Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Mag. Dr. Pieler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Salama, über die Revision des A H, vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Oktober 2023, W103 2272367 1/5E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 26. Mai 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, dass ihm eine Zwangsrekrutierung durch die Al Shabaab gedroht habe. Dies habe er abgelehnt, woraufhin sein Vater getötet worden sei.
2 Mit Bescheid vom 14. April 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers hinsichtlich des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung.
Das BFA kam zum Ergebnis, dass das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers nicht glaubhaft gewesen sei. Es habe nicht festgestellt werden können, dass dem Revisionswerber im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung drohe.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten erhobene Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
Begründend führte das BVwG aus, dass der Revisionswerber sein Vorbringen hinsichtlich der behaupteten Bedrohung und Zwangsrekrutierung durch die Al Shabaab nicht habe glaubhaft machen können. Überdies könne im zu beurteilenden Einzelfall nicht erkannt werden, dass der Revisionswerber (selbst unter Zugrundelegung der als ausreisekausal geschilderten Ereignisse) im Fall einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer gezielten Verfolgung durch die Al Shabaab unterliegen würde.
Der Revisionswerber habe demnach aus den in der Beweiswürdigung ausgeführten Gründen keine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen können. Eine solche sei auch weder im Rahmen des Ermittlungsverfahrens hervorgekommen, noch sei sie notorisch oder amtsbekannt. Folglich sei davon auszugehen, dass keine asylrelevante Verfolgung bestehe. Da auch sonst keine konkrete gegen den Revisionswerber gerichtete Verfolgung in dessen Heimatstaat vorliege, sei im Ergebnis die Beschwerde abzuweisen gewesen.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe unterbleiben können, weil die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lasse und der Entfall der Verhandlung weder Art. 6 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehe. Der Sachverhalt sei durch das BFA vollständig erhoben worden und weise nach wie vor die gebotene Aktualität auf. Die Beweiswürdigung des BFA sei durch das BVwG in den entscheidungswesentlichen Punkten bestätigt worden. In der Beschwerde des Revisionswerbers finde sich lediglich ein unsubstantiiertes Vorbringen, das nicht geeignet sei, die erstinstanzliche Entscheidung in Frage zu stellen.
4 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene außerordentliche Revision nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
5 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das BVwG habe entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen.
6 Die Revision ist zulässig und aus nachstehenden Erwägungen auch begründet.
7 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass zur Beurteilung, ob die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 21 Abs. 7 BFA VG unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich sind:
8 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2024/20/0017, 0018, sowie aus der ständigen Rechtsprechung zuletzt etwa VwGH 10.4.2024 Ra 2024/19/0055, mwN).
9 Diesen Grundsätzen hat das BVwG im vorliegenden Fall nicht entsprochen:
Der Revisionswerber rügte in seiner gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten erhobenen Beschwerde mit näherer Begründung, dass die vom BFA herangezogenen Länderberichte unvollständig seien. Es sei daher unrichtig, wenn das BVwG in seiner Begründung ausführt, der Revisionswerber habe in seiner Beschwerde lediglich ein unsubstantiiertes Vorbringen erstattet.
Die Beschwerde wandte sich zudem gegen die Beweiswürdigung des BFA. Dessen Vorhalt, das Vorbringen des Revisionswerbers sei nicht glaubhaft, weil seine Mutter und seine Geschwister nicht aus Somalia hätten ausreisen müssen, obwohl diese doch ebenfalls einer Gefahr durch den Onkel des Revisionswerbers ausgesetzt seien, wurde in der Beschwerde entgegengehalten, dass der Onkel nunmehr das Oberhaupt der Familie sei. Der Onkel bedrohe auch die Familie des Revisionswerbers, seine Schwester sei zwangsverheiratet worden und sein Bruder habe für die Al Shabaab einen Selbstmordanschlag verübt. Auch der Vorhalt des BFA, der Revisionswerber sei unglaubwürdig, weil der Onkel seinen Vater getötet haben solle, es sich beim Onkel aber um den Bruder des Vaters handle und eine solche Tat auf Grund des Verwandtschaftsverhältnisses nicht naheliegend sei, erweise sich als unschlüssig. Es sei nicht nachvollziehbar, wie das BFA zu einem solchen Schluss komme. Es werde deshalb die neuerliche Einvernahme des Revisionswerbers und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Schließlich wurde in der Beschwerde gerügt, dass sich die Beweiswürdigung des BFA primär auf Widersprüche im Fluchtvorbringen zwischen Erstbefragung und Einvernahme stütze, wobei es die Verfassung des Revisionswerbers bei der Erstbefragung außer Acht gelassen habe.
10 Ausgehend davon lagen entgegen der Ansicht des BVwG die Voraussetzungen für das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung nicht vor.
11 Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des wie hier gegeben Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. VwGH 22.6.2022, Ra 2021/19/0297, mwN).
12 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
13 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 31. Juli 2024
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