Bestimmungen des BundespflegegeldG betreffend die Anknüpfung des Anspruchs auf Pflegegeld an den zuerkannten Bezug bestimmter Grundleistungen sowie Ausschluss des Pflegegeldanspruches wegen Zuständigkeit anderer Mitgliedstaaten im weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers
Abweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung der §§3 und 3a BPGG idF BGBl I 12/2015.
Das Pflegegeld hat gemäß §1 BPGG den Zweck, in der Form eines Beitrages pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Personen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen. Das Pflegegeld fällt nach der Rsp des EuGH bei grenzüberschreitenden Sachverhalten in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung (EG) 883/2004, zu dem näher bezeichnete "Zweige der sozialen Sicherheit", insbesondere "Leistungen bei Krankheit" und "Leistungen bei Alter", zählen, und zwar unabhängig davon, ob es sich um "auf Beiträgen beruhende[…] [oder] beitragsfreie Systeme der sozialen Sicherheit" handelt). Der Gerichtshof ordnet Pflegegeld den "Leistungen bei Krankheit" zu. Gemäß der sogenannten "Exportpflicht" nach Art7 der Verordnung (EG) 883/2004 ("Aufhebung der Wohnortklauseln") dürfen Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, nicht auf Grund der Tatsache gekürzt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat. Von dieser "Exportpflicht" sind "besondere beitragsunabhängige Geldleistungen" iSv Art70 der Verordnung (EG) 883/2004 ausgenommen, wenn sie in Anhang X zur Verordnung angeführt sind.
Die Verordnung (EG) 883/2004 ist auch für EWR-Mitgliedstaaten (Fürstentum Liechtenstein) maßgeblich. Die Verordnung (EG) 883/2004 verpflichtet im Allgemeinen nicht zur Gewährung von Sozialleistungen, sondern koordiniert lediglich bestehende Sozialrechtssysteme zwischen den Mitgliedstaaten. Nach der Rsp des EuGH schließt es die Verordnung (EG) 883/2004 aber auch nicht aus, dass ein nach dieser Verordnung nicht zuständiger Mitgliedstaat nach nationalem Recht (weitergehende) Ansprüche einräumt. Die Rsp des OGH versteht §3a Abs1 BPGG gemäß seinem Wortlaut dahingehend, dass bereits die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates den Pflegegeldanspruch nach §3a Abs1 leg cit ausschließt, und zwar unabhängig davon, ob und in welcher Höhe die Rechtsordnung des zuständigen Mitgliedstaates eine entsprechende Sozialleistung vorsieht.
Soweit die Antragstellerin moniert, der Gesetzgeber dürfe aus Gründen des Gleichheitsgrundsatzes in §3 Abs1 BPGG nicht auf den "Bezug" näher bezeichneter "Grundleistungen", sondern nur auf den "Anspruch" auf solche Leistungen abstellen, ist sie nicht im Recht: Es liegt im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, wenn er den Anspruch auf Pflegegeld nach §3 Abs1 BPGG (insbesondere aus Gründen der Verwaltungsökonomie) an einen – rechtswirksam zuerkannten – Bezug dort aufgelisteter Grundleistungen knüpft. Der Gesetzgeber ist im gegebenen Zusammenhang von Verfassungs wegen auch nicht gehalten, jene (seltenen) Fälle zu berücksichtigen, in denen Anspruchsberechtigte aus in ihrer Sphäre gelegenen Erwägungen den Bezug von Grundleistungen nicht beanspruchen, zumal mit §3a Abs1 BPGG ohnehin noch ein weitgefasster, vom Bezug einer Grundleistung unabhängiger Anspruch auf Pflegegeld eingeräumt ist.
Der Ausschluss eines Pflegegeldanspruches für Fälle der Zuständigkeit anderer Mitgliedstaaten liegt ebenfalls – und zwar unabhängig davon, ob andere Mitgliedstaaten vergleichbare Leistungen überhaupt oder in entsprechender Höhe gewähren – im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers: Die Antragstellerin bedenkt bei ihrem isolierten, auf eine einzelne sozialpolitische Maßnahme abstellenden Vergleich den Zweck der unions- bzw EWR-rechtlichen Freizügigkeit nicht hinreichend. Die Inanspruchnahme dieser Freizügigkeit hat regelmäßig zur Folge, dass sich der sie in Anspruch Nehmende (zumindest teilweise) dem Anwendungsbereich anderer (Sozial-)Rechtssysteme anderer Staaten unterwirft. Angesichts dessen hält der VfGH den isolierten gleichheitsrechtlichen Vergleich einzelner österreichischer Sozialmaßnahmen bei Inanspruchnahme der EWR- oder unionsrechtlichen Freizügigkeit für verfehlt und hegt keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn §3a Abs1 BPGG an das unionsrechtliche Ordnungssystem der Koordinierung von Maßnahmen der sozialen Sicherheit bei Inanspruchnahme der (Arbeitnehmer‑)Freizügigkeit im Rahmen der EU (des EWR) anknüpft.
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