Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofräte Dr. N. Bachler und Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schubert-Zsilavecz, über die Revision des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft in 1010 Wien, Stubenring 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten vom 9. Februar 2015, KLVwG- 26/5/2015, betreffend Übertretung des AWG 2002 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt-Land; mitbeteiligte Partei: Dr. VI in F, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt-Land (in weiterer Folge: BH) vom 2. Dezember 2014 wurde dem Mitbeteiligten angelastet, er habe nicht gefährliche Abfälle (Bauschutt in Form von Ziegelresten, Estrichresten sowie Betonresten und Betonbruchstücken) seiner Baustelle in F., wie dies am 29. Juni 2013 um 9:15 Uhr an der Mautstelle R. festgestellt worden sei, an nicht zur Sammlung oder Behandlung berechtigte Personen übergeben, obwohl - wenn der Abfallbesitzer zu einer entsprechenden Behandlung nicht berechtigt oder imstande sei - er die Abfälle einem zur Sammlung oder Behandlung Berechtigten so rechtzeitig zu übergeben habe, dass Beeinträchtigungen der öffentlichen Interessen (§ 1 Abs. 3 AWG 2002) vermieden werden. Der Mitbeteiligte habe dadurch § 79 Abs. 2 Z 4 iVm § 15 Abs. 5 AWG 2002 verletzt, weshalb über ihn eine Geldstrafe in Höhe von EUR 600,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 80 Stunden) verhängt wurde.
2 Dagegen erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Kärnten (in weiterer Folge: LVwG), in der er u.a. geltend machte, eine Bestrafung nach § 79 Abs. 2 Z 4 AWG 2002 setze voraus, dass durch die Nichtübergabe an einen zur Sammlung oder Behandlung Berechtigten zumindest eine der in § 1 Abs. 3 AWG 2002 aufgezählten öffentlichen Interessen beeinträchtigt werde. Die belangte Behörde habe zu dieser Frage allerdings kein Beweis- und Ermittlungsverfahren durchgeführt, sondern in Verkennung der Rechtslage angenommen, dass allein schon die Übergabe des Materials den Tatbestand des § 79 Abs. 2 Z 4 AWG 2002 verwirkliche, und eine Prüfung, ob durch dieses Material eine Gefährdung von Schutzgütern im Sinne des § 1 Abs. 3 AWG 2002 überhaupt möglich sei, daher nicht mehr erforderlich wäre.
3 Mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis vom 9. Februar 2015 gab das LVwG der Beschwerde unter Spruchpunkt I. Folge und hob das Straferkenntnis der BH vom 2. Dezember 2014 auf. Unter Spruchpunkt II. stellte es das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 38 VwGVG iVm § 45 Abs. 1 Z 2 VStG ein und erklärte unter Spruchpunkt IV. die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
4 Begründend führte das LVwG - soweit für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof von Bedeutung - aus, die belangte Behörde habe das Straferkenntnis vom 2. Dezember 2014 auf die Rechtsvorschrift des § 79 Abs. 2 Z 4 iVm § 15 Abs. 5 AWG 2002 gestützt. Nach Ansicht des erkennenden Gerichtes wären richtigerweise die Beschreibung des Tatbildes (Tatvorwurf) des § 15 Abs. 5a AWG 2002 sowie die zutreffende Strafnorm des § 79 Abs. 5a AWG 2002 heranzuziehen gewesen, weil diese Bestimmung den Abs. 5a des § 15 leg. cit. mitumfasse und sich der gleichfalls miterfasste § 16 leg. cit. in seinem Abs. 7 auch ausdrücklich auf Abfälle aus Bautätigkeiten beziehe.
5 Gegenständlich habe der Mitbeteiligte unbestritten die im Spruch des Straferkenntnisses angeführten nicht gefährlichen Abfälle, die bei der Durchführung von Bauarbeiten bei seinem Anwesen in F. angefallen seien, an nicht befugte Dritte übergeben. Das "Übergeben" von Abfällen entsprechend der dem Abfallbesitzer mit § 15 Abs. 5 AWG 2002 auferlegten Verpflichtung sei gemäß dem zweiten Satz dieser Bestimmung an die in § 1 Abs. 3 leg. cit. angeführten Gefährdungskriterien, die ein öffentliches Interesse begründeten, geknüpft, indem die Übergabe so rechtzeitig zu erfolgen habe, dass bei der Sammlung, Lagerung, Beförderung und Behandlung die in § 1 Abs. 3 leg. cit. genannten Gefährdungen vermieden werden würden. Die von der belangten Behörde angewendete Strafnorm des § 79 Abs. 2 Z 4 AWG 2002 stelle somit nicht das Tatbestandsmerkmal des "Übergebens" für sich unter Sanktion, sondern verknüpfe diese Handlung mit der Verpflichtung des Abfallbesitzers nach § 15 Abs. 5 leg. cit., die ihm die so rechtzeitige Übergabe an einen zur Sammlung oder Behandlung von Abfällen Berechtigten dann auferlege, wenn eine Gefährdung der in § 1 Abs. 3 leg. cit. genannten öffentlichen Interessen durch das - im gegenständlichen Fall heranzuziehende - "Lagern" bestehe.
6 Das erkennende Gericht komme zum Ergebnis, dass die gegenständlich angelastete Strafnorm des § 79 Abs. 2 Z 4 AWG 2002 nur auf jene Fälle anzuwenden sei, bei denen im Zuge des "Sammelns, Beförderns, Lagerns, Behandelns etc." zumindest eines der Gefährdungskriterien des § 1 Abs. 3 leg. cit. zum Tragen komme, weil sich alle anderen Verstöße gegen bestimmte für den Abfallbesitzer relevante Legalverpflichtungen ohnehin als eigener Straftatbestand in § 79 AWG 2002 fänden bzw. geregelt seien.
7 Eine Änderung des angefochtenen Schuldspruches durch das erkennende Gericht sei nicht möglich, weil es sich hierbei um eine Auswechslung der Tat gehandelt hätte. Das erkennende Gericht habe sich daher veranlasst gesehen, bereits aus diesem Grund der Beschwerde Folge zu geben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren gegen den Mitbeteiligten diesbezüglich gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG einzustellen. Die Revision sei mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung unzulässig.
8 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft eine Amtsrevision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.
9 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er beantragte, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere wenn das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision geltend, das LVwG sei der Auffassung, dass eine Abfallübergabe ausschließlich an zur Sammlung oder Behandlung von Abfällen Berechtigte zu erfolgen habe, vertrete aber die Rechtsmeinung, dass dieses Gebot in § 15 Abs. 5a AWG 2002 verankert sei, die Strafnorm § 79 Abs. 5a AWG 2002 zu lauten habe und es nicht zu einer Richtigstellung des Schuldspruches berechtigt sei, weil es sich hierbei um eine (unzulässige) Auswechslung der Tat handeln würde. Zur Frage, ob eine Abfallübergabe an nicht zur Sammlung oder Behandlung Berechtigte als deliktische Tathandlung von § 15 Abs. 5a AWG 2002 oder von § 15 Abs. 5 AWG 2002 erfasst sei, fehle eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
13 Es trifft zu, dass die in der Revision genannte Frage in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch nicht beantwortet wurde. Die Revision ist daher zulässig. Sie ist auch begründet.
14 Die Bestimmungen der §§ 15 Abs. 5, 5a, 5b sowie 79 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5a Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (AWG 2002), BGBl. I Nr. 102/2002, idgF lauten:
" Allgemeine Behandlungspflichten für Abfallbesitzer
§ 15. ...
(5) Ist der Abfallbesitzer zu einer entsprechenden Behandlung nicht berechtigt oder imstande, hat er die Abfälle einem zur Sammlung oder Behandlung Berechtigten zu übergeben. Die Übergabe hat so rechtzeitig zu erfolgen, dass Beeinträchtigungen der öffentlichen Interessen (§ 1 Abs. 3) vermieden werden; Abfälle zur Beseitigung sind regelmäßig, mindestens einmal im Jahr, Abfälle zur Verwertung sind regelmäßig, mindestens einmal in drei Jahren, einem zur Sammlung oder Behandlung Berechtigten zu übergeben.
(5a) Der Abfallbesitzer ist dafür verantwortlich, dass
a) die Abfälle an einen in Bezug auf die Sammlung oder Behandlung der Abfallart berechtigten Abfallsammler oder - behandler übergeben werden und
b) die umweltgerechte Verwertung oder Beseitigung dieser Abfälle explizit beauftragt wird.
(5b) Wer Abfälle nicht gemäß Abs. 5a übergibt, kann bis zur vollständigen umweltgerechten Verwertung oder Beseitigung dieser Abfälle als Verpflichteter gemäß § 73 Abs. 1 mit Behandlungsauftrag in Anspruch genommen werden.
...
Strafhöhe
§ 79. ...
(2) Wer
...
4. nicht gefährliche Abfälle entgegen § 15 Abs. 5 nicht oder nicht rechtzeitig einem entsprechend Berechtigten übergibt,
...
begeht - sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet oder nach anderen Verwaltungsstrafbestimmungen mit strengerer Strafe bedroht ist - eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 450 EUR bis 8 400 EUR zu bestrafen ist; wer jedoch gewerbsmäßig im Bereich der Abfallwirtschaft tätig ist, ist mit einer Mindeststrafe von 2 100 EUR bedroht.
...
(5a) Wer nicht gefährliche Abfälle, die in privaten Haushalten angefallen sind, entgegen § 15 oder § 16 bereithält oder übergibt, begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit einer Geldstrafe bis zu 180 Euro zu bestrafen ist."
15 Wie der Revisionswerber zutreffend aufzeigt, sind in § 15 Abs. 5 AWG 2002 zwei voneinander unabhängige und rechtlich getrennte Gebote verankert. Nach dem klaren Wortlaut des ersten Satzes dieser Bestimmung haben Abfallbesitzer, sofern sie zu einer entsprechenden Behandlung nicht berechtigt oder imstande sind, Abfälle an einen zur Sammlung oder Behandlung Berechtigten zu übergeben. Eine Verletzung dieses Gebotes liegt bereits dann vor, wenn Abfälle an einen zur Sammlung oder Behandlung Nicht-Berechtigten übergeben werden. Zusätzlich dazu wird mit dem zweiten Satz der Bestimmung eine zeitliche Komponente der im ersten Satz normierten Übergabepflicht festgelegt. Demnach hat die Übergabe an einen zur Sammlung oder Behandlung Berechtigten so rechtzeitig zu erfolgen, dass Beeinträchtigungen der öffentlichen Interessen (§ 1 Abs. 3 AWG 2002) vermieden werden; zusätzlich sieht § 15 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 leg. cit. eine Verpflichtung zur regelmäßigen Übergabe vor.
Die Auffassung, dass eine Verletzung des § 15 Abs. 5 AWG 2002 jedenfalls den Eintritt einer Beeinträchtigung öffentlicher Interessen im Sinne des § 1 Abs. 3 AWG 2002 zur Voraussetzung habe, ist unrichtig.
16 Die beiden Absätze 5a und 5b des § 15 AWG 2002 wurden mit der AWG-Novelle 2010, BGBl. I Nr. 9/2011, eingeführt. Sie präzisieren die Sorgfaltspflichten der Abfallbesitzer in Bezug auf die Auswahl ihrer Verwerter bzw. Entsorger (vgl. Bumberger/Hochholdinger/Niederhuber/Wolfslehner , AWG 20022, K 7 zu § 15) und legen in Umsetzung des Verursacherprinzips der Richtlinie 2008/98/EG (Abfallrahmenrichtlinie) eine verstärkte Verantwortlichkeit des Abfallerzeugers oder sonstigen Abfallbesitzers insofern fest, als der Abfallbesitzer nunmehr auch als Verpflichteter gemäß § 73 Abs. 1 AWG 2002 mit Behandlungsauftrag in Anspruch genommen werden kann, wenn er die in § 15 Abs. 5a AWG 2002 normierten Pflichten bei der Übergabe des Abfalles nicht erfüllt.
§ 15 Abs. 5a AWG 2002 wird durch § 15 Abs. 5b leg. cit. abgesichert, sodass die beiden Absätze in einem untrennbaren Zusammenhang stehen (vgl. RV 1005 BlgNR XXIV. GP, 21 und die hg. Erkenntnisse vom 22. März 2012, 2010/07/0007, und vom 26. März 2015, Ra 2014/07/0067).
17 Gegen die Rechtsauffassung des LVwG, als verletzte Verwaltungsvorschrift sei § 15 Abs. 5a AWG 2002 und nicht
§ 15 Abs. 5 leg. cit. anzusehen, spricht auch eine systematische Interpretation des AWG 2002, wie der Revisionswerber ebenfalls zutreffend aufzeigt. Wird die Verletzung der Übergabepflicht auf
§ 15 Abs. 5a AWG 2002 gestützt, wäre die Übergabe an einen Nicht-Berechtigten mangels Vorliegens einer anderen sich auf
§ 15 Abs. 5a AWG 2002 beziehenden Strafnorm des § 79 leg. cit. nur hinsichtlich Übertretungen betreffend nicht gefährliche Abfälle von privaten Haushalten nach § 79 Abs. 5a AWG 2002 strafbar. Mit § 79 Abs. 5a AWG 2002, eingefügt durch BGBl. I Nr. 43/2007, wurde nämlich eine Lücke in der Systematik der Strafbestimmungen hinsichtlich Übertretungen von privaten Haushalten betreffend nicht gefährlicher Abfälle (so etwa Baurestmassen) geschlossen (vgl. RV 89 BlgNR XXIII. GP, 18). Dem Gesetzgeber kann aber nicht unterstellt werden, diesbezügliche Verletzungen durch Unternehmer oder gewerbsmäßig im Bereich der Abfallwirtschaft Tätige von der Strafbarkeit auszunehmen.
18 Nicht zu beanstanden ist hingegen die Rechtsansicht des LVwG, als Strafnorm wäre richtigerweise § 79 Abs. 5a AWG 2002 und nicht § 79 Abs. 2 Z 4 leg. cit. heranzuziehen gewesen, zumal es sich bei den gegenständlichen Abfällen nach der Aktenlage unstrittig um nicht gefährliche Abfälle der privaten Baustelle des Mitbeteiligten handelte. Insofern wäre der Mitbeteiligte nur mit einer Geldstrafe bis zu EUR 180,-- zu bestrafen gewesen. Da es sich dabei nicht um eine Auswechslung der Tat handelt, wie das LVwG vermeint, sondern die als erwiesen angenommene Tat - unter Beachtung der durch das Verbot der reformatio in peius (§ 42 VwGVG) gezogenen Grenzen - lediglich einer anderen Strafnorm unterstellt wird, wäre das LVwG nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht nur berechtigt, sondern dazu verpflichtet gewesen, den Spruch des Straferkenntnisses der BH dahingehend richtig zu stellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Juli 2014, Ro 2014/02/0099).
19 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 26. Jänner 2017
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