Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Dr. Maurer Kober sowie die Hofrätin Dr. in Sembacher und den Hofrat Mag. Schartner als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. in Zeitfogel, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. September 2024, W172 22584671/15E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: M E alias M A), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
1Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Syriens, stellte am 11. November 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Mit Bescheid vom 12. Juli 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Mitbeteiligten jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine auf die Dauer eines Jahres befristete Aufenthaltsberechtigung.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der gegen die Nichtzuerkennung des Asylstatus erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten statt, erkannte dem Mitbeteiligten den Status des Asylberechtigten zu und stellte fest, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG soweit für das vorliegende Verfahren wesentlich aus, der Mitbeteiligte könne nur über Grenzübergänge, die in der Hand des syrischen Regimes seien, sicher und legal oder zumindest in dem Sinne, dass die den Grenzübergang beherrschenden Autoritäten eine Einreise zulassen, nach Syrien zurückkehren. Im Rückkehrfall bestehe für den Mitbeteiligten die Gefahr, am Grenzkontrollposten verhaftet und zum Militärdienst bei der syrischen Armee eingezogen zu werden, was er aufgrund seiner negativen Einstellung gegenüber der syrischen Regierung ablehne. Im Falle der Wehrdienstverweigerung werde ihm aufgrund seiner negativen Einstellung gegenüber der syrischen Regierung von dieser eine oppositionelle Gesinnung unterstellt. Er würde zumindest mit einer Gefängnisstrafe bestraft werden, die mit der Anwendung von Folter verbunden wäre.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, deren Zulässigkeit damit begründet wird, das BVwG sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht abgewichen. Vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen sei nicht nachvollziehbar, warum das BVwG davon ausgehe, dass der Mitbeteiligte den unter oppositioneller Kontrolle stehenden Grenzübergang Semalka-Faysh Khabures nicht nutzen könne. Die vom BVwG in diesem Zusammenhang zitierte ACCORD Anfragebeantwortung vom 6. Mai 2022 enthalte keine aktuellen Informationen und beziehe sich auf die Schließungen des genannten Grenzübergangs im Jahr 2021. Seit Jänner 2022 sei der Grenzübergang wieder für den Personenverkehr geöffnet. Mit den in der Revision näher bezeichneten (aktuelleren) Länderinformationen, denen zufolge der Grenzübergang Semalka Faysh Khabures unter oppositioneller Kontrolle stehe und für den Personenverkehr grundsätzlich geöffnet sei, habe sich das BVwG nicht auseinandergesetzt. Dabei sei auch zu beachten, dass die Frage der Erreichbarkeit der Herkunftsregion darauf abstelle, ob der Asylwerber seine Herkunftsregion sicher erreichen könne, ohne dabei einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt zu sein. Es komme nicht darauf an, ob dies eine legale Einreisemöglichkeit darstelle.
6Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch berechtigt.
8Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen ist. Dementsprechend entziehen sich Änderungen der Sach- und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren (vgl. etwa VwGH 7.5.2025, Ra 2024/14/0628, mwN).
9Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. etwa VwGH 29.7.2025, Ra 2024/18/0437, mwN).
10 Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das BVwG seine Begründungspflicht im gegenständlichen Fall verletzt:
11 Das BVwG stützte seine Feststellung, dass für den Mitbeteiligten eine Rückkehr nach Syrien nur über vom syrischen Regime kontrollierte Grenzübergänge möglich sei, auf eine Berichtslage, der entnommen werden könne, dass nicht klar sei, ob der für den Mitbeteiligten zur Erreichung seiner Heimatregion maßgebliche Grenzübergang Semalka Faysh Khabur derzeit für den Personenverkehr geöffnet und eine Einreise über diesen Grenzübergang legal und sicher möglich sei. Die Berichtslage zu den anderen Grenzübergängen sei vage.
12 Dafür zog das BVwG einen im Entscheidungszeitpunkt nicht mehr aktuellen ACCORD Bericht aus Mai 2022 heran, dem einerseits zu entnehmen ist, dass der Grenzübergang Semalka Faysh Khabur im Jahr 2021 mehrmals geschlossen worden sei, andererseits aber auch, dass der Grenzübergang am 27. Jänner 2022 wieder „vollständig geöffnet“ worden sei. Jüngere Berichte, etwa den Themenbericht der Staatendokumentation vom 25. Oktober 2023 („Syrien - Grenzübergänge“), dem zu entnehmen ist, dass der fragliche Grenzübergang unbeschränkt für den Personenverkehr geöffnet sei, ließ das BVwG wie die Revison zutreffend ausführt vollkommen außer Acht. Die Schlussfolgerung des BVwG, die Einreise nach Syrien bzw. in seine Herkunftsregion sei dem Mitbeteiligten nicht möglich, ist daher schon aufgrund der auf veralteten Berichten beruhenden Feststellungen nicht nachvollziehbar und nicht hinreichend begründet.
13Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, dass es aus asylrechtlicher Sicht nicht darauf ankommen kann, ob die Einreise in einen verfolgungssicheren Landesteil aus der Sicht des potentiellen Verfolgers (hier: des syrischen Regimes) legal stattfindet, sondern nur, ob die den Grenzübergang beherrschenden Autoritäten eine Einreise in das sichere Gebiet zulassen. Ausschlaggebend ist, ob der Asylwerber seine Herkunftsregion sicher erreichen kann, ohne dabei einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt zu sein (vgl. wiederum VwGH 29.7.2025, Ra 2024/18/0437, mwN).
14Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof zu der auch vom BVwG zugrundegelegten Berichtslage bereits mehrfach festgehalten, dass sich daraus nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ergibt, dass jedem den Militärdienst verweigernden Syrer eine oppositionelle Haltung unterstellt wurde (vgl. VwGH 11.9.2025, Ra 2024/14/0529, mwN).
15Das angefochtene Erkenntnis ist daher (relevant) mangelhaft begründet und war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am 20. November 2025
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