Das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht hat durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Prantl als Vorsitzende sowie die Richter des Oberlandesgerichts Mag. Schallhart und Mag. Eppacher als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden Partei A* , vertreten durch Bechtold und Wichtl Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wider die beklagte Partei C* AG , vertreten durch Rainer-Theurl Platzgummer Rechtsanwälte OG in Innsbruck, wegen EUR 30.000, über die Berufung der beklagten Partei (Berufungsinteresse EUR 30.000) gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 26.5.2025, ** 27, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird keine Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen zu Handen der Klagsvertreterin die mit EUR 3.138,12 (darin enthalten EUR 523,02 an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Die Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Bei einem Verkehrsunfall am 16.4.1979 in B* mit einem bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten haftpflichtversicherten PKW erlitt der Kläger als Lenker eines Kleinmotorrads am rechten Bein Hautabschürfungen, einen offenen Unterschenkelbruch, einen knöchernen Ausriss des hinteren Kreuzbands, einen Außenseitenbandriss, eine Rissquetschwunde am Kniegelenk, einen Bruch des Innenknöchels und des linken Schlüsselbeins sowie Hautabschürfungen und Prellungen am linken Kniegelenk. Zu E* des Landesgerichts Feldkirch wurde die Haftung der Rechtsvorgängerin der Beklagten für Spätfolgen bis zur Höhe der Versicherungssumme festgestellt und sie ausgehend von diesen Verletzungen zur Zahlung von ATS 85.000 an Schmerzengeld verpflichtet. Bei Untersuchung durch den Gerichtssachverständigen am 8.7.1980 bestand am rechten Kniegelenk noch eine erhöhte Verletzlichkeit eines mit Spalthaut bedeckten Hautareals. Das rechte Bein war um 1 cm verkürzt und die Gangleistung deutlich vermindert. Wegen des operativ nicht versorgten Bänderrisses zeigte das Kniegelenk eine gewisse Instabilität, die nur zum Teil kompensiert werden konnte, sodass der Kläger in der sportlichen Ausübung, aber auch in seinem Beruf als Lehrer behindert war. Es wurde eine Dauerinvalidität von 20 % festgestellt. Ein vorzeitiger Verschleiß des Kniegelenks infolge der Bandlockerung und eventuell künftig auftretende Symptome an den Menisken waren nicht auszuschließen. Der Kläger hatte 17 Tage starke Schmerzen, 27 Tage mittelstarke Schmerzen und 9 Wochen leichte Schmerzen in komprimierter Form zu erleiden. In der Begründung des Schmerzengeldzuspruchs ging das Landesgericht Feldkirch nicht auf künftige Schmerzen ein.
In einem weiteren Verfahren zu D* des Landesgerichts Feldkirch wurde festgestellt, dass als Folge des offenen Bruchs des oberen Anteils des rechten Unterschenkels eine leicht- bis mittelgradige Abnützung des Kniegelenks und des Kniescheibengelenks rechts eingetreten sei. Zusätzlich habe sich anlagebedingt, ohne Zusammenhang mit dem Unfall ein Knorpelschaden an der rechten Kniescheibe entwickelt. Ein Teil der Beschwerden des Klägers sei auf die anlagebedingte Abnützung der Kniescheibe zurückzuführen. Unfallkausal habe der Kläger pro Jahr eine Woche leichte Schmerzen erlitten und weiterhin zu erleiden. Mit einer weiteren Verschlechterung sei nicht mehr zu rechnen. Dem Kläger wurden zusätzlich EUR 7.000 an Schmerzengeld zugesprochen.
Der Kläger begehrt EUR 30.000 an Schmerzengeld mit der Begründung, seine Kniebeschwerden hätten sich fortlaufend verschlimmert und er habe unfallkausal nun ein künstliches Kniegelenk. Die posttraumatische Arthrose und die damit verbundenen Beeinträchtigungen seien bei der ursprünglichen Schmerzengeldbemessung nicht vorhersehbar und nicht vom bisherigen Zuspruch umfasst gewesen.
Die Beklagte wandte ein, mit den bisherigen Zahlungen seien die Ansprüche des Klägers befriedigt. Die Arthrose und die Knieprothese seien nicht kausal. Die Arthrose sei als Dauerfolge bereits in der Globalbemessung abgegolten. Die arthrotischen Schmerzen und die Dauerfolgen seien kein unvorhergesehenes Ereignis.
Das Erstgericht gab der Klage statt, wobei es von folgendem weiteren [bekämpften] Sachverhalt ausging:
Der Kläger erlitt durch den Unfall unter anderem einen knöchernen hinteren Kreuzbandausriss Typ 3b, welcher generell operativ zu behandeln ist. Wegen schwieriger Hautverhältnisse nach dem Unfall wurde von einer operativen Intervention Abstand genommen weshalb keine Ausheilung erreicht werden konnte.
[1] Durch das nicht versorgte, knöchern ausgerissene hintere Kreuzband kam es zu einer posterioren Instabilität, die zu einer femoropatellar- und medial betonten Gonarthrose führte. Die Arthrose des rechten Kniegelenks und die damit einhergehenden Beschwerden des Klägers sind unfallkausal. Die Arthrose war bei Verhandlungsschluss zu E* LG Feldkirch nicht vorhersehbar. Aufgrund der unfallkausalen Arthrose erlitt der Kläger 4 Tage starke Schmerzen, 18 Tage mittelstarke Schmerzen und 26 Tage leichte Schmerzen im komprimierter Form. Der Kläger hatte und hat in Zukunft aufgrund des Unfalls insgesamt 21 Tage starke Schmerzen, 45 Tage mittelstarke Schmerzen und 52 Wochen, sohin 364 Tage leichte Schmerzen im Sinn einer Globalbemessung zu erdulden.
Wegen zunehmender Beschwerden durch die Arthrose wurde am 2.5.2022 eine Knieendoprothese implantiert. Ein sekundär auftretender Hautweichteildefekt an der Knievorderseite machte einen Revisionseingriff durch Muskeltransfer vom Unterschenkel mit Spalthautdeckung vom linken Oberschenkel erforderlich. Auch im Verfahren D* des LG Feldkirch lag das Vollbild einer Arthrose noch nicht vor und sie war nicht vorhersehbar. Als Dauerfolgen bestehen eine implantierte Kniegelenksprothese, ein Zustand nach Muskeltransfer bei Hautnekrose, eine leichte Muskelverschmächtigung der Beinmuskulatur rechts und ein Taubheitsgefühl im Versorgungsgebiet des N. peronaeus superfic. Spätfolgen können nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Eine frühzeitige Lockerung der Kniegelenksprothese ist möglich. Die Beklagte leistete (inflationsbereinigt) EUR 30.615,24.
Rechtlich urteilte das Erstgericht, in den Vorprozessen sei zwar eine verbleibende Invalidität festgestellt und Schmerzengeld zugesprochen worden, der vorzeitige Verschleiß des Kniegelenks und damit verbundene Symptome seien nicht abschätzbar gewesen, weshalb dem Feststellungsbegehren Folge gegeben worden sei. Eine ergänzende Bemessung sei zulässig, ein Globalbetrag von EUR 61.000 angemessen.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Berufung der Beklagten aus den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Abänderungsantrag auf Klagsabweisung. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Kläger beantragt mit rechtzeitiger Berufungsbeantwortung, dem Rechtsmittel den Erfolg zu versagen.
Die Berufung ist nicht berechtigt.
1. Als Verfahrensmangelrügt die Berufungswerberin, dass nach § 362 Abs 2 ZPO kein weiteres Gutachtens eingeholt wurde, aus welchem sich ergeben hätte, dass die Gutachten aus den Vorverfahren zutreffend und die Beschwerden des Klägers vollumfänglich berücksichtigt gewesen seien. Das Vorverfahren habe ergeben, dass von einer unfallkausalen Verschlechterung nicht mehr auszugehen und ein vorzeitiger Verschleiß des Kniegelenks nicht auszuschließen sei. Dies habe Eingang in die Ausmittlung des Schmerzengelds gefunden. Das Gutachten des medizinischen Sachverständigen sei mangelhaft. Er habe ausgeführt, dass bei solchen Verletzungen in 20 bis 40 % der Fälle eine Arthrose entstehe. Demgegenüber hätten die Sachverständigen in den Vorverfahren ausgeführt, dass eine Arthrose noch nicht vorgelegen und nicht vorhersehbar gewesen sei. Die Aussagen, eine Arthrose sei nicht vorhersehbar gewesen und dass sie in 20 bis 40 % der Fälle eintrete, seien widersprüchlich. Der medizinische Sachverständige habe den Knorpelschaden an der rechten Kniescheibe dem Unfall zugeordnet, obwohl dies von den Sachverständigen im Vorverfahren verneint und entsprechend festgestellt worden sei. Der Sachverständige im Vorverfahren habe außerdem eine Woche leichte Schmerzen pro Jahr für die Zukunft eingeschätzt, worin sich zeige, dass die arthrosebedingten Beschwerden im Vorverfahren berücksichtigt und abgegolten worden seien. Obwohl eine neuerliche Globalbemessung zu erfolgen hätte, habe der medizinische Sachverständige lediglich weitere Schmerzperioden addiert. Schmerzperioden seien nur eine Berechnungshilfe und eine Addition derselben sei nicht kunstgerecht. Eine zusätzliche Einschätzung von Schmerzperioden sei nicht geboten gewesen.
Mit denselben Argumenten bekämpft die Berufungswerberin in der Beweisrüge den zu [1] hervorgehobenen Sachverhalt und begehrt stattdessen festzustellen, die Gonarthrose sei auf nicht unfallkausale Abnützungsveränderungen zurückzuführen und die Arthrose im ersten Verfahren vorhersehbar gewesen, aufgrund welcher der Kläger 4 Tage starke Schmerzen, 18 Tage mittelstarke und 26 Tage leichte Schmerzen in komprimierter Form erleiden habe müssen. Aufgrund des Unfalls habe er global 17 Tage starke Schmerzen, 29 Tage mittelstarke Schmerzen und 70 Tage leichte Schmerzen zuzüglich künftig eine Woche pro Jahr leichte Schmerzen zu erdulden.
1.1 Eine neuerliche Begutachtung ist nach § 362 ZPO anzuordnen, wenn sich ein bereits abgegebenes Gutachten als ungenügend oder mit unauflösbaren Widersprüchen behaftet oder als nicht vervollständigbar erweist (RS0040604). Nur in solchen Fällen ist von nicht behebbaren Gutachtensmängeln auszugehen. Das medizinische Gutachten ist schlüssig und nachvollziehbar. Die Aussage, die Arthrose sei in den Vorverfahren nicht vorhersehbar gewesen und solche Verletzungen gingen in 20 bis 40 % der Fälle in eine Arthrose über, ist nicht widersprüchlich. Arthrosen treten gerade nicht jedenfalls auf, es war sohin nicht vorhersehbar, ob dies der Fall sein werde. Der Sachverständige hat lediglich die Wahrscheinlichkeit dafür eingeschätzt. Dass er die Kausalität des Knorpelschadens anders als der Gutachter im Vorverfahren beurteilte, macht das Gutachten nicht ungenügend. Der medizinische Sachverständige hat seine Einschätzung fundiert und schlüssig begründet und sich auch mit den Vorgutachten auseinandergesetzt. Die Berufungswerberin lässt außer Acht, dass die Globalbemessung des Schmerzengelds und die Ausmittlung von Schmerzperioden auseinander zu halten sind. Der Sachverständige hat lediglich weitere Schmerzperioden zu den bereits in den Vorverfahren ausgemittelten Schmerzperioden eingeschätzt. Dies entsprach seinem Auftrag. Er lieferte damit dem Gericht das notwendige Fachwissen für die rechtliche Beurteilung. Davon zu unterscheiden ist die Ausmessung des Schmerzengelds, welche global zu erfolgen hat und eine Rechtsfrage darstellt, die nicht vom Sachverständigen zu lösen ist. Die unterbliebene Einholung eines weiteren Gutachtens stellt also keinen Verfahrensmangel dar (RS0113643, RS0040632). Damit sind auch die Beweisrügen nicht berechtigt. Die Feststellungen des Erstgerichts gründen auf dem Gutachten. Der Sachverständige hat sich mit den gegenteiligen Meinungen nachvollziehbar auseinandergesetzt, sodass es keinen Grund gab, dessen Expertise nicht den Feststellungen zugrunde zu legen.
2. In der Rechtsrüge argumentiert die Beklagte, eine Schmerzengeldergänzung dürfe zu keinem höheren Zuspruch als bei einer einmaligen Globalbemessung führen. Das Erstgericht habe das Schmerzengeld nicht global bemessen, sondern lediglich die von unterschiedlichen Sachverständigen eingeschätzten Schmerzperioden addiert. Dies sei nicht kunstgerecht und entspreche nicht der ständigen Rechtsprechung. Bei einer Globalbemessung hätte sich gezeigt, dass dem Kläger nichts mehr zustehe.
2.1 Schmerzengeld soll grundsätzlich eine einmalige Abfindung für das Ungemach sein, das der Verletzte erlitten hat und voraussichtlich zu erdulden haben wird (RS0031307). Es stellt grundsätzlich eine Globalabfindung für alle eingetretenen und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge noch zu erwartenden körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen durch die Folgen dar, für seine Bemessung ist das Gesamtbild maßgebend. Künftige, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartende körperliche und seelische Schmerzen sind in die Globalbemessung miteinzubeziehen (RS0031196, RS0031055 uva). Die Bemessung erfolgt nicht nach starren Regeln, weshalb das Schmerzengeld nicht aufgrund eines Tarifs für einzelne Tage oder sonstige Zeiteinheiten berechnet werden kann. Vielmehr ist jede Verletzung in ihrer Gesamtauswirkung nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zu betrachten (RS0125618). Schmerzengeldsätze stellen eine Orientierungshilfe, aber keine Berechnungsmethode dar (RS0118172, RS0122794 uvm). Es ist auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, andererseits aber zur Vermeidung einer Ungleichmäßigkeit ein objektiver Maßstab anzulegen, wobei der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen bei der Bemessung nicht gesprengt werden darf (RS0031075). Tendenziell erscheint es geboten, das Schmerzengeld nicht zu knapp zu bemessen (7 Ob 29/05y mwN). In den Vorprozessen wurde keine Teilbemessung (vgl RS0031051) des Schmerzengelds vorgenommen, sondern ebenfalls bereits eine Globalbemessung vorgenommen. Ein neuerlicher Zuspruch ist aber möglich, da sich beim Kläger Spätfolgen verwirklicht haben, welche in den Vorprozessen noch nicht vorhersehbar, aber auch nicht auszuschließen waren, wofür eine Haftungsfeststellung erwirkt wurde. Die Spätfolgen sind nicht isoliert zu betrachten, sondern ist wiederum eine Globalbemessung sämtlicher Folgen des Unfalls vorzunehmen. Die Ausmessung durch das Erstgericht erfolgte dabei nicht zu hoch. So wurden beispielsweise für einen offenen Unterschenkelbruch mit bleibender Funktionsminderung des Beinwerts von 12%, eine Schädelprellung mit Hautabschürfung und nur temporär verschlechterter kognitiver Leistungsfächigkeit ohne Spät- und Dauerfolgen bei 9 Tagen starken, 5,5 Wochen mittelstarken und 41 Wochen leichten Schmerzen (valorisiert) EUR 69.400 zugesprochen (1 R 22/04a OLG Innsbruck). Für eine Gehirnerschütterung, einen Ausriss des vorderen Kreuzbands mit weiteren Verletzungen des Kniegelenks, aber ohne Notwendigkeit einer Kniegelenksprothese wurden bei 16 Tagen mittelstarken und 262 Tagen leichten Schmerzen (valorisiert) EUR 42.471 zugesprochen (13 R 184/19b OLG Wien). Der vom Erstgericht global ausgemessene Zuspruch hält sich also im Rahmen der Rechtsprechung und lässt sich auch mit den Schmerzperioden in Einklang bringen.
3. Die Kostenentscheidung im Berufungsverfahren gründet auf §§ 50, 41 ZPO.
4. Die Revision ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig, weil sich das Berufungsgericht an höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und die Entscheidung keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat.
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