Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch den Senatspräsidenten Mag. Knapp, LL.M., als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Dr. Offer und Mag. Preßlaber als weitere Mitglieder des Senats in der Strafsache gegen A*wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB über die Berufung der Angeklagten wegen Nichtigkeit sowie der Aussprüche über die Schuld, die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche gegen das einzelrichterliche Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 24.4.2025, GZ **-72, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Aus Anlass der Berufung wird das angefochtene Urteil a u f g e h o b e n und die Sache an das Erstgericht mit dem Auftrag zu einem Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der Strafprozessordnung z u r ü c k v e r w i e s e n.
Mit ihrer Berufung wird die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde die ** geborene Angeklagte A* des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach §§ 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB schuldig erkannt.
Demnach habe sie am 1.7.2023 in ** (zu ergänzen: US 5) die im Bereich der Böschung 80 cm oberhalb auf einem rund 40 cm schmalen, abschüssigen teils mit Gras bewachsenen Erduntergrund gestandene DI B* dadurch, dass sie auf DI B* zugegangen ist, (zu ergänzen: US 5) eine plötzliche Bewegung nach oben in Richtung ihres Mobiltelefons machte und gegen ihren Körper gestoßen hat, sodass diese zu Sturz kam, fahrlässig DI B* am Körper verletzt, wobei die Tat eine an sich leichte Körperverletzung verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung, nämlich Schürfwunden am rechten Unterarm, eine Steißbeinprellung, eine leichte Zerrung der Strukturen der Halswirbelsäule samt einer über das normale Ausmaß hinausgehenden psychischen Verletzungskomponente mit eigenem Krankheitswert (eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung mit Somatisierung), zur Folge hatte.
Hiefür verhängte das Erstgericht über die Angeklagte nach dem ersten Strafsatz des § 88 Abs 4 StGB eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je EUR 4,--, im Fall der Uneinbringlichkeit 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, sah die Hälfte der Geldstrafe gemäß § 43a Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nach und verurteilte sie gemäß § 369 Abs 1 StPO zur Zahlung eines Betrages von EUR 1.000,-- an die Privatbeteiligte DI B* binnen 14 Tagen ab Rechtskraft des Urteils sowie gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens.
Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig angemeldete (ON 69) und schriftlich fristgerecht ausgeführte Berufung der Angeklagten wegen Nichtigkeit unter Geltendmachung der Nichtigkeitsgründe nach §§ 489 Abs 1, 281 Abs 1 Z 5 und 10 StPO und wegen der Aussprüche über die Schuld, die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche (ON 73).
Während die Staatsanwaltschaft Innsbruck ausdrücklich auf die Erstattung von Gegenausführungen verzichtete (ON 74), beantragte die Privatbeteiligte DI B* der Berufung der Angeklagten keine Folge zu geben (ON 75).
Die Oberstaatsanwaltschaft vertritt in ihrer Stellungnahme, zu welcher sich die Berufungswerberin äußerte, den Standpunkt, dass die Mängelrüge (§§ 489 Abs 1, 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO) berechtigt sei und das angefochtene Urteil im Übrigen keine taugliche Grundlage für den Ausschluss einer diversionellen Erledigung (§§ 489 Abs 1, 471, 290 Abs 1 zweiter Satz iVm § 281 Abs 1 Z 10a StPO) biete.
Aus Anlass der Berufung ( Ratz in Fuchs/Ratz, WK StPO § 290 Rz 5 und 7) überzeugte sich das Berufungsgericht davon, dass dem Urteil eine sich zum Nachteil der Angeklagten auswirkende, von dieser jedoch nicht geltend gemachte Nichtigkeit (§ 489 Abs 1 iVm § 281 Abs 1 Z 10a StPO) anhaftet.
Ein Urteil ist aus Z 10a dann nichtig, wenn die darin enthaltenen Feststellungen bei richtiger Rechtsansicht die Nichtanwendung der Diversion nicht zu tragen vermögen oder wenn Ergebnisse der Hauptverhandlung auf einen Umstand hindeuten, der für die positive Beurteilung der diversionellen Voraussetzungen den Ausschlag gäbe, das Gericht aber dazu keine Feststellungen getroffen hat ( RatzaaO § 281 Rz 659). Ob die in der Gesamtheit in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen einwandfrei ermittelt oder mängelfrei dargestellt werden, ist irrelevant; Gegenstand der Z 10a ist nämlich – abgesehen vom Fall eines Feststellungsmangels – ausschließlich die rechtsfehlerhafte Beurteilung der tatsächlichen Urteilsannahmen, nicht aber deren einwandfreie Ermittlung (RIS-Justiz RS0119092).
Von einem hinreichend geklärten Sachverhalt nach § 198 Abs 1 StPO kann im Sinne einer hohen Verurteilungswahrscheinlichkeit ( Schroll/Kert in Fuchs/Ratz, WK StPO § 198 Rz 3 f) aufgrund des abgeführten Beweisverfahrens, insbesondere der Verantwortung der Angeklagten und der Angaben der Zeugen in Zusammenschau mit dem die Standposition des Opfers zeigenden Lichtbild in ON 54.2, 7, der vorliegenden Videoaufzeichnung (ON 17) und der Ergebnisse der eingeholten Sachverständigengutachten samt deren Erörterung (ON 12.2, ON 20.2, ON 28.2 und ON 51, 10ff; vgl im Übrigen zum [hier nicht vorliegenden] atypischen Kausalverlauf: RIS-Justiz RS0088955, RS0089230; und zur [hier nicht vorliegenden] atypischen Ungefährlichkeit der Begehungsweise: RIS-Justiz RS0089151) ausgegangen werden.
Bei einem wie hier vorliegenden Fahrlässigkeitsdelikt mit geringer Strafobergrenze (bis zu sechs Monate Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen) wird angesichts des vom Gesetz solcherart zum Ausdruck gebrachten geringen sozialen Störwerts in der Regel ein noch nicht schweres Verschulden gegeben sein ( Schroll/KertaaO Rz 29f). Fallbezogen sind keine schuldsteigernden Momente ersichtlich, wohingegen sich der bisherige ordentliche Lebenswandel der Angeklagten, der mit der Tat im auffallenden Widerspruch steht, sowie die Tatprovokation durch das Opfer mildernd auswirken. Bei Gesamtbetrachtung aller nach Lage des konkreten Einzelfalls maßgeblichen Kriterien liegt somit bei der Angeklagten keine schwere Schuld im Sinne des § 198 Abs 2 Z 2 StPO vor.
Mag auch ein Geständnis nicht als generelle Voraussetzung für eine diversionelle Erledigung angesehen werden, so erfordert die – bei allen Diversionsvarianten vorgesehene – (innere) Bereitschaft zur Schadensgutmachung und zum Tatfolgenausgleich eine Verantwortungsübernahme, die nur bei entsprechendem Unrechtsbewusstsein möglich ist. Ein das Unrecht des Gesamtverhaltens, also auch alle Begleiterscheinungen der Tat mitumfassendes Schuldeinbekenntnis ist indes nicht Diversionsvoraussetzung (RIS-Justiz RS0116299 [insb T3 und T4]).
Dies vorangestellt ist fallbezogen – entgegen der Ansicht des Erstgerichts (US 16: „mangelnde Schuldeinsicht“) – davon auszugehen, dass die für ein diversionelles Vorgehen erforderliche Verantwortungsübernahme der Angeklagten, wenngleich sie sich nicht formal schuldig bekannte, vorlag. So räumte diese stets die (instabile) Standposition des Tatopfers zum Tatzeitpunkt auf einem schmalen, abschüssigen Böschungsvorsprung etwa 80 cm oberhalb von ihr ein, tat überdies bereits im Ermittlungsverfahren im Rahmen ihrer schriftlichen Stellungnahme, auf welche sie anlässlich ihrer polizeilichen Vernehmung verwies (ON 2.3, 3), kund, sich für das entstandene Ungemach zu entschuldigen und zur Verantwortungsübernahme bereit zu sein, und gestand dabei gleichzeitig auch zu, dass sie sich aufgrund einer Provokation von DI B* dazu hinreißen habe lassen, sich dieser anzunähern und diese „mit einer Hand am Unterschenkel zu berühren“ bzw. „mit einer Hand gegen den Unterschenkel der Zeugin“ gegriffen zu haben (ON 2.7). Im ersten Rechtsgang sprach sie weiters davon, „sicher“ ihren Teil dazu (gemeint: zu den Verletzungen des Tatopfers) zwar nicht bewusst, so doch „emotional“ beigetragen zu haben, wobei DI B*, welcher sie das Handy wegnehmen habe wollen, nach einer von ihr (der Angeklagten) durchgeführten „Wischbewegung“ heruntergerutscht sei (ON 51, 2 ff). Im zweiten Rechtsgang stritt die Angeklagte letztlich eine Berührung zwischen ihr und DI B* nicht ab, sondern gestand zu, dass es durchaus sein könne, die Genannte mit ihrem rechten Ellbogen berührt zu haben, als sie (die Angeklagte) eine Bewegung nach vorne gemacht habe (ON 71, 5). Nach Erörterung einer nach Ansicht des Erstgerichts unter der Bedingung der Bezahlung eines Teilschadenersatzes von EUR 1.000,-- an DI B* möglichen diversionellen Erledigung des Strafverfahrens (vgl ON 71, 3) deponierte die Angeklagte, bereit zu sein, die Verantwortung für den Vorfall zu übernehmen, wobei sie ihrerseits erklärte, anstatt des von DI B* als Teilschmerzengeld geltend gemachten Betrages von EUR 1.000,--, einen solchen in Höhe von EUR 1.500,-- zu bezahlen, „wenn damit alles abgegolten wäre“. Dies wurde jedoch von DI B* abgelehnt, woraufhin die Angeklagte ausführte „unter diesen Umständen keine Verantwortung übernehmen [zu können]“. Ein konkretes Diversionsanbot wurde der Angeklagten nicht unterbreitet (ON 71, 4).
Ausgehend davon scheiterte eine Diversion – worauf die Oberstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist – in casu jedoch nicht an einer mangelnden Verantwortungsübernahme, sondern an – nach Ansicht der Angeklagten überhöhten – finanziellen Forderungen von DI B*. Das 11. Hauptstück der Strafprozessordnung zielt (auch) auf eine größtmögliche Stärkung der Verfahrensposition des Tatopfers, indem die Schadensgutmachung bzw. ein Betrag zum Tatfolgenausgleich als wesentliche und stets mitzuprüfende Voraussetzung für ein diversionelles Vergehen herausgestrichen wird (vgl §§ 200 Abs 3, 201 Abs 3, 203 Abs 2, 204 Abs 1 StPO; Schroll/KertaaO Vor §§ 198–209b Rz 4). § 206 Abs 1 StPO schränkt die grundsätzlich anzustrebende vollständige Restitution des Geschädigten oder Verletzten durch Schadensgutmachung oder Tatfolgenausgleich dahingehend ein, dass die Interessen des Opfers „im größtmöglichen Ausmaß“, demgemäß nicht unabdingbar in allen Fällen und in gesamten Umfang zu fördern sind. Damit wäre aber grundsätzlich eine diversionelle Erledigung auch ohne Schadensgutmachung möglich. Von den mehreren zur Verfügung stehenden Diversionsformen setzt dabei auch nur jenes des Tatausgleichs explizit die Zustimmung des Opfers voraus, die aber ebenso wenig uneingeschränkt zu beachten ist (§ 204 Abs 2 zweiter Satz StPO; Schroll/Ker t aaO § 204 Rz 8). Allein die nach Ansicht der Angeklagten überhöhten Forderungen von DI B* sowie der Umstand, dass diese auf „allfällige weitere Ansprüche“ nicht verzichtete (ON 71, 3), rechtfertigen demnach nicht den Ausschluss einer diversionellen Erledigung. Ebensowenig stehen einem solchen generalpräventive Erfordernisse entgegen.
Weil damit die Nichtanwendung einer Diversion durch das Erstgericht unter Hinweis auf eine „mangelnde Schuldeinsicht“ rechtsfehlerhaft erfolgte, war das Urteil aus Anlass der Berufung als nichtig aufzuheben, die Strafsache mit dem Auftrag zu einem Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der Strafprozessordnung an das Erstgericht (§§ 489 Abs 1, 470 Z 3 StPO) und die Angeklagte mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen.
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