L524 2290717-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA Türkei, vertreten durch RA Mag. Stefan HARG, Belruptstraße 5, 6900 Bregenz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.03.2024, Zl. 1344574610/240398294, betreffend Erlassung einer Ausweisung, zu Recht:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 21.03.2024, Zl. 1344574610/240398294, wurde der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.).
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.
II. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger. Er schloss am XXXX 2019 vor dem Standesamt XXXX (Türkei) die Ehe mit der türkisch-bulgarischen Doppelstaatsangehörigen XXXX , geb. XXXX . Die Ehegatten lebten danach in einem gemeinsamen Haushalt in XXXX .
Die Ehegattin ist seit 01.08.2022 in Österreich gemeldet. Ihr wurde am 24.10.2022 eine Anmeldebescheinigung ausgestellt.
Am 24.03.2023 reiste der Beschwerdeführer mit einem Visum C in Österreich ein. Dem Beschwerdeführer wurde eine von 28.08.2023 bis 28.08.2028 gültige Aufenthaltskarte für EU-Familienangehörige ausgestellt. Der Beschwerdeführer ist seit 02.11.2023 erwerbstätig.
In der Türkei wurde ein Scheidungsverfahren eingeleitet. Die Scheidungsklage stammt vom 10.04.2024. Das Verfahren wurde mit Beschluss vom 16.04.2024 zugelassen. Das in Österreich geführte Scheidungsverfahren wurde mit Klage des Beschwerdeführers vom 15.04.2024, eingelangt beim Bezirksgericht XXXX am 18.04.2024, eingeleitet. Mit Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom 26.02.2025, XXXX , wurde die Ehe gemäß § 55a EheG geschieden.
III. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zur Eheschließung ergeben sich aus einem türkischen Auszug aus dem Heiratsregister (AS 49), den Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA (AS 157) und den Angaben der Ehegattin vor der Polizei (AS 87ff).
Die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung für die Ehegattin ergibt sich aus ebendiesem Dokument (AS 65). Aus dem Melderegister ergibt sich die Meldung der Ehegattin (OZ 2).
Die Einreise des Beschwerdeführers in Österreich ergibt sich aus einem Einreisestempel im Reisepass des Beschwerdeführers (AS 33). Die Erteilung des Aufenthaltstitels ergibt sich aus einem IZR-Auszug. Die Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag (AS 251 und OZ 7) sowie einem AJ-Web-Auszug (AS 181 und OZ 7).
Die Feststellungen zu den in den Türkei und Österreich geführten Scheidungsverfahren ergeben sich aus dem Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom 26.02.2025, XXXX dem am selben Tag vor dem Bezirksgericht XXXX geschlossenen Vergleich und einer Mitteilung des Bezirksgerichts XXXX vom 06.08.2025.
IV. Rechtliche Beurteilung:
A) Stattgabe der Beschwerde:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) lauten auszugsweise:
„Ausweisung
§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
(2) …
(3) …“
Die maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes lauten auszugsweise:
„Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate
§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder
3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.
(2) …
(3) …
Aufenthaltskarten für Angehörige eines EWR-Bürgers
§ 54. (1) Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, sind zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von vier Monaten ab Einreise zu stellen. § 1 Abs. 2 Z 1 gilt nicht.
(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass, die Anmeldebescheinigung oder die Bescheinigung des Daueraufenthalts des zusammenführenden EWR-Bürgers sowie folgende Nachweise vorzulegen:
1. nach § 52 Abs. 1 Z 1: ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft;
2. nach § 52 Abs. 1 Z 2 und 3: ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern über 21 Jahren und Verwandten des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung.
(3) …
(4) …
(5) Das Aufenthaltsrecht der Ehegatten oder eingetragenen Partner, die Drittstaatsangehörige sind, bleibt bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder Auflösung der eingetragenen Partnerschaft erhalten, wenn sie nachweisen, dass sie die für EWR-Bürger geltenden Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 oder 2 erfüllen und
1. die Ehe bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungs- oder Aufhebungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet;
2. die eingetragene Partnerschaft bis zur Einleitung des gerichtlichen Auflösungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet;
3. ihnen die alleinige Obsorge für die Kinder des EWR-Bürgers übertragen wird;
4. es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, insbesondere weil dem Ehegatten oder eingetragenem Partner wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Interessen ein Festhalten an der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft nicht zugemutet werden kann, oder
5. ihnen das Recht auf persönlichen Umgang mit dem minderjährigen Kind zugesprochen wird, sofern das Pflegschaftsgericht zur Auffassung gelangt ist, dass der Umgang – solange er für nötig erachtet wird – ausschließlich im Bundesgebiet erfolgen darf.
(6) Der Angehörige hat diese Umstände, wie insbesondere den Tod oder Wegzug des zusammenführenden EWR-Bürgers, die Scheidung der Ehe oder die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft, der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben.
(7) Liegt eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30), eine Zwangsehe oder Zwangspartnerschaft (§ 30a) oder eine Vortäuschung eines Abstammungsverhältnisses oder einer familiären Beziehung zu einem unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger vor, ist ein Antrag gemäß Abs. 1 zurückzuweisen und die Zurückweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Antragsteller nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts fällt.
Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate
§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.
(3) …
(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.
(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ quotenfrei zu erteilen.
(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird.“
Das BFA erließ gegen den Beschwerdeführer eine Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG, da dem Beschwerdeführer das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht mehr zukomme, weil er mit seiner Ehegattin seit 04.10.2023 nicht mehr in einem gemeinsamen Haushalt lebe.
Im Fall des Beschwerdeführers ist eine Ausweisung möglich, wenn ihm aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, er ist zur Arbeitssuche eingereist und kann nachweisen, dass er weiterhin Arbeit sucht und begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden.
Ein Aufenthaltsrecht nach § 55 Abs. 3 NAG besteht dann nicht, wenn die Nachweise nach § 54 Abs. 2 NAG nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen.
Gemäß § 30 Abs. 1 NAG darf sich ein Ehegatte, der ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK nicht führt, für die Erteilung und Beibehaltung eines Aufenthaltstitels nicht auf die Ehe berufen. Ein bloß formales Eheband reicht also nicht aus, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen abzuleiten, es muss vielmehr eine durch ein Familienleben gekennzeichnete (echte) Ehe vorliegen (vgl. VwGH 14.06.2022, Ra 2021/22/0128). Eine (echte) Ehe – wie auch eine eheähnliche Lebensgemeinschaft – besteht aus einer Geschlechts-, Wohnungs- und Wirtschaftsgemeinschaft, wobei aber das eine oder andere Merkmal weniger ausgeprägt sein kann. Es kommt regelmäßig auf die Gesamtumstände des Einzelfalls an, wobei insbesondere der Wirtschaftsgemeinschaft überragende Bedeutung beizumessen ist. Eine Geschlechtsgemeinschaft ist gegenüber den sonstigen Merkmalen zwar von untergeordneter Bedeutung (vgl. VwGH 26.03.2015, Ro 2014/22/0026), es bedarf aber diesbezüglicher Feststellungen (vgl. VwGH 24.03.2023, Ra 2019/22/0215).
Das Fehlen eines gemeinsamen Haushaltes bzw. eines gemeinsamen Wohnsitzes führt nicht per se zu der Annahme, dass eine Aufenthaltsehe vorliegt (vgl. VwGH 08.10.2019, Ra 2019/22/0185).
Das BFA stellte ausschließlich darauf ab, dass der Beschwerdeführer und seine Ehegattin ab 04.10.2023 nicht mehr in einem gemeinsamen Haushalt gemeldet waren. Dies greift jedoch zu kurz. Vielmehr ist in diesem Zusammenhang nämlich auch zu berücksichtigen, dass die Ehe bereits 2019 geschlossen wurde, die Ehegatten danach gemeinsam in XXXX lebten, die Ehegattin erst seit August 2022 in Österreich lebt und der Beschwerdeführer seit März 2023 in Österreich aufhältig ist. Von einer Aufenthaltsehe kann angesichts dieser Umstände nicht ausgegangen werden. Das Nichtbestehen eines Aufenthaltsrechts aus dem Grund des Vorliegens einer Aufenthaltsehe nach § 30 NAG liegt daher nicht vor.
Der Beschwerdeführer ist nun seit 26.02.2025 geschieden, womit die Voraussetzung des Bestehens einer Ehe nicht mehr vorliegt.
Allerdings bleibt nach § 54 Abs. 5 Z 1 NAG das Aufenthaltsrecht bei Scheidung dann bestehen, wenn der Beschwerdeführer die für EWR-Bürger geltenden Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erfüllt und die Ehe bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungs- oder Aufhebungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, da der Beschwerdeführer Arbeitnehmer ist, die Ehe am XXXX 2019 geschlossen wurde und das Scheidungsverfahren mit Klage des Beschwerdeführers vom 15.04.2024, eingelangt beim Bezirksgericht am 18.04.2024, eingeleitet wurde. Damit bleibt sein Aufenthaltsrecht bestehen.
Schließlich ist – unabhängig von den bisherigen Erwägungen – zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer auch zur Arbeitssuche eingereist ist und seit 02.11.2023 in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis steht (vgl. VwGH 29.08.2024, Ra 2021/21/0128, wonach schon das nachhaltige Bemühen um eine Arbeitsstelle, sofern dieses Bemühen objektiv nicht aussichtslos ist, ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht vermitteln kann), weshalb schon aus diesem Grund eine Ausweisung nicht zulässig ist.
Von einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden, da die Akten erkennen ließen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.
B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung mit der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes übereinstimmt.
Rückverweise