IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER über die Beschwerde des serbischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 31.10.2024, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht:
A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B)Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (BF) befindet sich seit XXXX 2013 in Österreich und besitzt seit XXXX 2018 eine Daueraufenthaltskarte als Angehöriger eines EWR-Bürgers, mit Gültigkeit bis XXXX .2028.
Am XXXX 2024 wurde der BF festgenommen und in die Justizanstalt XXXX eingeliefert. In weiterer Folge wurde die Untersuchungshaft über ihn verhängt.
Mit Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 02.07.2024 wurde der BF aufgefordert, sich zur beabsichtigten Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme (Rückkehrentscheidung/Einreiseverbot) zu äußern und Fragen zu seinem Privat- und Familienleben und seinem Aufenthalt in Österreich zu beantworten. In einem wurden ihm Länderfeststellungen übermittelt. Der BF erstattete keine Stellungnahme.
Mit Urteil des Landesgerichts XXXX , vom XXXX .2024, XXXX , wurde der BF wegen des Verbrechens des versuchten schweren Raubes, des Verbrechens der schweren Körperverletzung, des Vergehens der schweren Sachbeschädigung und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffG, zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Mit Schreiben des BFA vom 04.10.2024 wurde der BF aufgefordert, zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes Stellung zu nehmen und konkrete Fragen zu seinem Privat- und Familienleben zu beantworten. Der BF erstattete keine Stellungnahme.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid erließ das BFA gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein siebenjähriges Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), erteilte ihm gemäß § 70 Abs 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und erkannte einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit seinen strafgerichtlichen Verurteilungen begründet. Der BF verfügt zwar über ein ausgeprägtes Privatleben in Österreich, jedoch überwiegt aufgrund seiner gravierenden Straffälligkeit das öffentliche Interesse an Ordnung und Sicherheit.
Dagegen richtet sich die erhobene Beschwerde mit den Anträgen, eine Beschwerdeverhandlung anzuberaumen, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, der Beschwerde stattzugeben und den Bescheid zu beheben; in eventu das Aufenthaltsverbot auf eine angemessene Dauer herabzusetzen sowie in eventu den Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.
Der BF begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass er eine Daueraufenthaltskarte besitze, da er mit 17 Jahren zu seiner Mutter nach Österreich gekommen sei. Er halte sich seit August 2013 und somit seit mehr als zehn Jahren durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet auf. In Österreich würden sich sein Halbbruder, sein Bruder sowie seine Freundin aufhalten. Seine Mutter lebe mittlerweile in der Schweiz. Der BF bereue seine Straftaten sehr. Es bestehe ein intensiver und regelmäßiger Kontakt zu seinen Angehörigen, besonders bestehe zu seinem Bruder ein enges emotionales Abhängigkeitsverhältnis. Er führe mit seiner Freundin seit mehr als drei Jahren eine Beziehung, die ihn regelmäßig in Haft besuche. Der BF habe kaum Bindungen mehr zu seinem Heimatstaat. Er wisse nicht wo er wohnen solle oder sein Leben finanzieren könne, da es schwierig sei, eine Arbeit zu finden. Der BF sei seit 2014 durchgehend bei unterschiedlichen Firmen beschäftigt, er könne nach seiner Enthaftung seine Tätigkeit beim letzten Arbeitgeber fortführen. Zudem sei der BF im serbischen Verein XXXX in XXXX ein Mitglied und spiele dort Fußball. Der BF verfüge über eine verfestigte Integration und ein intensives Privat- und Familienleben. Er spreche fließend Deutsch.
Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 06.12.2024 vor.
Feststellungen:
Der BF ist serbischer Staatsangehöriger und wurde in XXXX /Serbien geboren. Er spricht serbisch und deutsch. Er ist ledig und hat keine Sorgepflichten. Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Der BF ist im Besitz eines gültigen Reispasses und eines gültigen Personalausweises.
Der BF besuchte in Serbien vier Klassen Volks- und Hauptschule und hat keinen Beruf erlernt. Er wuchs in Serbien mit seinem um zwei Jahre älteren Bruder in Kinderheimen auf. Im Alter von 17 Jahren kam er mit seinem Bruder zur Mutter nach Österreich und begann eine Maurerlehre, die er nicht abschloss. Er war als Bauhilfsarbeiter beschäftigt und verrichtete Eisenbiegerarbeiten. Im Jahr 2015 oder 2016 reiste er nach Frankreich, um sich für die Fremdenlegion anwerben zu lassen. Nach kurzer Zeit kehrte er nach Österreich zurück und arbeitete fallweise wieder als Hilfsarbeiter am Bau. Zuletzt war er ohne Beschäftigung und Einkommen und lebte von Geldaushilfen und Unterstützungen der Mutter. Ein Bruder sowie ein Halbbruder leben in Österreich. Die Mutter des BF ist ungarische Staatsangehörige und in Österreich gemeldet, hält sich jedoch derzeit in der Schweiz auf. Der BF führt seit mehr als drei Jahren eine Beziehung im Bundesgebiet.
Dem BF wurde erstmals am XXXX .2013 eine Aufenthaltskarte „Angehörige eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers“ erteilt. Seit XXXX .20218 ist er im Besitz einer Daueraufenthaltskarte, die bis XXXX .2028 gültig ist.
Der BF verfügt seit XXXX 2013 über einen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet und ist seitdem mit einer kurzen Unterbrechung von ungefähr drei Monaten im Jahr 2016 durchgehend in Österreich gemeldet. Als Unterkunftgeber scheint seine Mutter auf. Sein Bruder ist an derselben Adresse gemeldet.
Der BF ging seit XXXX 2014 bis XXXX 2023 mit kurzen Unterbrechungen einer Beschäftigung bei verschiedenen Arbeitgebern als Arbeiter nach. Im Zeitraum 2015 bis 2022 bezog der BF immer wieder Arbeitslosengeld.
Am XXXX .2024 wurde der BF festgenommen und in die Justizanstalt XXXX eingeliefert. In weiterer Folge wurde die Untersuchungshaft über ihn verhängt.
In Österreich weist der BF eine strafgerichtliche Verurteilung auf.
Mit Urteil des Landesgerichts XXXX , vom XXXX .2024, XXXX , wurde der BF wegen des Verbrechens des versuchten schweren Raubes, des Verbrechens der schweren Körperverletzung, des Vergehens der schweren Sachbeschädigung und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffG, zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Der Verurteilung liegt zugrunde, dass der BF in XXXX
A) am XXXX .2024 um XXXX Uhr dem Mitarbeiter einer Tankstelle, durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) unter Verwendung einer Waffe, fremde bewegliche Sachen, nämlich das gesamte sich in der Registrierkasse befindliche Bargeld in unbekannter Höhe, mit dem Vorsatz abgenötigt hat, durch deren Zueignung sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, indem er vor dem hinter dem Verkaufspult stehenden Mitarbeiter hintrat und ihn mit den Worten: „Gib mir alles, was du in deiner Kasse hast, ich habe ein Messer mit! Gib mir alles, sonst werde ich dich verletzen!“ zur Herausgabe der Bargeldbestände aus der Kassa aufforderte, wobei er gleichzeitig mit seiner rechten Hand ein ca 10 bis 15 cm langes Küchenmesser aus seiner Jackentasche zog, einen Schritt auf den Mitarbeiter zumachte und ihm das Messer in einer Entfernung von ca. 40 - 50 cm vor die Brust hielt und ihn erneut aufforderte, das ganze Geld zu geben und dabei wiederholte, dass er ein Messer habe, wobei die Tat zufolge der Weigerung des Mitarbeiters beim Versuch geblieben ist;
B) am XXXX .2024 um XXXX Uhr vor einem Lokal eine männliche Person durch das Versetzen zweier Faustschläge ins Gesicht vorsätzlich am Körper verletzt und an der Gesundheit geschädigt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig eine schwere Körperverletzung, nämlich eine dislozierte Jochbeinfraktur, eine Fraktur der linken lateralen Orbitawand, einer Fraktur des Arcus zygo maticus links und weitere Folgeverletzungen (Monokelhämatom und Bindehauteinblutung linkes Auge, Einblutungen in die Kieferhöhle links) verbunden mit einer mehr als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit, herbeigeführt;
C) fremde Sachen zerstört bzw. beschädigt und dabei einen EUR 5.000,-- übersteigenden Schaden herbeigeführt, und zwar:
1. am XXXX .2024 gegen XXXX Uhr drei doppelt verglaste Auslagenscheiben (1,40 m x1,60 m mit 2 x 4 mm Stärke) eines Lokals und am XXXX .2024 gegen XXXX Uhr abermals eine Auslagenscheibe dieses Lokals je mit einem Stehtisch einschlug (Schaden in Höhe von EUR 5.945,27);
2. am XXXX .2024 um XXXX Uhr in einer Straße vor einem Club sein Mobiltelefon wuchtig gegen den Streifenwagen, schleuderte, wodurch er das Fahrzeug im Bereich der A-Säule durch eine Delle im Durchmesser von 1 cm beschädigte (Schaden in Höhe von EUR 896,04);
3. am XXXX 2024 um XXXX Uhr in einem Club mehrere Stehtische umwarf und dadurch mehrere leere Gläser und 4 Kühlbehälter zu Bruch gingen (Schaden in Höhe von EUR 1.500);
D) zumindest am XXXX .2024 in seiner Wohnung eine verbotene Waffe (§ 17 WaffG), nämlich einen Schlagring unbefugt besessen hat.
Bei der Strafbemessung war als mildernd das teilweise Geständnis sowie dass es zum Verbrechen des Raubes beim Versuch geblieben ist, dagegen als erschwerend das Zusammentreffen von zwei Verbrechen und zwei Vergehen zu berücksichtigen.
Der BF verbüßt seine Freiheitsstrafe seit XXXX 2024 in der Justizanstalt XXXX , wo er unter anderem von seiner Freundin und seinem Bruder besucht wurde. Der nächste Termin für eine bedingte Entlassung ist am XXXX .2025. Das errechnete Strafende ist der XXXX .2028.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt ergeben sich ohne entscheidungswesentliche Widersprüche aus dem unbedenklichen Inhalt der Akten des Verwaltungsverfahrens, des Strafverfahrens und des Gerichtsakts des BVwG, insbesondere aus den Angaben des BF, sowie aus dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Strafregister, Sozialversicherungsdatenauszug und dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR).
Die Feststellungen zur Identität, Geburtsort und Staatszugehörigkeit des BF ergeben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt. Zudem befindet sich im Akt eine Kopie seines bis zum XXXX .2033 gültigen Reisepasses und eine Kopie seines bis zum XXXX .2033 gültigen Personalausweises.
Kenntnisse der serbischen Sprache sind aufgrund der Herkunft des BF naheliegend. Aufgrund der langen Aufenthaltsdauer ist es glaubhaft, dass der BF über Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. Zudem wurde in Strafverfahren kein Dolmetscher beigezogen.
Die Feststellungen zu seinen familiären und persönlichen Verhältnissen beruhen auf den entsprechenden Angaben des BF in der Beschwerde sowie auf den Angaben im Strafurteil. Ebenso lässt sich dem Strafurteil entnehmen, dass der BF im Jahr 2015/2016 nach Frankreich gereist ist. Die im Strafurteil angeführte Aufenthaltsdauer des BF in Frankreich von 1 ½ Jahren lässt sich jedoch mit den Eintragungen seiner Erwerbstätigkeiten im Sozialversicherungsdatenauszug nicht in Einklang bringen. Der BF war bis XXXX 2015 als Arbeiter beschäftigt und nahm seine Tätigkeit im XXXX 2016 wieder auf. Im XXXX 2015 sowie im XXXX 2016 bezog er jeweils zwei Wochen Arbeitslosengeld. Eine 1 ½ jährige Unterbrechung seiner Aufenthaltsdauer konnte somit nicht festgestellt werden.
Die Feststellungen zur Arbeitsfähigkeit des BF beruhen darauf, dass er in einem erwerbsfähigem Alter ist und vor seiner Inhaftierung bis XXXX 2023 berufstätig war.
Es sind keine Hinweise auf gesundheitliche Probleme des BF hervorgekommen.
Seine Aufenthaltstitel werden durch Eintragungen im Fremdenregister bestätigt.
Die Wohnsitzmeldungen des BF im Bundesgebiet gehen aus dem Zentralen Melderegister hervor. Ebenso geht daraus hervor, seine Mutter die Unterkunftgeberin ist und sein Bruder an derselben Adresse gemeldet ist.
Die Zeiten der Erwerbstätigkeiten und des Arbeitslosengeldbezugs ergeben sich aus dem Sozialversicherungsdatenauszug.
Die Festnahme und die Verhängung der Untersuchungshaft gehen aus der Vollzugsinformation hervor. Im Akt befindet sich der Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .2024 über die Verhängung der Untersuchungshaft.
Die Feststellungen zu der vom BF in Österreich begangenen Straftaten, zu seinen Verurteilungen und zu den Strafbemessungsgründen basieren auf dem Strafregister und dem Urteil des Landesgerichts für XXXX .
Der Strafvollzug wird anhand der Eintragungen im Zentralen Melderegister sowie der Vollzugsinformation festgestellt.
Aus der Vollzugsinformation ergeben sich die Termine für die nächste bedingte Entlassung sowie das errechnete Strafende. Der Besucherliste der Justizanstalt kann entnommen werden, dass der BF von seinem Bruder und seiner Freundin besucht wurde.
Rechtliche Beurteilung:
Der BF ist Fremder und Drittstaatsangehöriger gemäß § 2 Abs 4 Z 1 und Z 10 FPG. Bis zur Vollendung seines 21. Lebensjahres am XXXX war er begünstigter Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs 4 Z 11 FPG, weil er seiner Mutter, die ungarische Staatsangehörige ist, und sich aufgrund ihres unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts in Österreich aufhielt, nachgezogen ist. Zur Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts des BF wurde ihm am XXXX .2013 eine Aufenthaltskarte (Angehörige eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers) gemäß § 54 NAG ausgestellt. Seit XXXX .2018 verfügt er über eine Daueraufenthaltskarte.
Da ihm seine Mutter mittlerweile keinen Unterhalt mehr gewährt, erfüllt er die Voraussetzungen für ein aus dem Unionsrecht abgeleitetes Aufenthaltsrecht als begünstigter Drittstaatsangehöriger inzwischen nicht mehr.
Auch nach dem Ende der Rechtsstellung des BF als begünstigter Drittstaatsangehöriger ist die Frage der Zulässigkeit einer Aufenthaltsbeendigung weiterhin nach den §§ 66 und 67 FPG (und nicht nach §§ 52 und 53 FPG) zu prüfen. Lediglich im Fall einer bindenden Entscheidung gemäß § 54 Abs 7 NAG (Feststellung, dass der Antragsteller nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts fällt, bei Zurückweisung des Antrags auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte wegen des Vorliegens einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft, Aufenthaltsadoption, Zwangsehe, Zwangspartnerschaft oder Vortäuschung eines Abstammungsverhältnisses oder einer familiären Beziehung zu einem unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger) hat weder eine Ausweisung nach § 66 FPG noch ein Aufenthaltsverbot nach § 67 FPG zu ergehen, sondern die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG (samt Nebenaussprüchen), allenfalls in Verbindung mit einem Einreiseverbot nach § 53 FPG, zu erfolgen (siehe VwGH 31.05.2023, Ra 2021/21/0236 und 16.04.2021, Ra 2020/21/0462).
Auch nach Vollendung des 21. Lebensjahres und Wegfall der Unterhaltsgewährung an den BF kommen gegen ihn als aufenthaltsbeendende Maßnahmen daher nur das vom BFA erlassene Aufenthaltsverbot nach § 67 FPG oder die demgegenüber ein Minus darstellende Ausweisung nach § 66 FPG (vgl. VwGH vom 29.06.2023, Ra 2021/21/0084) in Betracht.
Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ua gegen begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.
Der BF hält sich seit 2013 und damit seit mehr als zehn Jahren - im Bundesgebiet auf. Für die Zulässigkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist im vorliegenden Fall daher der verschärfte Gefährdungsmaßstab nach § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG maßgeblich. Mit dieser Bestimmung soll Art 28 Abs 3 lit a der Freizügigkeitsrichtlinie (§ 2 Abs 4 Z 18 FPG) umgesetzt werden, wozu der EuGH bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollten; es sei vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweise, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein könne (EuGH 23.11.2010, Tsakouridis, C-145/09, insbesondere Rn. 40, 41 und 49 ff; siehe daran anknüpfend auch EuGH 22.5.2012, P.I., C-348/09, Rn. 19 und 20 sowie Rn. 28, wo überdies - im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, der zu einer siebeneinhalbjährigen Freiheitsstrafe geführt hatte - darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegende(r) Merkmale" bedarf; siehe VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0248).
Hier kann nicht von "außergewöhnlichen Umständen" mit "besonders hohem Schweregrad" bzw. von "besonders schwerwiegenden Merkmalen" der vom BF begangenen Straftaten gesprochen werden. Es ist dem BFA zwar dahin zuzustimmen, dass das Fehlverhalten des BF, der wegen versuchten schweren Raubes, schwerer Körperverletzung, schwerer Sachbeschädigung und Verstoß gegen das Waffengesetz, verurteilt wurde, eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt. Der qualifizierte Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG („nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich“) ist trotz der Schwere der vom erstmals in Österreich verurteilten BF zu verantwortenden Kriminalität nicht erfüllt, auch wenn die besondere Gefährlichkeit von Raubdelikten sowie Delikten gegen Leib und Leben berücksichtigt wird.
Dazu kommt, dass ein Aufenthaltsverbot unverhältnismäßig in das Privatleben des BF eingreift, der seit 2013 rechtmäßig in Österreich lebt. Er ging seit 2014 bis 2023 einer Beschäftigung nach, spricht Deutsch und verfügt über familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich, da sein Bruder und Halbbruder hier leben. Auch führt er seit mehr als drei Jahren eine Beziehung.
Somit kommt die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF auf Basis des § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG nicht in Betracht, sodass der angefochtene Bescheid in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben ist. Dies bedingt auch die Gegenstandslosigkeit des dem BF gewährten Durchsetzungsaufschubs.
Da ein geklärter Sachverhalt vorliegt und der BF auch in der Beschwerde kein ergänzendes klärungsbedürftiges Tatsachenvorbringen erstattete, kann eine Beschwerdeverhandlung unterbleiben, zumal iSd § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung ist im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0033). Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose (VwGH 11.05.2017, Ra 2016/21/0022; 20.10.2016, Ra 2016/21/0284).
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil es sich um eine Einzelfallentscheidung handelt, bei der sich das BVwG an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen hatte.
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