Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Mag. Zacek als Vorsitzende, die Richterin Mag. Derbolav-Arztmann und den Richter MMag. Popelka sowie die fachkundigen Laienrichter ADir Dietrich Wiedermann und Tanja Sehn-Zuparic in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*, **, vertreten durch die Brand Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle **, **, wegen Entziehung eines Rehabilitationsgeldes, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 5.11.2024, GZ **-46, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs vom 12.3.2019 (ASG Wien **) bezog der Kläger ein Rehabilitationsgeld mit Stichtag 1.2.2018.
Im Vergleich ist festgehalten, dass als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation das Ergebnis weiterer Therapiemaßnahmen abzuwarten sei (Einstellung der CPAP-Maske erfolgreich). In der Tagsatzung, in der die Parteien den Vergleich schlossen, wurde der Kläger auf seine Mitwirkungspflicht hingewiesen, er wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass er verpflichtet sei, den Termin zur Einstellung des Beatmungsgeräts wahrzunehmen; sollte er dazu aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sein, habe er dies unmittelbar zu melden und entsprechende Nachweise dafür zu erbringen, dass ihm dies aus medizinischen/gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen sei. Der Kläger wurde im Zusammenhang mit der Mitwirkungspflicht auch darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass er die Mitwirkungspflicht verletze, das Rehabilitationsgeld entzogen werden könne, selbst wenn er weiterhin vorübergehend invalid sei.
Mit Bescheid vom 26.9.2023 entzog die Beklagte dem Kläger das Rehabilitationsgeld mit Ablauf des 30.11.2023.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht die auf Weitergewährung des Rehabilitationsgeldes über den Entziehungszeitpunkt hinaus gerichtete Klage ab. Es traf die auf den Seiten 3 bis 8 des Urteils ersichtlichen Feststellungen, auf die verwiesen wird.
Hervorzuheben ist:
„[…] Beim Kläger besteht ein[e] obstruktive Schlafapnoe aufgrund derer ihm über den Zeitpunkt der Entziehung des Rehabilitationsgeldes mit 30.11.2023 hinaus geregelte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht möglich sind. […]
Eine erfolgreiche Beatmung bei schwerer Schlafapnoe erfolgte am 18.10.2023 im B* Krankenhaus. Dem Kläger wurde am 20.10.2023 eine Ganzgesichtsmaske verordnet und eine Übergabe eines Gerätes zur Beatmung der Schlafapnoe fand am 30.10.2023 statt. Wenn der Kläger die verordnete Beatmungstherapie vorgenommen hätte, so wären ihm Tätigkeiten im Sinne des oben – unter Außerachtlassung der Einschränkungen aufgrund der unbehandelten Schlafapnoe - angeführten Leistungskalküls ab Entziehung des Rehabilitationsgeldes mit 30.11.2023 wieder möglich. Die Verwendung des Beatmungsgerätes ist dem Kläger trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen möglich und zumutbar. […]
Im Fall der zumutbaren Verwendung des Beatmungsgerätes wären dem Kläger Berufstätigkeiten als Portier und einfache Aufsichtstätigkeiten im Liefereingangsbereich von Produktionsstätten zumutbar.“
Rechtlich bejahte das Erstgericht das Vorliegen eines Entziehungstatbestandes wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht. Unter Ausblendung der Einschränkung durch die Schlafapnoe wäre der Kläger nun in der Lage, Berufstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 12.03.2019 sei er auch auf die Mitwirkungspflicht und die Folgen der Verletzung dieser Obliegenheit hingewiesen worden. Eine erfolgreiche Beatmung bei schwerer Schlafapnoe sei am 18.10.2023 erfolgt. Die Beatmungstherapie durch Verwendung des zur Verfügung gestellten Beatmungsgerätes sei nicht erfolgt, obwohl dies dem Kläger zumutbar und möglich gewesen sei.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil im stattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beteiligte sich nicht am Berufungsverfahren.
Die Berufung ist nicht berechtigt .
1. Die Berufung wendet sich gegen die Annahme einer schuldhaften Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Kläger. Das Erstgericht lege in seiner rechtlichen Beurteilung nicht dar, warum bzw infolge welcher konkreten subjektiv vorwerfbaren Handlungen der Kläger ein schuldhaftes Verhalten gesetzt hätte. Es mangle an einer nachvollziehbaren rechtlichen Begründung, woran die subjektive Vorwerfbarkeit angeknüpft werde. Eine massive Angststörung des Klägers stehe fest. Angesichts seiner gesundheitlichen Situation, insbesondere des festgestellten psychischen Zustandes, könne ihm kein schuldhaftes Verhalten angelastet werden. Selbst wenn Verschulden vorläge, so nur im Sinn einer culpa levissima. Eine solche geringfügige Verletzung der Mitwirkungspflicht berechtige gemäß § 143a Abs 5 ASVG nicht zum Entzug des Rehabilitationsgeldes.
Im Sinn einer sekundären Unvollständigkeit des Sachverhaltsgrundlage rügt die Berufung, dass das Erstgericht keine Feststellungen dazu getroffen habe, ob ein Verschulden des Klägers vorliege und gegebenenfalls welchen Verschuldensgrad er in Bezug auf die Nichtdurchführung der Beatmungstherapie durch Verwendung eines Beatmungsgerätes zu verantworten habe. Das Erstgericht habe auch Feststellungen dazu unterlassen, ob beim Kläger überhaupt in einem relevanten Sinn Schuldfähigkeit vorliege bzw ob eine allenfalls vorwerfbare schuldhafte Verhaltensweise graduell als schwer, leicht oder im unterstmöglichen Bereich liegend zu qualifizieren sei.
2. Die schuldhafte (also zumindest leicht fahrlässige) Verletzung der Mitwirkungspflicht eines Leistungsbeziehers zur Duldung einer Heilbehandlung, durch die eine relevante Verbesserung des Zustandes eintreten könnte, ist ein (neuer) Umstand, der zur Entziehung der Leistung nach § 99 Abs 1 ASVG berechtigt (vgl Atria in Sonntag, ASVG 16§ 99 Rz 11; RS0120568). Die Mitwirkungspflicht erstreckt sich auf zumutbare Heilbehandlungen. Bei der Frage, ob eine Heilbehandlung zumutbar ist, kommt es auf die damit verbundenen Gefahren, die Erfolgsaussichten, die Schwere des Eingriffs und ihre Folgen an, aber auch auf subjektive Zumutbarkeitskriterien, wie körperliche und seelische Eigenschaften, familiäre und wirtschaftliche Verhältnisse (vgl RS0084353, auch [T16]). Die Entziehung kommt nur in Betracht, wenn der Leistungsberechtigte trotz ausdrücklichen Hinweises auf die Folgen seines (Fehl-)verhaltens Anordnungen des zuständigen Versicherungsträgers nicht befolgt (RS0083949, auch [T1]). Ein Verschulden liegt nur dann vor, wenn der Versicherte bei Anwendung der bei gewöhnlichen Fähigkeiten zu erwartenden Aufmerksamkeit (§ 1297 ABGB) erkennen musste, zur Duldung oder Mitwirkung verpflichtet zu sein (10 ObS 350/91). Die schuldhafte Verletzung der Mitwirkungspflicht ist vom beklagten Pensionsversicherungsträger zu behaupten und zu beweisen (RS0084370 [T4]).
3. Die Frage nach der Zumutbarkeit einer Heilbehandlung als Voraussetzung dafür, dass eine Mitwirkungspflicht besteht, ist also grundsätzlich zu unterscheiden von der Frage, ob die Verletzung einer bestehenden Mitwirkungspflicht dem Versicherten als schuldhaft anzulasten ist. Auf die nähere Abgrenzung zwischen den subjektiven Zumutbarkeitskriterien und den Kriterien zur Beurteilung des Verschuldens kommt es aber im Ergebnis nicht an.
4. Die Frage, ob dem Kläger die Verwendung eines Beatmungsgeräts auch aus psychiatrischer Sicht möglich ist, war bereits im Verfahren erster Instanz Gegenstand der Begutachtung durch den Fachgutachter (siehe ON 25; ON 41, Seite 2f). Das Erstgericht bezieht sich in seiner Beweiswürdigung ausdrücklich auf die entsprechenden Gutachtensergebnisse (siehe Urteil Seite 9). Die Feststellung des Erstgerichts, wonach dem Kläger die Verwendung des Beatmungsgerätes „trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen möglich und zumutbar“ ist (Urteil Seite 7), kann vor diesem Hintergrund nur dahin verstanden werden, dass auch keine psychische Erkrankung vorliegt, aufgrund derer dem Kläger die Verwendung des Beatmungsgeräts nicht oder nur eingeschränkt möglich wäre.
5. Die Zumutbarkeit der Verwendung einer CPAP-Schlafmaske ist – wenn wie hier keine medizinischen Gegenindikationen bestehen – unproblematisch. Ausgehend von den – insbesondere auf Grundlage eines neurologisch-psychiatrischen Fachgutachtens getroffenen – erstgerichtlichen Feststellungen stehen die (in erster Instanz auch erörterten) psychischen Leidenszustände des Klägers der Verwendung des Beatmungsgeräts nicht entgegen.
Im Übrigen hat der Kläger in erster Instanz weder vorgebracht, dass er nicht über die erforderliche Einsichts- oder Handlungsfähigkeit verfüge, um das Beatmungsgerät verwenden zu können, noch ergaben sich aus dem Akteninhalt Anhaltspunkte in diese Richtung.
Berücksichtigenswürdige Gründe dafür, dass der Kläger das Beatmungsgerät nicht verwendet – insbesondere eine medizinische, konkret psychiatrische Gegenindikation – liegen nicht vor. Die Verwendung des Beatmungsgeräts ist dem Kläger daher im rechtlichen Sinn zumutbar. Die Verletzung der Mitwirkungspflicht liegt darin, dass er das Beatmungsgerät nicht verwendet. Umstände, die ein (zumindest leichtes) Verschulden des Klägers ausschlössen, liegen nicht vor, sodass ihm die Verletzung der Mitwirkungspflicht als verschuldet anzurechnen ist (vgl § 1297 ABGB). Weitere Tatsachenfeststellungen sind zur Beurteilung nicht erforderlich. Es liegt daher auch kein Verfahrensmangel iSd § 496 Abs 1 Z 3 ZPO vor.
6. Auf die in erster Instanz gegen eine schuldhafte Verletzung der Mitwirkungspflicht eingewandten Gründe - familienrechtliche Verpflichtungen, Einschränkung von Therapiemöglichkeiten wegen COVID-19 – kommt die Berufung nicht zurück. Nur ergänzend ist daher anzumerken, dass damit keine Umstände angesprochen wurden, die eine Verwendung der dem Kläger Ende Oktober 2023 übergebenen Schlafmaske unzumutbar machen oder die Nichtverwendung entschuldigen würden.
7. Die Berufung ist daher erfolglos.
8. Für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG ergeben sich weder aus dem Vorbringen noch aus dem Akt Anhaltspunkte (vgl RS0085829, auch [T1]), weshalb der Kläger die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen hat.
9. Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, weil Rechtsfragen von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität nicht zur Beurteilung standen.
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