Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Mag. Dr. Pieler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Schmied, LL.M., über die Revision des Z B, vertreten durch Dr. Max Kapferer, Dr. Thomas Lechner Dr. Martin Dellasega, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 2025, W612 14144505/8E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der Volksgruppe der Tschetschenen, stellte am 4. September 2009 einen Antrag auf internationalen Schutz, der im Beschwerdeweg vom (damals zuständigen) Asylgerichtshof als unbegründet abgewiesen wurde. Am 24. Februar 2011 kehrte der Revisionsweber unter Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe in die Russische Föderation zurück.
2Am 8. November 2018 reiste der Revisionswerber erneut in das Bundesgebiet ein und stellte einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurück. Einer vom Revisionswerber dagegen erhobenen Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) stattgegeben und der Bescheid behoben. Mit Bescheid vom 13. September 2019 wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz vollinhaltlich ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom BVwG mit Erkenntnis vom 5. April 2022 als unbegründet abgewiesen.
3 Am 20. August 2022 stellte der Revisionswerber den gegenständlichen (dritten) Antrag auf Zuerkennung von internationalem Schutz: Diesen begründete er damit, dass in seinem Herkunftsland Krieg ausgebrochen sei und er einen Einberufungsbefehl erhalten habe. Für den Fall der Rückkehr befürchte er, in den Krieg ziehen zu müssen. Zudem müsse sich der Revisionswerber um seine in Österreich aufhältigen pflegebedürftigen Eltern kümmern.
4Mit Bescheid vom 16. August 2024 wies das BFA auch diesen Antrag des Revisionswerbers vollinhaltlich ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
5 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
Begründend führte das BVwG aus, dass sich weder aus dem Vorbringen des Revisionswerbers noch aus internationalen Länderberichten Anhaltspunkte für eine Verfolgung des Revisionswerbers ergeben hätten. Daher sei kein unter Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumierender Sachverhalt ableitbar. Darüber hinaus sei ein Antrag auf Asylgewährung auch dann abzuweisen, wenn dem Fremden eine hinreichende innerstaatliche Fluchtalternative offenstehe. Der Revisionswerber könne auf Grund der allgemeinen Begebenheiten und seiner persönlichen Umstände auf andere Regionen des Landes, nämlich insbesondere nach Moskau oder St. Petersburg, verwiesen werden. Aus den Länderberichten ergebe sich, dass einer dortigen Neuansiedelung weder die dortige Sicherheitslage noch die Wirtschafts- bzw. Versorgungslage entgegenstehe. Auch sei jeweils eine sichere Erreichbarkeit gewährleistet.
Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften manifestierten, sowie das Ziel, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrages verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen dürfe, würden im vorliegenden Fall schwerer wiegen als die privaten und familiäre Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung stelle sohin keine Verletzung des Revisionswerbers im Recht auf Privat- und Familienleben dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 komme ebenfalls nicht in Betracht. Aus den tragenden Gründen zur Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz ergebe sich ferner, dass gegenständlich auch keine Gründe für eine Unzulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers in die Russische Föderation vorlägen.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorgebracht, dass die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung nach § 9 BFA VG vorgenommene Interessenabwägung in Hinblick auf die Beziehung zu den kranken Eltern unvertretbar sei. Das BVwG habe nicht berücksichtigt, dass die in Österreich lebenden Eltern des Revisionswerbers auf die Unterstützung ihres Sohnes angewiesen seien.
9Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn kein relevanter Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurdekeine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar (vgl. VwGH 14.8.2025, Ra 2025/19/0175 bis 0178).
Es kommt daher darauf an, ob die vom Bundesverwaltungsgericht nach § 9 BFA VG vorgenommene Interessenabwägung im Ergebnis vertretbar war und keinen maßgeblichen Begründungsmangel erkennen lässt; trifft dies zu, so liegt nämlich nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG vor (vgl. VwGH 1.8.2022, Ra 2022/19/0178).
10Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann unter den Schutz des Art. 8 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. VwGH 19.1.2023, Ra 2022/19/0323). Ein Eingriff in das Recht auf Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK kann auch vorliegen, wenn nicht der hier aufhältige pflegebedürftige Fremde selbst außer Landes geschafft wird, sondern dessen weitere Pflege durch die Verhinderung des Verbleibs des die Pflege übernehmenden Angehörigen unmöglich gemacht wird. In diesem Fall erfordert Art. 8 Abs. 2 EMRK eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Ausweisung nach § 8 Abs. 2 AsylG und verlangt somit eine fallbezogene Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen (vgl. VwGH 3.6.2024, Ra 2024/14/0297, und VwGH 21.12.2022, Ra 2022/19/0312, jeweils mwN).
11 Das BVwG bezog bei seiner Interessenabwägung entgegen dem Vorbringen in der Revision insbesondere die Bindung des Revisionswerbers zu seinen in Österreich lebenden Eltern in die Abwägung mit ein. Es gelangte zu dem Ergebnis, dass die Eltern des Revisionswerbers zwar gesundheitlich stark beeinträchtigt seien, die für eine Schutzbedürftigkeit erforderliche Abhängigkeit der Eltern vom Revisionswerber jedoch zu verneinen sei. So lebe auch der Bruder des Revisionswebers in derselben Stadt und könne, wie bereits vor der Rückkehr des Revisionswerbers nach Österreich, bei der Pflege der Eltern helfen. Der Vater des Revisionswerbers beziehe Pflegegeld der Stufe 4, das grundsätzlich dazu diene, pflegebedingte Mehraufwendungen pauschal abzugelten. Den Eltern des Revisionswerbers stehe es auch offen, Pflege im erforderlichen Ausmaß durch verschiedene staatliche oder private soziale Institutionen zu erhalten. Der Revisionswerber sei auf Grund seiner Ganztagsbeschäftigung zudem nur begrenzt in der Lage, für die Pflege seiner Eltern zu sorgen. Auch eine finanzielle Abhängigkeit bestehe nicht. Im Ergebnis würden die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen am Verbleib im Bundesgebiet überwiegen.
12 Dass diese Beurteilung des BVwG fallbezogen unvertretbar wäre, vermag die Revision im Ergebnis nicht darzutun.
13Soweit die Revision in diesem Zusammenhang vorbringt, dass der Bruder des Revisionswerbers nicht einvernommen worden sei, ist darauf zu verweisen, dass die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein ausreichend ermittelter Sachverhalt vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung darstellt (vgl. VwGH 5.9.2024, Ra 2024/19/0389, mwN). Gründe dafür, dass die unterbliebene Einvernahme des Bruders des Revisionswerbers nach Lage des vorliegenden Falles einen krassen, die Rechtssicherheit beeinträchtigenden und daher eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfenden Verfahrensfehler darstellen könnte, werden in der Zulässigkeitsbegründung der Revision nicht aufgezeigt.
14 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 30. Oktober 2025
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