Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungs- und Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Mag. Koch als Vorsitzenden sowie die Richterinnen des Oberlandesgerichts Mag. Schaller und Dr. Heissenberger in der Rechtssache der klagenden Partei A* AG , **, vertreten durch Mag. Boris Knirsch, Mag. Michael Braun und Mag. Christian Fellner, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei B * , **, vertreten durch Dr. Matthias Bacher, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 44.641,89 sA über die Berufung der klagenden Partei (Berufungsinteresse EUR 22.320,95 sA), und den Kostenrekurs der beklagten Partei (Rekursinteresse EUR 1.576,44) gegen das am 24.5.2024 mündlich verkündete Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien, **-85 (schriftliche Ausfertigung datiert mit 21.08.2024) in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
I. Der Berufung der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 2.482,62 bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung (darin EUR 413,77 USt) zu ersetzen.
Die Revision ist nicht zulässig.
II. Dem Kostenrekurs der beklagten Partei wird teilweise Folge gegeben und die im Urteil enthaltene Kostenentscheidung dahin geändert, dass sie lautet:
„2.) Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 21.341,26 bestimmten Verfahrenskosten (darin enthalten EUR 2.766,21 USt und EUR 4.744,- Barauslagen) zu ersetzen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 36,36 bestimmten anteiligen Kosten des Rekursverfahrens (darin enthalten 6,06 USt) zu ersetzen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Entscheidungsgründe:
Am 17.01.2022 ereignete sich kurz nach 8 Uhr auf der Autobahn ** in Fahrtrichtung Süden (etwa bei Straßenkilometer **) ein Verkehrsunfall, an dem der bei der Klägerin kaskoversicherte PkW ** (Kennzeichen C*) und das bei der litauischen D* (**) haftpflichtversicherte Sattelzugkraftfahrzeug (Zugmaschine Kennzeichen E* und Anhänger Kennzeichen F*) beteiligt waren. Dabei kamen beide Fahrzeuge zu Schaden; es kam zu einem streifenden Kontakt zwischen der linken Heckecke des Sattelaufliegers und der gesamten rechten Seite des Klagsfahrzeugs.
Der Sattelzug kam aus dem ASFINAG-Parkplatz und fuhr wieder auf die ** auf. Bei dieser Parkplatzausfahrt befindet sich kein Beschleunigungsstreifen; sie mündet direkt in den ersten der drei vorhandenen Fahrstreifen der Autobahn ein. Die Lenkerin des Klagsfahrzeugs näherte sich unter Einhaltung einer Geschwindigkeit laut Tachomat von 105 km/h am mittleren Fahrstreifen der **. Unter Berücksichtigung der Tachotoleranz ist die tatsächliche Geschwindigkeit mit unter 100 km/h anzunehmen.
Die Kollision ereignete sich rund 12 Sekunden nach dem Los- und Einfahren des Sattelzugs in den ersten Fahrstreifen. Beim Losfahren des Sattelzugs befand sich das Klagsfahrzeug unter Zugrundelegung einer mittleren Annäherungsgeschwindigkeit von 100 km/h in einer Entfernung von etwa 333 m vor dem Eintreffen in der Kollisionsposition.
Der Sattelzug fuhr zum Kollisionszeitpunkt mit einer Geschwindigkeit von etwa 16 km/h (SV Protokoll ON 76 S 6; unstrittig; RS00121557) und er hielt beim Einbiegen eine kontinuierliche Rechtsabbiegefahrlinie ein, so wie sie üblicherweise stattfindet. Dennoch geriet er im Zuge des Einbiegens ausgehend von der am weitesten möglich rechten Fahrlinie mit der linken Frontecke um etwa ein Drittel bis zur Hälfte der Fahrstreifenbreite in den mittleren Fahrstreifen. Ab diesem Eindringen der linken Frontecke des Sattelzugs mit rund 1 m über die Leitlinie in den Fahrstreifen des Klagsfahrzeugs benötigte der Sattelzug noch etwa 6,5 Sekunden bis zum Kollisionszeitpunkt. In diesem Moment befand sich das Klagsfahrzeug etwa 208 m vor der Kollisionsposition. Unter Einrechnung einer Reaktionsdauer (0,8 Sekunden) und einer Bremsschwelldauer (0,2 Sekunden) hätte die Lenkerin des Klagsfahrzeugs bei prompter Reaktion und Einleitung einer leicht erhöhten Betriebsbremsung mit einer mittleren Bremsverzögerung von etwa 4,3 m/sec 2 ihre Geschwindigkeit von etwa 100 km/h auf etwa 14 km/h verringern können, sodass es nicht zur Auffahrkollision gekommen wäre. Die Lenkerin des Klagsfahrzeugs wäre auch bei einem leichten nach links Lenken kollisionsfrei an dem noch geringfügig in den mittleren Fahrstreifen hineinragenden Lkw im Heckbereich vorbeigekommen.
Der Sattelzug führte keinen plötzlichen Fahrstreifenwechsel durch. Für den Lenker des Sattelzugs war aus seiner Perspektive die Geschwindigkeit des herannahenden Klagsfahrzeugs nicht abschätzbar; bei dieser Entfernung stellt es einen Erfahrungswert des Lenkers dar, ob sich das üblicherweise ausgehen müsste, wenn der andere Lenker entsprechend reagiert. Nach dem Rechtsabbiegen wäre für den Lenker des Beklagtenfahrzeuges keine Vermeidung der Auffahrkollision mehr möglich gewesen.
Im Zuge der Schadensabwicklung erbrachte die Klägerin aus der Kaskoversicherung eine Versicherungsleistung in Höhe von 44.641,89 Euro unter Berücksichtigung eines Selbstbehalts von 500,- Euro. Weder die unfallgegnerische litauische Haftpflichtversicherung noch der zuständige österreichische Schadensregulierer, die G*, leisteten über Aufforderung der Klägerin Ersatz.
Mit vorliegender Klage begehrt die Klägerin daher von der Beklagten 44.641,89 Euro und brachte zum Unfallhergang im Wesentlichen vor, der Lenker des Sattelzugs habe den Verkehrsunfall schuldhaft verursacht, indem er plötzlich und völlig unerwartet von der rechten Autobahnfahrspur in die mittlere Fahrspur gewechselt habe. Die Lenkerin des Klagsfahrzeugs habe sich auf dem zweiten Fahrstreifen mit einer Tachogeschwindigkeit von 105 km/h der späteren Unfallstelle angenähert. Als sie den Sattelzug, der auf dem rechten Fahrstreifen gefahren sei, passieren habe wollen, habe dieser ansatzlos nach links ausgeschert und begonnen, in den mittleren Fahrstreifen zu wechseln, ohne auf das neben ihm befindliche Klagsfahrzeug zu achten. Sie habe noch abgebremst und versucht, nach links auf den dritten Fahrstreifen auszuweichen, was ihr aber trotz prompter Reaktion nicht mehr möglich gewesen sei; es sei zu einem streifenden Kontakt zwischen dem Anhänger des Sattelzugs und dem Klagsfahrzeug gekommen. Die Lenkerin des Klagsfahrzeugs habe aufgrund der grob sorgfaltswidrigen Vorrangverletzung des Lenkers des Beklagten-LKWs unmöglich rechtzeitig unfallvermeidend reagieren können.
Die Beklagte wandte – soweit im Berufungsverfahren noch von Bedeutung – ein, das Alleinverschulden am Unfall treffe die Klagslenkerin, die im Zuge eines Fahrstreifenwechsels mit dem Sattelzug kollidiert sei. Der Beklagtenlenker sei mit dem von ihm gelenkten Sattelzug auf dem äußerst rechten Fahrstreifen gefahren. Auch das Klagsfahrzeug sei ursprünglich in jenem Fahrstreifen gelenkt worden; offensichtlich habe die Klagslenkerin beim Versuch, den Sattelzug zu überholen, die erforderliche Aufmerksamkeit vermissen lassen und keinen ausreichenden Sicherheitsabstand eingehalten. Das Klagsfahrzeug sei mehr als 12 Sekunden nachdem der Sattelzug von dem Rastplatz auf den ersten Fahrstreifen der ** aufgefahren war, diesem aufgefahren bzw an diesem vorbeigeschrammt. Die Kollision sei daher auf eine grob unaufmerksame Fahrweise und/oder einen Fahrfehler der Klagslenkerin zurückzuführen. Dem Beklagtenlenker könne keinerlei Vorwurf gemacht werden.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren zur Gänze ab. Es ging über den eingangs aufs Wesentliche zusammengefassten Sachverhalt hinaus von den auf den Seiten 3 5 der Urteilsausfertigung enthaltenen Feststellungen aus, auf die verwiesen wird. Rechtlich folgerte es im Wesentlichen, dass der Lenkerin des Klagsfahrzeugs eine Vermeidung des Unfalls möglich gewesen wäre; zum Zeitpunkt des Losfahrens des LKW hätte sie genügend Zeit gehabt, durch die Verringerung der Fahrgeschwindigkeit rechtzeitig darauf zu reagieren oder auch weiter nach links auszulenken, sodass ihr entweder eine erhebliche Reaktionsverspätung oder ein grober Beobachtungsfehler vorzuwerfen sei. Für den Lenker des Beklagtenfahrzeugs habe kein Grund bestanden, nicht auf die Autobahn aufzufahren; er habe sich vielmehr darauf verlassen können, dass das nachkommende Fahrzeug die ihm mögliche entsprechende Reaktion setzen werde. Daher treffe das alleinige Verschulden am Unfall die Lenkerin des Klagsfahrzeugs, weshalb das Klagebegehren abzuweisen sei.
Das Erstgericht verpflichtete die Klägerin nach § 41 ZPO zum Kostenersatz an die Beklagte. Es kürzte entsprechend der Einwendungen der Klägerin den Honoraranspruch der Beklagten, indem es für deren Eingaben vom 22.3.2023 (Präklusionsantrag), vom 10.10.2023 (Urkundenvorlage) und vom 12.3.2024 (Schriftsatz) jeweils nur ein Honorar nach TP 1 RATG zusprach.
Gegen dieses Urteil, soweit damit ein 22.320,94 Euro sA übersteigender Betrag abgewiesen worden ist (Hälfte des Klagebegehrens), richtet sich – ausgehend von einer angenommenen Teilung des Verschuldens beider Fahrzeuglenker von 1:1 - die Berufung der Klägerin wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, dem Klagebegehren im angefochtenen Umfang stattzugeben. In eventu stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Die Beklagte beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung der Klägerin nicht Folge zu geben.
Gegen die Kostenentscheidung des Urteils richtet sich der Kostenrekurs der Beklagten mit dem Antrag, ihren Kostenersatzanspruch um 1.576,44 Euro zu erhöhen.
Die Klägerin beantragt in ihrer Kostenrekursbeantwortung, dem Kostenrekurs der Beklagten nicht Folge zu geben.
I. Zur Berufung der Klägerin:
Die Berufung der Klägerin ist nicht berechtigt .
1. Zur Beweisrüge:
1.1 Die Klägerin bekämpft folgende Feststellung:
„Bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 105 km/h hätte sich das Klagsfahrzeug 12 sec vor der Kollision in einer Entfernung von 350 m befunden. Davon ausgehend, dass Fahrzeuglenker in der Regel erst dann reagieren, wenn ein anderes Fahrzeug in ihren Fahrstreifen eindringt, wäre die Kollision mit einer normalen Betriebsbremsung von knapp 3 m/sec² vermeidbar gewesen.“ (Urteil S 4)
Sie wünscht stattdessen folgende Ersatzfeststellungen:
„Würde man davon ausgehen, dass die Lenkerin des Klagsfahrzeuges bereits reagieren muss, unmittelbar nachdem der Lenker des Beklagtenfahrzeuges aus seiner Stillstandsposition in der Ausfahrt vom vor Ort gelegenen Asfinag-Parkplatz losfährt, würde eine unfallsvermeidende Betriebsbremsung in der Stärke von 3 m/sec 2 zugrunde zu legen sein. Tatsächlich war aber ein objektiver Reaktionsanlass erst gegeben, als das Beklagtenfahrzeug in den, von der Lenkerin des Klagsfahrzeugs mit diesem benutzten zweiten Fahrstreifen rund 1 m eingedrungen ist, in welchem Fall mit einer Bremsverzögerung von rund 4,3 m/sec 2 ein Zusammenstoß vermieden hätte werden können.“ (Berufung S 6).
1.2 Zunächst ist zu bemerken, dass der erste Satz der bekämpften Feststellung für die rechtliche Beurteilung überhaupt nicht notwendig ist, weil das Erstgericht (erkennbar) eine tatsächliche Geschwindigkeit des Klagsfahrzeugs mit „unter 100 km/h“ annahm, zumal es feststellte, dass es sich mit einer Geschwindigkeit „von 105 km/h mit Tempomat“ annäherte und unter Berücksichtigung der Tachotoleranz die tatsächliche Geschwindigkeit daher „üblicherweise mit unter 100 km/h anzunehmen“ sei. Es bedarf daher keiner Feststellung zur Entfernung des Klagsfahrzeugs unter Zugrundelegung einer Geschwindigkeit von 105 km/h.
Die begehrten Ersatzfeststellungen widersprechen zudem dem Inhalt dieses Satzes auch gar nicht; sodass schon aus diesem Grund die Beweisrüge nicht zum Erfolg führen kann (vgl RS0041835 [T2]; RS0043150 [T9]).
1.3 Der zweite Satz der bekämpften Feststellungen widerspricht inhaltlich – worauf beide Parteien im Berufungsverfahren zu Recht hinweisen - der vom Erstgericht an anderer Stelle getroffenen Feststellung, dass es ab dem Eindringen des Beklagtenfahrzeugs in den Fahrstreifen des Klagsfahrzeugs bei prompter Reaktion der Einleitung einer leicht erhöhten Betriebsbremsung mit einer mittleren Bremsverzögerung von etwa 4,3 m/sec 2 bedurft hätte (Urteil S 3 vorletzter Absatz bis S 4 oben).
Zudem ist der bekämpfte Satz auch nicht durch die Ausführungen des Sachverständigen gedeckt, was auch die Beklagte in der Berufungsbeantwortung zugesteht. Der Sachverständige errechnete nämlich die notwendige Betriebsbremsung von knapp 3 m/sec 2 auf Befragen des Beklagtenvertreters nur für die (rechtliche!) Annahme, dass die Klagslenkerin bereits unmittelbar nach dem Losfahren des Sattelzugs aus seiner Stillstandsposition (also schon beim Eindringen in den ersten Fahrstreifen) reagieren hätte müssen (Sachverständiger Ing. H* Protokoll ON 76 S 9).
Die Berufung zeigt damit zu Recht – wenn auch unter einem unzutreffenden Berufungsgrund – eine Aktenwidrigkeit dieser bekämpften Feststellung auf. Das Erstgericht hat dabei tatsächlich die Ausführungen des Sachverständigen unrichtig wiedergegeben und irrtümlich eine fehlerhafte Sachverhaltsfeststellung getroffen (vgl A. Kodek in Rechberger/Klicka 5§ 471 ZPO Rz 14; vgl RS0043347 uva).
Da aber auch die durch den Akteninhalt gedeckte Feststellung (vgl RS0043324 [T9, T12]) – so wie auch die von der Klägerin begehrte Ersatzfeststellung - für die rechtliche Beurteilung nicht von Relevanz sind, weil das Erstgericht ohnehin rechtlich davon ausgegangen ist, dass die Klagslenkerin erst ab dem Einfahren des Sattelzugs in den zweiten Fahrstreifen einen objektiven Reaktionsanlass haben musste, führt die Rüge nicht zum Erfolg. Der zweite Satz der von der Klägerin bekämpften Feststellungen, der aktenwidrig aber nicht von Relevanz ist, wird nicht übernommen .
1.4Mit Ausnahme der soeben genannten Feststellung geht das Berufungsgericht in der Folge vom festgestellten Sachverhalt aus und legt diesen seiner Entscheidung zugrunde (§ 498 Abs 1 ZPO).
2. Zur Rechtsrüge:
2.1 Die Klägerin bestreitet in ihrer Berufung nicht weiter das Verschulden der Lenkerin des Klagsfahrzeugs am gegenständlichen Auffahrunfall. Sie tritt auch der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts nicht entgegen, dass für die Klagslenkerin spätestens in dem Zeitpunkt, als die linke Frontecke des Sattelzugs über die Leitlinie in den von ihr befahrenen mittleren Fahrstreifen eingedrungen ist, ein objektiver Reaktionsanlass für eine Abwehrhandlung vorgelegen hat, die sie aber (offenbar) nicht setzte. Sie vertritt in ihrer Rechtsrüge aber den Standpunkt, dem Lenker des Sattelzugs sei zumindest ein 50 %iges Mitverschulden anzulasten, da er gegen § 19 Abs 6 bzw Abs 7 StVO verstoßen habe. Er habe die Klagslenkerin durch sein Einfahren auf die Autobahn zu einer Bremsung mit einer Verzögerung von 4,3 m/sec 2 veranlasst. Eine derartige Bremsung stelle aber nicht nur eine geringfügige Verzögerung dar, die die Klagslenkerin als Vorrangberechtigte hinnehmen hätte müssen.
2.2 Auf diese Ausführungen ist aber schon deshalb nicht einzugehen, weil es die Klägerin in erster Instanz verabsäumte, diesen Vorwurf geltend zu machen. Darauf, dass dem Beklagtenlenker eine Vorrangverletzung iSd § 19 Abs 6 bzw Abs 7 StVO vorzuwerfen sei, hat sich die Klägerin bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung nicht berufen. Sie gründete ihre Klage nur darauf, dass der Beklagtenlenker einen plötzlichen Fahrstreifenwechsel durchgeführt habe. Das Erstgericht stellte aber unbekämpft fest, dass der Beklagtenlenker mit dem Sattelzug keinen Fahrstreifenwechsel durchgeführt hat. Das Erstgericht hatte nur auf solche Verschuldensvorwürfe einzugehen, die von der Klägerin behauptet waren; es war daher auch gar nicht verhalten, dazu Feststellungen zu treffen. Dass der Beklagtenlenker so knapp mit dem Sattelzug aus dem Parkplatz losgefahren wäre, dass die Klagslenkerin unvermittelt abbremsen hätte müssen, um den Unfall zu vermeiden, hat die Klägerin in erster Instanz nicht behauptet . Die diesbezüglichen Berufungsbehauptungen verstoßen daher gegen dasNeuerungsverbot des § 482 ZPO und sind unbeachtlich.
2.3 Zwar hat das Erstgericht festgestellt, dass die Klagslenkerin im Gefahrenerkennungszeitpunkt bei der ihr rechnerisch zur Verfügung stehenden Abwehrzeit von 6,5 Sekunden durch eine leicht erhöhte Betriebsbremsung von etwa 4,3 m/sec 2 das Auffahren hätte verhindern können. Abgesehen davon, dass bei dieser Berechnung der Einfachheit halber vernachlässigt wurde, dass zur Kollisionsvermeidung ein Abbremsen bis zum Stillstand gar nicht notwendig gewesen wäre, zumal sich ja auch der Lkw mit eigener Fahrgeschwindigkeit weiterbewegte, worauf die Beklagte zutreffend hinweist, hat das Erstgericht zusätzlich auch noch festgestellt, dass das Klagsfahrzeug auch bei einem leichten nach links Lenken kollisionsfrei an dem noch geringfügig in den mittleren Fahrstreifen hineinragenden Lkw im Heckbereich vorbeigekommen wäre (Urteil S 4). Da daher schon ein leichtes nach links Auslenken ausgereicht hätte, um eine Kollision mit dem Heckbereich des Lkw zu vermeiden, ist zu folgern, dass es zu einer relevanten Vorrangverletzung nicht gekommen ist. Schließlich erklärte auch der Sachverständige logisch nachvollziehbar, dass die linke hintere Fahrzeugecke des Sattelzugs (wo der Unfallkontakt mit dem Klagsfahrzeug stattfand) im Zuge des nach rechts Abbiegens und Einordnens gar nicht zwingend über die Leitlinie des zweiten Fahrstreifens eingedrungen sein müsse, da aufgrund der Rechtskurve ja das Heck etwas innenversetzt nachlaufe und in einem kleineren Durchmesser verlaufe (Sachverständige Ing. Imendörffer Protokoll ON 52 S 3). Das Auffahren des Klagsfahrzeugs auf das hintere Eck des Sattelzugs 12 Sekunden nach dessen Einfahren auf den ersten Fahrstreifen der Autobahn kann daher – wie vom Erstgericht richtig erkannt – nur auf einen Beobachtungsfehler oder eine erhebliche Reaktionsverspätung der Lenkerin des Klagsfahrzeugs zurückgeführt werden. Ausgehend von den erstgerichtlichen Feststellungen ist daher der Klägerin der Nachweis eines Fehlverhaltens des Lenkers des Beklagten-Lkws nicht gelungen.
3. Der Berufung der Klägerin kommt daher kein Erfolg zu.
4.Die Kostenentscheidung im Berufungsverfahren beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.
5.Die Revision war mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen; eine Rechtsfrage der geforderten Qualität war nicht zu lösen.
II. Zum Kostenrekurs der Beklagten:
Der Kostenrekurs ist teilweise berechtigt .
Die Beklagte beanspruchte im Verfahren erster Instanz für ihren Schriftsatz vom 12.3.2024 („Ergänzendes Vorbringen“ ON 65) eine Honorierung nach TP 3A RATG (Tarifansatz 987,40 Euro, zuzüglich Einheitssatz, ERV-Zulage und USt).
Davon sprach das Erstgericht – über entsprechende Einwendung der Klägerin (ON 78) – nur ein Honorar nach TP 1 RATG (Tarifansatz 204,- Euro, zuzüglich Einheitssatz, ERV-Zulage und USt) zu.
Mit ihrem Kostenrekurs begehrt die Beklagte nun den Differenzbetrag iHv gesamt 1.576,44 Euro und meint, ihr Schriftsatz sei entgegen der Ansicht des Erstgerichts nach TP 3A zu honorieren, weil das enthaltene umfangreiche Vorbringen über den Ausgang des in Litauen geführten Parallelverfahrens, wenn schon nicht präjudiziell, dann jedenfalls zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung von hohem Interesse für das gegenständliche Verfahren gewesen sei und zudem im genannten Schriftsatz ausführlich und auftragsgemäß Vorbringen zu den technischen Daten des Beklagten-Lkws erstattet worden sei, die der verkehrstechnische Sachverständige benötigt habe.
Die Klägerin entgegnet dem, dass der Schriftsatz, soweit sein Inhalt über eine bloße Urkundenvorlage hinausgehe, nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung gedient habe, weil er sich im Wesentlichen auf rein rechtliche Ausführungen, die nicht mit neuem Sachverhaltsvorbringen verbunden gewesen seien, reduziere, die nicht notwendig gewesen seien und kostensparend in der nächsten Verhandlung vorgetragen werden hätten können. Die bloße Wiedergabe des Inhalts des Typenscheins (Beilage ./6) diene ebenfalls nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung, da sich die Daten ohnehin aus dieser Urkunde selbst ergeben würden und vom verkehrstechnischen Sachverständigen selbst herausgelesen hätten werden können.
Nach TP 3A RATG sind im Zivilprozess grundsätzlich (neben der Klage bzw der Klagebeantwortung) nur vorbereitende Schriftsätze, die nach § 257 Abs 3 ZPO zulässig sind oder vom Gericht aufgetragen werden (vgl TP 3A I.1.d RATG), zu entlohnen. Dies aber auch nur unter der Voraussetzung, dass sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig waren (vgl § 41 Abs 1 ZPO; OLG Wien RW0000419).
Der in Rede stehende Schriftsatz wurde zweifelsohne nach der vorbereitenden Tagsatzung und somit außerhalb der Frist des § 257 Abs 3 ZPO eingebracht. Mit dem Schriftsatz legte die Beklagte die Urkunden Beilagen ./3 bis ./6 vor, führte zusammenfassend die Ergebnisse des in Litauen geführten Gerichtsverfahrens aus (Punkt I.) und listete die vom Sachverständigen geforderten Daten des Beklagtenfahrzeuges (insbesondere dessen Länge, Breite, Überhang, Achsenabstand udgl) auf (Punkt II.). Richtig ist, dass diesbezüglich insofern ein „gerichtlicher Auftrag“ bestanden hat, als der Sachverständige in der zuvor abgehaltenen Tagsatzung vom 16.1.2024 bekannt gab, für die Erstellung einer Fahrliniensimulation die entsprechenden Daten des Beklagtenfahrzeugs zu benötigen und der Beklagtenvertreter deren Übermittlung zusagte, was auch so protokolliert worden ist (Protokoll ON 52 S 3 und S 4).
Es ist daher der Beklagten insoweit zu folgen, dass der genannte Schriftsatz seinem Inhalt nach jedenfalls als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig zu honorieren ist. Entgegen der Ansicht der Klägerin hätte das darin erstattete Vorbringen – insbesondere die Daten des Beklagtenfahrzeugs, aber auch die Ergebnisse des litauischen Gerichtsverfahrens zur besseren Vorbereitung der Verfahrensrichterin in Richtung einer allfälligen Bindungswirkung - nicht erst in der nächsten Verhandlung erstattet werden können.
Allerdings handelt es sich bei dem Schriftsatz nichtum einen vorbereitenden Schriftsatz iSd § 257 Abs 3 ZPO, sodass seine Honorierung nach TP 3A I.1.d. RATG nach Ansicht des Rekurssenats ausscheidet.
Urkundenvorlagen sind nach dem System des RATG grundsätzlich nach TP 1 zu honorieren (vgl TP 1 I.a RATG). Wenn ihr Inhalt jedoch über eine bloße Urkundenvorlage hinausgeht, sie etwa auch zweckentsprechende Ausführungen zu den vorgelegten Urkunden enthält, unterfällt sie TP 2 (vgl Obermaier , Kostenhandbuch 4Rz 3.68 E 14 f). Auch Mitteilungen sind dann nach TP 2 zu honorieren, wenn ihr Inhalt über „bloße Mitteilungen“ iSd TP 1 I.a RATG hinausgeht. Im Zivilprozess fallen grundsätzlich auch alle anderen Schriftsätze, die nicht in TP 1 oder TP 3 genannt sind, unter TP 2 (vgl TP 2 I.1.e. RATG).
Nach Ansicht des Rekurssenats ist im Schriftsatz der Beklagten eine Urkundenvorlage mit inhaltlichen Ausführungen zu den vorgelegten Urkunden und eine Mitteilung an das Gericht (bzw an den Sachverständigen) zu erblicken, die über eine bloße Mitteilung iSd TP1 hinausgeht. Damit unterfällt der Schriftsatz – entgegen der Ansicht des Erstgerichts und entgegen der Ansicht des Kostenrekurses - dem Auffangtatbestand des TP 2 I.1.e RATG, sodass er nach TP 2 zu honorieren ist. Für diesen Schriftsatz (Tarifansatz 500,20 Euro) gebühren daher insgesamt 903,48 Euro (darin enthalten 150,58 Euro an USt).
Dem Kostenrekurs der Beklagten kommt daher teilweise Berechtigung zu. Die erstgerichtliche Kostenentscheidung war daher dahingehend abzuändern, dass der Kostenersatz zu Gunsten der Beklagten um insgesamt 699,48 Euro zu erhöhen war.
Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf §§ 43 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte ist (nur) mit rund 44 % ihres Rekursbegehrens durchgedrungen, sodass die Klägerin Anspruch auf Ersatz von 12 % der Kosten ihrer Rekursbeantwortung hat.
Die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses ergibt sich aus § 528 Abs 2 Z 3 ZPO.
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