Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer sowie Hofrat Mag. Eder und Hofrätin Mag. Zehetner als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Stüger, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. September 2024, W131 22686201/11E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: M A, in W), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
1Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger von Syrien, stellte am 9. Februar 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er im Wesentlichen mit dem Krieg in seinem Herkunftsland und der drohenden Einziehung zum Militärdienst begründete.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (die revisionswerbende Behörde) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 8. Februar 2023 hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Mitbeteiligten den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung mit der Gültigkeit für ein Jahr.
3 Begründend führte die Behörde zusammengefasst aus, der Mitbeteiligte sei in Syrien bei der Musterung gewesen, habe sein Militärbuch erhalten und es sei bei ihm ein Untauglichkeitsgrad von 20 Prozent festgestellt worden. Er sei lediglich für den „Zivil bzw. Wehrersatzdienst“ als tauglich eingestuft worden. Daher könne die Gefahr einer Zwangsrekrutierung für Kampfhandlungen und etwaige Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zuge des Wehrdienstes nicht festgestellt werden. Selbst im hypothetischen Fall, dass der Mitbeteiligte den regulären syrischen Militärdienst leisten müsse, bestehe für ihn die Möglichkeit, sich davon freizukaufen.
4Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt, erkannte ihm gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des Asylberechtigten zu und stellte gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 fest, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte es für nicht zulässig.
5 Das Bundesverwaltungsgericht ging davon aus, der Mitbeteiligte vertrete eine der syrischen Regierung ablehnend gegenüberstehende politische Haltung. Er bezeichne diese als verbrecherisches Regime und kritisiere, dass dieses Menschen töte, die an Demonstrationen teilnähmen und Reformen forderten. Für den Mitbeteiligten bestehe daher im Fall seiner Rückkehr die reale Gefahr, von der syrischen Regierung wegen seiner oppositionellen politischen Gesinnung getötet, inhaftiert, gefoltert oder sonst nachhaltig menschenrechtswidrig behandelt zu werden.
6 Beweiswürdigend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass sich die politische Gesinnung des Mitbeteiligten aus seinen diesbezüglich konsistenten Angaben während seines Asylverfahrens ergebe. Insbesondere seine in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansichten über die syrische Regierung zeugten eindeutig von seiner politischen oppositionellen Gesinnung. Seine Äußerungen ließen eine tiefe Verurteilung der Handlungen der syrischen Regierung und eine klare Überzeugung von deren Ungerechtigkeit und Unrechtmäßigkeit erkennen, sodass sich die Rückkehrbefürchtungen des Mitbeteiligten als plausibel erwiesen.
7 In seiner rechtlichen Beurteilung hielt das Bundesverwaltungsgericht insbesondere fest, mit Blick auf näher dargelegte Länderberichte zu Personen, die unter dem Verdacht stünden, sich oppositionell zu engagieren, oder als regimekritisch wahrgenommen würden, die UNHCR Erwägungen und die EUAA „Country Guidance Syria“ liege im Hinblick auf die dem Mitbeteiligten drohende Bestrafung wegen seiner der syrischen Regierung entgegenstehenden politischen Gesinnung als drohender Eingriff von erheblicher Intensität eine asylrelevante Verfolgung vor.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Amtsrevision, die vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurde.
9 Im vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
10 Die revisionswerbende Behörde bringt zur Begründung der Zulässigkeit der Revision mit näherer Begründung vor, die „Verfolgungstheorie“, die das Bundesverwaltungsgericht dem Erkenntnis zugrunde lege, sei von dem Mitbeteiligten weder jemals vorgebracht noch im Beschwerdeverfahren erfragt worden, sodass sich die Feststellungen und die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts als nicht nachvollziehbar, unschlüssig und aktenwidrig erwiesen und das Erkenntnis damit näher dargelegter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes widerspreche.
11 Die Revision erweist sich aus diesem Grund als zulässig und auch berechtigt.
12 Eingangs ist mit Blick auf die Ereignisse in Syrien im Dezember 2024 sowie die zeitlich danach liegenden Geschehnisse in diesem Staatdarauf hinzuweisen, dass gemäß § 41 erster Satz VwGG der Verwaltungsgerichtshof, soweit nicht Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes oder infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorliegt (§ 42 Abs. 2 Z 2 und Z 3 VwGG), das angefochtene Erkenntnis oder den angefochtenen Beschluss auf Grund des vom Verwaltungsgericht angenommenen Sachverhalts im Rahmen der geltend gemachten Revisionspunkte (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG) bzw. der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 28 Abs. 2 VwGG) zu überprüfen hat. Somit sind Änderungen der Sachund Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben und daher vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt werden konnten, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren jedenfalls entzogen (vgl. etwa VwGH 16.12.2024, Ra 2024/20/0750, mwN).
13Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Bundesverwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 23.4.2025, Ra 2024/20/0710, mwN).
14Die Beweiswürdigung ist damit nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges (nicht aber die konkrete Richtigkeit) handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. etwa VwGH 29.3.2021, Ra 2019/20/0577, mwN).
15 Im vorliegenden Fall nahm das Bundesverwaltungsgericht eine asylrelevante politische oppositionelle Gesinnung des Mitbeteiligten unabhängig vom Vorbringen zu einer Verfolgung wegen Wehrdienstverweigerung an und stützte seine diesbezüglichen Feststellungen auf näher bezeichnete Stellen in der Beschwerde und die Aussage des Mitbeteiligten in der mündlichen Verhandlung.
16 In der Beschwerde wurde jedoch (abgesehen von pauschalen Vorbringen, dass schon aufgrund der Herkunft aus einem ehemals oppositionellen Gebiet und der Asylantragstellung eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde, worauf sich aber auch das Bundesverwaltungsgericht nicht bezog) lediglich zur von der Behörde angenommenen Möglichkeit eines Freikaufes vom Wehrdienst vorgebracht, der Mitbeteiligte wolle das syrische Regime „aufgrund seiner politischen Einstellung auf keinen Fall mit einem ‚Geldbetrag‘ unterstützen“. In der mündlichen Verhandlung gab der Mitbeteiligte zum Militärdienst und den Machtverhältnissen in seinem Heimatort befragt zwar an, dass er sich nicht dem „verbrecherischen Regime“ anschließen wolle, das dort an der Macht sei und Leute töte, die an Demonstrationen teilnähmen und Reformen verlangten.
17 Dass allein daraus aber abgeleitet werden könnte, der Mitbeteiligte weise ein solches in den vom Bundesverwaltungsgericht tragend für seine Entscheidung herangezogenen von UNHCR und EUAA herausgegebenen Berichten erwähntes Risikoprofil auf, dass schon deswegen vom Bestehen einer asylrelevanten Verfolgung auszugehen wäre, ist nicht zu sehen. Ebenso lässt die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts jegliche Ausführungen dazu vermissen, dass und warum der Mitbeteiligte in das Blickfeld syrischer Behörden gelangt sein sollte. Abgesehen vom Vorbringen zu einer behaupteten Verfolgung, weil der Mitbeteiligte keinen Militärdienst für die syrische Armee leisten wolle, hat er zu keiner Zeit behauptet, aus anderen Gründen Verfolgung durch den syrischen Staat zu befürchten, was das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls in seinen Erwägungen ausgeblendet hat.
18 Das Bundesverwaltungsgericht hat somit für die Entscheidung wesentliche Umstände, bei deren Beachtung es zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, in seine Überlegungen nicht einbezogen.
19Das Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a und c VwGG aufzuheben.
Wien, am 1. Juli 2025
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