Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Mag. Frohner als Vorsitzende sowie die Richterinnen Mag. Lehr und Mag. Primer als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A*wegen § 3h Abs 1 und Abs 2 VerbotsG 1947 über die vom Vorsitzenden des Geschworenengerichts des Landesgerichts Wiener Neustadt nach § 213 Abs 6 zweiter Satz StPO geäußerten Bedenken gegen die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt vom 25. Februar 2025, AZ **, GZ **-3 des Landesgerichts Wiener Neustadt, nichtöffentlich entschieden:
Aus Anlass der Vorlage nach § 213 Abs 6 zweiter Satz StPO wird die Anklageschrift gemäß § 215 Abs 3 StPO aus dem Grund des § 212 Z 3 StPO zurückgewiesen .
Begründung:
Mit der vom Angeklagten innerhalb der Einspruchsfrist nicht bekämpften Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt vom 25. Februar 2025 (ON 3) wird dem am ** geborenen österreichischen Staatsbürger A* zur Last gelegt, er habe am * in ** öffentlich den nationalsozialistischen Völkermord oder andere nationalsozialistische Verbrechen gegen die Menschlichkeit verharmlost, wobei er die Tat in einem Medium und auf eine Weise beging, dass sie vielen Menschen zugänglich geworden ist, indem er auf der Social-Media Plattform ** unter einem Beitrag der „*“ vom * mit der Unterschrift „Parteien kritisieren Treffen zwischen B* und C*“ folgenden Kommentar teilte „[...] Den eigentlich sind die Linken die Nazis, sie akzeptieren keine anderen Meinung, sie entscheiden einfach hinterrücks gesetzte und sie vertreiben die österreichische Bevölkerung immer mehr aus dem Land wie der hitler und die ss mit den Juden gemacht hat.“ .
Er habe hiedurch das Verbrechen der Leugnung des nationalsozialistischen Völkermords und der nationalsozialistischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 3h VerbotsG 1947 begangen.
Nach Übermittlung des Aktes an den Vorsitzenden des Geschworenengerichts beim Landesgericht Wiener Neustadt am 25. Februar 2025 (ON 1.1) und Zustellung der Anklageschrift an den Beschuldigten (ON 1.2) legte der Vorsitzende den Akt nach Ablauf der Einspruchsfrist ein Einspruch wurde nicht erhobenund nach Anregung der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt (ON 1.3) gemäß § 213 Abs 6 zweiter Satz StPO wegen Bedenken an der örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Geschworenengerichts zur Entscheidung vor (ON 6). Dazu führte er aus, dass ein Medieninhaltsdelikt nach § 1 Abs 1 Z 12 MedienG vorliege. Gemäß § 40 Abs 1 MedienG sei für das Hauptverfahren jenes Gericht örtlich zuständig, in dessen Sprengel der Medieninhaber seinen Wohnsitz, seinen Aufenthalt oder seinen Sitz hat. Medieninhaber gemäß § 1 Abs 1 Z 8 MedienG ist insbesondere, wer ein Medienunternehmen betreibt oder sonst die inhaltliche Gestaltung eines Mediums besorgt. Der Vorwurf in der Anklageschrift betreffe einen Beitrag der "*" auf *. Da die "*" als Nachrichtensendung Teil des Österreichischen Rundfunks sei und dieser seinen Hauptsitz in ** habe, habe das Landesgericht Wiener Neustadt Bedenken hinsichtlich seiner örtlichen Zuständigkeit.
Die Oberstaatsanwaltschaft Wien und der Beschuldigte erstatteten im Rahmen der ihnen eingeräumten Gelegenheit keine Stellungnahme.
Die Bedenken des Vorsitzenden erweisen sich grundsätzlich als berechtigt, weil gemäß § 40 Abs 1 MedienG für das Hauptverfahren jenes Gericht örtlich zuständig ist, in dessen Sprengel der Medieninhaber seinen Wohnsitz, seinen Aufenthalt oder seinen Sitz hat.
Allerdings hat das Oberlandesgericht vor einem Aus-spruch nach § 215 Abs 4 erster Satz StPO stets zu prüfen, ob nicht einer der in § 212 Z 1 bis 4 StPO genannten Mängel der Anklageschrift vorliegt (RISJustiz RS0124585).
Vorauszuschicken ist, dass das Verbrechen der Leugnung des nationalsozialistischen Völkermords und der nationalsozialistischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 3h Abs 1 und Abs 2 VerbotsG 1947 begeht, weröffentlich den nationalsozialistischen Völkermord oder andere nationalsozialistische Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, verharmlost, gutheißt oder zu rechtfertigen sucht, wenn die Tat nicht nach § 3g VerbotsG 1947 mit Strafe bedroht ist, und die Tat in einem Druckwerk, im Rundfunk oder in einem anderen Medium oder sonst auf eine Weise begeht, dass sie vielen Menschen zugänglich wird. Verharmlosen bedeutet ins Lächerliche Ziehen oder Verniedlichen, und zwar schlechthin (und nicht bloß in Randbereichen) in ihrem Kern (RIS-Justiz RS0090007; vgl auch Lässig, WK² VerbotsG § 3h Rz 5). Zu der von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt in der Anklageschrift (ON 3, 3) zitierten Fundstelle ( Öner/Schön, Strafrechtliche Nebengesetze³ § 3h VerbotsG Rz 4) ist festzuhalten, dass das Oberlandesgerichts Wien zu AZ 17 Bs 77/22f eine einfache Verurteilungswahrscheinlichkeit bejaht und ausgeführt hat, dass diese zur subjektiven Tatseite daraus abzuleiten sei, dass es dem Angeklagten offenbar darum ging, die Situation der ungeimpften Personen als schlechter als die Situation der Opfer des Holocausts darzustellen.
Für die objektive Tatbestandsmäßigkeit derartiger Postings maßgeblich ist bei § 3h VerbotsG ebenso wie bei allen Äußerungsdelikten der konkrete „Bedeutungsinhalt“ der inkriminierten Veröffentlichung ( Öner/Schön , aaO Rz 6; vgl auch Lässig , aaO § 3d Rz 2 mwN; Rami,WK² MedienG Nach Präambel Rz 1/5). Dieser fällt in die Feststellungsebene (RIS-Justiz RS0092588; vgl auch RIS-Justiz RS0110511). Dabei ist nicht nur auf den Wortlaut abzustellen, sondern es sind – konkret situationsbezogen – auch der Äußerungskontext sowie das gesamte Tatumfeld zu berücksichtigen. Demgemäß sind etwa Sprachgebrauch, Gewohnheiten und Bildungsgrad des Täters und der Adressaten ebenso zu beachten wie die (inneren und äußeren) Begleitumstände der Äußerung.
Im - hier relevanten - Stadium der Anklageerhebung genügt auch bezüglich des Bedeutungsinhalts einfache Verurteilungswahrscheinlichkeit, wenn also bei der Gegenüberstellung aller be- und entlastenden Indizien ein Schuldspruch zumindest als wahrscheinlich anzusehen ist ( Birklbauer , WK-StPO § 210 Rz 5; § 212 Rz 15; 18). Nicht erforderlich ist, dass die Schuld des Täters schon aufgrund der Aktenlage mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu bejahen ist.
Fallbezogen fehlen die Grundlagen zur Beurteilung des Bedeutungsinhalts des inkriminierten Beitrags. Denn es wurden keine Ermittlungen zum Gesamtkontext dieser Veröffentlichung durchgeführt. Im Akt findet sich insbesondere nicht jener Beitrag, der Grundlage für das Posting des Beschuldigten war. Damit ist völlig ungeklärt, in welchem unmittelbaren Kontext das inkriminierte Posting veröffentlicht wurde.
Der Beschuldigte wurde dazu einvernommen, ob er das Posting veröffentlicht hat. Er gab dazu an, nicht gewusst zu haben, dass dies verboten sei und distanzierte sich von rechtsextremem Gedankengut (ON 2.4). Zum genauen Kontext der Veröffentlichung wurde er jedoch nicht vernommen.
Der Sachverhalt ist daher nicht so weit geklärt, dass eine Verurteilung des Angeklagten naheliegt bzw dass die für die Hauptverhandlung relevanten Beweismittel überblickt werden können und so vorbereitet sind, dass sie in der Hauptverhandlung ohne wesentliche Verzögerung unmittelbar durchgeführt werden können ( Birklbauer , aaO § 212 Rz 16).
Zur Klärung des inkriminierten Sachverhalts wird die Staatsanwaltschaft daher jedenfalls den Beitrag, auf welches sich das Posting bezog, als Beweismittel zu sichern und dem Akt anzuschließen haben.
Darüber hinaus ist es geboten, die vom Beschuldigten in seiner Einvernahme angesprochene Rechtfertigung eingehender zu klären und den konkreten Anlass und Kontext seines Postings zu ermitteln.
Erst dann wird zu beurteilen sein, ob gegenständlich nach Auslotung des Sinngehalts der inkriminierten Veröffentlichung eine einfache Verurteilungswahrscheinlichkeit im Hinblick auf das Verbrechen der Leugnung des nationalsozialistischen Völkermords und der nationalsozialistischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 3h VerbotsG 1947 vorliegt, wobei auch ein Augenmerk auf die vom Beschuldigten in Abrede gestellte subjektive Tatseite (vgl dazu RIS-Justiz RS0090007) zu legen sein wird.
Es ist daher nach § 215 Abs 3 StPO vorzugehen und die Anklageschrift zurückzuweisen.
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