Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Tolar als Richter sowie die Hofrätin Dr. Kronegger als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des H A , vertreten durch MMMag. Dr. Johannes Edthaler als bestellter Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch Dr. Thomas Loidl, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Gerstnerstraße 12, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. März 2024, L529 2206122 6/4E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 12. November 2015 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz, der vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 14. August 2018, bestätigt durch das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 16. Jänner 2020 zur Gänze abgewiesen wurde. Gleichzeitig wurden (u.a.) eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak festgestellt, und ein Einreiseverbot verhängt.
2Am 20. April 2021 stellte der Revisionswerber einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz (erster Folgeantrag), der im Beschwerdeweg mit Erkenntnis vom 2. Dezember 2021 wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen wurde. Es wurde kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt.
3 Der Revisionswerber stellte am 16. November 2022 einen dritten den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz (zweiter Folgeantrag). Er gab an, zwei Monate vor seiner Ausreise im Jahr 2015 von Mitgliedern der „Almahdi Armee“ im Irak geschlagen, gefoltert und vergewaltigt worden zu sein. Die erlittene Vergewaltigung habe er bisher nicht angegeben, weil seine nunmehrige Ex Gattin mit ihm in Österreich gewesen sei.
4Das BFA wies diesen Antrag mit Bescheid vom 9. Jänner 2024 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück und sprach aus, dass kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt werde.
5 Begründend führte die Behörde auf das für die vorliegende Revision Wesentliche zusammengefasst aus, der Folgeantrag sei schon mangels glaubhafter Sachverhaltsänderung seit der Abweisung des ersten Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Der Erklärungsversuch des Revisionswerbers, er habe in seinen vorangegangenen Asylverfahren aus Scham vor seiner nunmehrigen Ex Gattin die Vergewaltigung nicht erwähnt, überzeuge nicht, weil er bereits seit 2020 von ihr geschieden sei und er auch zur Begründung seines ersten Folgeantrags kein entsprechendes Vorbringen erstattet habe. Darüber hinaus seien auch die vom Revisionswerber vor der Behörde vorgelegten Fotos nicht geeignet, die behauptetermaßen im Jahr 2015 durch Mitglieder der „Almahdi Armee“ erlittene Kopfverletzung zu bezeugen.
6 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde, in der er sein bisheriges Vorbringen im Wesentlichen wiederholte und darauf verwies, dass die Behörde übergangen habe, dass die schiitischen Milizen brutaler geworden seien und er keine Hilfe von seinen Familienangehörigen erwarten könne.
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
8 Begründend führte das BVwG aus, dass der belangten Behörde hinsichtlich der Beweiswürdigung beizupflichten sei, wonach das neue Vorbringen des Revisionswerbers keinen glaubhaften Kern aufweise, dem Asylrelevanz zukommen könnte. Ein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt könne nicht festgestellt werden.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
11Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 In der vorliegenden Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das BVwG habe in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine mündliche Verhandlung durchgeführt. Es sei vom BVwG eine eigene, vom BFA abweichende Beweiswürdigung durchgeführt worden; die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks wäre für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Revisionswerbers daher unumgänglich gewesen.
13 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Verhandlungspflicht im Zulassungsverfahrenwozu auch Beschwerden gegen eine vor Zulassung des Verfahrens ausgesprochene Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach § 68 AVG zählen ausgesprochen, dass die in § 21 Abs. 6a BFA VG enthaltene Wendung „unbeschadet des Abs. 7“ nur so verstanden werden kann, dass damit zum Ausdruck gebracht wird, dass eine Verhandlung jedenfalls immer dann zu unterbleiben hat, wenn die Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA VG vorliegen. In einem solchen Fall stellt sich die Frage, ob nach § 21 Abs. 6a BFAVG im Rahmen der Ermessensübung von der Durchführung der Verhandlung Abstand genommen werden kann, nicht mehr (vgl. VwGH 15.6.2023, Ra 2023/19/0183, mwN).
15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA VG geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:
16 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFAVG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. dazu grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018, sowie etwa jüngst VwGH 12.6.2024, Ra 2023/19/0204 bis 0205, mwN).
17Schließt sich das BVwG nicht nur der Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde an, sondern zeigt darüber hinaus in seiner Beweiswürdigung noch weitere bedeutsame Aspekte auf, mit denen es die Widersprüchlichkeit des Vorbringens begründet, nimmt es damit eine zusätzliche Beweiswürdigung vor, die dazu führt, dass das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzt. Eine solche (ergänzende) Beweiswürdigung hat jedoch regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung, in der auch ein persönlicher Eindruck von der betroffenen Person gewonnen werden kann, zu erfolgen (vgl. VwGH 23.4.2024, Ra 2023/18/0150, mwN).
18 Im vorliegenden Fall vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass das BVwG eine ergänzende Beweiswürdigung im Sinn der obigen Rechtsprechung vorgenommen hätte: Das BVwG schloss sich der Beweiswürdigung des BFA zur Gänze an und teilte die von der Behörde tragend herangezogenen Argumente. Es hat hier nicht relevanteweitere Aspekte aufgezeigt, um das Gesamtbild der mangelnden Glaubwürdigkeit des Revisionswerbers abzurunden, ohne die Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde in Frage zu stellen. Diese Vorgehensweise führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Abstandnahme von der Verhandlung (vgl. VwGH 18.6.2014, Ra 2014/20/0002, mwN). Dass der von der Behörde festgestellte Sachverhalt nicht mehr die gesetzlich gebotene Aktualität oder Vollständigkeit aufgewiesen hätte, wurde vom Revisionswerber in seiner Beschwerde nicht behauptet.
19 Da schon nach den Kriterien des § 21 Abs. 7 BFA VG ein Unterbleiben der mündlichen Verhandlung zulässig war, stellt sich die Frage, ob nach § 21 Abs. 6a BFAVG im Rahmen der Ermessensübung von der Durchführung der Verhandlung Abstand genommen werden kann, nicht mehr (vgl. etwa VwGH 21.9.2022, Ra 2022/19/0104, mwN).
20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 19. September 2024
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