Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger, den Hofrat Dr. Chvosta, die Hofrätin Dr. Holzinger und die Hofrätin Dr. in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Thaler, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das am 18. Dezember 2020 mündlich verkündete und mit 2. Februar 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, I421 2128345 2/9E, betreffend ersatzlose Behebung eines Aufenthaltsverbotes (mitbeteiligte Partei: D W, vertreten durch die Mag. Wolfgang Auner Rechtsanwalts Kommandit Partnerschaft KG in 8700 Leoben, Parkstraße 1/I), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Der 1965 geborene Mitbeteiligte, ein deutscher Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet im Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, der im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 12. Oktober 2016 zurückgewiesen wurde. In weiterer Folge blieb der Mitbeteiligte in Österreich.
2 Mit Bescheid vom 27. März 2020 erließ das von der Niederlassungsbehörde gemäß § 55 Abs. 3 NAG befasste Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Mitbeteiligten gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein für die Dauer von sechs Monaten befristetes Aufenthaltsverbot und erteilte ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat. Das BFA begründete das Aufenthaltsverbot mit einer vom Mitbeteiligten ausgehenden tatsächlichen und erheblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit aufgrund von dessen strafgerichtlichen Verurteilungen in Deutschland und seiner vom BFA angenommenen ideologischen Nähe zu „verfassungsfeindlichen Denk und Begründungsmustern der sogenannten ‚Reichsbürger‘ und ‚Selbstverwalter‘ Szene“.
3 Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde gab das BVwG mit dem angefochtenen, am 18. Dezember 2020 mündlich verkündeten und mit 2. Februar 2021 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis Folge und behob den Bescheid ersatzlos. Weiters sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 In seiner Begründung ging das BVwG davon aus, dass die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 67 Abs. 1 FPG nicht vorlägen, weil das persönliche Verhalten des Revisionswerbers keine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Er sei in Österreich unbescholten und habe in Österreich kein Verhalten gesetzt, wodurch die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet sei. Seine strafgerichtlichen Verurteilungen in Deutschland würden auf Taten beruhen, deren Begehung teilweise mehrere Jahre zurückliege und wofür zuletzt wegen 2013 und 2015 verübter Delikte nur Geldstrafen verhängt worden seien und die teilweise in Österreich keinen gerichtlichen Straftatbestand darstellten.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete, erwogen hat:
6 Die Amtsrevision macht unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG geltend, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es das Aufenthaltsverbot ersatzlos behoben habe, ohne die Voraussetzungen für die Erlassung einer Ausweisung zu prüfen. Überdies bemängelt das BFA mit näherer Begründung die Annahme des BVwG, dass vom Mitbeteiligten keine Gefährdung ausgehe, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertige.
7 Die Revision erweist sich wie die nachstehenden Ausführungen zeigen entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig und auch als berechtigt.
8 Die Revision weist zutreffend darauf hin, dass eine Ausweisung als Teil eines Aufenthaltsverbotes, das aus einer Ausreiseverpflichtung und der Verpflichtung besteht, innerhalb des festgelegten Zeitraums (oder auf Dauer) nicht zurückzukehren, gegenüber dem Aufenthaltsverbot nicht ein Aliud, sondern ein Minus darstellt (siehe VwGH 29.9.2020, Ra 2020/21/0196, Rn. 9, mit Verweis auf VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0349, Rn. 8, und VwGH 20.12.2007, 2004/21/0328).
9 Die Verneinung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegenüber dem Mitbeteiligten hätte somit die Prüfung des Vorliegens der Tatbestandserfordernisse für die Erlassung einer (von der erstinstanzlichen Entscheidung des BFA umfassten) Ausweisung nach § 66 FPG nach sich ziehen müssen. Die ersatzlose Behebung eines auf § 67 FPG gestützten Aufenthaltsverbotes ohne weitere Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Erlassung einer Ausweisung nach § 66 FPG und damit ohne vollständige Erledigung des Gegenstandes des Beschwerdeverfahrens widerspricht der Rechtslage (siehe neuerlich VwGH 29.9.2020, Ra 2020/21/0196, nunmehr Rn. 10/11).
10 Indem sich das BVwG mit den Voraussetzungen einer Ausweisung nach § 66 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG die nicht nur im Fall einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gegeben wären, sondern auch im Fall des Fehlens des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, weil die Nachweise nach § 53 Abs. 2 NAG oder § 54 Abs. 2 NAG nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für das Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen (siehe dazu VwGH 4.10.2018, Ra 2017/22/0218, Rn. 26, mwN) in Verkennung der Rechtslage überhaupt nicht auseinandergesetzt hat, hat es sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.
11 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Auf die in der Revision darüber hinaus geltend gemachten Begründungsmängel hinsichtlich der Voraussetzungen für ein Aufenthaltsverbot nach § 67 FPG, die im fortzusetzenden Verfahren ohnehin an den aktuell gegebenen Verhältnissen zu messen sind, kommt es somit nicht an.
12 Bei diesem Ergebnis kommt ein Kostenzuspruch für die Revisionsbeantwortung an den Mitbeteiligten nicht in Betracht (vgl. § 47 Abs. 3 VwGG).
Wien, am 29. Juni 2023
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