Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofräte Mag. Eder und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann Preschnofsky, über die Revision des A S, vertreten durch Mag. Christian Hirsch, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Hauptplatz 28, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. November 2021, W247 2225959 1/19E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit mit dem angefochtenen Erkenntnis die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis III. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24. Oktober 2019 abgewiesen wurde, zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der im Jahr 1995 geborene Revisionswerber, ein aus Tschetschenien stammender russischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2003 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 18. September 2003 wurde dem Revisionswerber Asyl gemäß den (damals in seinem Fall aufgrund von Übergangsbestimmungen des Asylgesetzes 2005 weiterhin anwendbaren) Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 gewährt.
2 Aufgrund des § 75 Abs. 5 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) galt mit dieser Gewährung von Asyl dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten als zuerkannt.
3 Der Revisionswerber wurde in Österreich mehrfach rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt.
4 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sprach mit Bescheid vom 24. Oktober 2019 aus, dass dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt werde, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Unter einem wurde dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn gegründet auf § 52 Abs. 2 Z 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 und § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA VG) eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.), gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.) sowie die Frist für die freiwillige Ausreise nach § 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VII.).
5 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis im Wesentlichen als unbegründet ab. Lediglich die Dauer des Einreiseverbotes verringerte es auf fünf Jahre. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
6 Die Aberkennung des Status des Asylberechtigten gründete das Bundesverwaltungsgericht auf § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, konkret auf den Wegfall der Umstände, aufgrund derer die Anerkennung als Flüchtling erfolgt war, im Sinne des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK. Bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbotes berücksichtigte das Bundesverwaltungsgericht unter anderem, dass der Revisionswerber strafgerichtliche Verurteilungen aufweise. Dazu traf es Feststellungen, die sich in Bezug auf die ersten drei der insgesamt sieben strafgerichtlichen Verurteilungen des Revisionswerbers in den dem Strafregister zu entnehmenden Urteilsdaten erschöpfen. Nähere Feststellungen zu den diesen früheren Verurteilungen zugrundeliegenden Tathandlungen traf das Bundesverwaltungsgericht nicht.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. Nach Vorlage der Revision samt der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht hat der Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren eingeleitet. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:
Zur teilweisen Zurückweisung der Revision:
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu treffen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Wird eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geltend gemacht, ist in der gesonderten Zulassungsbegründung konkret auf die vorliegende Rechtssache bezogen aufzuzeigen, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte und in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Eine Zulassungsbegründung, die bloß pauschale Behauptungen, jedoch keine konkrete Rechtsfrage und auch keine Bezugnahme auf Judikatur enthält, entspricht diesen Anforderungen nicht (vgl. VwGH 30.11.2020, Ra 2020/20/0328, mwN).
12 Soweit sich der Revisionswerber gegen die Aberkennung des Status des Asylberechtigten wendet, behauptet er bloß einen nicht näher ausgeführten Verstoß gegen die höchstgerichtliche Rechtsprechung. Auf den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Grund für die Aberkennung wird überhaupt nicht eingegangen.
13 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig zurückzuweisen, soweit sie sich gegen die Aberkennung des Status des Asylberechtigten wendet. Das gilt auch für die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005, zu der die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung keine hinreichend substantiierten Ausführungen enthält.
Zur teilweisen Aufhebung:
14 Die Revision ist aber zulässig, soweit sie sich gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie der rechtlich davon abhängenden Aussprüche richtet. Sie ist in diesem Umfang auch begründet.
15 Der Revisionswerber macht geltend, dass es zur Beurteilung des öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthaltes eines Fremden einer einzelfallbezogenen Einschätzung der vom Fremden aufgrund seiner Straffälligkeit ausgehenden Gefährdung bedürfe.
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 15. Dezember 2021, Ra 2021/20/0372, des Näheren damit befasst, ob und unter welchen Voraussetzungen jenen langjährig als Asylberechtigte rechtmäßig aufhältigen Fremden, bei denen in Art. 1 Abschnitt C GFK angeführte Endigungsgründe eingetreten sind, dieser Status infolge § 7 Abs. 3 AsylG 2005 aberkannt werden darf. Weiters hat sich der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis damit auseinandergesetzt, auf welche Kriterien bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen solche Fremde im Rahmen der Interessenabwägung (auch) Bedacht zu nehmen ist. Es kann daher dazu gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen werden (vgl. dem folgend das Erkenntnis VwGH 12.9.2023, Ra 2021/20/0449, auf dessen Entscheidungsgründe ebenso gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird).
17 Der Vollständigkeit halber ist Folgendes vorauszuschicken: Der Revisionswerber wurde straffällig im Sinn des § 2 Abs. 3 Z 1 AsylG 2005. Somit war eine der Aberkennung des Status des Asylberechtigten entgegenstehende (unwiderlegbare) gesetzliche Vermutung einer „sozialen Verfestigung“ im Sinn des § 7 Abs. 3 AsylG 2005 im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht (mehr) gegeben.
18 Das Bundesverwaltungsgericht hat im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Erlassung der Rückkehrentscheidung dem Grunde nach zu Recht auf § 52 Abs. 2 Z 3 FPG gestützt.
19 Bei Erlassung einer auf § 52 Abs. 2 Z 3 FPG gestützten Rückkehrentscheidung gegen einen Fremden, dem bis dahin von Gesetzes wegen ein Aufenthaltsrecht aufgrund des ihm zuvor zuerkannten Status als Asylberechtigten zugekommen ist, ist nach der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Rahmen der nach § 9 Abs. 1 BFA VG vorzunehmenden Beurteilung (auch) auf die Wertungen Bedacht zu nehmen, die sich aus jenen Vorschriften ergeben, nach denen eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nach langjähriger rechtmäßiger Niederlassung in Österreich für nicht zulässig erklärt oder an besondere Voraussetzungen geknüpft wird. Dabei kann auf die dazu ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden.
20 Es ist nach der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu beachten, dass § 7 Abs. 3 AsylG 2005 zufolge solche Gründe von vornherein nur dann maßgeblich sein können, wenn die Aberkennung des Status des Asylberechtigten durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wenn auch nicht rechtskräftig nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt. Im vorliegenden Fall hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht innerhalb des in § 7 Abs. 3 AsylG 2005 genannten Zeitraums ausgesprochen.
21 Für die weitere rechtliche Beurteilung fehlen in maßgeblicher Weise wie schon im Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl Feststellungen zu den den ersten drei Verurteilungen des Revisionswerbers zugrundeliegenden strafbaren Handlungen. Auch im Rahmen der Beweiswürdigung und der rechtlichen Erwägungen wird vom Bundesverwaltungsgericht nur kursorisch und abstrakt auf die aus diesen Urteilsdaten ersichtlichen Deliktstypen Bezug genommen, ohne auf diese konkret vom Revisionswerber begangenen Straftaten näher einzugehen. Es kann daher anhand des Inhaltes der angefochtenen Entscheidung weder in einer dem Gesetz entsprechenden Weise beurteilt werden, welche vom Revisionswerber gesetzten Verhaltensweisen das Bundesverwaltungsgericht als den für die Entscheidung (zulässigerweise heranzuziehenden) maßgeblichen Sachverhalt angesehen hat, noch welcher Wertungsmaßstab im Rahmen der Interessenabwägung fallbezogen zu berücksichtigen war, weil auch unklar bleibt, zu welcher Zeit die früheren Straftaten gesetzt wurden.
22 Die bisher getroffenen Feststellungen legen nahe, dass das Bundesverwaltungsgericht zu prüfen gehabt hätte, ob vom Revisionswerber eine Gefahr im Sinn des § 52 Abs. 5 FPG ausgeht, was es aber nicht getan hat. Es erscheint zudem was in der Revision auch angesprochen wird anhand der bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen, dass das Bundesverwaltungsgericht darauf Bedacht hätte nehmen müssen, dass hier eine Konstellation vorliegen könnte, wonach eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nur (noch) bei Begehung besonders verwerflicher Straftaten und einer daraus abzuleitenden spezifischen Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen zulässig ist (vgl. dazu etwa VwGH 27.6.2023, Ra 2023/20/0094, mwN). Ob dies ebenso wie das Vorbringen in der Revision, selbst wenn die vom Gesetz geforderte Gefahr früher bestanden haben sollte, sei diese mittlerweile weggefallen im vorliegenden Fall zutrifft, kann erst nach vollständiger Feststellung aller maßgeblichen Umstände beurteilt werden.
23 Das Bundesverwaltungsgericht hat somit seine Entscheidung betreffend die Erlassung der Rückkehrentscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit und mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Das angefochtene Erkenntnis war daher insoweit - sowie in den rechtlich davon abhängenden Aussprüchen, die ihre Grundlage verlieren - aus dem (vorrangig wahrzunehmenden) erstgenannten Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat aufzuheben.
24 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47ff, insbesondere § 50 VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 14. Dezember 2023
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