitung ihres Verlobten in einem von der Beklagten betriebenen Reisebüro eine von einer Dritten veranstaltete Pauschalreise nach Sansibar von 15. 7. 2023 bis 26. 7. 2023 um 9.566 EUR für sich und ihren Verlobten. Die Klägerin teilte der Mitarbeiterin der Beklagten mit, dass die Reise ihre Hochzeitsreise sei.
[2] Die Mitarbeiterin der Beklagten fragte die Klägerin, ob sie eine Reiseversicherung abschließen wolle, schlug ihr eine konkrete Reiseversicherung vor und rechnete ihr aus, dass diese rund 750 EUR koste. Die Klägerin wollte sich den Abschluss des Versicherungsvertrags wegen der Höhe der Prämie noch überlegen. Die Mitarbeiterin der Beklagten meinte, dass sie sich melden könne, wenn sie doch noch eine Reiseversicherung abschließen wolle.
[3] Am 3. 1. 2023 – dem fünften Tag nach der Reisebuchung – rief die Klägerin bei der Mitarbeiterin der Beklagten an und sagte, dass sie die Reiseversicherung abschließen wolle. Die Mitarbeiterin der Beklagten schickte ihr einen Link zur Website des Versicherers. Über diesen Link schloss die Klägerin den Reiseversicherungs- und Reiserücktrittsversicherungsvertrag mit dem Versicherer ab.
[4] Nach den in den Versicherungsvertrag einbezogenen Allgemeinen Versicherungsbedingungen setzte die Deckung eines Rücktritts vom Reisevertrag wegen einer Schwangerschaft voraus, dass der Versicherungsvertrag innerhalb von drei Tagen nach der Reisebuchung abgeschlossen wurde. Die Mitarbeiterin der Beklagten hatte der Klägerin nicht mitgeteilt, dass eine Schwangerschaft nur versichert ist, wenn der Versicherungsvertrag innerhalb von drei Tagen nach der Reisebuchung abgeschlossen wird. Hätte die Klägerin von dieser Beschränkung des Deckungsumfangs gewusst, hätte sie den Versicherungsvertrag innerhalb von drei Tagen nach der Reisebuchung abgeschlossen.
[5] Am 4. 7. 2023 erfuhr die Klägerin davon, dass sie schwanger war. Am 6. 7. 2023 erklärte sie deswegen den Rücktritt vom Pauschalreisevertrag. Der Versicherer verweigerte die Deckung der Rücktrittsgebühr von 6.238 EUR unter Hinweis auf die Deckungsbeschränkung sowie darauf, dass der Versicherungsvertrag erst am fünften Tag nach der Reisebuchung abgeschlossen worden war.
[6] Die Klägerin begehrte von der Beklagten den Ersatz der Rücktrittsgebühr von 6.238 EUR sA mit der Begründung, dass die Beklagte schuldhaft eine sie als Reisevermittlerin treffende Aufklärungspflicht verletzt habe. Die Beklagte hätte sie bei der Reisebuchung darüber aufklären müssen, dass das Risiko der Schwangerschaft in der von der Beklagten vorgeschlagenen Reiserücktrittsversicherung nur versichert ist, wenn der Versicherungsvertrag innerhalb von drei Tagen nach der Reisebuchung abgeschlossen wird.
[7] Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie entgegnete, als Reisevermittlerin nicht zur Aufklärung über den Deckungsumfang der Reiseversicherung und die für den Deckungsumfang maßgeblichen Umstände verpflichtet gewesen zu sein. Die Klägerin treffe ein Mitverschulden, weil sie kein Interesse an der Deckung des Risikos der Schwangerschaft bekundet und die Versicherungsbedingungen nicht gelesen habe. Sie habe auch ihre Schadenminderungsobliegenheit verletzt, weil sie nicht vom Versicherungsvertrag zurückgetreten sei.
[8] Das Erstgericht , das das Klagebegehren im ersten Rechtsgang abgewiesen hatte, gab dem Klagebegehren im zweiten Rechtsgang statt. Das Berufungsgericht habe ihm im ersten Rechtsgang die Rechtsansicht überbunden, dass eine Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten vorliege, wenn die Mitarbeiterin der Beklagten die Klägerin nicht über die Drei-Tages-Frist im Zusammenhang mit dem Versicherungsschutz aufgeklärt habe.
[9] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Die Beklagte hätte die Klägerin aufgrund der Umstände des Einzelfalls über die Abhängigkeit des Deckungsumfangs vom Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrags aufklären müssen. Sie hätte die Klägerin darauf hinweisen müssen, dass der von der Beklagten vorgeschlagene Versicherungsvertrag das Risiko der Schwangerschaft nur dann deckt, wenn er innerhalb von drei Tagen nach der Reisebuchung abgeschlossen wird. Da die Klägerin den Versicherungsvertrag innerhalb von drei Tagen nach der Reisebuchung abgeschlossen hätte, wenn sie ordnungsgemäß aufgeklärt worden wäre, hafte ihr die Beklagte für die nicht gedeckte Rücktrittsgebühr. Ein Mitverschulden der Klägerin oder eine Verletzung der Schadenminderungsobliegenheit liege nicht vor.
[10] Das Berufungsgericht ließ die Revision nachträglich zu, weil die Beklagte vorbrachte, dass das Berufungsurteil in einem Spannungsverhältnis zu den „versicherungsrechtlichen Leitlinien“ der Rechtsprechung stehe. Nach diesen bestehe eine Aufklärungspflicht des Versicherers über den Inhalt eines Versicherungsvertrags nur dann, wenn aufgrund der klaren Äußerungen des Versicherungsnehmers erkennbar sei, dass der Vertrag gerade ein vom Versicherungsnehmer ins Auge gefasstes Risiko nicht decke.
[11] Gegen das Berufungsurteil richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Abänderungsantrag, das Klagebegehren abzuweisen, und hilfsweise mit einem Aufhebungsantrag.
[12] Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, und hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
[13]Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
[14] 1. Nach der Rechtsprechung handelt der Reisevermittler bezogen auf den Reiseveranstaltungsvertrag als Gehilfe des Reiseveranstalters. Daneben hat er gegenüber dem Reisenden eigene Pflichten aus dem Reisevermittlungsvertrag ( 4 Ob 130/09k ;1 Ob 191/16v; je mwN ). Ihr Umfang ist durch Vertragsauslegung zu ermitteln.
[15] 2.Die Vertragsauslegung hängt weitgehend von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0042936). Das gilt insbesondere für den Umfang der vertraglichen Nebenpflichten (RS0042936 [T64]; RS0044358 [T16]), etwa der Aufklärungspflicht (RS0014811 [T12]; RS0111165). Generelle Aussagen, wann eine Aufklärungspflicht besteht, sind daher kaum möglich ( RS0014811[T11]). Die Rechtsprechung bejaht eine Aufklärungspflicht regelmäßig dann, wenn der andere Teil nach den Grundsätzen des redlichen Geschäftsverkehrs eine Aufklärung erwarten durfte (RS0014811). Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (§ 502 Abs 1 ZPO) liegt nur vor, wenn dem Berufungsgericht eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen ist (RS0042776 [T1]).
[16] 3. Die Revision zeigt keine derartig gravierende Fehlbeurteilung auf:
[17] 3.1.Dass eine auf die Information über den Inhalt eines Reiseversicherungsvertrags gerichtete Nebenpflicht eines Reisebüros als Reisevermittler gegenüber dem Reisenden im Einzelfall bestehen kann, hat der Oberste Gerichtshof bereits bejaht (2 Ob 579/92 = RS0029650 [T2]: Aufklärungspflicht über eine „Altersklausel“ im Hinblick auf das „erkennbar hohe Alter“ des Reisenden).
[18] 3.2. Nach der Auslegung des Berufungsgerichts enthielt der zwischen der Klägerin und der beklagten Betreiberin eines Reisebüros abgeschlossene Reisevermittlungsvertrag die Nebenpflicht der Beklagten, die Klägerin rechtzeitig darauf hinzuweisen, dass der Umfang des Versicherungsschutzes in der Reiserücktrittsversicherung geringer ist, wenn der Versicherungsvertrag nicht innerhalb von drei Tagen nach der Reisebuchung abgeschlossen wird.
[19] 3.3. Eine im Einzelfall unvertretbare Fehlbeurteilung ist darin nicht zu erblicken: Die Mitarbeiterin der Beklagten schlug der Klägerin anlässlich der Vermittlung einer Reise, die erst mehr als ein halbes Jahr später angetreten werden sollte, die konkrete Reiseversicherung vor und gab ihr deren (ungefähre) Prämienhöhe bekannt. Als die Klägerin meinte, sich den Abschluss des Versicherungsvertrags noch überlegen zu wollen, antwortete die Mitarbeiterin der Beklagten, dass sie sich melden könne, wenn sie den Versicherungsvertrag abschließen wolle. Bereits am fünften Tag nach der Reisebuchung kontaktierte die Klägerin die Mitarbeiterin der Beklagten und erhielt von ihr einen Link, über den sie den Versicherungsvertrag abschloss; der Deckungsumfang war zu diesem Zeitpunkt aber bereits geringer. Die „kurzfristig“ eingetretene Einschränkung des Deckungsumfangs betraf ein für die Klägerin aufgrund ihres Geschlechts und Alters erkennbar relevantes Risiko. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe nach den Grundsätzen des redlichen Geschäftsverkehrs eine Aufklärung darüber erwarten dürfen, dass der Umfang des Versicherungsschutzes geringer wird, wenn sie mit dem Abschluss des Versicherungsvertrags länger als drei Tage nach der Reisebuchung zuwartet, bedarf im Lichte dieser Umstände des Einzelfalls keiner Korrektur durch eine gegenteilige Sachentscheidung.
[20] 4. Auch die übrigen Argumente der Revision gegen die Bejahung der Aufklärungspflicht begründen nicht deren Zulässigkeit:
[21] 4.1. Entgegen der Revision ist der Entscheidung 2 Ob 579/92 nicht zu entnehmen, dass der dortige Kläger im Hinblick auf sein Alter „ausdrücklich“ eine Reiseversicherung gewünscht hätte. Die Informationspflicht der dortigen beklagten Reisevermittlerin wurde vielmehr mit seinem „erkennbar hohen Alter“ begründet.
[22] 4.2. Ein Spannungsverhältnis zu den von der Beklagten so bezeichneten „versicherungsrechtlichen Leitlinien“ der Rechtsprechung (zu denen sie RS0080141und RS0106980 zählt) ist nicht zu erkennen. Auch im Versicherungsverhältnis ist – nach dem dieses „in besonderem Maß“ beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben ( RS0018055 ) – im Einzelfall zu beurteilen, ob der Versicherer den Versicherungsnehmer über einen bestimmten Umstand aufzuklären hat oder nicht ( RS0018055 [T5]). Dass eine Aufklärungspflicht des Versicherers generell nur in jenem Umfang bestünde, in dem der Versicherungsnehmer den Versicherungsschutz gerade für ein ausgeschlossenes Risiko anstrebt oder sonst erkennbar über einen für ihn wesentlichen Vertragspunkt irrt, ist der Rechtsprechung nicht zu entnehmen.
[23] 4.3. Die von der Beklagten behaupteten Widersprüche zu anderen Entscheidungen, die sich mit Aufklärungspflichten im Zusammenhang mit Interzession, Unternehmenskaufverträgen, Vertragserrichtung durch einen Rechtsanwalt, Liegenschaftskaufverträgen, Mietverträgen und Scheidungsfolgenvergleichen befassten, bestehen schon deshalb nicht, weil es hier um die Beurteilung vertraglicher Pflichten aus einem Reisevermittlungsvertrag anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls geht.
[24] 5.Schließlich meint die Beklagte, dass das Berufungsgericht das Mitverschulden und die Verletzung der Schadenminderungsobliegenheit (§ 1304 ABGB) unvertretbar verneint habe. Sie legt aber nicht dar, worin diese Unvertretbarkeit konkret gelegen sein soll. Dass der Schaden möglicherweise nicht eingetreten oder reduziert worden wäre, wenn sich die Klägerin anders verhalten hätte, ist für sich allein nicht zur Begründung der Unvertretbarkeit der Beurteilung des Berufungsgerichts geeignet.
[25] 6. Die Revision ist daher zurückzuweisen.
[26] 7.Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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