Das Oberlandesgericht Innsbruck hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Engers als Vorsitzenden sowie die Richterinnen des Oberlandesgerichts Mag. Rofner und Mag. Kitzbichler als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden Partei A* AG , vertreten durch Mag. Thomas Anker, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. B* C* , 2. E* C* , und 3. J* V.a.G. , alle vertreten durch Dr. Gerhard Schartner, Rechtsanwalt in 6410 Telfs, wegen EUR 57.013,54 sA, über die Berufung der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 24.4.2025, **-32, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird keine Folge gegeben.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen zu Handen ihres Vertreters die mit EUR 4.300,44 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Die (ordentliche) Revision ist nicht zulässig.
E NTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Am 22.9.2023 gegen 6:40 Uhr ereignete auf der B ** im Gemeindegebiet von ** Verkehrsunfall, an dem der bei der Klägerin kasko- und haftpflichtversicherte PKW der Marke ** mit dem Kennzeichen ** (im Folgenden: Klagsfahrzeug), gelenkt von F* (im Folgenden: Lenkerin des Klagsfahrzeugs), der vom Erstbeklagten gelenkte, vom Zweitbeklagten gehaltene und bei der Drittbeklagten kasko- und haftpflichtversicherte PKW der Marke ** mit dem Kennzeichen ** (im Folgenden: Beklagtenfahrzeug) sowie der von G* (im Folgenden: Lenker des LKW-Zugs) gelenkte LKW-Zug bestehend aus dem Zugfahrzeug mit dem Kennzeichen ** und dem Anhänger mit dem Kennzeichen ** (im Folgenden: LKW-Zug) beteiligt waren.
Beim Unfall wurden alle beteiligten Fahrzeuge beschädigt. Die Klägerin leistete als Kaskoversicherer des Klagsfahrzeugs eine Entschädigung von EUR 37.100,00 sowie einen Betrag von EUR 354,48 aus der Verkehrssoforthilfe und ersetzte als Haftpflichtversicherer die Kosten für die Reparatur des LKW-Zugs von insgesamt EUR 19.559,06. Die Drittbeklagte leistete als Kaskoversicherer für die am Beklagtenfahrzeug entstandenen Schäden eine Entschädigung in Höhe von EUR 17.300,00 und trug darüber hinaus unfallkausale Kosten des H* von EUR 241,14.
Dieser Sachverhalt steht im Berufungsverfahren unbekämpft fest (§ 498 Abs 1 ZPO).
Die Klägerinbegehrt die Zahlung von EUR 57.013,54 sA als Summe der von ihr als Kasko- und Haftpflichtversicherer erbrachten Leistungen. Anspruchsbegründend brachte sie zusammengefasst vor, der Erstbeklagte habe trotz beschildertem Überholverbot und Sperrlinie mit überhöhter Geschwindigkeit zum Überholen eines [vom LKW-Zug verschiedenen] LKW angesetzt. Im Zuge des Überholmanövers habe das Beklagtenfahrzeug das entgegenkommende Klagsfahrzeug, das innerhalb von dessen Fahrstreifen mittig bis rechts unterwegs gewesen sei, gestreift, wodurch dessen Lenkerin die Kontrolle verloren habe und das Klagsfahrzeug gegen die Seite des LKW-Zugs geprallt sei. Den Erstbeklagten treffe das Alleinverschulden am Unfall; der Zweitbeklagte hafte als Halter nach EKHG, die Drittbeklagte als Haftpflichtversicherer gemäß § 26 KHVG.
Die Beklagten beantragen Klagsabweisung, stellten die Klagsforderung der Höhe nach ebenso wie den Beginn des Zinsenlaufs außer Streit und wendeten im Übrigen ein, der Unfall habe sich nicht in einem Bereich ereignet, in dem ein Überholverbot bestanden habe, sondern habe der Erstbeklagte erst nach Ende desselben kurz über die Mitte der Fahrbahn ausgeschert, um sich einen Überblick über den Gegenverkehr zu verschaffen. Die zulässige Geschwindigkeit von 60 km/h habe er dabei nicht überschritten, wohl aber die Lenkerin des Klagsfahrzeugs; hätte sie eine Geschwindigkeit von 60 km/h eingehalten, wäre das Klagsfahrzeug nicht mit dem LKW-Zug kollidiert. Zudem sei eine Fahrbahnbreite vorhanden gewesen, die ein gefahrloses Nebeneinanderfahren von zwei PKW und einem LKW ermöglicht hätte, woraus folge, dass die Lenkerin des Klagsfahrzeugs auch das Rechtsfahrgebot massiv missachtet habe. Aufgrund ihres (Mit-)Verschuldens werde einer allenfalls zu Recht bestehenden Klagsforderung eine – in weiterer Folge von der Klägerin der Höhe nach außer Streit gestellte – Gegenforderung von EUR 17.541,14 (Summe der von der Drittbeklagten als Versicherer geleisteten Zahlungen) aufrechnungsweise entgegengehalten.
Mit dem bekämpften Urteil stellte das Erstgericht die Klagsforderung mit EUR 57.013,54 als zu Recht, die eingewendete Gegenforderung hingegen nicht als zu Recht bestehend fest und verpflichtete die Beklagten demzufolge zur ungeteilten Hand zur Zahlung von EUR 57.013,54 sA an die Klägerin. Seiner Entscheidung legte es den eingangs zusammengefasst referierten Sachverhalt zugrunde, integrierte eine Skizze aus dem unfalltechnischen Sachverständigengutachten in die Entscheidungsgründe und traf darüber hinaus folgende weitere, soweit im Berufungsverfahren umkämpft in Fettdruck hervorgehobene Feststellungen :
Die B ** verläuft im Unfallbereich in Nordsüdrichtung und ist in Längs- wie in Querrichtung annähernd horizontal. Zum Zweck der örtlichen Beschreibung wird als Bezugslinie eine Normale zur Fahrbahn herangezogen, die durch eine Haltelinie bei 30 m südlich des Straßenkilometers 16,0 verläuft [bildlich dargestellt in der integrierten Skizze US 4]. Auf der B ** befinden sich drei markierte Fahrstreifen; der mittlere steht dem nach Norden fließenden und nach Westen abbiegenden Verkehr zur Verfügung. Alle drei Fahrstreifen sind im Bereich der Bezugslinie 4,2 m breit. Zwischen 50 und 80 m südlich der Bezugslinie beschreibt die Fahrbahn, bei Blickrichtung nach Süden, eine Rechtskurve. Der markierte Abbiegestreifen endet bei 74,5 m südlich der Bezugslinie. Der nach Süden führende Fahrstreifen ist ab der Bezugslinie bis 104 m südlich der Bezugslinie an dessen linker Seite von einer Sperrlinie begrenzt. Ab 104 m südlich der Bezugslinie befindet sich zwischen den jeweils 4,2 m breiten Fahrstreifen eine unterbrochene Leitlinie. Bei 104 m südlich der Bezugslinie enden die Geschwindigkeitsbeschränkung von 60 km/h und das Überholverbot in Fahrtrichtung Süden. Der Straßenkilometer 16,20 liegt 170 m südlich der Bezugslinie. Der westliche Fahrbahnrand der B ** ist von einem begrünten Bankett mit Straßenbegrenzungspflöcken begrenzt. Im Abstand von 5 bis 6 m außerhalb des westlichen Fahrbahnrands befindet sich die Sicht einschränkender Buschbewuchs.
Die gegenseitige freie Sichtweite beträgt im Unfallbereich mindestens 200 m. Zum Unfallzeitpunkt herrschten Dämmerung und bedeckte Witterung sowie künstliche Beleuchtung durch Fahrzeugbeleuchtungen; die asphaltierte Fahrbahn war nass. Die Geschwindigkeit war im Bereich der Unfallstelle aufgrund einer Baustelle mit 60 km/h beschränkt.
Das Klagsfahrzeug ist 4,355 m lang, 1,9 m breit und hat ein Leergewicht von 1.900 kg. Das Beklagtenfahrzeug ist 4,762 m lang, 1,847 m breit und hat ein Leergewicht von 1.680 kg.
Die Lenkerin des Klagsfahrzeugs fuhr richtungsbeibehaltend talauswärts nach Norden. (1) Welche Geschwindigkeit sie dabei einhielt, insbesondere ob es zu einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h kam, kann nicht festgestellt werden. (2) Der von ihr befahrene östliche Fahrstreifen wies eine Breite von 4,2 m auf, wobei sie mit dem Klagsfahrzeug mittig bis (aus ihrer Sicht betrachtet) rechts [zu ergänzen: innerhalb] dieses Fahrstreifens fuhr. Welchen exakten Seitenabstand sie zum östlichen Fahrbahnrand einhielt, kann nicht festgestellt werden.
Zur selben Zeit fuhr der Erstbeklagte mit einer Geschwindigkeit von ca 70 km/h auf dem westlich gelegenen Fahrstreifen taleinwärts in Richtung Süden. Vor ihm fuhr ein LKW, hinter ihm der LKW-Zug. Einige Meter vor dem Ende des Überholverbots scherte der Erstbeklagte mit dem Beklagtenfahrzeug plötzlich nach links in Richtung Osten aus, um den vor ihm fahrenden LKW zu überholen. Dabei überfuhr er die zwischen östlichem und westlichem Fahrstreifen befindliche Sperrlinie und fuhr mit dem Großteil des Beklagtenfahrzeugs auf den östlichen Fahrstreifen, wodurch es zu einer Kollision der jeweils linken Vorderreifen des Klags- und des Beklagtenfahrzeugs kam. Die genaue Kollisionsstelle der beiden PKW kann nicht festgestellt werden; die Kollision ereignete sich jedoch jedenfalls im Bereich des Überholverbots und der zwischen östlichem und westlichem Fahrstreifen vorhandenen Sperrlinie. (A) Durch die Kollision wurden die linken Vorderräder der beiden PKW aus deren Verankerung gerissen , wodurch das Klagsfahrzeug ins Schleudern geriet und in weiterer Folge mit seiner Fahrzeugfront mit der linken Seite des auf dem westlichen Fahrstreifen befindlichen LKW-Zugfahrzeugs sowie dem linken Vorderrad des LKW-Anhängers kollidierte. Unmittelbar nach der Kollision mit dem Klagsfahrzeug bremste der im Beklagtenfahrzeug eingebaute Notbremsassistent dieses bis zum Stillstand ab. Der Erstbeklagte versuchte währenddessen, das Fahrzeug nach rechts in Richtung Westen zurückzulenken. Der Lenker des LKW-Zugs leitete unmittelbar nach der Kollision der beiden PKW eine Vollbremsung ein und brachte den LKW-Zug zum Stillstand; im Zeitpunkt der Kollision mit dem Klagsfahrzeug befand er sich nahezu im Stillstand.
Ab welchem Zeitpunkt die Lenker der beiden PKW den jeweils anderen PKW erkennen konnten, kann nicht festgestellt werden.
(3) Wie die Lenkerin des Klagsfahrzeugs auf die Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug reagierte, insbesondere ob sie in einer gewissen Schockstarre verharrend weiterhin das Gaspedal betätigte, kann nicht festgestellt werden.
Für den Erstbeklagten wäre die Kollision mit dem Klagsfahrzeug vermeidbar gewesen, wenn er das Beklagtenfahrzeug erst nach Ende des Überholverbots und der Sperrlinie nach links gelenkt bzw das Passieren des entgegenkommenden Klagsfahrzeugs abgewartet hätte und erst dann in den östlichen Fahrstreifen gefahren wäre.
Rechtlichvertrat das Erstgericht die Ansicht, der Erstbeklagte habe gegen die Bestimmungen der §§ 9 Abs 1 (Überfahren von Sperrlinien), 16 Abs 2 lit a (Überholverbot) und 20 Abs 2 iVm 90 Abs 3 zweiter Satz (Geschwindigkeitsbeschränkung) StVO verstoßen, bei denen es sich jeweils um Schutzgesetze im Sinn des § 1311 ABGB handle. Das Überfahren der Sperrlinie und die Missachtung des Überholverbots sowie der zulässigen Höchstgeschwindigkeit würden jeweils ein rechtswidriges Verhalten des Erstbeklagten darstellen, das für den Schadenseintritt ursächlich gewesen sei. Der eingetretene Schaden sei zudem vom Schutzzweck der §§ 9 Abs 1 und 16 Abs 2 lit a StVO (nicht hingegen auch von jenem des § 90 StVO), der auf den Schutz des Gegenverkehrs abziele, umfasst. Der Erstbeklagte habe diese Verstöße [gemeint im Sinn eines Verschuldens] zu verantworten. Da grundsätzlich jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu beweisen habe, gehe die Negativfeststellung zur (Kollisions-)Geschwindigkeit des Klagsfahrzeugs zu Lasten der Beklagten, sodass zu unterstellen sei, dass die Lenkerin des Klagsfahrzeugs kein Verschulden am Zustandekommen des Unfalls treffe. Der Zweitbeklagte und die Drittbeklagte würden jeweils als Gesamtschuldner mit dem Erstbeklagten für die der Höhe nach außer Streit gestellte Klagsforderung haften; ersterer als Halter des Beklagtenfahrzeugs, zweitere als Haftpflichtversicherer gemäß § 26 KHVG.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die rechtzeitige Berufung der Beklagten , mit der sie gestützt auf die Rechtsmittelgründe der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtigen rechtlichen Beurteilung eine Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinn einer Klagsabweisung, hilfsweise dahin, dass die Gegenforderung in Höhe von EUR 17.541,14 als zu Recht bestehend festgestellt werde, anstreben; wiederum hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in ihrer fristgerechten Berufungsbeantwortung , in der sie auch eine Anschlussrüge betreffend die oben mit (A) bezeichnete Feststellung ausführt, dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.
Da die Durchführung einer Berufungsverhandlung nach Art und Inhalt der geltend gemachten Rechtsmittelgründe nicht erforderlich ist, war über die Berufung in nichtöffentlicher Sitzung zu entscheiden (§ 480 Abs 1 ZPO). Dabei erweist sie sich als nicht berechtigt .
1. Zur Beweisrüge und zur Anschlussrüge:
1.1. Die Berufungswerber bekämpfen die oben mit (1) und (3) bezeichneten Sachverhaltsannahmen und begehren an deren Stelle folgende Ersatzfeststellungen:
„Die Lenkerin des Klagsfahrzeugs hielt dabei eine Geschwindigkeit von 100 km/h ein. Das Klagsfahrzeug wurde nach der Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug nicht beschleunigt.“
Der unfalltechnische Sachverständige habe sowohl im schriftlichen Gutachten wie auch noch eingangs der mündlichen Gutachtenserörterung eine Kollisionsgeschwindigkeit des Klagsfahrzeugs von 100 km/h entsprechend seiner Simulation als plausibel bezeichnet; eine Geschwindigkeit von 80 km/h habe er zwar nicht ausschließen können, dies hätte aber vorausgesetzt, dass das Klagsfahrzeug nach der Kollision noch einmal beschleunigt worden wäre. Lasse sich – so das Argument der Berufungswerber – ein solcher Beschleunigungsvorgang, für den keine Beweisergebnisse existieren würden und dem kein entsprechendes Vorbringen zugrunde liege, aber nicht positiv feststellen, ergebe sich zwangsläufig eine Geschwindigkeit von 100 km/h. Darüber hinaus sei festgestellt worden, dass durch die Kollision der beiden PKW das jeweils linke Vorderrad aus der Verankerung gerissen worden sei; ein Beschleunigungsvorgang mit einer derartigen Beschädigung sei jedoch technisch unmöglich. Ebenso wenig nachvollziehbar sei die Negativfeststellung zur Geschwindigkeit in Anbetracht der Angaben der Lenkerin des Klagsfahrzeugs, die von 70 bis 80 km/h gesprochen habe; aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung sei nicht davon auszugehen, dass es sich dabei um eine Überschätzung handle. Auch der Erstbeklagte habe im Übrigen angegeben, das Klagsfahrzeug sei viel zu schnell unterwegs gewesen.
1.1.1.Eine Beweisrüge kann nur erfolgreich sein, wenn stichhaltige Gründe ins Treffen geführt werden, die erhebliche Zweifel an der Beweiswürdigung des Erstgerichts rechtfertigen. Der bloße Umstand, dass nach den Beweisergebnissen allenfalls auch andere Feststellungen möglich gewesen wären, oder dass in den Akten einzelne Beweisergebnisse existieren, die für den Prozessstandpunkt des Berufungswerbers sprechen, reicht im Allgemeinen noch nicht aus, eine unrichtige oder bedenkliche Beweiswürdigung mit dem Ergebnis aufzuzeigen, dass die erstinstanzlichen Feststellungen abgeändert werden müssen. Die Beweisrüge muss also überzeugend darlegen, dass die getroffenen Feststellungen entweder überhaupt zwingend unrichtig sind oder wenigstens bedeutend überzeugendere Beweisergebnisse für andere Feststellungen vorliegen (RIS-Justiz RI0100099). Die Ausführungen zur Beweisrüge müssen eindeutig erkennen lassen, aufgrund welcher Umwürdigung bestimmter Beweismittel welche vom angefochtenen Urteil abweichende Feststellungen angestrebt werden (RIS-Justiz RS0041835). Dabei reicht der Verweis auf einzelne für den Berufungswerber günstige Beweisergebnisse nicht aus; erforderlich ist vielmehr eine Auseinandersetzung mit sämtlichen Beweisergebnissen. Es ist darzustellen, warum das Erstgericht bei richtiger Beweiswürdigung gerade die begehrte Feststellung – und nicht etwa aufgrund anderer vorliegender Beweismittel andere Feststellungen – hätte treffen müssen (10 Ob 5/22s; 6 Ob 177/21d).
Mit ihrer Argumentation gelingt es den Berufungswerbern nicht, eine unrichtige Beweiswürdigung durch das Erstgericht im Sinn dieser Grundsätze aufzuzeigen.
1.1.2. Der unfalltechnische Sachverständige konnte in der abschließenden mündlichen Erörterung seines Gutachtens (ON 29 S 2 ff; insb S 3-4) aus technischer Sicht keinesfalls mit Sicherheit ausschließen , dass die Lenkerin des Klagsfahrzeugs durch die Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug etwas mehr auf das Gaspedal trat und dadurch zwischen der (ersten) Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug und der (zweiten) Kollision mit dem entgegenkommenden LKW-Zug noch etwas beschleunigte. Soweit die Rechtsmittelausführungen eine Geschwindigkeit des Klagsfahrzeugs von 100 km/h als geradezu zwingend darstellen und den gutachterlichen Erläuterungen jedenfalls eine Mindestgeschwindigkeit von 80 km/h entnehmen wollen, lassen sie die weiteren Ausführungen des Sachverständigen anlässlich der Gutachtenserörterung außer Acht: Demzufolge sei aus technischer Sicht keinesfalls ausschließbar , dass die Lenkerin des Klagsfahrzeugs, in einer gewissen Schockstarre weiterhin am Gaspedal bleibend, nahezu bis in die Unfallendlage am Gaspedal geblieben sei oder erst knapp vor der Unfallendlage den Fuß vom Gaspedal genommen habe; diesfalls könne aber auch eine Geschwindigkeit des Klagsfahrzeugs vor der Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug von 60 km/h keinesfalls mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden (ON 29 S 4).
Auch der im Rechtsmittel gezogene Schluss, eine Geschwindigkeit von 100 km/h sei zwingend, wenn der Beschleunigungsvorgang nicht in seinen Einzelheiten feststehe, verfängt nicht. Entscheidend ist, ob sich die von der Lenkerin des Klagsfahrzeugs eingehaltene Geschwindigkeit punktuell feststellen oder zumindest dahin abgrenzen lässt, ob sie höher oder niedriger war als die zulässige Geschwindigkeit von 60 km/h. Zumal ein allfälliger Beschleunigungsvorgang nach der ersten Kollision – als diesbezügliche Hilfstatsache – nach den gutachterlichen Ausführungen nicht auszuschließen ist, bleibt aber auch eine (Ausgangs-)Geschwindigkeit des Klagsfahrzeugs von nur 60 km/h im Bereich des technisch Möglichen.
Aus den Ausführungen des unfalltechnischen Sachverständigen ergibt sich daher entgegen dem Standpunkt der Berufungswerber nicht der zwingende Schluss einer Geschwindigkeit des Klagsfahrzeugs von 100 oder zumindest 80 km/h.
1.1.3.Soweit die Berufungswerber ausführen, die Klägerin habe einen entsprechenden Beschleunigungsvorgang gar nicht vorgebracht, stellen sie darauf ab, das Erstgericht hätte dazu keine Feststellungen treffen dürfen. Wenngleich ein solcher Einwand richtigerweise in der Rechtsrüge zu erheben wäre, ist ihm bereits an dieser Stelle zu erwidern, dass nach der Rechtsprechung sogenannte überschießende Feststellungen zwar nur dann berücksichtigt werden dürfen, wenn sie sich im Rahmen des geltend gemachten Klagsgrunds oder der erhobenen Einwendungen halten (RIS-Justiz RS0040318; RS0037972; RS0037964; RS0036933), dieser Rahmen aber – insbesondere bei Verkehrsunfallgeschehen – nicht zu eng gesehen werden darf und ganz präzises Vorbringen insoweit nicht zu fordern ist (2 Ob 17/03v). Abgesehen davon handelt es sich bei dem in Rede stehenden Beschleunigungsvorgang wie bereits dargestellt ohnedies um eine bloße Hilfstatsache und hat die Klägerin die Behauptung der Beklagten, die Lenkerin des Klagsfahrzeugs habe die zulässige Geschwindigkeit von 60 km/h überschritten, in erster Instanz bestritten, sodass sich die – allein maßgebliche – Negativfeststellung zur Geschwindigkeit des Klagsfahrzeugs jedenfalls im Rahmen des geltend gemachten Klagsgrunds und der erhobenen Einwendungen hält.
1.1.4. Dem Argument, ein Ausreißen des linken Vorderrads schließe einen Beschleunigungsvorgang aus technischer Sicht aus, ist zu erwidern, dass der unfalltechnische Sachverständige diesen Umstand anlässlich der mündlichen Erörterung seines Gutachtens ausdrücklich berücksichtigt und dessen ungeachtet eine Beschleunigung des Klagsfahrzeugs nach der ersten Kollision nicht ausgeschlossen hat. Konkret zog er die nicht ausschließbare Möglichkeit in Betracht, dass durch das Ausreißen des linken Vorderrads das Klagsfahrzeug nach links gedriftet und dadurch leicht beschleunigend nach links hin mit dem entgegenkommenden LKW bzw dessen Anhänger kollidiert sein könnte (ON 29 S 4). Ausgehend von diesen Ausführungen ist die im Rechtsmittel unterstellte technische Unmöglichkeit aber nicht anzunehmen.
1.1.5. Richtig ist, dass die Lenkerin des Klagsfahrzeugs angab, „sicher unter 100 km/h“ gefahren zu sein, im Weiteren aber schätzte „es werden 70 bis 80 km/h gewesen sein“ (ON 14 S 5). Diese Schätzung ist aber insoweit zu relativieren, als die Zeugin bereits eingangs ihrer Einvernahme darauf hinwies, keine durchwegs konkreten Erinnerungen zu haben (ON 14 S 4). Das Argument der Rechtsmittelwerber, aus der allgemeinen Lebenserfahrung folge, dass an Verkehrsunfällen beteiligte Lenker ihre Geschwindigkeit nicht über-, sondern unterschätzen würden, überzeugt in dieser Allgemeinheit nicht. Auch der Verweis auf die Aussage des Erstbeklagten, das Klagsfahrzeug sei „viel zu schnell“ unterwegs gewesen, lässt keinen zwingenden Schluss auf eine konkrete Geschwindigkeit zu; im Übrigen reicht, wie eingangs dargestellt, der bloße Umstand, dass einzelne Beweisergebnisse existieren, die für den Prozessstandpunkt des Berufungswerbers sprechen, nicht aus, eine unrichtige oder bedenkliche Beweiswürdigung aufzuzeigen.
1.1.6.Das (auch hier) maßgebliche Regelbeweismaß der ZPO ist die hohe und nicht eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit; es ist auch nicht die (bloß) überwiegende Wahrscheinlichkeit (RISJustiz RS0110701 [T7]). Die von den Rechtsmittelwerbern gewünschte Positivfeststellung setzt also eine hohe Wahrscheinlichkeit ihrer Richtigkeit voraus. Im Hinblick auf die vorstehend aufgezeigten Beweisergebnisse sind die bekämpften Negativfeststellungen – insbesondere zur Geschwindigkeit des Klagsfahrzeugs – daher insgesamt jedenfalls vertretbar.
1.2. Weiters möchten die Berufungswerber die oben mit (2) bezeichneten Sachverhaltsannahmen durch folgende Feststellungen – unter Einschluss der unbekämpft gebliebenen Teile – ersetzt wissen:
„Die Lenkerin des Klagsfahrzeugs befuhr den östlichen Fahrstreifen, welcher eine Breite von 4,2 m aufwies, mittig. Welchen exakten Seitenabstand sie zum östlichen Fahrbahnrand einhielt, kann nicht festgestellt werden.“
1.2.1. Die Begründung der Beweisrüge erschöpft sich in diesem Punkt in der Behauptung, eine Kollision wäre ausgehend von den festgestellten Breiten der beteiligten PKW rechnerisch selbst unter der Annahme, das Beklagtenfahrzeug wäre zur Gänze auf den östlichen Fahrstreifen gelangt, nicht möglich gewesen, sofern die Lenkerin des Klagsfahrzeugs auf dem 4,2 m breiten Fahrstreifen einen Seitenabstand von maximal 0,5 m zum rechten Fahrbahnrand eingehalten hätte; daraus folge zwingend, dass sie ihren Fahrstreifen nicht rechts, sondern zumindest mittig befahren habe.
1.2.2. Mit dieser Argumentation dringt die Beweisrüge bereits deshalb nicht durch, weil die zugrunde gelegten Prämissen unrichtig sind: Bei einem Abstand vom rechten Fahrbahnrand von 0,5 m verbliebe neben dem 1,9 m breiten Klagsfahrzeug noch ein – theoretischer – Bereich in der Breite von 1,8 m. Das ist jedenfalls zu wenig Platz für das 1,847 m breite Beklagtenfahrzeug, weshalb der Schlussfolgerung der Berufungswerber, das Klagsfahrzeug könne nicht „mittig bis rechts“ sondern nur „mittig“ gefahren sein, andernfalls es nicht zur Kollision gekommen wäre, der Boden entzogen ist.
Abgesehen davon wäre auch eine Fahrlinie eines 1,9 m breiten Fahrzeugs in einem Abstand von etwas mehr als 0,5 m zum rechten Fahrbahnrand auf einem 4,2 m breiten Fahrstreifen noch als „mittig bis rechts“ zu bezeichnen, zumal sich ein Fahrzeug mit dieser Breite rein rechnerisch (erst) bei einem Abstand von 1,15 m genau in der Mitte des Fahrstreifens befinden würde. Gegen die Negativfeststellung zum exakten Abstand zum östlichen Fahrbahnrand wendet sich die Beweisrüge indes gar nicht und zeigt damit letztlich nicht auf, inwieweit die angestrebten Ersatzfeststellungen ein für sie günstigeres Ergebnis nach sich ziehen würden.
1.2.3. Das Erstgericht legte in seiner Beweiswürdigung nachvollziehbar dar, weshalb es den Aussagen des Lenkers des LKW-Zugs sowie des weiteren Unfallzeugen I*, wonach das Beklagtenfahrzeug großteils auf den östlichen Fahrstreifen herausgefahren sei, folgte (US 8). Unter Zugrundelegung der Richtigkeit dieser Angaben zog der unfalltechnische Sachverständige wiederum den Schluss, die Lenkerin des Klagsfahrzeugs sei äußerst wahrscheinlich „mittig bis rechts“ auf ihrem 4,2 m breiten Fahrstreifen talauswärts gefahren. Die bekämpfte Feststellung findet sohin auch Deckung in den gutachterlichen Ausführungen. Zumal sich die Beweisrüge mit diesem Beweisergebnis aber nicht auseinandersetzt, muss ihr auch aus diesem Blickwinkel ein Erfolg versagt bleiben.
1.3. Die Klägerin richtet sich in ihrer Anschlussrüge „aus advokatorischer Vorsicht“ gegen die oben mit (A) bezeichnete Feststellung und strebt stattdessen die Sachverhaltsannahme an, das linke Vorderrad des Klagsfahrzeugs sei lediglich „massiv nach hinten deformiert“ worden. Dazu genügt der Verweis auf die Erwägungen oben in Punkt 1.1.4.; zumal sich aus den Ausführungen des unfalltechnischen Sachverständigen ableiten lässt, dass selbst ein Ausreißen des linken Vorderrads einen Beschleunigungsvorgang aus technischer Sicht nicht ausschließt, führt die gewünschte Ersatzfeststellung zu keinem anderen Ergebnis als die gerügte Sachverhaltsannahme.
2. Zur Rechtsrüge:
2.1. In der Rechtsrüge im engeren Sinn vertreten die Berufungswerber den Standpunkt, aus der Feststellung, die Lenkerin des Klagsfahrzeugs habe ihren Fahrstreifen mittig bis rechts befahren, folge ein Mitverschulden im Ausmaß von 50 %, weil sie gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen habe.
Diese Argumentation verkennt, dass die Behauptungs- und Beweislast für Tatumstände, aus denen ein die Haftung für die Unfallfolgen begründendes Verschulden des Gegners abgeleitet wird, grundsätzlich denjenigen trifft, der sich auf ein solches Verschulden beruft. Jede in dieser Richtung verbleibende Unklarheit geht in tatsächlicher Hinsicht zu Lasten dessen, der ein Verschulden des Gegners behauptet (RIS-Justiz RS0027310). Geht es um die Verletzung eines Schutzgesetzes, reicht der Nachweis, dass die Schutznorm objektiv übertreten wurde; es ist daher der vom Schutzgesetz erfasste Tatbestand zu beweisen (RIS-Justiz RS0112234). Diese Grundsätze sind auch anzuwenden, wenn dem Geschädigten – wie hier – die Verletzung eines Schutzgesetzes als Mitverschulden vorgeworfen wird (2 Ob 177/14i). Vorliegend konnte der exakte Abstand des Klagsfahrzeugs zum östlichen (rechten) Fahrbahnrand nicht festgestellt werden; mit der Feststellung, das Klagsfahrzeug sei innerhalb seines Fahrstreifens „mittig bis rechts“ gefahren, ist lediglich eine Bandbreite erwiesen. Dies führt in rechtlicher Hinsicht dazu, dass zu Gunsten der Lenkerin des Klagsfahrzeugs anzunehmen ist, sie sei innerhalb ihres Fahrstreifen rechts gefahren. Damit haben die Beklagten aber eine objektive Schutzgesetzverletzung in Form eines Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot des § 7 StVO nicht nachgewiesen, weshalb der Lenkerin des Klagsfahrzeugs kein Mitverschulden anzulasten ist.
2.2. Als sekundären Feststellungsmangel rügen die Berufungswerber ferner das Fehlen folgender Feststellungen:
„Der Erstbeklagte hat nach dem Ausscheren und vor der Kollision mit dem Klagsfahrzeug versucht, sein Fahrzeug zurückzulenken, wobei er dabei noch leicht nach rechts zurückfahren konnte. Die Lenkerin des Klagsfahrzeugs hätte eine Kollision mit dem Erstbeklagten bei einer Einhaltung der Geschwindigkeit von 60 km/h verhindern können, weil der Erstbeklagte dabei schon mehr als 0,1 bis 0,2 m nach rechts zurückgelenkt hätte. Eine Kollision mit dem LKW-Zug wäre dabei auch unterblieben.“
Die Feststellungsgrundlage ist nur dann mangelhaft, wenn Tatsachen fehlen, die für die rechtliche Beurteilung wesentlich sind und dies Umstände betrifft, die nach dem Vorbringen der Parteien und den Ergebnissen des Verfahrens zu prüfen waren. Werden aber zu einem bestimmten Thema (positive oder negative) Feststellungen getroffen, so ist es ein Akt der Beweiswürdigung, wenn die vom Rechtsmittelwerber gewünschten (abweichenden) Feststellungen nicht getroffen werden und können rechtliche Feststellungsmängel nicht erfolgreich geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0053317 [T1, T3]).
Hier wurde eine Negativfeststellung zur Geschwindigkeit des Klagsfahrzeugs getroffen, sodass es bereits aus diesem Blickwinkel der gewünschten hypothetischen Annahmen zur Geschwindigkeit nicht bedarf. Darüber hinaus folgt aus der weiteren Negativfeststellung, wonach offen bleiben musste, ab welchem Zeitpunkt die Lenker der beiden PKW den jeweils anderen PKW erkennen konnten, dass auch eine Vermeidbarkeit der Kollision für die Lenkerin des Klagsfahrzeugs nicht positiv feststeht. Zudem steht die Feststellung, der Erstbeklagte sei beim Überholen mit dem Großteil seines Fahrzeugs auf den östlichen Fahrstreifen gefahren, wodurch es zur Kollision der jeweils linken Vorderreifen der PKW gekommen sei, dem Wunschsachverhalt, das Beklagtenfahrzeug sei vor der Kollision noch leicht nach rechts zurückgefahren, entgegen. Das Erstgericht hat somit zu jenen Themenbereichen, auf die mit den vermissten Sachverhaltsannahmen abgezielt wird, (positive oder negative) Feststellungen getroffen, weshalb der geltend gemachte sekundäre Feststellungsmangel nicht vorliegt.
2.3. Daher ist auch der Rechtsrüge, die sonstige Aspekte nicht anspricht, und somit der Berufung insgesamt ein Erfolg zu versagen.
3.Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens stützt sich auf §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO. Die Klägerin verzeichnete die Kosten ihrer Berufungsbeantwortung rechtzeitig und tarifkonform.
4.Da eine Rechtsfrage mit der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität nicht zu lösen war, ist auszusprechen, dass die ordentliche Revision nicht zulässig ist (§ 500 Abs 2 Z 3 ZPO).
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