Zurückweisung eines Antrags auf Entscheidung eines Kompetenzkonfliktes zwischen dem Bezirksgericht Steyr und dem Bürgermeister der Stadt Steyr mangels Vorliegens eines verneinenden Kompetenzkonfliktes; keine Bedenken gegen Bestimmungen des Oö Kinder- und JugendhilfeG 2014 betreffend den – im Ermessen des Kinder- und Jugendhilfeträgers liegenden – Ausschluss der Akteneinsicht in die Dokumentation; eigenständige Entscheidung des zuständigen Gerichtes über die Obsorge iSd Kindeswohls erfolgt in einem den rechtsstaatlichen und den Anforderungen des Art6 EMRK entsprechenden Verfahren; kein Vorliegen eines negativen Kompetenzkonfliktes durch die Versagung der Akteneinsicht durch beide angerufenen Behörden angesichts der von ihnen jeweils anzuwendenden Rechtsvorschriften
Der Kinder- und Jugendhilfeträger (seine "Organisationseinheiten") hat über die Erbringung von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere über die Gefährdungsabklärung und Hilfeplanung, eine schriftliche Dokumentation zu führen. Die Mitarbeiter der Organisationseinheiten des Kinder- und Jugendhilfeträgers sind grundsätzlich zur (Verschwiegenheit bzw nunmehr) Geheimhaltung verpflichtet. (Auch ehemalige) Pflege- und Erziehungsberechtigte haben allerdings das Recht auf "Auskünfte" über alle dem Kinder- und Jugendhilfeträger (seinen "Organisationseinheiten") bekannte Tatsachen "ihres" Privat- und Familienlebens, soweit nicht Interessen der betreuten Kinder und Jugendlichen, bestimmter anderer Personen oder überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen. Auch wenn solche Auskünfte sowohl mündlich als auch durch Einsicht in die Dokumentation gewährt werden können, räumt diese Bestimmung doch kein Recht auf generelle Akteneinsicht zugunsten von Elternteilen ein (ein solches Recht lässt sich auch nicht aus §181 ABGB ableiten).
Der VfGH hegt gegen das Recht auf Auskunft nach Maßgabe von §14 Oö KJHG 2014, aber kein Recht auf Akteneinsicht in die Dokumentation des Kinder- und Jugendhilfeträgers vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles keine rechtsstaatlichen Bedenken: Entscheidungen über die Obsorge trifft das zuständige Gericht im Außerstreitverfahren nach Maßgabe des Kriteriums des Kindeswohls. Auch wenn einem solchen Verfahren ein (wenn auch nach Umständen erst nachträglicher) Antrag des Kinder- und Jugendhilfeträgers zugrunde liegt, ist es Aufgabe des Außerstreitgerichtes, das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzung für Verfügungen über die Obsorge (bzw über die Rechtmäßigkeit vorläufiger Maßnahmen des Kinder- und Jugendhilfeträgers) eigenständig in einem rechtsstaatlichen und den Anforderungen des Art6 EMRK entsprechenden Verfahren festzustellen, ohne an Vorbringen oder Berichte des Kinder- und Jugendhilfeträgers gebunden zu sein. Der VfGH sieht sich daher nicht veranlasst, von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich §13 und §14 Oö KJHG 2014 (oder §181 ABGB) einzuleiten.
Der Bürgermeister der Stadt Steyr hat mit Bescheid vom 08.07.2024 über einen explizit auf "Akteneinsicht" gerichteten Antrag formal zurückweisend, der Sache nach jedoch inhaltlich dahingehend entschieden, dass ein Recht auf Akteneinsicht weder aus §17 AVG noch aus §14 Oö KJHG 2014 abzuleiten sei.
Das Bezirksgericht Steyr hat in seinem Beschluss vom 14.06.2024 das Begehren, dem Kinder- und Jugendhilfeträger die Aktenvorlage an das Gericht bzw diesem die Gewährung der Akteneinsicht an die Antragstellerin aufzutragen, im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass die Dokumentation des Kinder- und Jugendhilfeträgers derzeit nicht Teil des Gerichtsaktes sei und es im Übrigen im Ermessen des Gerichtes liege, ob es zur Sachverhaltsfeststellung den Akt des Kinder- und Jugendhilfeträgers beischaffe oder die erforderlichen Feststellungen zur Frage der Kindeswohlgefährdung anderweitig vornehme (und dass das [vom Bezirksgericht missverständlich als "Akteneinsicht"] bezeichnete Auskunftsrecht nach §14 Oö KJHG 2014 nicht in seinen Entscheidungsbereich falle).
Angesichts der Rechtslage, wonach ein Recht auf Akteneinsicht in die Dokumentation des Kinder- und Jugendhilfeträgers nicht eingeräumt ist, begründen diese Entscheidungen keinen verneinenden Kompetenzkonflikt, sondern legen die beiden angerufenen Behörden jeweils aus der Perspektive der von ihnen anzuwendenden Rechtsvorschriften und im Ergebnis zutreffend dar, dass diese kein Recht auf Akteneinsicht zu vermitteln vermögen (ob diese beiden Entscheidungen in allen Punkten zutreffend begründet sind, hat der VfGH im Rahmen eines Verfahrens zur Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes nicht zu beurteilen).
(Vgl B v 18.09.2025, G93/2024 ua, Ablehnung der Behandlung eines Parteiantrages).
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