Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie den Hofrat Dr. Chvosta, die Hofrätin Dr. in Oswald, den Hofrat Mag. Schartner und den Hofrat Mag. Pichler als Richter und Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Wagner, über die Revision des M A R, vertreten durch Mag. Andreas Reichenbach, Rechtsanwalt in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Mai 2025, I411 2292763 1/35E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der im Jahr 1982 geborene Revisionswerber, ein tunesischer Staatsangehöriger, befindet sich seit September 2013 im Bundesgebiet. Ihm wurde nach der Heirat mit einer ungarischen Staatsangehörigen, die in Österreich einer Erwerbstätigkeit nachging, eine bis 30. April 2019 gültige Aufenthaltskarte für Angehörige von EWR Bürgern ausgestellt. Nach der Scheidung im Jahr 2016 wurde ihm schließlich eine bis 1. Mai 2029 gültige Daueraufenthaltskarte ausgestellt.
2 Einer mittlerweile wieder beendeten Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin, mit der er nach muslimischem Ritus verheiratet war, entstammt eine im Februar 2021 geborene Tochter des Revisionswerbers, deren alleinige Obsorge der Kindesmutter zukommt, wobei der Revisionswerber, der sich seit Juni 2022 in einer neuen Beziehung befindet, seiner Unterhaltsverpflichtung nur teilweise nachkommt.
3Im Zuge seines Aufenthaltes im Bundesgebiet wurde der Revisionswerber zunächst mit Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 24. Februar 2023 wegen des Vergehens des teils versuchten, teils vollendeten Diebstahls nach §§ 127, 15 StGB zu einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt, weil er im Dezember 2022 und Jänner 2023 jeweils einen Elektronikartikel aus einem Fachhandelsgeschäft gestohlen bzw. zu stehlen versucht habe.
4Schließlich wurde der Revisionswerber mit Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 27. Juli 2023 wegen des Verbrechens der Schlepperei nach §§ 114 Abs. 1 und Abs. 3 Z 1 und Z 2, Abs. 4 erster Fall FPG zu einer unbedingten Zusatzfreiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren rechtskräftig verurteilt. Dem Schuldspruch lag zugrunde, der Revisionswerber habe im Zeitraum von Mai 2022 bis Dezember 2022 als Mitglied einer kriminellen Vereinigung gewerbsmäßig die rechtswidrige Einreise von mehreren Fremden in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder Nachbarstaat Österreichs mit Bereicherungsvorsatz gefördert. So habe er mindestens 34 illegale Migranten, die ihm von unbekannt gebliebenen Mitgliedern der kriminellen Vereinigung vermittelt worden seien, gegen ein Entgelt von mindestens € 1.000, pro Person mit Kraftfahrzeugen von der serbisch ungarischen Grenze nach Wien transportiert bzw. von seinen Fahrern transportieren lassen, sie in Wien in Bunkerwohnungen untergebracht, für die mit falschen Dokumenten ausgestatteten Personen Flugtickets gebucht, den Transport der Geschleppten zum Flughafen Wien Schwechat veranlasst und sie auf dem Flug von Wien Schwechat nach Paris begleitet.
5 Der Revisionswerber befand sich ab 4. Mai 2023 bis zu seiner bedingten Entlassung am 4. Mai 2025 zunächst in Untersuchungs und dann in Strafhaft.
6Im Hinblick auf seine Straffälligkeit erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 17. April 2024 gegen den Revisionswerber gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Aufenthaltsverbot und gewährte ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat.
7Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 23. Mai 2025 teilweise Folge und setzte die Dauer des Einreiseverbots auf vier Jahre herab. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, fristgerecht ausgeführte außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.
9 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
11Unter diesem Gesichtspunkt wird in der Zulässigkeitsbegründung der Revision ausgeführt, die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes setze nach der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union voraus, dass vom Fremden eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, ausgehe; das BVwG sei bei der Anwendung dieses Beurteilungsmaßstabes von der Rechtsprechung abgewichen (Hinweis auf VwGH 25.7.2023, Ra 2021/20/0246).
12Damit lässt die Revision jedoch außer Acht, dass das BVwG die Rechtmäßigkeit des gegen den Revisionswerber verhängten Aufenthaltsverbotes nicht am Boden des Gefährdungsmaßstabs des § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“), sondern wegen seines zumindest zehnjährigen Aufenthaltes vor Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Anwendung des verstärkten Gefährdungsmaßstabs nach § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG („nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich“) beurteilt hat.
13Mit der zuletzt genannten Bestimmung soll Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG („FreizügigkeitsRL“; siehe § 2 Abs. 4 Z 18 FPG) umgesetzt werden, wozu der Gerichtshof der Europäischen Union bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf „außergewöhnliche Umstände“ begrenzt sein sollten; es sei vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen „besonders hohen Schweregrad“ aufweise, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein könne (siehe VwGH 23.5.2024, Ra 2024/21/0044, Rn. 11, u.a. mit Hinweis auf EuGH [Große Kammer] 23.11.2010, Tsakouridis , C145/09, insbesondere Rn. 40 ff). In diesem Zusammenhang stellte der Gerichtshof der Europäischen Union auch klar, dass es den Mitgliedstaaten freistehe, Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV angeführten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet sei, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und die damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen könne, mit denen gemäß Art. 28 Abs. 3 der FreizügigkeitsRL eine Ausweisungsverfügung gerechtfertigt werden könne, sofern die Art und Weise solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweise (vgl. EuGH [Große Kammer] 22.5.2012, P.I. , C 348/09, Rn. 28).
14Zwar ist Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung nicht in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV als Bereich besonders schwerer Kriminalität (wie etwa u.a. Menschenhandel oder organisierte Kriminalität) ausdrücklich aufgezählt. Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt festgehalten, dass der Bekämpfung der Schlepperei hinsichtlich des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auch aus unionsrechtlicher Sichtein hoher Stellenwert zukommt (vgl. VwGH 13.2.2020, Fe 2019/01/0001, Rn. 25, mwN; vgl. ferner VwGH 27.3.2007, 2007/18/0135, Punkt II.1.2, mit Hinweis auf die RL 2002/90/EG des Rates vom 28. November 2002 zur Definition der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt, ABl. Nr. L 328 vom 5. Dezember 2002, S. 17, und den Rahmenbeschluss 2002/946/JI des Rates vom selben Tag betreffend die Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens für die Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Einund Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt, ABl. Nr. L 328 vom 5. Dezember 2002, in denen jeweils in den Erwägungsgründen 1 und 2 betont wird, dass der „Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ als eines der Ziele der Europäischen Union auch die Ergreifung von Maßnahmen zur Bekämpfung der Beihilfe zur illegalen Einwanderung erfordere). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich beim Verbrechen der Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung um ein unter fremdenrechtlichen Aspekten besonders verpöntes Verhalten, an dessen Bekämpfung ein äußerst großes öffentliches Interesse besteht (vgl. etwa VwGH 29.6.2023, Ra 2023/21/0071, Rn. 14, mwN). Dies spiegelt sich auch in dem gemäß § 114 FPG für die vom Revisionswerber vorliegend auch verwirklichte Deliktsqualifikation vorgesehenen Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren wider.
15 Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner weiteren Erörterung, dass Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung wie die in Art. 83 Abs. 1 AEUV aufgezählten Straftaten bei Vorliegen besonders schwerwiegender Merkmale der Tatbegehung als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen kann.
16Was „besonders schwerwiegende Merkmale“ im eben erwähnten Sinn betrifft, führte das BVwG gegenständlich neben der Gewerbsmäßigkeit der Tatbegehung des Revisionswerbers und seiner Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zutreffend die Vielzahl der Tathandlungen und den langen Tatzeitraum ins Treffen. Die Zulässigkeitsbegründung der Revision tritt weder diesen Ausführungen noch der Annahme des BVwG, der Gefährdungsmaßstab des fünften Satzes des § 67 Abs. 1 FPG sei fallbezogen erfüllt, konkret entgegen. Diese nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Verwertung des persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber getroffene Einschätzung ist angesichts des Grades seiner Beteiligung an der gewerbsmäßig und professionell angelegten kriminellen Aktivität, die sich nicht auf eine untergeordnete, geringfügige Tätigkeit beschränkte, sondern verschiedene organisatorische Belange in beträchtlichem Umfang miteinschloss, und die (trotz seiner bisherigen Unbescholtenheit) mit einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren sanktioniert wurde, jedenfalls vertretbar. Angesichts der erst kurz vor Erlassung des Erkenntnisses erfolgten Entlassung des Revisionswerbers aus der Strafhaft durfte das BVwG auch davon ausgehen, dass noch kein ausreichender Wohlverhaltenszeitraum, der auf einen positiven Gesinnungswandel hindeuten würde, vorlag (vgl. zur Rechtsprechung, wonach der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich nach dem Vollzug einer Haftstrafein Freiheit wohlverhalten hat, etwa VwGH 10.4.2025, Ra 2025/21/0036, Rn. 12, mwN).
17Das in der Zulässigkeitsbegründung erwähnte Erkenntnis VwGH 25.7.2023, Ra 2021/20/0246, betrifft im Übrigen einen Fall der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach dem AsylG 2005, weshalb die Relevanz der dort gemachten Ausführungen für die vorliegende Konstellation nicht ersichtlich ist.
18Soweit sich die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung noch gegen die Interessenabwägung des BVwG wendet und rügt, dass eine Auseinandersetzung mit den Konsequenzen der Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen den Revisionswerber für das Wohl seiner Tochter unterblieben sei, ist dem zu erwidern, dass die Revision nicht aufzuzeigen vermag, dass die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK in unvertretbarer Weise erfolgt wäre (vgl. zur hierfür bestehenden Maßgeblichkeit des Vertretbarkeitskalküls etwa VwGH 18.12.2024, Ra 2022/21/0195, Rn. 9, mwN). Entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht nahm das BVwG auf die Auswirkungen der Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf die familiäre Situation des Revisionswerbers in Österreich, insbesondere auf das Kindeswohl im Hinblick auf seine minderjährige Tochter, ausreichend Bedacht. In Anbetracht des bereits erwähnten, sehr großen öffentlichen Interesses an der Bekämpfung der unter fremdenrechtlichen Aspekten besonders verpönten Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung durfte das BVwG allerdings trotz der mit einer Aufenthaltsbeendigung verbundenen Beeinträchtigung des Kindeswohls vertretbar davon ausgehen, dass der Revisionswerber und seine Familienangehörigen eine befristete Trennung hinzunehmen hätten (vgl. auch VwGH 29.6.2023, Ra 2023/21/0071, Rn. 14, mwN).
19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen iSd Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Fünfersenat gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
20Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 25. September 2025
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