Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Mag. Jilke als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Neubauer und Mag. Wolfrum, LL.M., als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 3 SMG und weiteren strafbaren Handlungen über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft St. Pölten gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 18. September 2025, GZ ** 202, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
In Stattgebung der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die Fortführung des Verfahrens hinsichtlich der Angeklagten A* wegen der zu A./I./b./ und A./II./ der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Steyr vom 8. April 2025 (ON 153) dargestellten Taten aufgetragen.
Begründung:
Mit Anklageschrift vom 8. April 2025 (ON 153) legte die Staatsanwaltschaft Steyr A* das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 3 SMG (A./I./) und das Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (A./II./) zur Last.
Demnach habe sie in den Bezirken ** und ** sowie anderen Orten des Bundesgebiets vorschriftswidrig Suchtgift
I. in einer die Grenzmenge (§ 28b) das Fünfzehnfache übersteigenden Menge als Beitragstäterin ein- und ausgeführt, indem sie im Zeitraum zumindest 27.07.2023 bis zum 10.04.2024 in wiederholten (zumindest zwei) Angriffen der abgesondert verfolgten B*
a. am 27.07.2023 ihren PKW Mazda 3, amtliches Kennzeichen **, zur Ein- und Ausfuhr zur Verfügung stellte, wobei es hinsichtlich dieser Beschaffungsfahrt in die Tschechische Republik beim Versuch blieb, da B* bei dieser Fahrt kein Suchtgift erwerben konnte,
b. vorab am 09.04.2024 Bargeld in der Höhe von EUR 300,00 für den Ankauf von insgesamt zumindest 4 Gramm Crystal Meth übergab und am 09.10.24 bzw 10.04.24 ihren PKW Mazda 3, amtliches Kennzeichen **, zur Ein- und Ausfuhr von zumindest 198,3 Gramm Crystal Meth zur Verfügung stellte, wobei diese das Crystal Meth mit einem Reinheitsgehalt von 76 % +/- 2,4 % Methamphetamin (vgl ON 63.48) (15,0708 - fache der Grenzmenge) im Zuge einer Beschaffungsfahrt in der Tschechischen Republik ankaufte und über die Grenze nach Österreich transportierte, es jedoch hinsichtlich dieser Beschaffungsfahrt aufgrund der Festnahme der B* zu keiner Übergabe an A* mehr kam,
II. nämlich eine noch näher festzustellende Menge an Crystal Meth (Methamphetamin) seit Ende Juli 2023 bis Mai 2024, zumindest jedoch 8 Gramm, erworben und bis zum Eigenkonsum besessen, wobei sie die Straftaten ausschließlich zum persönlichen Gebrauch beging.
In der Hauptverhandlung vom 24. Juni 2025 bekannte sich A* teilweise schuldig im Sinne der Anklageschrift (ON 189.2 S 5) und führte soweit für das gegenständliche Rechtsmittelverfahren relevant zum Anklagefaktum A./I./b./ aus, sie habe nicht gedacht, dass die abgesondert verfolgte B* 180,3 Gramm Crystal Meth, sondern lediglich eine erheblich geringere Menge von ca. 40 bis 50 Gramm „holen“ (ON 189.2 S 10), somit mit Hilfe des Fahrzeuges der Angeklagten Crystal Meth aus Tschechien aus und nach Österreich einführen werde. Zum Anklagefaktum A./II./ bekannte sich A* schuldig (ON 189.2 S 11).
Nachdem in der fortgesetzten Verhandlung vom 3. September 2025 nach Ausscheidung der Anklagefakten A./I./b./ und A./II./ „zur diversionellen Vorgehensweise“ mit einem Teilfreispruch in Ansehung des Anklagefaktums A./I./a./ gemäß § 259 Z 3 StPO vorgegangen worden war (ON 198.4), bot der Vorsitzende des Schöffensenats der Angeklagten nach Fortsetzung der Verhandlung in Ansehung der Anklagepunkte A./I./b./ und A./II./ eine diversionelle Verfahrensbeendigung gemäß § 201 StPO, nämlich Erbringung gemeinnütziger Leistungen im Ausmaß von 120 Stunden binnen sechs Monaten sowie Bezahlung der Pauschalkosten in Höhe von EUR 100, an (ON 198.5 S 16), zu welcher sich die Angeklagte, deren Verteidiger sowie der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft St. Pölten zustimmend äußerten (ON 198.5 S 17).
Mit dem angefochtenen Beschluss stellte der Vorsitzende des Landesgerichts St. Pölten das Verfahren gegen A* in Ansehung der Anklagepunkte A./I./b./ und II./ der Anklageschrift vom 8. April 2025 gemäß §§ 201 Abs 1 StPO iVm § 199 StPO vorläufig ein, führte aus, der Sachverhalt sei hinreichend geklärt, wobei sich die unbescholtene Angeklagte in der Hauptverhandlung umfassend geständig gezeigt und damit die gesetzlich geforderte Voraussetzung der Verantwortungsübernahme erfüllt habe.
Dagegen richtet sich die fristgerechte Beschwerde der Staatsanwaltschaft St. Pölten, die eine Fortsetzung des Verfahrens durch Anberaumung einer Hauptverhandlung anstrebt.
Dem Rechtsmittel kommt Berechtigung zu.
Vorauszuschicken ist, dass die zustimmende Äußerung der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung vom 3. September 2025 (ON 198.5 S 17) der Beschwerdelegitimation der Anklagebehörde nicht entgegensteht ( Kirchbacher, StPO 15§ 209 Rz 5; RIS-Justiz RS0117071).
Die Zustellung der Beschwerde der Staatsanwaltschaft an die Angeklagte zur Äußerung konnte unterbleiben, weil das Beschwerdeverfahren hier (ausnahmsweise) einseitig ausgestaltet ist (vgl § 209 Abs 1 StPO; Schroll/Kert WKStPO § 209 Rz 12).
Gemäß §§ 198, 199 StPO hat das Gericht nach Einbringung der Anklage das Verfahren wegen einer von Amts wegen zu verfolgenden strafbaren Handlung mit Beschluss einzustellen, wenn aufgrund hinreichend geklärten Sachverhalts feststeht, dass eine Einstellung des Verfahrens nach §§ 190 bis 192 StPO nicht in Betracht kommt, die Schuld der (hier) Angeklagten nicht als schwer (§ 32 StGB) anzusehen wäre und neben weiteren Voraussetzungeneine Bestrafung in Hinblick auf (etwa) die Erbringung gemeinnütziger Leistungen (§ 201 StPO) nicht geboten erscheint, um die Angeklagte von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten (Spezialprävention) oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken (Generalprävention).
Die präventiven Diversionshindernisse haben auf das inkriminierte Geschehen in seiner Gesamtheit abzustellen und das Verhalten des Angeklagten umfassend zu bewerten ( Schroll/KertWK StPO § 198 Rz 49/1 mwN).
Wenngleich eine intervenierende Diversion wie die Erbringung von gemeinnützigen Leistungen aufgrund der ihr innewohnenden Eingriffsintensität in der Regel durchaus geeignet ist, ein Signal der Rechtsbewährung zu vermitteln und solcherart generalpräventiven Zwecken zu entsprechen (vgl RISJustiz RS0123346; Schroll/Kert, WK StPO § 198 Rz 41), ist der Beschwerdeführerin beizupflichten, dass fallbezogen sowohl spezialpräventive als auch generalpräventive Erwägungen einer diversionellen Erledigung entgegenstehen. So erfordert ein diversionelles Vorgehen in spezialpräventiver Hinsicht die Bereitschaft der Angeklagten, Verantwortung für das ihr zur Last gelegte Tatgeschehen zu übernehmen (SSt 64/10) und Schuldeinsicht zu zeigen (RISJustiz RS0116299), wobei die Beschwerdeführerin zutreffend darauf hinweist, dass die Angeklagte in Ansehung des Anklagefaktums A./I./b./ mit ihren Ausführungen, sie habe gedacht, die abgesondert verfolgte B* würde mit dem von ihr zur Verfügung gestellten Fahrzeug „vielleicht zwischen 40 Gramm und 50 Gramm“ Crystal Meth aus Tschechien holen (ON 189.2 S 10), keine vollumfängliche Verantwortung für ihre Taten übernahm.
Aber auch generalpräventive Aspekte sprechen gegen ein diversionelles Vorgehen. Die jeweilige Strafdrohung eines Delikts bringt nämlich zum Ausdruck, welchen Schuldgehalt der Gesetzgeber dem konkreten Tatbestand typischerweise von qualifizierenden oder privilegierenden Merkmalen des Einzelfalls abgesehen zuweist. Der gesetzlichen Strafdrohung kommt bei der diversionellen Schuldbeurteilung insoweit Indizwirkung zu und hat sich auch die fallspezifische Schuldabwägung primär an ihr zu orientieren ( Schroll/KertWK StPO § 198 Rz 17, 28f). Wie die Anklagebehörde zutreffend aufzeigt, signalisiert der Strafrahmen des § 28a Abs 3 erster Fall SMG von bis drei Jahren Freiheitsstrafe einen hohen Unrechtsgehalt der Tat und einen erheblichen sozialen Störwert, wobei zu berücksichtigen ist, dass gerade das fallkonkret nach Österreich eingeführte Crystal Meth ein besonders hohes Abhängigkeitspotenzial aufweist und selbst bei kurzfristigem Konsum extrem rasch zu teils irreversiblen Gesundheitsschäden führt.
Ausgehend von der zu A./I./b./ der Anklageschrift genannten Aus bzw Einfuhr von Crystal Meth von 198,3 Gramm mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 73,6 % (ON 63.48), was der 14fachen Grenzmenge des § 28b SMG entspricht, ist die Fortsetzung des Verfahrens sowohl aus spezial als auch generalpräventiver Hinsicht geboten.
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