Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Chvosta und Mag. Schartner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Wagner, über die Revision des A B, vertreten durch Dr. Christopher Straberger, Rechtsanwalt in Wels, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. August 2024, G307 2297814 1/9E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der im Jahr 1982 geborene Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte erstmals am 22. Juli 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 8. Februar 2023 rechtskräftig abgewiesen wurde.
2Am 31. August 2023 stellte der Revisionswerber einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, welchen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 6. Oktober 2023 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückwies. Unter einem wurde ihm keine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und ausgesprochen, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei. Zudem erließ das BFA gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot und gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das BVwG mit rechtskräftigem Erkenntnis vom 6. November 2023 als unbegründet ab.
3 Nachdem der Revisionswerber am 30. April 2024 von der Schweiz wo er erfolglos um Asyl angesucht hatte nach Österreich rücküberstellt worden war, stellte er noch am selben Tag einen dritten Antrag auf internationalen Schutz.
4Mit mündlich verkündetem Bescheid vom 22. Mai 2024 hob das BFA den faktischen Abschiebeschutz für den Revisionswerber gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 auf. Mit Mandatsbescheid vom selben Tag verhängte es über ihn gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung.
5 Am 27. Mai 2024 legte das BFA die Akten zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes dem BVwG vor. Mit Beschluss vom 28. Mai 2024 stellte das BVwG deren Rechtmäßigkeit fest.
6 Am 10. Juli 2024 wurde der Revisionswerber aus der Schubhaft entlassen.
7Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 28. August 2024 wies das BVwG die vom Revisionswerber gegen den Schubhaftbescheid sowie seine Anhaltung in Schubhaft seit dem 22. Mai 2024 erhobene Beschwerde gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFAVG als unbegründet ab. Den unter einem gestellten Antrag, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung nicht vorliegen, wies es als unzulässig zurück. Schließlich traf das BVwG eine diesem Verfahrensergebnis entsprechende Kostenentscheidung und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
8Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die gegenständliche außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen hat:
9Die Revision erweist sich entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG aus folgenden in der Revision aufgezeigten Gründen als zulässig und auch als berechtigt.
10Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Berufung auf den vom BFA herangezogenen Schubhafttatbestand des § 76 Abs. 2 Z 2 FPG voraus, dass der Revisionswerber bereits unter das Regime der Rückführungs RL (Richtlinie 2008/115/EG) fiel und nicht mehr jenem der AufnahmeRL (Richtlinie 2013/33/EU) unterlag (vgl. dazu ausführlich VwGH 16.5.2019, Ra 2018/21/0177, Rn. 11 ff). Maßgebliches Abgrenzungskriterium hierfür ist, ob dem Revisionswerber im Zeitpunkt der Schubhaftverhängung noch ein Bleiberecht zukam.
11Das BVwG führte in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses aus, dass dem Revisionswerber mit Bescheid vom 22. Mai 2024 der faktische Abschiebeschutz aberkannt worden sei und dementsprechend das BFA die Schubhaft zu Recht auf den Tatbestand des § 76 Abs. 2 Z 2 FPG gestützt habe. Da dem Revisionswerber bereits der faktische Abschiebeschutz aberkannt worden sei, sei die Rückkehrentscheidung durchsetzbar. Die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes sei dann auch vom BVwG mit Beschluss vom 28. Mai 2024 bestätigt worden.
12Dabei übersah das BVwG jedoch, dass die Entscheidung über die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005 nicht zum sofortigen Verlust des aufgrund der Asylantragstellung bestehenden Bleiberechts führt. Nach § 22 Abs. 2 erster Satz BFAVG sind die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zwar mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar. Allerdings ist gemäß § 22 Abs. 2 zweiter Satz BFAVG mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der vom BFA zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des BVwG zuzuwarten. Für diesen Zeitraum kommt einem Asylwerber somit ungeachtet der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durch das BFA weiterhin ein Bleiberecht zu (vgl. VwGH 21.3.2024, Ro 2022/21/0003, 0004, Rn. 14, mwN).
13 Die Akten zur Überprüfung des Bescheides des BFA, mit welchem der Abschiebeschutz aufgehoben wurde, langten am 27. Mai 2024 beim BVwG ein. Aufgrund des § 22 Abs. 2 zweiter Satz BFAVG durfte der Revisionswerber somit im Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft am 22. Mai 2024 nicht abgeschoben werden; ihm kam weiterhin ein Bleiberecht zu. Die Anordnung der Schubhaft über den Revisionswerber auf Grundlage des § 76 Abs. 2 Z 2 FPG am 22. Mai 2024 erweist sich daher mangels durchführbarer Abschiebung zu diesem Zeitpunkt als rechtswidrig.
14 Diese Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides bewirkt auch, dass ungeachtet dessen, dass schon mit Beschluss des BVwG vom 28. Mai 2024 die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BFA über die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes bestätigt wurde, die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft über den gesamten Zeitraum bis 10. Juli 2024 rechtswidrig war.
15 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann nämlich ein einmal rechtswidriger Schubhaftbescheid nicht quasi partiell für einen „Teilzeitraum“konvalidieren, zumal dies im Ergebnis einer im Gesetz insoweit nicht vorgesehenen Schubhaftverhängung „auf Vorrat“ gleichkommen würde. War der Schubhaftbescheid rechtswidrig, so muss das auch für die gesamte Zeit der auf ihn gestützten Anhaltung gelten (vgl. erneut VwGH 21.3.2024, Ro 2022/21/0003, 0004, nunmehr Rn. 17, mwN).
16Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass noch auf weitere in der Revision gerügte Verfahrensmängel einzugehen war.
17Die Entscheidung über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 28. August 2025
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