Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Schaller als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Dr. Miljevic-Petrikic und Mag. Schmied in der Rechtssache der klagenden Partei A* , **, vertreten durch Anzböck Brait Rechtsanwälte GmbH in Tulln, gegen die beklagte Partei B* GmbH Co KG , **, vertreten durch Mag. Arnulf Schaunig, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 16.791,40 s.A. (hier wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 14.08.2025, **-6, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.176,18 (darin enthalten EUR 196,03 USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Begründung :
Mit Mahnklage vom 25.6.2025 begehrte der Kläger EUR 16.791,40 s.A. und brachte dazu vor, er habe mit der Beklagten einen Werkvertrag über die Errichtung einer Wärmepumpe abgeschlossen. Die Beklagte sei ihrer vereinbarten Verpflichtung, die Förderungsabwicklung für diese Wärmepumpe durchzuführen, nicht nachgekommen, weshalb dem Kläger die Förderung in Höhe von EUR 16.000 entgangen sei. Der Kläger habe deren Abwicklung mehrfach urgiert, sei jedoch von der Beklagten immer nur vertröstet worden.
Der antragsgemäß erlassene Zahlungsbefehl wurde der Beklagten durch elektronische Hinterlegung am 26.6.2025 zugestellt. Die erste elektronische Verständigung erfolgte am 25.6.2025 um 17:56 Uhr, die zweite Verständigung am 27.6.2025 um 18:00 Uhr, jeweils an die Verständigungsadresse „**“.
Mit Eingabe vom 11.8.2025 (ON 3) begehrte die Beklagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Frist zur Erhebung eines Einspruchs gegen den Zahlungsbefehl und holte unter einem den Einspruch nach.
Sie brachte im Wesentlichen vor, ihr Geschäftsführer überwache zwar den Posteingang mit äußerster Sorgfalt, er sei allerdings infolge der Planung des eigenen Urlaubs, der seiner Mitarbeiter und der Übernahme eines Unternehmens mit zahlreichen dringlichen Aufgaben konfrontiert gewesen, weshalb er die Benachrichtigung über die elektronische Zustellung des Zahlungsbefehls übersehen habe. Erst am 7.8.2025 sei ihm diese aufgefallen. Beim Unterlassen des Öffnens des E-Mails handle es sich um ein unabwendbares Ereignis, wodurch die Beklagte an der Vornahme der Erhebung eines Einspruchs gehindert worden sei. Das Übersehen eines E-Mails stelle einen minderen Grad des Versehens dar und könne einem gewissenhaften Geschäftsführer in beruflichen Stresssituationen selbst bei höchster Sorgfalt widerfahren.
Der Kläger sprach sich gegen die Wiedereinsetzung aus. Das Vorbringen der Beklagten enthalte keinen Wiedereinsetzungsgrund, vielmehr sei das Übersehen des E-Mails durch ihren Geschäftsführer als grob fahrlässig zu werten. Die Planung des eigenen Urlaubs sowie der seiner Mitarbeiter und die Übernahme eines Unternehmens mit dringlichen Aufgaben würden ihn nicht davon entbinden, das elektronische Postfach täglich zu überprüfen, allenfalls sei eine solche Aufgabe an verlässliche Mitarbeiter zu delegieren.
Mit dem angefochtenen Beschlusswies das Erstgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung ab und den Einspruch als verspätet zurück. Es traf die eingangs angeführten Feststellungen. Rechtlich ging es davon aus, die Beklagte, die als Unternehmerin Teilnehmerin an der elektronischen Zustellung sei, müsse in ihrem Unternehmen die organisatorischen Voraussetzungen dafür schaffen, dass durch elektronische Hinterlegung gemäß § 35 ZustG zugestellte behördliche Dokumente (elektronisch) abgeholt werden könnten. Das Vergessen auf die Hinterlegungsanzeige sei als auffallende Sorglosigkeit zu werten, zumal dem Geschäftsführer der Fehler erst über sechs Wochen später aufgefallen sei. Sollte tatsächlich eine – wie von der Beklagten behauptete - derartige Arbeitsbelastung vorgelegen haben, so wäre von einer ordentlichen Unternehmerin zu erwarten gewesen, (vorab) entsprechende Schritte zu setzen, um derartige Fehler zu vermeiden. Durch das Übersehen der behördlichen Zustellung über mehrere Wochen habe die Beklagte ihre Sorgfalts- und Organisationspflichten verletzt, sodass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen sei.
Die Einvernahme des Geschäftsführers der Beklagten habe unterbleiben können, weil sich bereits aus dem Vorbringen keine leichte Fahrlässigkeit, sondern vielmehr eine auffallende Sorglosigkeit ergebe.
Als Folge der Abweisung der Wiedereinsetzung sei der Einspruch - mangels Wahrung der dafür vorgesehenen Frist - als verspätet zurückzuweisen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und wesentlichen Verfahrensmängeln mit dem Antrag, den Wiedereinsetzungsantrag zu bewilligen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger begehrt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
1. Zur Rechtsrüge
1.1 Voranzustellen ist zunächst, dass die wirksame Zustellung des Zahlungsbefehls von der Rekurswerberin nie bestritten wurde. Durch die wirksame Zustellung wurde die Einspruchsfrist gegen den Zahlungsbefehl in Lauf gesetzt, sodass lediglich zu prüfen bleibt, ob der Beklagten gegen die Versäumung der Einspruchsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen ist.
1.2Wie das Erstgericht zutreffend erkannte (§§ 526 Abs 3 iVm 500a ZPO), hat die Beklagte schon nach ihrem eigenen Vorbringen einen nicht nur minderen Grad des Versehens (leichte Fahrlässigkeit), sondern eine auffallende Sorglosigkeit (grobe Fahrlässigkeit), zu verantworten (vgl OLG Wien 7 Ra 67/14w).
Grobe Fahrlässigkeit bezeichnet jene Fälle auffälliger Sorglosigkeit, in denen die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maß verletzt wurde oder naheliegende Überlegungen nicht angestellt wurden, also eine Sorgfaltswidrigkeit, die einem ordentlichen Menschen in der gegebenen Situation keinesfalls unterlaufen wäre ( Gitschthaler in Rechberger/Klicka, ZPO 5§ 146 Rz 7; RS0036795; OLG Wien 8 Ra 45/25h). Leichte Fahrlässigkeit hingegen liegt vor, wenn das Verhalten auf einem Fehler beruht, der gelegentlich auch einem sorgfältigen Menschen unterläuft (EFSlg 90.893). Ob eine auffallende Sorglosigkeit oder (nur) eine Sorglosigkeit minderen Grades vorliegt, ist regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls abhängig (5 Ob 185/15i; 9 ObA 57/02a).
1.3 An einen Unternehmer ist jedenfalls ein höherer Sorgfaltsmaßstab anzulegen (vgl OLG Wien 10 R 20/25x, 5 R 191/22b, Klauser/Kodek, JN–ZPO 18§ 146 ZPO E 122). Von diesem ist im Rahmen seiner Sorgfalts-, Organisations- und Kontrollpflichten ein System der Postbearbeitung und
1.4 Im Rahmen der elektronischen Zustellung trifft den Empfänger die Obliegenheit zu kontrollieren, ob bei seiner elektronischen Adresse elektronische Verständigungen eingelangt sind, will er mögliche nachteilige Rechtsfolgen vermeiden (vgl OLG Wien 33 R 114/24p; ErläutRV 294 BlgNR 23. GP 24; Stumvoll in Fasching/Konecny 3II/2 § 35 ZustG Rz 21).
Wie vom Erstgericht festgestellt und von der Rekurswerberin zugestanden, erhielt die Beklagte - wie in § 35 Abs 2 ZustG vorgesehen – nicht nur eine, sondern im Abstand von zwei Tagen zwei Benachrichtigungen über die elektronische Hinterlegung des Schriftstücks. Beide wurden vom Geschäftsführer, dessen Verhalten - als gesetzlicher Vertreter - sich die Beklagte zurechnen lassen muss, übersehen.
Damit unterscheidet sich der vorliegende Fall von jenen, in denen das einmalige Übersehen eines Schriftstücks durch eine Privatperson als nur leicht fahrlässig beurteilt wurde und einer Wiedereinsetzung nicht entgegenstand (OLG Wien 11 R 178/12w, 13 R 107/19d). Die Beklagte hätte nicht nur einmal, sondern sogar zweimal die Möglichkeit gehabt, von der Hinterlegung zu erfahren. Zudem ist auf sie – bzw. ihren Geschäftsführer - der erhöhte Sorgfaltsmaßstab eines Unternehmers anzuwenden.
1.5 Soweit die Beklagte den Fehler mit der hohen Arbeitsauslastung des Geschäftsführers – unter anderem zurückzuführen auf die Planung des eigenen Urlaubs sowie dem seiner Mitarbeiter - begründet, ist ihr entgegenzuhalten, dass sie dies nicht von ihrer Obliegenheit entbindet, ihr Postfach auf das Einlangen von wichtigen elektronischen Verständigungen zu kontrollieren. Dies gilt umso mehr, als ihr bereits bekannt war, dass der Kläger mit ihrer Arbeit unzufrieden war und seine Ansprüche bereits mehrfach urgiert hat, wodurch mit einer gerichtlichen Geltendmachung gerechnet werden konnte.
Gerade in Zeiten mit hoher Arbeitsbelastung kommt der den Unternehmer treffenden Sorgfalts- und Organisationspflicht große Bedeutung zu. Wie von der Beklagten selbst ausgeführt, befand sich der Geschäftsführer in einer beruflichen Stresssituation, die nicht nur in der Planung von Urlauben, sondern auch in der Übernahme eines Unternehmens lag. Er hätte sich sohin der Gefahr bewusst sein müssen, dass Aufgaben möglicherweise nicht mit der gewohnten Sorgfalt erledigt werden können und es wäre an ihm gelegen, entsprechende Vorkehrungen zu treffen, wie etwa gewisse Arbeitsaufgaben zu delegieren.
1.6 Wenn die Beklagte moniert, das Erstgericht habe es unterlassen festzustellen, dass bei der Beklagten bis zum vorliegenden Vorfall kein behördliches Schriftstück jemals nicht entgegengenommen worden sei, ist festzuhalten, dass ein solches Vorbringen in erster Instanz nicht erstattet wurde. Schon deshalb liegt kein sekundärer Feststellungsmangel vor. Im Übrigen schließt der Umstand, dass ein Sorgfaltsverstoß erstmalig begangen wird, grobe Fahrlässigkeit nicht aus.
2. Zur Verfahrensrüge
2.1 Die Beklagte beanstandet im Rahmen ihrer Verfahrensrüge die unterbliebene Einvernahme ihres Geschäftsführers und wirft dem Erstgericht vorgreifende Beweiswürdigung vor.
Die Nichteinvernahme von Zeugen oder Parteien für sich alleine begründet noch keinen Verfahrensmangel; erst die Tatsachenfeststellung im Urteil/ Beschluss, die anders lautet als die Zeugen oder die Partei hätten dartun können, stellt die vorgreifende Beweiswürdigung dar.
Da vorliegend bereits das Vorbringen der Beklagten nicht geeignet war, von einer bloß leichten Fahrlässigkeit des Geschäftsführers auszugehen, konnte dessen Einvernahme zur Bescheinigung eben jenes Vorbringens zu Recht unterbleiben.
2.2 Wenn die Beklagte moniert, es sei ihr keine Möglichkeit gegeben worden, die Wiedereinsetzungsgründe und die Begleitumstände näher auszuführen, übersieht sie, dass im Wiedereinsetzungsverfahren die Eventualmaxime gilt, weshalb im Antrag – bei sonstigem Ausschluss – sämtliche dem Antragsteller bekannten Wiedereinsetzungsgründe und Bescheinigungsmittel geltend gemacht werden müssen. Nachträgliche Ergänzungen des Vorbringens sind (nur) zulässig, soweit sie die im Wiedereinsetzungsantrag vorgebrachten Tatsachen verdeutlichen oder präzisieren bzw richtig stellen, ergänzen oder erläutern. Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen ( Ziehensack in Höllwerth/Ziehensack, ZPO Taschenkommentar 2§ 149 Rz 2). Im Übrigen hat das Gericht eine mündliche Verhandlung gemäß § 149 Abs 2 ZPO nur durchzuführen, wenn es eine solche für erforderlich hält. Die Einholung einer Replik des Wiedereinsetzungswerbers zur Äußerung des Gegners ist nicht notwendig ( Gitschthaler in Rechberger/Klicka, ZPO 5 §§ 148-149 Rz 11).
3.Zusammengefasst liegt kein Verfahrensmangel vor. Im Ergebnis ist schon nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten von einem groben Verschulden ihres Geschäftsführers bei der Organisation des Postwesens auszugehen, das gemäß § 146 ZPO der Bewilligung der Wiedereinsetzung entgegensteht.
4. Dem Rekurs war sohin ein Erfolg zu versagen.
5.Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50, 154 ZPO.
6.Die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses folgt aus § 528 Abs 2 Z 2 ZPO. Die Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrags ist einer Klagszurückweisung nicht gleichzuhalten (RS0044536 [T1, T4]).
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