Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Dr. Maurer Kober sowie die Hofrätin Dr. in Sembacher und den Hofrat Mag. Marzi als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr.in Zeitfogel, über die Revision des K Y, vertreten durch Mag. Thomas Klein, Rechtsanwalt in Graz, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10. Oktober 2024, W286 22891031/29E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der im Juli 1992 geborene Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der Volksgruppe der Tschetschenen, reiste am 1. September 2004 gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern in das Bundesgebiet ein und stellte, vertreten durch seine Mutter, am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des (damals zuständigen) Unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. Oktober 2007 wurde ihm im Familienverfahren, abgeleitet von seinem Vater, der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
2 Der Revisionswerber wurde in der Folge mehrfach straffällig.
3 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) leitete infolge der Verurteilungen ein Verfahren zur Aberkennung des dem Revisionswerber zuerkannten Status des Asylberechtigten ein.
4Mit Bescheid des BFA vom 9. Februar 2024 wurde dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 und Z 2 AsylG 2005 aberkannt sowie gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Das BFA erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte ihm keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und erließ ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot.
5 Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies die vom Revisionswerber gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Durchführung einer Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Entlassung aus der Strafhaft festgesetzt werde. Unter einem sprach das BVwG aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
6 Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung derselben mit Beschluss vom 5. Juni 2025, E 406/2025 5, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
7 In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
10Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Der Revisionswerber wendet sich in der Zulässigkeitsbegründung ausschließlich gegen die vom BVwG im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbots vorgenommene Interessenabwägung nach § 9 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG).
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurdenicht revisibel. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und auch für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbots (vgl. VwGH 6.2.2024, Ra 2021/14/0377, mwN).
13 Zu den Kriterien, die im Rahmen der Interessenabwägung bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen Fremde, die wie der Revisionswerber, dem im Oktober 2007 in Österreich Asyl gewährt wurdeüber lange Zeit als Asylberechtigte rechtmäßig in Österreich niedergelassen waren und denen der Status als Asylberechtigte aberkannt wurde, zu beachten sind, wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Erkenntnisse vom 15. Dezember 2021, Ra 2021/20/0372, vom selben Tag, Ra 2021/20/0328, sowie vom 2. März 2022, Ra 2021/20/0458, verwiesen.
14Im Besonderen ist an dieser Stelle hervorzuheben, dass bei Erlassung einer auf § 52 Abs. 2 Z 3 FPG gestützten Rückkehrentscheidung gegen einen Fremden, dem bis dahin von Gesetzes wegen ein Aufenthaltsrecht aufgrund des ihm zuvor zuerkannten Status als Asylberechtigten zugekommen ist, im Rahmen der nach § 9 Abs. 1 BFAVG vorzunehmenden Beurteilung auch auf die Wertungen Bedacht zu nehmen ist, die sich aus jenen Vorschriften ergeben, nach denen eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nach langjähriger rechtmäßiger Niederlassung in Österreich für nicht zulässig erklärt oder an besondere Voraussetzungen geknüpft wird. Dabei kann auf die dazu ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden (vgl. VwGH 14.12.2023, Ra 2021/20/0475, mwN).
15 Zur Beurteilung des öffentlichen Interesses im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFAVG bedarf es somit ebenso wie für das Einreiseverbot nach § 53 Abs. 3 FPG (bei dem auf eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit abzustellen ist) einer einzelfallbezogenen Einschätzung der vom Fremden aufgrund seiner Straffälligkeit ausgehenden Gefährdung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei einer solchen Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und aufgrund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 16.11.2022, Ra 2022/20/0002, mwN).
16 Bei der fallbezogenen Beurteilung, ob sich gemäß § 9 BFAVG die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber im Sinne des Art. 8 EMRK als verhältnismäßig darstellt, berücksichtigte das BVwG in einer umfassenden Gesamtabwägung insbesondere den seit September 2004 (als Asylwerber bzw. seit der Asylgewährung im Oktober 2007) dauernden rechtmäßigen Aufenthalt des Revisionswerbers, seine Beziehung zu seinen im Bundesgebiet aufhältigen Familienangehörigen und seinen Freundeskreis, dass er ledig und kinderlos sei, seine sehr guten Deutschkenntnisse sowie seine Schulbildung. Beim Revisionswerber stünden Zeiten einer Erwerbstätigkeit längere Zeiträume der Beschäftigungslosigkeit samt Bezug von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe gegenüber, sodass er bislang nicht vollständig in den österreichischen Arbeitsmarkt integriert sei. Bindungen zum Herkunftsstaat bestünden noch, wenn auch nur lose, wobei zu berücksichtigen sei, dass der Revisionswerber die prägenden Jahre seiner Kindheit (bis zum zwölften Lebensjahr) im Herkunftsstaat verbracht habe; er sei mit den dortigen Gegebenheiten und Gebräuchen vertraut und habe auch näher ausgeführte familiäre Anknüpfungspunkte, durch die er im Falle seiner Rückkehr und Reintegration Unterstützung finden könnte. Der Revisionswerber habe u.a. drei Verwaltungsübertretungen begangen, bei denen er alkoholisiert ein Kraftfahrzeug lenkte. Besonders zu Lasten des Revisionswerbers fielen seine rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen. So habe er über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren vier Straftaten begangen, für die er strafgerichtlich verurteilt worden sei (2014 wegen Raubes, 2016 wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt und versuchter schwerer Körperverletzung, 2018 wegen Gebrauchs fremder Ausweise und schließlich 2022 wegen teils vollendeter, teils versuchter Vergewaltigung; für die letztere Straftat sei er zu einer Freiheitsstrafe von 28 Monaten verurteilt worden). Das persönliche Verhalten des Revisionswerbers habe nicht in einer einmaligen Tathandlung und einer darauf folgenden Besserung seines Verhaltens bestanden, sondern habe er über einen langen Zeitraum immer wieder strafrechtswidrige Handlungen begangen. Als besonders gravierend stelle sich die letzte Verurteilung dar. Dabei falle insbesondere ins Gewicht, dass er in die sexuelle und körperliche Integrität einer anderen Person eingegriffen und dieser einen lange andauernden, insbesondere auch psychischen, Schaden zugefügt habe. Der Revisionswerber sei hinsichtlich aller Straftaten nicht ernstlich tateinsichtig oder reumütig.
17 Mit ihren pauschal gehaltenen Überlegungen und dem kursorischen Auflisten von Umständen, die das BVwG in seiner Interessenabwägung die es nach Einholung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung vornahm ohnehin miteinbezog, vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass die vom BVwG vorgenommene Gewichtung der festgestellten Umstände, im Besonderen vor dem Hintergrund der massiven Straffälligkeit des Revisionswerbers, selbst unter Bedachtnahme auf den langen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet, unvertretbar wäre.
18 Der Revisionswerber argumentiert überdies, dass die angefochtene Entscheidung in Abweichung von der bisherigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ergangen und daher rechtswidrig sei, weil den Wertungen des früheren § 9 Abs. 4 BFA VG, die weiterhin anzuwenden seien, nicht die gebotene Bedeutung zugemessen worden sei.
19 Dem ist zunächst einzuräumen, dass ungeachtet des Außerkrafttretens des (mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2018, BGBl. I Nr. 56, mit Ablauf des 31. August 2018 aufgehobenen) § 9 Abs. 4 BFA VG die Wertungen dieser ehemaligen Aufenthaltsverfestigungstatbestände nach der ständigen hg. Rechtsprechung im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA VG weiterhin beachtlich sind. Dabei bedarf es aber keiner ins Detail gehenden Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Anwendung des ehemaligen § 9 Abs. 4 BFAVG (vgl. zum Ganzen VwGH 7.11.2024, Ra 2024/18/0438, mwN).
20 Das BVwG nahm auf diese Rechtsprechung Bezug und führte von der Revision unwidersprochen aus, dass der Revisionswerber seinen Antrag auf internationalen Schutz am 1. September 2004 gestellt habe und erstmals am 25. Juni 2014 also vor Ablauf von zehn Jahrenverurteilt worden sei, weshalb ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG nicht hätte verliehen werden können (vgl. § 9 Abs. 4 Z 1 StbG idF vor dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2018, BGBl. I Nr. 56). Zusätzlich legte das BVwG entgegen der Behauptung des Revisionswerbers nachvollziehbar dar, dass dieser ein besonders verwerfliches Verbrechen begangen habe, woraus sich die spezifische Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen ableiten lasse.
21Soweit die Revision in den Zulässigkeitsausführungen eine Aktenwidrigkeit hinsichtlich des Vorhandenseins eines familiären Netzwerks in der Russischen Föderation vorbringt, ist darauf zu verweisen, dass eine Aktenwidrigkeit nur dann vorliegt, wenn der Akteninhalt unrichtig wiedergegeben wurde bzw. wenn sich das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch gesetzt hat, nicht aber, wenn Feststellungen getroffen wurden, die auf Grund der Beweiswürdigung oder einer anders lautenden rechtlichen Beurteilung mit den Behauptungen einer Partei nicht übereinstimmen (vgl. VwGH 3.3.2025, Ra 2024/18/0651, mwN). Derartiges wird aber von der Revision, die sich mit ihren diesbezüglichen Ausführungen vielmehr gegen die Beweiswürdigung des BVwG wendet, nicht dargelegt.
22 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 5. September 2025
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