Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Dr. Wurdinger als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Dr. Steger, Mag. Wessely Kristöfel, Dr. Parzmayr und Dr. Vollmaier als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 9.056,70 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 4. Oktober 2024, GZ 3 R 69/24d 41, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Hall (in Tirol) vom 19. Jänner 2024, GZ 3 C 307/22k 35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im Umfang der Anfechtung (6.037,80 EUR sA und Kostenentscheidungen) aufgehoben. Die Rechtssache wird insofern an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Verfahrenskosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Begründung:
[1] Der Kläger erwarb am 6. 12. 2021 einen Gebrauchtwagen der Marke Seat Alhambra 2.0 TDI um 30.189 EUR bei einem Autohändler. Im Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Baureihe EA 288 verbaut, und zwar ein TDI Motor der neuesten Generation Euro 6 inklusive SCR Katalysator/AdBlue. Die Beklagte hat den Antrieb für das gegenständliche Fahrzeug entwickelt.
[2] Nach den Feststellungen des Erstgerichts gibt es keinen Hinweis darauf, dass bei dem Fahrzeug im Temperaturbereich zwischen -24 und +70 Grad Celsius die Abgasrückführung aufgrund der Außentemperatur verändert wird.
[3] Der Kläger begehrt von der beklagten Motorherstellerin im Revisionsverfahren nur mehr Schadenersatz von 6.037,80 EUR sA (Minderwert des Fahrzeugs in Höhe von 20 % des Kaufpreises). Im Fahrzeug seien unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut, und zwar sei die Abgasrückführung (AGR) lediglich in einem Temperaturbereich von +15 bis +33 Grad Celsius voll funktionsfähig. Zudem sei – soweit im Revisionsverfahren noch von Relevanz – eine unzulässige Höhenabschaltung verbaut, die bewirke, dass ca über 1.000 Höhenmeter die Wirksamkeit der AGR reduziert werde, ohne technisch notwendig zu sein, um vor plötzlich auftretenden unmittelbaren Motorschäden zu schützen. Das Klagebegehren wurde insbesondere auf Haftung der Beklagten wegen Schutzgesetzverletzung gestützt.
[4] Die Beklagte bestreitet. Der Motor enthalte keine unzulässige Abschalteinrichtung und sie habe als bloße Motorherstellerin kein rechtswidriges oder schuldhaftes Verhalten gesetzt.
[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Klagsfahrzeug sei nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision nachträglich zu.
[7] Es stehe unbekämpft fest, dass die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems bei gegenständlichem Fahrzeug unter Bedingungen, die bei normalem Fahrbetrieb vernünftigerweise zu erwarten seien, nicht verringert werde. Damit habe das Erstgericht unbekämpft festgestellt, dass beim Fahrzeug des Klägers eine unveränderte „Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems insgesamt“ sichergestellt sei. Dem Kläger sei daher der Nachweis des Vorliegens einer Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG nicht gelungen.
[8] Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die vom Berufungsgericht dem Tatsachenbereich zugeordnete Feststellung womöglich auch Elemente einer rechtlichen Beurteilung enthalte.
[9] Gegen dieses Urteil wendet sich im Umfang der Abweisung von 6.037,80 EUR sA die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[10] Die Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel des Klägers zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
[11] Die Revision ist wegen sekundärer Feststellungsmängel zulässig . Sie ist auch im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt .
[12] 1. Der Kläger kommt in der Revision nicht mehr auf seine Vorwürfe zurück, dass die NOx Grenzwerte im Realbetrieb nicht eingehalten werden, die AdBlueEinspritzung außerhalb des Temperaturbereichs von +15 bis +33 Grad Celsius und über 120 km/h unzulässig reduziert/abgeschaltet werde und im Fahrzeug eine unzulässige Taxifunktion verbaut sei, die eine reduzierte Wirksamkeit der AGR im Fall eines Betriebs im Leerlauf von 900 Sekunden (15 Minuten) bewirke. Diese Themen sind somit nicht mehr verfahrensgegenständlich (vgl RS0043317 [T4]).
[13]2. Eine unzulässige Abschalteinrichtung gemäß der Legaldefinition des Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG liegt nur dann vor, wenn die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen verringert wird, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind. Um von einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgehen zu können, muss daher auch die Verringerung der Emissionskontrolle bei normalen Fahrbedingungen und nicht bloß der Einsatz eines Konstruktionsteils nachgewiesen sein, der einen beliebigen Teil des Emissionskontrollsystems aktiviert, verzögert oder deaktiviert. Bei Vorhandensein eines Thermofensters bedeutet dies, dass dieses unter den üblichen bzw vernünftigerweise zu erwartenden klimatischen Bedingungen im Unionsgebiet aktiv sein, also die Wirkung des Emissionskontrollsystems beeinträchtigen muss (6 Ob 175/23p [Rz 60]; EuGH C 128/20, GSMB Invest , Rn 40).
[14] 3. Der Kläger meint, aufgrund der Feststellung, wonach es keinen Hinweis darauf gibt, dass bei dem Fahrzeug im Temperaturbereich zwischen -24 und +70 Grad Celsius die Abgasrückführung aufgrund der Außentemperatur verändert wird, stehe nicht fest, ob die AGR-Rate in diesem Bereich verändert werde oder nicht.
[15]Dieser Ansicht kann nicht beigetreten werden, zumal das Erstgericht (in seiner rechtlichen Beurteilung) klargestellt hat, dass beim gegenständlichen Motor „die Abgasrückführung [...] im Temperaturbereich zwischen -24 bis +70 Grad Celsius nicht angesteuert“ wird. Es kann daher keinen Zweifel am Bedeutungsgehalt der Feststellung dahin geben, dass das vorliegende Thermofenster erst außerhalb des Temperaturbereichs zwischen -24 und +70 Grad Celsius eine Reduktion der Abgasrückführung bewirkt. Wie der Oberste Gerichtshof zu 3 Ob 179/24f [Rz 19] (ebenso 1 Ob 189/24m [Rz 11]; 10 Ob 57/24s [Rz 11]) ausgesprochen hat, handelt es sich bei Temperaturen außerhalb von -24 und +70 Grad Celsius zweifellos nicht mehr um Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind. Vielmehr deckt ein derart großer Temperaturbereich, in dem die Abgasrückführung voll funktioniert, die üblichen Fahrbedingungen im Unionsgebiet ab.
[16] 4. Der Kläger macht in der Revision weiters geltend, dass auch die Reduzierung der AGR-Rate ab einer SCRBetriebstemperatur von 200 Grad Celsius unzulässig sei, weil sich daraus eine Erhöhung der NOx-Emissionen (aufgrund geringerer AGR-Rate) ergebe, ohne dass dies aus Gründen des Motorschutzes technisch notwendig sei. Dem ist zu erwidern, dass er – wie die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung zutreffend entgegnet – zu diesem selbständig beurteilbaren Teilbereich eine Rechtsrüge in zweiter Instanz nicht ausgeführt hat (RS0043573 [T33]; vgl RS0043480 [T22]), die in der Revision nicht nachgeholt werden kann.
[17] 5. Richtig zeigt der Revisionswerber allerdings auf, dass sich die „Feststellung“, die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems werde beim Fahrzeug unter Bedingungen, die bei normalem Fahrbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, nicht verringert, in der Wiedergabe eines Teils der Legaldefinition des Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG erschöpft, ohne mit einem entsprechenden Tatsachensubstrat unterfüttert zu sein. Das Ersturteil lässt nicht erkennen, ob sich die Richterin mit dem – in zweiter und auch in dritter Instanz noch aufrechterhaltenen – Vorbringen des Klägers auseinandergesetzt hat, wonach im Fahrzeug eine unzulässige Höhenabschaltung verbaut sein soll, und darüber abgesprochen hat. Die sich auf den Verordnungstext beschränkende „Feststellung“ allein deckt daher entgegen der Meinung des Berufungsgerichts dieses Thema nicht ab.
[18] Da somit (nähere) Feststellungen zur Höhenabschaltung und zum Ausnahmetatbestand Motorschutz fehlen, sind die Vorentscheidungen im Umfang der Anfechtung aufzuheben. Das Erstgericht wird (allenfalls nach Ergänzung des Verfahrens) entsprechende Feststellungen nachzutragen haben, auf deren Grundlage nachvollzogen werden kann, ob beim Fahrzeug eine Abschalteinrichtung vorliegt, die unter den vernünftigerweise zu erwartenden normalen Fahrbedingungen im (gesamten) Unionsgebiet die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems insgesamt verringert.
[19] Sollte (auch) unter Berücksichtigung der (behaupteten) Höhenabschaltung diese Frage zu verneinen sein, wäre das Klagebegehren abzuweisen. Sollte sich allerdings herausstellen, dass aufgrund einer Höhenabschaltung von einer im Sinn des Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegangen werden muss, wäre für die Frage der – im Revisionsverfahren ausschließlich auf Schutzgesetzverletzung gegründeten – Haftung der Beklagten das zu C 751/24 beim EuGH anhängige Vorabentscheidungsersuchen des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien präjudiziell.
[20] Die noch in erster Instanz geltend gemachten weiteren Anspruchsgrundlagen hat der Kläger im Rechtsmittelverfahren nicht aufrechterhalten.
[21] 6. Der Revision ist daher im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags Folge zu geben.
[22]7. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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