Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht im Verfahren zur strafrechtlichen Unterbringung des A*in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB über die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Schöffengericht vom 13. Mai 2025, GZ **-24.3, nach der unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Dr. Aichinger, im Beisein der Richterin Mag. Staribacher und des Richters Mag. Trebuch LL.M. als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag. Salfelner LL.M., des Betroffenen A* sowie seiner Verteidigerin Dr. Carina Romanek durchgeführten Berufungsverhandlung am 4. September 2025 zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde die strafrechtliche Unterbringung des am ** geborenen slowakischen Staatsangehörigen A* in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet.
Danach hat er am 23. Juli 2024 in ** unter dem maßgeblichen Einfluss einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung, nämlich einer Geisteskrankheit in Form einer Schizophrenie, einer Polytoxikomanie und einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung, wegen der er im Zeitpunkt der Tathandlung zurechnungsunfähig (§ 11 StGB) war, als Strafgefangener in der Justizanstalt Stein im Urteil genannte Justizwachebeamte mit Gewalt, indem er in ihre Richtung schlug und trat (US 3 f), an einer Amtshandlung, und zwar seiner Verbringung in eine besonders gesicherte und videoüberwachte Zelle gemäß §§ 102b Abs 1, 103 Abs 2 Z 4 StVG, zu hindern versucht, somit eine Handlung begangen, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist und die ihm, wäre er zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen, als das Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB zuzurechnen wäre, wobei nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist, dass er in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss seiner psychischen Störung eine gegen Leib und Leben gerichtete mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen „analog der gegenständlichen Tathandlung“ begehen werde, nämlich insbesondere schwere Körperverletzungen nach § 84 Abs 4 StGB und absichtlich schwere Körperverletzungen nach § 87 Abs 1 StGB.
Nach Zurückweisung seiner Nichtigkeitsbeschwerde mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 29. Juli 2025, GZ 11 Os 65/24f-4, ist nunmehr über die sich gegen die gestellte Gefährlichkeitsprognose richtende und (erkennbar) ein vorläufiges Absehen vom Vollzug der Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum iSd § 434g Abs 5 StPO (§ 157a StVG) begehrende Berufung des Betroffenen zu entscheiden.
Dieser kommt keine Berechtigung zu.
§ 21 Abs 1 StGB in der seit 1. März 2023 geltenden Fassung (Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022, BGBl I Nr 223/2022) setzt für die strafrechtliche Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum neben der Begehung einer mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohten Anlasstat im Sinn des Abs 3 leg cit unter dem maßgeblichen Einfluss einer im Zeitpunkt der Tat die Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) bedingenden schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung eine ungünstige Prognose dahin voraus, dass der Rechtsbrecher nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit sonst in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss seiner psychischen Störung eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde. Eine rechtsrichtig vorgenommene Beurteilung hat zwingend auf allen der genannten Sachverhaltskriterien zu basieren ( Haslwanter, WK 2StGB § 21 Rz 24). Als relevante in der Person des Rechtsbrechers gelegene Umstände kommen neben Eigenschaften des Täters sein früheres Verhalten im Krankheitszustand und die Motive für die Begehung zurückliegender Delikte in Betracht. Das Krankheitsbild und die Krankheitseinsicht des Betroffenen sind aktuell zum Urteilszeitpunkt zu beurteilen. Die vom Gesetz verlangten schweren Folgen müssen aus einer einzigen Tat resultieren, wobei nicht nur die tatbestandsmäßigen Folgen, sondern darüber hinaus alle konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit, somit Art, Ausmaß und Wichtigkeit aller effektiven Nachteile sowohl für den betroffenen Einzelnen als auch die Gesellschaft im Ganzen, der gesellschaftliche Störwert einschließlich der Eignung, umfangreiche und kostspielige Abwehrmaßnahmen auszulösen und weitreichende Beunruhigung und Besorgnisse herbeizuführen, zu berücksichtigen sind ( HaslwanteraaO Rz 25 ff; RIS-Justiz RS0108487).
Wenn - wie vorliegend - die angedrohte Freiheitsstrafe der Anlasstat drei Jahre nicht übersteigt, muss sich die Befürchtung (nach § 21 Abs 1 StGB) auf eine gegen Leib und Leben gerichtete, mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Handlung oder auf eine gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung gerichtete, mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohte Handlung beziehen (§ 21 Abs 3 zweiter Satz StGB).
Im Verfahren nach § 21 Abs 1 StGB ist ausschließlich die Gefährlichkeitsprognose als Ermessensentscheidung Bezugspunkt der Berufung (RIS-Justiz RS0113980 [T1], RS0090341). An das Vorliegen der weiteren gesetzlichen Unterbringungsvoraussetzungen ist das Oberlandesgericht gebunden (§ 295 Abs 1 StPO; vgl RIS-Justiz RS0090341 [T12]).
Gegenständlich leitete das Erstgericht das Vorliegen der Gefährlichkeitsprognose zutreffend nicht nur (wie der Berufungswerber vermeint [„ausschließlich“]) aus dem schlüssigen, in der Hauptverhandlung aktualisierten Gutachten des Sachverständigen Univ. Doz. Dr. B* (ON 14.2; ON 24.1.1 S 16 ff), sondern auch aus dem von ihm gewonnenen persönlichen Eindruck ab, wobei es insbesondere das Vorliegen einer unbehandelten schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung, den Konsum von „aggressionsfördernden Substanzen“ außerhalb der Haft, den fehlenden sozialen Empfangsraum und die „fehlende Problemeinsicht“ des Betroffenen berücksichtigte (US 6 f).
Davon ausgehend besteht in Zusammenschau mit der Art der (durch versuchtes Versetzen von Schlägen und Tritten) begangenen Anlasstat sowie der nach den Ergebnissen der Berufungsverhandlung, insbesondere der in dieser verlesenen fachärztlichen Stellungnahme der Anstaltspsychiaterin der Justizanstalt Stein vom 22. August 2025, nach wie vor nicht vorhandenen Krankheits- und Therapieeinsicht weiterhin die real-konkrete Befürchtung, der Betroffene werde unter dem maßgeblichen Einfluss einer weiterhin bestehenden schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung (in Form einer Schizophrenie, einer Polytoxikomanie und einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung) mit hoher Wahrscheinlichkeit (in absehbarer Zukunft, und zwar in den nächsten Wochen bzw Monaten) gegen Leib und Leben gerichtete, mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Handlungen (mit schweren Folgen), nämlich insbesondere an sich schwere Körperverletzungen iSd § 84 Abs 4 StGB oder absichtlich schwere Körperverletzungen iSd § 87 Abs 1 StGB begehen (vgl zu den Kriterien der Prognosetat Haslwanter, WK 2StGB § 21 Rz 23 ff und RIS-Justiz RS0090401). Die Behauptung des Betroffenen, es würden „unmittelbare Beweisergebnisse aus direkter Behandlungssicht des medizinischen Personals der JVA Krems-Stein, die die mangelnde Krankheits- und Behandlungseinsicht […] konkret belegen würden“, fehlen, trifft nicht zu (vgl die fachärztliche Stellungnahme ON 23.2 sowie jene vom 22. August 2025: „Eine psychopharmakologische Therapie wurde mehrfach angeboten aber bei persistierend fehlender Krankheits- und Behandlungseinsicht durchgehend abgelehnt.“; siehe im Übrigen auch seine eigenen Angaben ON 24.1.1 S 6 und S 25“).
Ein seit Entfall der Vorgängerbestimmung (§ 45 Abs 1 StGB) mit Wirksamkeit des Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetzes 2022 in § 157a StVG geregeltes vorläufiges Absehen vom Vollzug einer strafrechtlichen Unterbringung ist nur dann möglich, wenn und solange der Betroffene außerhalb eines forensisch-therapeutischen Zentrums behandelt und betreut werden kann und so sowie durch allfällige weitere Maßnahmen der Gefahr, der die strafrechtliche Unterbringung entgegenwirken soll (§ 21 StGB), begegnet werden kann. Dabei sind insbesondere die Person des Betroffenen, sein Vorleben, Art und Schwere der Anlasstat, sein Gesundheitszustand und die daraus resultierende Gefährlichkeit, der bisher erzielte Behandlungserfolg sowie die Möglichkeiten und Notwendigkeiten einer angemessenen Betreuung und die Aussichten auf das redliche Fortkommen zu berücksichtigen (Abs 1 leg cit).
Ausgehend von dem (auch nach nach den Ergebnissen der Berufungsverhandlung) unveränderten Bestehen einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Erkrankung des Betroffenen in Form einer Schizophrenie, einer Polytoxikomanie und einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung sowie der weiterhin nicht vorhandenen Krankheits- und Therapieeinsicht – aufgrund derer eine von ihm ins Treffen geführte „engmaschige medizinische und medikamentöse Betreuung“ derzeit nicht möglich ist – liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für ein vorläufiges Absehen vom Vollzug nach § 157a Abs 1 StVG – seiner Ansicht zuwider - nicht vor. Es stehen (derzeit) insbesondere aufgrund der fehlenden Krankheitseinsicht, des nicht vorhandenen sozialen Empfangsraums sowie mangels etablierter therapeutischer Strategien auch keine Weisungen oder Auflagen zur Verfügung, von deren Erteilung bei realistischer Betrachtung eine hinreichende Beherrschbarkeit der vom Berufungswerber ausgehenden „große[n] Gefahr“ (ON 24.1.1 S 18) in Bezug auf Delinquenz mit schweren Folgen (in Form insbesondere [absichtlich] schwerer Körperverletzungen) zu erwarten wäre.
Der nach wie vor gegebenen Gefährlichkeit des A* kann sohin durch ein vorläufiges Absehen vom Vollzug derzeit nicht ausreichend entgegengetreten werden, weswegen der Berufung im Ergebnis keine Folge zu geben war.
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