Das Oberlandesgericht Graz hat durch den Senatspräsidenten Mag. Ohrnhofer (Vorsitz) und die Richter Mag. Obmann, LL.M. und Mag. Petzner, Bakk. in der Strafsache gegen A*und einen anderen Angeklagten wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 21. Juli 2025, GZ **-17, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
In Stattgebung der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die Fortführung des Verfahrens hinsichtlich des Angeklagten A* wegen der zu I/2 und II/ des Strafantrags der Staatsanwaltschaft Graz vom 24. Juni 2025 dargestellten Taten aufgetragen.
begründung:
Mit Strafantrag vom 24. Juni 2025, AZ **, legt die Staatsanwaltschaft Graz – soweit hier von Relevanz – dem am ** geborenen, mithin zum Tatzeitpunkt jungen Erwachsenen, A* zur Last, er habe am 15. Februar 2025 in **
I/2 B* vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihm mit einer „Bong“ auf den Hinterkopf schlug, wodurch das Opfer eine ca 4 cm lange Platzwunde erlitt;
II/ B* durch die Äußerung, er werde ihn niederschlagen und umbringen, sollte er ihn aus der Wohnung schmeißen, mithin durch gefährliche Drohung mit „der“ Verletzung am Körper durch Zufügung von Hämatomen und Prellungen mittels Schlägen, zu einer Duldung, nämlich zur Erlaubnis weiterhin in seiner Wohnung bleiben zu dürfen, zu nötigen versucht;
III/ nachgemachtes Geld mit dem Vorsatz, dass es als echt und unverfälscht ausgegeben werde, besessen, indem er 21 gefälschte Euro-10-Banknoten, neun gefälschte Euro-20-Banknoten und eine gefälschte Euro-50-Banknote in seinem Rucksack bis zur Sicherstellung mit sich führte.
Die Anklagebehörde subsumierte diese Sachverhalte zu I/2 dem Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, zu II/ dem Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 (zu ergänzen: § 15) StGB und zu III/ dem Verbrechen der Weitergabe und Besitz nachgemachten oder verfälschten Geldes nach § 233 Abs 1 Z 1 StGB.
In der Hauptverhandlung am 21. Juli 2025 wurde A* vom zu III/ dargestellten Vorwurf gemäß § 259 Z 3 StPO (rechtskräftig) freigesprochen (ON 14, 4). Das Verfahren wegen der verbliebenen Taten (zu I/2 und II/) stellte der Einzelrichter vorläufig zur Erbringung gemeinnütziger Leistungen im Ausmaß von 80 Stunden sowie zum Nachweis der Zahlung eines Pauschalkostenbeitrags von EUR 150,00 „bis zum 1. Februar 2026“ ein (ON 17).
Dagegen richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft (ON 18), in der sie moniert, dass die Voraussetzungen für ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO im Hinblick auf die gemäß § 31 StGB im Zusatzstrafenverhältnis stehende Vorverurteilung des Angeklagten zu AZ ** des Bezirksgerichts Weiz vom 28. April 2025, rechtskräftig am 3. Mai 2025, nicht vorliegen würden.
Das Rechtsmittel ist berechtigt.
Die Zustellung der Beschwerde der Staatsanwaltschaft an den Angeklagten zur Äußerung konnte unterbleiben, weil das Beschwerdeverfahren hier (ausnahmsweise) einseitig ausgestaltet ist (vgl § 209 Abs 1 StPO; Schroll/Kert , WK-StPO § 209 Rz 12).
Gemäß § 201 Abs 1 StPO iVm § 199 StPO kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 198 StPO mit einer vorläufigen gerichtlichen Verfahrenseinstellung vorgehen, wenn sich der Beschuldigte ausdrücklich bereit erklärt hat, innerhalb einer zu bestimmenden Frist von höchstens sechs Monaten unentgeltlich gemeinnützige Leistungen zu erbringen.
Zutreffend verweist die Beschwerdeführerin darauf, dass die Kombination einer diversionellen Erledigung mit einer Sanktion nach Schuldspruch dem Verbot einer Sanktions- und Reaktionskumulierung bei Deliktsmehrheit in einem – wie hier eigentlich – gemeinsam zu führenden Verfahren (§ 37 StPO) widerspricht ( Schroll/Kert, WK-StPO § 198 Rz 49; RIS-Justiz RS0117210 [T1]).
Die Präventionsvoraussetzungen des § 198 Abs 1 StPO haben nämlich auf das inkriminierte Geschehen in seiner Gesamtheit abzustellen und das Verhalten des Beschuldigten umfassend – und damit auch real konkurrierende Straftaten miteinschließend – zu bewerten (RIS-Justiz RS01192765).
Ein Prozessergebnis dergestalt, dass eine Bestrafung (iS eines gerichtlichen Verurteilung [vgl 15 Os 141/93]) präventiv nur hinsichtlich einer angeklagten Tat geboten wäre, hinsichtlich der anderen aber mit einer diversionellen Vorgangsweise das Auslangen gefunden werden kann, wäre widersinnig, zumal die einmal schon bejahte Notwendigkeit einer Bestrafung eine andere (nur alternativ, nicht aber kumulativ gebotene) diversionelle Reaktionsform ausschließt, deren Anwendung ja ihrerseits die Verneinung eines solchen Strafbedürfnisses gerade voraussetzt. Die im gemeinsam geführten Strafverfahren inkriminierten Straftaten sind somit insgesamt einer diversionellen Erledigung zuzuführen oder aber – weil angesichts der Faktenmehrheit gegen eine solche Vorgangsweise spezialpräventive Bedenken bestehen (vgl 15 Os 117/01) – das ordentliche Strafverfahren fortzuführen und im Fall eines Schuldspruchs eine nach § 28 StGB auszumessende Strafe festzusetzen ( Schroll/Kert, aaO Rz 49/1 ). Umdas tätergünstige Absorptionsprinzip des § 28 StGB (vgl dazu näher Ratz, WK² § 28 Rz 2 f) und das daraus abgeleitete Verbot einer Sanktions- und Reaktionskumulierung nicht von der Zufälligkeit gemeinsamer Verfahrensführung (§ 37 StPO) abhängig zu machen, ordnet § 31 StGB dessen Geltung auch im Fall getrennter Aburteilung ansonsten realkonkurrierender strafbarer Handlungen, also selbstständiger Taten an ( Ratz , aaO § 31 Rz 1).
Für die Frage, ob ein diversionelles Vorgehen zulässig ist, kann es somit keinen Unterschied machen, ob vor einer entsprechenden Beschlussfassung ein Verfahrensteil gesetzwidrig ausgeschieden (dazu erneut: RIS-Justiz RS0117210; grundlegend: Schroll, Judikatur zu den Anwendungsvoraussetzungen der Diversion, ÖJZ 2013/95 [A.4.]) oder aber – wie hier – eine gemeinsame Verfahrensführung (§ 37 StPO) unterblieben ist.
Da der Angeklagte mit Urteil des Bezirksgerichts Weiz zu AZ ** vom 28. April 2025, rechtskräftig am 3. Mai 2025 (Strafregisterauskunft ON 8), zu einer Geldstrafe verurteilt wurde und im Falle eines Schuldspruchs wegen der im gegenständlichen Verfahren verbliebenen, am 15. Februar 2025 begangenen (realkonkurrierenden) Taten auf diese Verurteilung gemäß § 31 StGB Bedacht zu nehmen wäre, verstößt die vorläufige Verfahrenseinstellung nach § 201 Abs 1 StPO iVm § 199 StPO gegen das dargestellte Verbot einer Sanktions- und Reaktionskumulierung bei Deliktsmehrheit (so zuletzt auch OLG Graz 9 Bs 255/24d; OLG Linz 7 Bs 95/25g), weshalb der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens gegen den Beschwerdeführer wegen dieser Taten aufzutragen ist.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht kein Rechtsmittel zu (§ 89 Abs 6 StPO).
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