Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Funk-Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Schmied, LL.M., über die Revision der K Q H, vertreten durch Mag. Dr. Sebastian Siudak, Rechtsanwalt in Linz, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Juli 2025, G310 23070991/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.446,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Kubas, stellte am 15. Juni 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie im Wesentlichen damit begründete, dass es in Kuba aufgrund der Armut, Hungersnot und Kriminalität keine Zukunft gebe. Zudem habe in Kuba im Juli 2021 eine große Demonstration stattgefunden, welche die Regierung nicht akzeptiert habe. Danach seien alle Teilnehmer von der Polizei beobachtet worden. Der Stiefvater der Revisionswerberin sei aufgrund der Teilnahme an der Demonstration sieben Tage im Gefängnis gewesen.
2Mit Bescheid vom 30. Dezember 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag der Revisionswerberin auf internationalen Schutz ab (Spruchpunkte I und II), erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV), stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Kuba zulässig sei (Spruchpunkt V), und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt VI).
3 Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies ohne Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
4 Dagegen erhob die Revisionswerberin die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattetin einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
5 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vorgebracht, das BVwG habe entgegen der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht keine mündliche Verhandlung durchgeführt.
6 Die Revision erweist sich in Hinblick auf dieses Vorbringen als zulässig und berechtigt.
7Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 21 Abs. 7 BFA-VG ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFAVG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. dazu grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018; sowie rezent etwa VwGH 27.8.2025, Ra 2025/19/0066, mwN).
8 Diesen Grundsätzen hat das BVwG im vorliegenden Fall nicht entsprochen:
9 Das BVwG hält zwar fest, dass es sich der Beweiswürdigung des BFA anschließe, wonach die Revisionswerberin Kuba aufgrund der schlechten (politischen) Situation verlassen habe. Es führte im Rahmen seiner Beweiswürdigung im Gegensatz zum BFA jedoch auch ins Treffen, dass sich eine Bedrohung durch die kubanische Polizei bzw. den kubanischen Staat bzw. eine durchgehende Überwachung der Familie der Revisionswerberin als nicht glaubhaft erwiesen habe. Die Revisionswerberin habe ihre Fluchtgründe im Laufe des Verfahrens gesteigert. Aus den Länderberichten gehe hinsichtlich der Teilnahme des Stiefvaters an der Demonstration im Juli 2021 eine „Sippenhaftung“ nicht hervor. Zudem fehle es hinsichtlich dieses Vorbringens auch am erforderlichen zeitlichen Zusammenhang zur Ausreise der Revisionswerberin aus Kuba Ende 2022.
10 Damit hat das BVwG die Beweiswürdigung in Bezug auf die Frage, ob der Revisionswerberin im Herkunftsstaat durch die kubanische Polizei bzw. den kubanischen Staat asylrelevante Verfolgung drohe, gegenüber den Ausführungen des BFA im angefochtenen Bescheid nicht bloß unwesentlich ergänzt. Eine solche (ergänzende) Beweiswürdigung hat regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung, in der auch ein persönlicher Eindruck von der betroffenen Person gewonnen werden kann, zu erfolgen. Vor diesem Hintergrund lag kein Fall im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA VG vor, der ein Absehen von der beantragen Verhandlung ermöglichte.
11Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des wie hier gegebenArt. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. VwGH 31.7.2024, Ra 2023/19/0430, mwN).
12Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
13Von der Durchführung der beantragen mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
14Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 12. November 2025
Rückverweise