Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Richterin Mag. Frigo als Vorsitzende sowie die Richterinnen Dr. Bahr und Mag. Seidenschwann, LL.B (WU) als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A*wegen § 107 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 16. Juli 2025, GZ ** 97, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Aus Anlass der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung verwiesen.
Begründung:
Mit am selben Tag rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 1. Oktober 2024, GZ B*44.3, wurde A* wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB und des Verbrechens der Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB unter Anwendung der § 28 Abs 1 StGB und § 19 Abs 4 JGG iVm § 5 Z 4 JGG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten verurteilt, von der gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Teil im Ausmaß von 13 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Unter einem wurde gemäß §§ 50, 52 StGB für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe angeordnet und gemäß §§ 50, 51 StGB dem Verurteilten die Weisung erteilt, ein Anti Gewalt Training im Rahmen der Männerberatung zu absolvieren und den Verlauf dem Gericht alle drei Monate nachzuweisen (ON 44.4).
Mit Beschluss vom 13. November 2024 (ON 56) wurde auf Antrag des Verurteilten der Vollzug des unbedingt ausgesprochenen Strafteils gemäß § 6 Abs 1 Z 2 lit a StVG zum Abschluss der Landesberufsschule ** und der Lehrabschlussprüfung bis 5. November 2025 aufgeschoben.
Unter Bedachtnahme auf das oben angeführte Urteil wurde A* mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 24. Oktober 2024, rechtskräftig am selben Tag, AZ **, wegen der Vergehen der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 und 4 StGB zu einer Zusatzfreiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt, welche gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen wurde.
Unter einem wurde auch in diesem Verfahren für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe angeordnet und ihm die Weisung zur Absolvierung einer Psychotherapie erteilt (ON 83.3 in **).
Mit dem angefochtenen Beschluss widerrief das Landesgericht Krems an der Donau (ON 97) auf Antrag der Staatsanwaltschaft (ON 79) und nach Einholung einer aktuellen Strafregisterauskunft (§ 495 Abs 3 StPO) die bedingte Strafnachsicht des Strafteils von 13 Monaten aufgrund des beharrlichen Entzuges aus dem Einfluss des Bewährungshelfers.
Gegen diesen Beschluss erhob der Verurteilte rechtzeitig Beschwerde (ON 99.3) mit dem Begehren, den Beschluss ersatzlos aufzuheben. Der Verurteilte begründete dies im Wesentlichen damit, dass er jedenfalls gewillt sei, der erteilten Weisung (Anti Gewalt Training) nachzukommen. Er sei mittlerweile Vater einer Tochter geworden und daher bestrebt, seiner weiteren Ausbildung und Arbeitstätigkeit nachzukommen sowie seine Arbeitsmöglichkeit aufrecht zu erhalten. In der Vergangenheit sei er aufgrund von Schwierigkeiten mit seinem Telefon und offenkundiger Kommunikationsprobleme für die Bewährungshilfe nicht erreichbar gewesen, weshalb er auch in Hinblick auf die erfolgte Mahnung im Verfahren des Landesgerichts Wiener Neustadt zu AZ ** ersuche, die zukünftigen Termine bei der Bewährungshilfe auch Dritten (Bruder und Rechtsanwalt) bekannt zu geben.
Der Beschwerde kommt Berechtigung zu.
Zum bisherigen Verfahrensgang wird auf die zutreffende Darstellung im angefochtenen Beschluss (BS 2 f) zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen (zur Zulässigkeit vgl RISJustiz RS0119090 [T4], RS0098664 [T3], RS0098936 [T15]).
Daraus erhellt, dass der Verurteilte seit Beginn der Betreuung durch die Bewährungshilfe dieser trotz zweier schriftlicher Einladungen (ON 62.2; ON 73) und Ladung zur Mahnung durch das Gericht, der er trotz persönlicher Übernahme am 22. April 2025 nicht Folge leistete (ON 74 und ON 77), nicht nachkam.
Lediglich ein Erstgespräch bei der Männerberatung am 9. Jänner 2025 (ON 66.2) und ein Gespräch im Rahmen der psychosozialen Beratung am 17. Jänner 2025 (ON 66.3) nahm der Verurteilte wahr. Weitere Nachweise wurden nicht vorgelegt.
Trotz der am 23. Mai 2025 erfolgten persönlichen Mahnung im Verfahren des Landesgericht Wiener Neustadt zu AZ ** und Belehrung, dass er der Bewährungshilfe nachzukommen und dies dem Gericht unverzüglich zu bestätigen habe, widrigenfalls die bedingte Strafnachsicht widerrufen werde, erfolgte fallkonkret keine mündliche oder schriftliche Mahnung bezüglich der Nichtbefolgung der Weisung, sondern lediglich die Aufforderung zur Stellungnahme zum Antrag auf Widerruf der Staatsanwaltschaft (ON 80), wobei der Verurteilte über seinen Verteidiger ersuchte vom Widerruf Abstand zu nehmen.
Weisungen und Bewährungshilfe sind sanktionsergänzende Maßnahmen, die der individuellen Verbrechensvorbeugung dienen und nach ihrer Zielsetzung zur Schaffung jener Voraussetzungen beitragen, die ein rückfallfreies Verhalten fördern und erleichtern. Notwendig in diesem Sinne ist eine Weisung oder die Bewährungshilfe, wenn ohne sie der anzustrebende ordentliche Lebenswandel nicht möglich wäre. Zweckmäßig ist die Weisung oder Bewährungshilfe, wenn durch sie die Wahrscheinlichkeit künftiger Delinquenz verringert wird. Diese Maßnahmen können während der Probezeit auch neuen spezialpräventiven Erfordernissen angepasst und geändert werden. Dem Gericht steht es somit offen, erteilte Weisungen aufzuheben oder abzuändern, wenn der intendierte Zweck dieser Anordnung, insbesondere die spezialpräventive Beeinflussung nicht mehr realisiert werden kann oder sich eine Weisung bzw Bewährungshilfe als überflüssig erweist (vgl Schroll/Oshidari in WK 2StGB § 50 Rz 1, 3 und 11).
Gemäß § 53 Abs 2 StGB ist die bedingte Strafnachsicht oder die bedingte Entlassung zu widerrufen und die Strafe oder der Strafrest zu vollziehen, wenn der Rechtsbrecher während des vom Gericht bestimmten Zeitraumes eine Weisung trotz förmlicher Mahnung mutwillig nicht befolgt oder sich beharrlich dem Einfluss des Bewährungshelfers entzieht, soweit dies nach den Umständen geboten erscheint, um den Rechtsbrecher von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten.
Die bloße Nichtbefolgung einer Weisung berechtigt in der Regel noch nicht den Schluss, dass die Resozialisierungsmaßnahme erfolglos geblieben ist. Es müssen konkrete Anhaltspunkte Anlass zur Besorgnis geben, dass der Verurteilte seine soziale Integration nicht anstrebt und sich ohne Einwirkung des Strafvollzugs nicht straffrei verhalten werde (vgl Jerabek/Ropper in WK 2§ 53 StGB Rz 9).
Unter Mutwilligkeit des Weisungsbruchs ist in diesem Kontext jede Form des Vorsatzes zu verstehen (vgl Jerabek/Ropper in WK 2StGB § 53 Rz 10). Der Widerruf nach § 53 Abs 3 erster Fall StGB setzt die Erteilung einer förmlichen Mahnung und die nachfolgende Nichtbefolgung der Weisung aus bösem Willen voraus; diese Mahnung ist schon in formeller Hinsicht conditio sine qua non des Widerrufsgrundes der (böswilligen) Nichtbefolgung einer Weisung (RIS-Justiz RS0092796). Die Mahnung muss förmlich (mündlich bei einer Vernehmung oder schriftlich durch Zustellung eines entsprechenden Schriftstücks) erfolgen. Es muss zwar nicht ausdrücklich der Widerruf bei weiterer Nichtbefolgung angedroht werden (OGH 12 Os 115/84), jedoch muss dem Verurteilten in förmlicher Weise die erteilte Weisung noch einmal nachdrücklich in Erinnerung gebracht und er ermahnt werden, die Weisung zu befolgen ( Birklbauer/Oberlaber , SbgK § 53 Rz 36); mit anderen Worten muss darin die ursprüngliche Weisung wiederholt werden. Maßgebend für die Beurteilung der Mutwilligkeit ist die Zeit nach erfolgter förmlicher Mahnung (Leukauf/Steininger/ Tipold, StGB 4 § 53 Rz 12). Die bloß nachlässige (das heißt fahrlässige) Nichtbefolgung einer Weisung reicht nicht aus (OGH 12 Os 162/78; Jerabek/Ropper, aaO Rz 10, siehe dazu auch RIS-Justiz RS0092796).
Ein beharrlicher Entzug bedeutet, dass der Verurteilte die Einflussmöglichkeiten des Bewährungshelfers durch wiederholtes oder andauerndes Verhalten ausschaltet und solcherart zu erkennen gibt, Beratung und Hilfe des Bewährungshelfers nicht annehmen zu wollen, vielmehr die Bewährungshilfe zur Gänze negiert: Es genügt nicht, dass der Verurteilte „nichts oder zu wenig von dem tut, wozu ihm der Bewährungshelfer rät“, entscheidend ist vielmehr, „ob der Rechtsbrecher das Seine dazu beiträgt, dass der Bewährungshelfer mit ihm im Großen und Ganzen so häufig und in dem jeweiligen zeitlichen Ausmaß zusammentreffen kann, in dem es sachlich geboten ist“. Eine förmliche Mahnung des Probanden ist nicht Voraussetzung des Widerrufs; ebenso wenig wird verlangt, dass sich der Proband dem Zusammentreffen mit dem Bewährungshelfer absichtlich entzieht, es genügt zumindest bedingter Vorsatz. Negiert der Proband die Bewährungshilfe im aufgezeigten Sinn, ist unter der weiteren Bedingung spezialpräventiver Notwendigkeit (Rz 9) zu widerrufen (vgl Jerabek/Ropper in WK 2StGB § 53 Rz 11 mwN; Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB 15 § 53 Rz 9).
Konkrete Anhaltspunkte müssen demnach Anlass zur Besorgnis geben, dass der Verurteilte seine soziale Integration nicht anstrebt und sich ohne Einwirkung des Strafvollzugs nicht straffrei verhalten werde ( Jerabek/Ropper in WK 2StGB § 53 Rz 9); es muss eine ungünstige Prognose vorliegen ( Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB 15 § 53 Rz 5).
Während im Anwendungsbereich des § 53 Abs 1 StGB neue Delinquenz bereits eingetreten ist, ist die Nichtbeachtung von Weisungen oder Bewährungshilfe (vorerst bloß) ein Akt des Ungehorsams, der erneute Straffälligkeit für die Zukunft befürchten lässt. Schon aus diesem Grund erscheint es angebracht, beim Widerruf nach Abs 2 leg cit zurückhaltender zu sein als im Fall des Abs 1 leg cit ( Birklbauer/Oberlaber , SbgK § 53 Rz 18 mH).
Unter Berücksichtigung, dass das Erstgericht in Folge der Berichte der Bewährungshilfe den Widerruf der bedingten Strafnachsicht auf die beharrliche Entziehung des Verurteilten aus dem Einflussbereich des Bewährungshelfers stützte und nicht auf den möglichen im Raum stehenden Weisungsbruch, verkennt das Rechtsmittelgericht nicht, dass der Verurteilte keine Kontaktaufnahme mit der Bewährungshilfe suchte, obwohl es in seiner Sphäre liegt, sich aktiv um Termine zu kümmern. Dennoch lässt sich bei einer Gesamtbetrachtung des Verhaltens des Verurteilten – vor allem unter Berücksichtigung seiner Angaben im Verfahren vor dem Landesgericht Wiener Neustadt zu AZ **, wo er um die Bekanntgabe zukünftiger Termine bei der Bewährungshilfe auch an Dritte (Bruder und Rechtsanwalt) ersuchte (ON 151.2 zu AZ **) -, dem Akteninhalt (noch) kein beharrlicher Entzug aus der Bewährungshilfe entnehmen, zumal den Berichten des Bewährungshelfers nicht entnommen werden kann, ob die Kontaktaufnahme auch durch ein persönliches Gespräch mit dem Verurteilten stattfand (zwei schriftliche Ladungen und ein unangekündigter Hausbesuch, wo der Verurteilte sich in der Berufschule befand [ON 73], Absage des Termins wegen Erkrankung des Kindes nach der Mahnung im Verfahren AZ ** [ON 89] und unentschuldigtes Fernbleiben vom Ersatztermin [ON 93]).
Da im Beschwerdeverfahren kein Neuerungsverbot gilt (vgl Kirchbacher, StPO 15§ 89 Rz 3f), sind auch nach der erstgerichtlichen Entscheidung eingetretene Umstände vom Rechtsmittelgericht zu berücksichtigen, weshalb mit Blick auf die (bislang) erfolgreiche Mahnung im Verfahren des Landesgerichts Wiener Neustadt zu AZ ** und der nunmehr vom Verurteilten eingehaltenen Weisung und seines complianten Verhaltens (siehe Bericht Salida ON 159.2 zu AZ **), der Beschluss im Sinne des § 89 Abs 2a Z 3 StPO ersatzlos aufzuheben war.
Das Erstgericht wird daher nach Verfahrensergänzung, insbesondere der Einholung von Berichten des Bewährungshelfers, wie und über wen die Kontaktaufnahme mit dem Verurteilten erfolgt ist, und einer möglichen förmlichen Mahnung, auch wenn dies gesetzlich nicht zwingend vorgesehen ist, allenfalls neuerlich über den Antrag der Staatsanwaltschaft zu entscheiden haben, wobei der Vollständigkeit halber auch darauf hingewiesen wird, dass der Widerruf spezialpräventiv geboten erscheinen muss, um den Verurteilten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten, wofür es konkreter Anhaltspunkte bedarf.
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