Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterin Mag. Hemetsberger als Vorsitzende, die Richterin Dr. Ganglberger-Roitinger und den Richter Mag. Grosser in der Strafsache gegen A*wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB und einer weiterer strafbaren Handlung über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 6. Juni 2025, GZ Hv*-16, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen.
BEGRÜNDUNG:
Im Verfahren zu Hv* des Landesgerichts Salzburg liegt dem ** geborenen A* ausweislich zweier Strafanträge der Staatsanwaltschaft Salzburg zur Last, er habe in **
In der Hauptverhandlung vom 6. Juni 2025 erklärte der Angeklagte, die Verantwortung für die beiden „Vorfälle“ zu übernehmen; er habe einen großen Fehler begangen, das Ganze sei ein Blödsinn gewesen (ON 15, 2 und 4). Daraufhin stellte das Erstgericht mit dem nun angefochtenen Beschluss das Verfahren unter Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr verbunden mit der Pflicht, binnen 14 Tagen eine Schadensgutmachung von EUR 500,00 an C* zu leisten, gemäß §§ 199, 203 Abs 3 StPO vorläufig ein (ON 15, 5, und ON 16).
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, mit der sie unter Hinweis auf eine diversionsausschließende Schwere der Schuld und spezialpräventive Bedenken die Kassation des angefochtenen Beschlusses sowie die Rückverweisung der Sache an das Erstgericht anstrebt (ON 14).
Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt (zur Einseitigkeit des Beschwerdeverfahrens: Schroll/Kert in WK-StPO § 209 Rz 12; Leitner in Schmölzer/Mühlbacher, StPO Band 1² § 209 Rz 13; zur Berücksichtigung nicht ausdrücklich geltend gemachter Beschwerdegründe auch zum Nachteil des Angeklagten: § 89 Abs 2b dritter Satz StPO; Ratz in WK-StPO Vor §§ 280–296a Rz 6; Schroll/Kert aaO § 209 Rz 13).
Sind mehrere real konkurrierende Taten (und/oder ideal konkurrierende strafbare Handlungen) Gegenstand eines nach § 26 oder § 37 StPO gemeinsam zu führenden Verfahrens, ist mit Bezug auf sämtliche Diversionsvoraussetzungen – insbesondere den Schuldgehalt und Präventionserfordernisse – eine Gesamtbewertung vorzunehmen (vgl Leitner in Schmölzer/ Mühlbacher aaO § 198 Rz 50; Schroll/KertaaO § 198 Rz 49/1; RIS-Justiz RS0119276). Eine Aufsplitterung der diversionellen Reaktion dergestalt, dass für jede einzelne Tat eine eigene Diversionsmaßnahme gewählt oder eine diversionelle Vorgangsweise mit einer Sanktion nach Schuldspruch kombiniert wird (zu einem solchen Fall: OLG Linz 9 Bs 175/22g), verbietet sich schon unter dem Gesichtspunkt des damit verbundenen Verstoßes gegen das aus § 28 StGB und § 37 Abs 1 (und 3) StPO ableitbare Gebot der Verfahrenskonzentration. Außerdem ginge damit eine Verletzung des sich aus §§ 31, 40 StGB in Verbindung mit § 28 StGB ergebenden Verbots einer Sanktions- und Reaktionskumulierung bei Deliktsmehrheit (Absorptionsprinzip) einher ( Schroll/KertaaO § 198 Rz 49). Ausnahmen davon gelten (nur) für das Zusammentreffen von Delikten nach dem Suchtmittelgesetz mit anderen strafbaren Handlungen (RIS-Justiz RS0113621 [T2, T6]) und für den Fall des § 205 Abs 3, Abs 2 Z 3 StPO (vgl Schroll/KertaaO Rz 50 f; zum Sonderfall der Anordnung einer Unterbringung nach § 21 Abs 1 StGB: 11 Os 37/21g). Von diesen Konstellationen abgesehen wäre ein Prozessergebnis dergestalt, dass eine Bestrafung (im Sinne eines Schuldspruchs) präventiv nur hinsichtlich einer angeklagten Tat geboten wäre, hinsichtlich der anderen aber mit einer diversionellen Vorgangsweise das Auslangen gefunden werden kann, widersinnig, zumal die einmal schon bejahte Notwendigkeit einer Bestrafung eine andere (nur alternativ, nicht aber kumulativ gebotene) diversionelle Reaktionsform ausschließt, deren Anwendung ja ihrerseits die Verneinung eines solchen Strafbedürfnisses gerade voraussetzt. Die im gemeinsam geführten Strafverfahren inkriminierten Straftaten sind somit insgesamt einer diversionellen Erledigung zuzuführen oder aber es ist – weil angesichts der Faktenmehrheit gegen eine solche Vorgangsweise (spezialpräventive) Bedenken bestehen – das ordentliche Strafverfahren fortzuführen und im Fall eines Schuldspruchs unter Anwendung von § 28 StGB eine Strafe festzusetzen ( Schroll/Kert aaO § 198 Rz 49/1).
Ausgehend von diesen Überlegungen verbietet es sich beispielsweise bei Tatmehrheit, hinsichtlich einzelner (subjektiv konnexer) Taten die getrennte Verfahrensführung (§ 27 StPO) oder deren Ausscheidung (§ 36 Abs 4 StPO) zu verfügen (RIS-Justiz RS0130527) und hinsichtlich der verbleibenden Vorwürfe mit Diversion vorzugehen (RIS-Justiz RS0117210 [T1]; OLG Graz 1 Bs 87/24i, 9 Bs 308/20t; OLG Linz 10 Bs 27/20x). Desgleichen steht der diversionellen Erledigung eines Anklagevorwurfs entgegen, dass im Fall eines Schuldspruchs bei der Straffestsetzung auf ein zeitlich vorangehendes Urteil gemäß §§ 31, 40 StGB Bedacht zu nehmen wäre (OLG Graz 9 Bs 255/24d; OLG Linz 7 Bs 7/16b; OLG Innsbruck 7 Bs 100/12g). Das Oberlandesgericht Wien erachtete (zu 22 Bs 91/22a) aus demselben Grund eine Verfahrensfortsetzung für geboten, nachdem es einen vor der bekämpften Diversionsentscheidung (im selben Verfahren) ergangenen Teilfreispruch in Stattgebung der Berufung der Anklagebehörde aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen hatte.
Wie die Staatsanwaltschaft hier in ihrer Beschwerde – wenn auch mit anderer Zielrichtung (vgl dazu jedoch: RIS-Justiz RS0119271) – an sich zutreffend aufzeigt, war bereits im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung (aktenkundig: ON 10.4) ein weiteres Verfahren gegen den Angeklagten anhängig, und zwar beim Bezirksgericht Vöcklabruck (zu U*). Dort werden dem Angeklagten als (richtig:) Vergehen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 erster Fall StGB und des Diebstahls nach § 127 StGB qualifiziertes Verhalten vom 5. Mai 2024 sowie ein § 83 Abs 1 StGB unterstelltes Tatgeschehen vom 5. April 2025 zur Last gelegt (ON 3 und ON 15.3 im dortigen Verfahrensakt).
Gemäß § 37 Abs 3 StPO sind bei Vorliegen subjektiver Konnexität mehrere bis dahin getrennt geführte Verfahren (primär durch das höherrangige Gericht [§ 37 Abs 2 erster Satz StPO]) zu verbinden, sofern jeweils eine rechtswirksame Anklage (zum Einzelrichterverfahren: Oshidari in WK-StPO § 37 Rz 7/1) vorliegt. Die Verbindung tritt zwar nicht – wie von Nimmervoll(in: Strafverfahren², Kap IV Rz 42) vertreten – ex lege ein (13 Ns 71/21a; OshidariaaO § 37 Rz 7/2), sie ist jedoch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 StPO zwingend vorzunehmen, ohne dass dem Gericht ein diesbezüglicher Ermessensspielraum zukommt (RIS-Justiz RS0128876; Oshidari aaO § 37 Rz 10; Ohrnhofer in Schmölzer/Mühlbacher, StPO Band 1² § 37 Rz 10; Kirchbacher, StPO 15 § 37 Rz 6; Birklbauer in LiK-StPO § 37 Rz 26).
Für die Frage, ob ein diversionelles Vorgehen zulässig ist, kann es aber keinen Unterschied machen, ob vor einer entsprechenden Beschlussfassung ein Verfahrensteil gesetzwidrig ausgeschieden (dazu erneut: RIS-Justiz RS0117210; grundlegend: Schroll, Judikatur zu den Anwendungsvoraussetzungen der Diversion, ÖJZ 2013/95 [A.4.]) oder aber – wie hier – eine an sich gebotene Verfahrensverbindung entgegen § 37 Abs 3 StPO unterlassen wurde. In beiden Fällen könnte zwar eine Diversion bei isolierter Betrachtung der (in der ersten Variante: verbliebenen) verfahrensgegenständlichen Vorwürfe an sich gerechtfertigt sein. Gleichzeitig ist jedoch in beiden Konstellationen die Gefahr einer unzulässigen Reaktionskumulierung evident und ließe sich diese nur vermeiden, wenn der Angeklagte in dem getrennt geführten Verfahren von sämtlichen Vorwürfen freigesprochen wird. Gerade das lässt sich allerdings hier zum jetzigen Zeitpunkt noch in keiner Weise beurteilen.
Vor diesem Hintergrund erweist sich der angefochtene Beschluss als rechtsfehlerhaft (vgl zu einer ähnlichen Konstellation [nicht aktenkundige Vordiversion, nicht aktenkundiges subjektiv konnexes Verfahren]: OLG Innsbruck 7 Bs 285/12p) und werden im weiteren Verfahren zunächst die gebotene Verfahrensverbindung nachzuholen und der Sachverhalt umfassend zu klären (§ 198 Abs 1 StPO) sein. Erst dann ist eine abschließende Bewertung des Schuldgehalts (§ 198 Abs 2 Z 2 StPO; vgl aber RIS-Justiz RS0128235) und der spezialpräventiven Erfordernisse (§ 198 Abs 1 StPO) möglich.
Bereits unter diesem Aspekt ist demnach die Beschwerde der Staatsanwaltschaft berechtigt, der bekämpfte Beschluss daher aufzuheben und die Sache zur Verfahrensfortsetzung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§ 89 Abs 2a Z 3 StPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).
Rückverweise