Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed als Richter sowie die Hofrätinnen Dr. in Gröger und Dr. in Sabetzer als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Hahn, LL.M., über die Revision 1. der K M, und 2. der A M, beide vertreten durch Mag. László Szabó, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. September 2025, 1. W272 2313292 1/5E und 2. W272 2313290 1/3E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter der minderjährigen Zweitrevisionswerberin. Beide sind Staatsangehörige der Russischen Föderation; die Erstrevisionswerberin lebte bis zu ihrer Ausreise in Inguschetien, die Zweitrevisionswerberin wurde in Österreich geboren.
2 Die Erstrevisionswerberin stellte am 3. April 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie im Wesentlichen damit begründete, sie habe Angst gehabt, nach Abschluss ihrer medizinischen Ausbildung zwangsweise in den Krieg in der Ukraine geschickt zu werden, um dort zu helfen. Außerdem sei sie nach Österreich gekommen, weil sie schwanger sei und ihr Ehemann hier lebe. Für die Zweitrevisionswerberin wurde am 6. November 2023 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
3Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diese Anträge in Bestätigung entsprechender Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung jeweils zur Gänze ab, erteilte den Revisionswerberinnen keine Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG jeweils für nicht zulässig.
4 Begründend führte es aus, die Erstrevisionswerberin habe keine asylrelevante konkrete Bedrohung oder Gefährdung in der Russischen Föderation glaubhaft gemacht. Sie habe die Russische Föderation aus privaten Interessen verlassen, um in Österreich die Zweitrevisionswerberin auf die Welt zu bringen und mit dieser und ihrem Ehemann in Österreich zusammenzuleben. Ihren Ehemann habe die Erstrevisionswerberin zwischen November 2021 und spätestens Mai 2022 als dieser auf Heimatbesuch gewesen sei arrangiert durch Verwandte kennen gelernt und im November 2022 in Inguschetien geheiratet. Vier bis sechs Wochen danach sei der Ehemann nach Österreich zurückgekehrt, wo er über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ verfüge. In weiterer Folge habe er die Erstrevisionswerberin (bis zu ihrer Nachreise im März 2023) wiederholt in Inguschetien besucht. Die mittlerweile zweijährige Zweitrevisionswerberin sei im September 2023 in Österreich geboren worden und lebe mit der Erstrevisionswerberin und ihrem Vater gemeinsam in einem Haushalt. Sie leide an einer hochgradigen Hörstörung; die Nachsorge ihres in Österreich eingesetzten Cochlea Implantates sowie Hörfrühförderung/ unterstützung sei auch in der Russischen Föderation möglich. Unter Berücksichtigung dieser Umstände und ihres jungen Alters und des noch kurzen Aufenthaltes in Österreich sei ihr damit eine Anpassung an die Lebensverhältnisse in der Russische Föderation bei einer Rückkehr im Verbund mit ihrer Mutter zumutbar.
5 Der Eingriff in das Familienleben der Revisionswerberinnen sei maßgeblich dadurch relativiert, dass das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden sei, zu dem sich die Erstrevisionswerberin und ihr Ehemann ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen seien. Dies schlage auch auf die Zweitrevisionswerberin durch. Die Begründung des tatsächlichen Familienlebens sei überhaupt erst durch die illegale Einreise und die Stellung eines Asylantrags in Österreich möglich gewesen. Weder die Erstrevisionswerberin noch ihr Ehemann hätten jemals auf die Möglichkeit eines gemeinsamen Aufenthaltes im Bundesgebiet vertrauen können.
6 Die dagegen gerichtete außerordentliche Revision, die sich ihrem Inhalt nach in der Zulässigkeitsbegründung nur gegen die Rückkehrentscheidung und die darauf aufbauenden Spruchpunkte wendet, bringt zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vor, das BVwG habe nicht in gebührender Weise berücksichtigt, dass die Zweitrevisionswerberin in enger familiärer Bindung zu ihrem in Österreich daueraufenthaltsberechtigten Vater lebe. Auch wäre ihre gesundheitliche Beeinträchtigung aufgrund einer Hörstörung zu berücksichtigen gewesen. Danach stehe Art. 5 der Rückführungsrichtlinie einer Ausweisung entgegen. Das BVwG habe die Rechtsprechung des EuGH (Beschluss vom 15.2.2023, C 484/22, betreffend Rückführungen und Beachtung des Kindeswohls) nicht beachtet, der der Verwaltungsgerichtshof gefolgt sei.
7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
10Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Die Revision bringt vor, das BVwG habe im Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung den Gesundheitszustand der Zweitrevisionswerberin sowie die familiäre Bindung zu ihrem Vater nicht ausreichend berücksichtigt.
12Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind die Auswirkungen von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen auf das Kindeswohl zu bedenken und müssen bei der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK bzw. § 9 BFAVG hinreichend berücksichtigt werden (vgl. VwGH 26.2.2020, Ra 2019/18/0456, mwN). Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurdenicht revisibel (vgl. VwGH 3.3.2025, Ra 2024/18/0651, mwN).
13Das BVwG ist davon ausgegangen, dass die Trennung der Erstrevisionswerberin von ihrem Ehemann bzw. der Zweitrevisionswerberin von ihrem Vater einen Eingriff in die durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte darstellt. Es hat jedoch zutreffend auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, wonach bei der Gewichtung der für den Fremden sprechenden Umstände im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFAVG maßgeblich relativierend einbezogen werden darf, dass er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Diese Überlegungen gelten insbesondere auch für eine Eheschließung mit einer in Österreich aufenthaltsberechtigten Person, wenn dem oder der Fremden zum Zeitpunkt des Eingehens der Ehe die Unsicherheit eines gemeinsamen Familienlebens in Österreich in evidenter Weise klar sein musste (vgl. VwGH 2.9.2025, Ra 2025/18/0258, mwN). Als besonders gewichtig erachtete das BVwG hier die Eheschließung in der Russischen Föderation im Bewusstsein, dass ein Zusammenleben in Österreich nur im Wege eines Familiennachzugs im Rahmen des Niederlassungsund Aufenthaltsgesetzes (NAG) möglich sein würde, und die Antragstellung auf internationalen Schutz unter Umgehung der Regelungen des NAG.
14Das BVwG verkannte in diesem Zusammenhang nicht, dass ein Kind nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich Anspruch auf „verlässliche Kontakte“ zu beiden Elternteilen hat (vgl. VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282, mwN; 16.7.2020, Ra 2020/18/0226).
15 Gegenständlich sah es das Kindeswohl jedoch vor dem Hintergrund der faktischen Möglichkeit regelmäßiger Besuche des Vaters bei den Revisionswerberinnen für die Dauer eines ordnungsgemäßen Niederlassungsverfahrens sowie alternativ der Möglichkeit, das Familienleben in der Russischen Föderation fortzusetzen, gewahrt. Diesen Erwägungen hält die Revision nichts entgegen.
16 Entgegen der Behauptung in der Revision hat sich das BVwG im Übrigen eingehend mit dem Gesundheitszustand der Zweitrevisionswerberin befasst, wobei es nach Einholung einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Ergebnis gelangt ist, dass die von ihr benötigte medizinische Behandlung in der Russischen Föderation im Rahmen des staatlichen Gesundheitssystems verfügbar sei.
17 All dies einbeziehend bewertete das BVwG das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen höher als das im Bundesgebiet bestehende Familienleben und das Interesse der Revisionswerberinnen am Verbleib im Bundesgebiet. Dass das BVwG in seiner Beurteilung von den Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre, legt die Revision nicht dar.
18 Auch eine Missachtung der Rechtsprechung des EuGH vermag die Revision nicht aufzugzeigen: Der EuGH hielt im bereits oben genannten Beschluss vom 15.2.2023, C 484/22, lediglich fest, dass Art. 5 lit. a und b der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) verlangt, das Wohl des Kindes und seine familiären Bindungen im Rahmen eines zum Erlass einer gegen einen Minderjährigen ausgesprochenen Rückkehrentscheidung führenden Verfahrens zu schützen, und es nicht genügt, wenn der Minderjährige diese beiden geschützten Interessen im Rahmen eines nachfolgenden Verfahrens betreffend den Vollzug dieser Rückkehrentscheidung geltend machen kann.
19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 12. November 2025
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