Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Fabian als Vorsitzende sowie den Richter MMag. Klaus und die Richterin Mag. Kulka in der Rechtssache der Antragstellerin Österreichische Gesundheitskasse , Wienerbergstraße 15-19, 1100 Wien, gegen die Antragsgegnerin A* KG , FN **, **, wegen Insolvenzeröffnung, über den Rekurs des unbeschränkt haftenden Gesellschafters B*, geboren am **, gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 25.9.2025, ** 7, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Erstgericht eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Begründung
Die Antragsgegnerin ist seit 4.8.2017 mit dem Geschäftszweig Gastronomie im Firmenbuch eingetragen. Unbeschränkt haftender Gesellschafter der Antragsgegnerin ist
B*, der die Gesellschaft seit 11.10.2022 selbstständig vertritt.
Mit Antrag vom 22.8.2025 begehrte die Antragstellerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Antragsgegnerin. Diese schulde ihr laut dem angeschlossenen Rückstandsausweis vom selben Tag EUR 3.601,84 aus Beiträgen für den Zeitraum 12/2024 bis 06/2025. Die Zahlungsunfähigkeit werde mit dem Zeitraum der rückständigen Beiträge und dem gegen die Antragsgegnerin zu ** des Bezirksgerichts Josefstadt geführten Exekutionsverfahren glaubhaft gemacht.
Eine Abfrage des Erstgerichts im Exekutionsregister ergab das von der Antragstellerin genannte Exekutionsverfahren. Abfragen nach Vorakten, im Grundbuch, in der Liste der Vermögensverzeichnisse, wegen offenkundiger Zahlungsunfähigkeit sowie im KFZ-Zentralregister verliefen negativ.
Mit Beschluss vom 25.8.2025 (ON 3) gab das Erstgericht bekannt, dass die Entscheidung über den Konkurseröffnungsantrag ohne Verhandlung erfolgen und rechtliches Gehör schriftlich gewährt werde. Es forderte die Antragsgegnerin unter anderem auf, bis 24.9.2025 einen Kostenvorschuss von EUR 4.000,- zu erlegen und das ausgefüllte Vermögensverzeichnis zu übermitteln. Sollte die Zahlungsunfähigkeit bestritten werden, seien Belege über die Vollzahlung oder eine Ratenvereinbarung samt Zahlungsbelegen hinsichtlich der Antragstellerin, des Finanzamtes und der Gläubiger, die Exekution führen, vorzulegen. Dieser Beschluss wurde am 4.9.2025 durch Hinterlegung zugestellt und einem Vertreter der Antragsgegnerin am 22.9.2025 ausgefolgt.
Das Finanzamt gab am 1.9.2025 einen Zahlungsrückstand von EUR 611,95 bekannt, der exekutiv betrieben werde.
Die Antragstellerin teilte am 10.9.2025 mit, dass seit der Antragstellung keine Zahlungen erfolgt seien und dass kein Kostenvorschuss erlegt werde.
Eine Äußerung der Antragsgegnerin erfolgte nicht.
Mit dem angefochtenen Beschluss stellte das Erstgericht die Zahlungsunfähigkeit der Antragsgegnerin fest und erklärte, das Insolvenzverfahren mangels kostendeckenden Vermögens nicht zu eröffnen. Den Insolvenzeröffnungsantrag wies es ab. Die Forderung der Antragstellerin sei durch den vollstreckbaren Rückstandsausweis vom 22.8.2025 mit EUR 3.601,84 sA glaubhaft gemacht worden. Die Zahlungsunfähigkeit ergebe sich aus dem Zurückreichen der Beitragsrückstände bis 12/2024. Kostendeckendes Vermögen der Antragsgegnerin habe nicht festgestellt werden können. Da die Antragstellerin erklärt habe, keinen Kostenvorschuss zu erlegen, sei der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens abzuweisen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des unbeschränkt haftenden Gesellschafters der Antragsgegnerin mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer Abweisung mangels Zahlungsunfähigkeit. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
Die Antragstellerin beteiligte sich nicht am Rekursverfahren.
Der Rekurs ist im Sinne seines impliziten Aufhebungsantrags (RS0041774 [T1]) berechtigt .
1.1Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wird organschaftlichen Vertretern einer juristischen Person in § 69 Abs 3 und 4 IO eine selbständige verfahrensrechtliche Stellung zugebilligt, sodass sie im Insolvenzeröffnungsverfahren zur Anfechtung auch im eigenen Namen legitimiert sind (8 Ob 17/20p; RS0114476).
1.2 Ob der unbeschränkt haftende Gesellschafter den Rekurs auch im Namen der Gesellschaft erhob, kann daher dahingestellt bleiben, weil die Rekurslegitimation jedenfalls gegeben ist.
2. Der Rekurswerber bestreitet die Zahlungsunfähigkeit der Antragsgegnerin und auch den Umstand, dass kein kostendeckendes Vermögen vorhanden sei. Sie habe nach Erlassung des angefochtenen Beschlusses die Forderungen sämtlicher Gläubiger vollständig befriedigt.
Dem Rekurs schloss er einen Auszug des Steuerkontos der Antragsgegnerin an, wonach aufgrund der Verrechnung mit einer Umsatzsteuervoranmeldung vom 15.9.2025 in Höhe von EUR 626,47 sowie der Vorschreibung weiterer Abgaben und Nebengebühren am 6.10.2025 ein fälliger Rückstand von EUR 169,69 bestand. Weiters legte er Überweisungsbelege jeweils vom 2.10.2025 zu Zahlungen von EUR 69,- an das Finanzamt sowie von EUR 3.352,53 und EUR 2.500 an die Antragstellerin vor. Bereits mit Email vom 3.10.2025 (ON 8) wurden diese Zahlungsbelege übermittelt.
3.Jede Abweisung eines Insolvenzeröffnungsantrags mangels kostendeckenden Vermögens setzt voraus, dass die Eröffnungsvoraussetzungen des § 70 IO bescheinigt sind.
Gemäß § 70 Abs 1 IO ist das Insolvenzverfahren auf Antrag eines Gläubigers unverzüglich zu eröffnen, wenn er glaubhaft macht, dass er eine – wenngleich nicht fällige – Insolvenzforderung hat und der Schuldner zahlungsunfähig ist.
Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn ein Schuldner infolge eines nicht bloß vorübergehenden Mangels an bereiten Zahlungsmitteln seine fälligen Schulden in angemessener Frist nicht erfüllen und sich die dafür erforderlichen Mittel auch nicht alsbald beschaffen kann (RS0064528).
4. Die Antragstellerin bescheinigte mit der Vorlage des vollstreckbaren Rückstandsausweises sowohl den Bestand ihrer Forderung als auch aufgrund der Dauer des Rückstandes die Zahlungsunfähigkeit der Antragsgegnerin. Die Nichtzahlung von rückständigen Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen ist ein ausreichendes Indiz für das Bestehen der Zahlungsunfähigkeit, weil es sich bei diesen Forderungen um Betriebsführungskosten handelt. Diese werden von den zuständigen Behörden und Institutionen bekanntlich so rasch in Exekution gezogen, dass sich ein Zuwarten mit ihrer Zahlung bei vernünftigem wirtschaftlichem Vorgehen verbietet und im Allgemeinen nur aus einem Zahlungsunvermögen erklärbar ist ( Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger , InsR 4 § 66 KO Rz 69; Mohr, IO 11 § 70 E 70, E 74).
5. Wird vom Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit fürs Erste bescheinigt, liegt es an der Antragsgegnerin, die Gegenbescheinigung zu erbringen, dass sie zahlungsfähig ist. Um die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit zu entkräften, ist der Nachweis erforderlich, dass die Forderungen sämtlicher Gläubiger – einschließlich der Antragstellerin – bezahlt werden konnten oder zumindest mit allen Gläubigern Zahlungsvereinbarungen getroffen wurden, die der Schuldner auch einzuhalten im Stande ist.
6.Bei der Beurteilung der Frage, ob die Insolvenzvoraussetzungen vorliegen, ist im Rechtsmittelverfahren wegen der Neuerungserlaubnis des § 260 Abs 2 IO die Sachlage im Zeitpunkt der Beschlussfassung in erster Instanz - hier der 25.9.2025 – und die Bescheinigungslageim Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel maßgebend (RS0065013 [T1]).
Grundsätzlich gilt im Insolvenzverfahren für die Rekursausführungen kein Neuerungsverbot (RS0043943). Die Einschränkung der Neuerungserlaubnis, wonach Anträge, Erklärungen und Einwendungen, zu deren Erstattung eine Tagsatzung vorgesehen war, von den trotz Ladung dort nicht Erschienenen nicht mehr vorgebracht werden können (§ 259 Abs 2 IO; RS0115313; RS0110967 [T6]), kommt hier nicht zum Tragen, weil das Erstgericht das Verfahren schriftlich und ohne Abhaltung einer Tagsatzung durchführte. Di e Antragsgegnerin hatte daher auch die Möglichkeit, i m Rechtsmittel neue Tatsachen, soweit sie bereits zur Zeit der Beschlussfassung in erster Instanz entstanden waren, und neue Beweismittel anzuführen.
7. Der Rekurswerber gesteht selbst zu, dass die Zahlungen an die Gläubiger erst nach Fassung des angefochtenen Beschlusses erfolgten. Die Forderungen waren daher im hier maßgeblichen Zeitpunkt nicht geregelt.
Hinzu kommt, dass laut den dem Rekurs angeschlossenen Urkunden der Rückstand beim Finanzamt zum 6.10.2025 EUR 169,69 betrug, aber nur EUR 69,- an diese Gläubigern überwiesen wurden.
Erhebungen des Rekursgerichts (§ 254 Abs 5 IO; RS0064997, RS0065221) ergaben, dass das im Insolvenzantrag genannte Exekutionsverfahren ** des Bezirksgerichts Josefstadt immer noch offen ist.
8. Damit ist der Antragsgegnerin die Gegenbescheinigung ihrer Zahlungsfähigkeit nicht gelungen und es ist weiterhin von ihrer Zahlungsunfähigkeit auszugehen.
9.Weitere, nach ständiger Rechtsprechung von Amts wegen zu prüfende Voraussetzung für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 254 Abs 5 IO) ist neben dem Bestand einer Insolvenzforderung und der Zahlungsunfähigkeit der Antragsgegnerin nach § 71 Abs 1 IO das Vorhandensein kostendeckenden Vermögens. Solches liegt nach § 71 Abs 2 IO vor, wenn das Vermögen der Antragsgegnerin zumindest ausreicht, um die im Gerichtshofverfahren üblicherweise mit EUR 4.000,- veranschlagten Anlaufkosten des Verfahrens bis zur Berichtstagsatzung zu decken. Dieses Vermögen muss weder sofort noch ohne Aufwand verwertbar sein; dabei sind auch Anfechtungsansprüche zu berücksichtigen.
9.1Für juristische Personen normiert § 72 IO, dass das Insolvenzverfahren bei Fehlen kostendeckenden Vermögens auch dann zu eröffnen ist, wenn die organschaftlichen Vertreter dieser juristischen Person einen Betrag zur Deckung der Kosten vorschussweise erlegen oder feststeht, dass die organschaftlichen Vertreter über Vermögen verfügen, das zur Deckung der Kosten ausreicht. Gemäß § 72d IO ist neben den organschaftlichen Vertretern auch der Mehrheitsgesellschafter zum Erlag eines Kostenvorschusses verpflichtet; §§ 72 bis 72c IO gelten für ihn entsprechend. Zusammengefasst darf ein Insolvenzeröffnungsantrag gegen eine juristische Person nur dann mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen werden, wenn weder das Vermögen der juristischen Person noch das ihrer organschaftlichen Vertreter noch ihres Mehrheitsgesellschafters ausreicht, um die Anlaufkosten des Insolvenzverfahrens zu decken und wenn – trotz Aufforderung durch das Gericht – weder die organschaftlichen Vertreter noch der Mehrheitsgesellschafter der juristischen Person oder die Antragstellerin den ihnen aufgetragenen Kostenvorschuss erlegen.
9.2Eine wesentliche Grundlage für die Erhebungen zum kostendeckenden Vermögen bildet das von der Antragsgegnerin zu unterfertigende Vermögensverzeichnis, zu dessen Vorlage sie nach den §§ 71 Abs 4, 100, 100a, 101 IO vom Gericht anzuhalten ist. Auch ein Vermögensverzeichnis nach § 47 EO entbindet das Gericht nicht von seiner Pflicht nach § 100 IO, die Antragsgegnerin zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses nach den §§ 100, 100a IO anzuhalten. Im Unterschied zum Exekutionsverfahren sind in dem im Rahmen des Insolvenzverfahrens zu erstellenden Vermögensverzeichnis insbesondere auch Angaben zur Beurteilung von Anfechtungsansprüchen zu machen (§ 100a Abs 2 IO; siehe auch § 185 IO).
9.3Angesichts der vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Sanktionsmöglichkeiten (§§ 100, 101 IO) und der amtswegigen Erhebungspflicht ist das Erstgericht nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates befugt und verpflichtet, falls der ordnungsgemäßen Ladung zur Einvernahmetagsatzung keine Folge geleistet wird, bereits nach einmaligem Nichterscheinen des Geschäftsführers/der Geschäftsführer der Antragsgegnerin die zwangsweise Vorführung zu einer Einvernahmetagsatzung anzuordnen (vgl Mohr, IO 11 § 71 E 48 ff). Daran kann auch die beschlussmäßige Aufforderung zur Leistung des Kostenvorschusses an die Geschäftsführer der Antragsgegnerin nichts ändern.
Das Unterbleiben dieses Ladungs- und (sodann) Vorführversuchs begründet einen Verfahrensmangel, der, da er gegen zwingende Verfahrensvorschriften der IO verstößt, auch wenn dies im Rekurs nicht geltend gemacht wurde, von Amts wegen wahrgenommen werden muss ( Mohr, IO 11 § 71 E 75).
10. Dem Rekurs war daher im Sinne einer Aufhebung Folge zu geben. Der Antragsgegnerin wird mit der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses die Möglichkeit eröffnet, ihre offenen Forderungen und Rechtsverhältnisse zu regeln.
Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren die Frage des Vorliegens von kostendeckendem Vermögen neu zu beurteilen haben. Im Zweifel wird vom Vorliegen kostendeckenden Vermögens auszugehen und der Konkurs – bei Fortbestehen der Zahlungsunfähigkeit – unverzüglich zu eröffnen sein.
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