Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak und die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision der L GmbH, vertreten durch die Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH Co KG in Wien, gegen das Erkenntnis und den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. September 2022, Zlen. 1. W134 2257363 2/43E und 2. W134 2257363 3/2E, betreffend ein vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1. Republik Österreich, 2. Bundesbeschaffung GmbH, beide vertreten durch die Finanzprokuratur, 3. A GmbH, vertreten durch die Ulm Neger Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis und der angefochtene Beschluss werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung der Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen zu ersetzen.
1Die erstmitbeteiligte Partei (Auftraggeberin) führte ein transparentes Verfahren gemäß § 151 Bundesvergabegesetz 2018 (BVergG 2018) zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung über besondere Dienstleistungen (gemäß Anhang XVI des BVergG 2018) und zwar über molekularbiologische Tests auf SARS CoV 2 (CPV Codes 85145000 Dienstleistungen von medizinischen Laboratorien, 85141000 Dienstleistungen von medizinischem Personal, 85142000 Dienstleistungen von nichtärztlichem Personal und 64100000 Post und Kurierdienste) an den Schulen in den Bundesländern Niederösterreich und Burgenland in Anlehnung an ein offenes Verfahren im Oberschwellenbereich nach dem Bestangebotsprinzip durch. Vergebende Stelle war die zweitmitbeteiligte Partei.
2 Die revisionswerbende Partei und die drittmitbeteiligte Partei legten jeweils ein Angebot.
3 Mit Schreiben vom 11. Juli 2022 teilte die vergebende Stelle unter anderem der revisionswerbenden Partei mit, dass sie beabsichtige, die Rahmenvereinbarung mit der drittmitbeteiligten Partei abzuschließen.
4 Mit Schriftsatz vom 21. Juli 2022 beantragte die revisionswerbende Partei die Nichtigerklärung der Auswahlentscheidung vom 11. Juli 2022. Sie brachte dazu soweit im Revisionsverfahren relevant zusammengefasst vor, der Angebotspreis der drittmitbeteiligten Partei liege erheblich unter dem jeweiligen Angebotspreis der revisionswerbenden Parteien. Die Auftraggeberin sei daher zur vertieften Angebotsprüfung verpflichtet gewesen. Dabei hätte sie erkennen müssen, dass das Angebot der drittmitbeteiligten Partei eine nicht plausible Zusammensetzung des Gesamtpreises aufweise. Es sei eine nicht kostendeckende Kalkulation bzw. zumindest eine spekulative Preisgestaltung anzunehmen.
Überdies wendete die revisionswerbende Partei die mangelnde technische Leistungsfähigkeit der drittmitbeteiligten Partei ein. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass die Auftraggeberin entsprechend der in den anderen Vergabeverfahren übermittelten Auswahlentscheidungen zu den restlichen Bundesländern beabsichtige, die Rahmenvereinbarung in allen fünf Vergabeverfahren betreffend „PCR Schultestungen in Österreich“ mit der drittmitbeteiligten Partei abzuschließen. Die Beurteilung der technischen Leistungsfähigkeit der drittmitbeteiligten Partei (ihre Kapazitäten und Ressourcen) habe unter Berücksichtigung von fünf Vergabeverfahren zu erfolgen. Auch wenn die Auftraggeberin die einzelnen gebietsweisen Vergabeverfahren nicht als Lose bezeichnet habe, handle es sich bei diesen getrennten Verfahren dennoch um eine losweise Vergabe eines einheitlichen (Gesamt )Vorhabens.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht den Antrag der revisionswerbenden Partei, die Auswahlentscheidung für nichtig zu erklären, ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei. Gleichzeitig wies das Verwaltungsgericht den Antrag der revisionswerbenden Partei auf Ersatz der entrichteten Pauschalgebühren durch die Auftraggeberin ab. Die Revision gegen diesen Beschluss erklärte das Verwaltungsgericht ebenfalls für nicht zulässig.
6 Gegen dieses Erkenntnis und den Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der revisionswerbenden Bieterin.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens und Erstattung von Revisionsbeantwortungen durch die mitbeteiligten Parteien erwogen:
7Die Revision ist zur geltend gemachten Rechtsfrage des Abweichens des angefochtenen Erkenntnisses von näher dargelegter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs über die Vornahme einer vergaberechtlichen Angebotsprüfung gemäß § 20 Abs. 1 iVm § 151 Abs. 1 BVergG 2018 durch das Verwaltungsgericht und das dabei erforderliche Ermittlungsverfahren zulässig; sie ist auch berechtigt.
8 Der vorliegende Revisionsfall gleicht in den für seine Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten sowohl hinsichtlich des Sachverhaltes als auch hinsichtlich der zu beantwortenden Rechtsfragenjenem, der dem hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2022/04/0141, 0142, zu Grunde lag. Auf die Begründung dieses Erkenntnisses wird daher gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.
9Demnach stehen dem Vorbringen der revisionswerbenden Partei, es handle sich bei allen fünf (nach Bundesländern) gebietsweisen Vergabeverfahren gemäß § 151 BVergG 2018 jeweils zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung im Oberschwellenbereich für die Durchführung von SARS CoV 2 Testungen an Schulen um ein Gesamtvorhaben, die mangels Anfechtung bestandfesten Ausschreibungsbedingungen des vorliegenden Vergabeverfahrens entgegen. Nach diesen Ausschreibungsbedingungen ist der Auftragsgegenstand des vorliegenden Vergabeverfahrens die Durchführung von SARS Cov 2 Testungen an Schulen in den Bundesländern Niederösterreich und Burgenland. Die Prüfung der technischen Leistungsfähigkeit beschränkt sich daher auf diesen Auftragsgegenstand. Bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Bieters für den konkreten Auftrag muss auch nicht von vornherein auf die Anforderungen in parallelen Ausschreibungen Rücksicht genommen werden. Das Verwaltungsgericht hat daher zu Recht eine das gesamte Bundesgebiet umfassende „kumulative Kapazitätsprüfung“ abgelehnt.
10Bei der Vergabe besonderer Dienstleistungen im Sinn des Anhangs XVI BVergG 2018 wie vorliegendist zwar gemäß § 151 Abs. 1 BVergG 2018 die Bestimmung des § 137 BVergG 2018 über die Prüfung der Angemessenheit der Preise und die vertiefte Angebotsprüfung nicht anwendbar, jedoch ist der Grundsatz der Auftragsvergabe zu angemessenen Preisen gemäß § 20 Abs. 1 letzter Satz BVergG 2018 zu beachten. Die Vorgaben des § 137 BVergG 2018 sind nicht im Wege des § 20 Abs. 1 letzter Satz BVergG 2018 vollständig auf den Bereich der Vergabe besonderer Dienstleistungen zu übertragen.
11Vorliegend hat die vergebende Stelle in analoger Anwendung des § 137 BVergG 2018 das Angebot der drittmitbeteiligten Partei nicht nur selbst geprüft, sondern dazu überdies eine Steuerberatungskanzlei beigezogen.
12Für die gemäß § 20 Abs. 1 letzter Satz iVm § 151 Abs. 1 BVergG 2018 vom Verwaltungsgericht vorzunehmende Prüfung der Preisangemessenheit des Angebots der drittmitbeteiligten Partei bedarf es auf Grund der Komplexität der Fragestellungen, die sich insbesondere in Bezug auf die Nachvollziehbarkeit der Kalkulationsunterlagen der drittmitbeteiligten Partei und die Wirtschaftlichkeit ihres Angebots ergeben und die die vergebende Stelle trotz ihrer umfangreichen Erfahrung im Vergabewesen zur Beiziehung einer Steuerberatungsgesellschaft veranlasst hat, eines besonderen, vor allem betriebswirtschaftlichen Sachverstandes.
13Dass der Fachsenat des Verwaltungsgerichts, der das vorliegende Nachprüfungsverfahren geführt und das angefochtene Erkenntnis erlassen hat, über den zur Plausibilitätsprüfung erforderlichen Sachverstand verfügt hat, ist dem angefochtenen Erkenntnis nicht zu entnehmen. Mangels der erforderlichen betriebswirtschaftlichen Fachkenntnisse hätte das Verwaltungsgericht daher gemäß § 52 Abs. 1 AVG iVm § 17 VwGVG für die von ihm durchzuführende Plausibilitätsprüfung einen Sachverständigen beiziehen müssen. In diesem Zusammenhang ist nicht ausgeschlossen, dass ein Sachverständiger die Plausibilität der Preisgestaltung der drittmitbeteiligten Partei anders beurteilt hätte. Das Verwaltungsgericht hat somit wie die revisionswerbende Partei zu Recht moniert das angefochtene Erkenntnis insofern mit einem wesentlichen Verfahrensmangel belastet.
14Das angefochtene Erkenntnis war daher in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG ebenso wie der angefochtene Beschluss mangels rechtlicher Grundlage aufzuheben.
15 Es erübrigt sich daher auf das weitere Vorbringen der revisionswerbenden Parteien näher einzugehen.
16Von der Durchführung der von der revisionswerbenden Partei beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
17Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 29. September 2025
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