Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Primus als Vorsitzende sowie den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts MMMag. Frank und den Richter des Oberlandesgerichts Dr. Futterknecht, LL.M., BSc, in der Rechtssache der klagenden Partei A*, geboren **, Finanzbeamtin, **, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Stadt B*, **, vertreten durch die Rudeck – Schlager Rechtsanwalts KG in Wien, wegen EUR 17.071,02 samt Nebengebühren und Feststellung (Streitwert EUR 5.000), infolge Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 31. Juli 2024, GZ: ** 72, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird teilweise Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es als Teil- und Zwischenurteil lautet:
„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei EUR 17.071,02 samt 4 % Zinsen ab 22.10.2019 zu zahlen, besteht dem Grunde nach zu Recht.
Es wird mit Wirkung zwischen der klagenden Partei und der beklagten Partei festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für alle zukünftigen Schäden aufgrund des stationären Aufenthaltes vom 8.4.2019 bis 11.4.2019 im C* B* haftet.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“
Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteigt EUR 5.000, nicht jedoch EUR 30.000.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin begehrt den Zuspruch von EUR 17.071,02 samt Zinsen an Schadenersatz sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle zukünftigen Schäden aufgrund des stationären Aufenthalts vom 8.4.2019 bis 11.4.2019 im C* B*. Dazu brachte sie vor, nach einem Sturz Mitte September 2019 auf die linke Brust sei eine ausgeprägte Kapselfibrose mit Implantatruptur beidseits sowie der Verdacht auf ein Tumorgeschehen in der linken Brust festgestellt worden. Bei der im C* B* durchgeführten Operation habe der Chirurg Dr. D* ohne Absprache mit der Klägerin zu große Implantate eingesetzt und diese vor den Brustmuskel platziert. Nach der Operation sei das relativ schwere Implantat nach vorne gekippt und habe durch den dünnen Weichteilmantel nicht in Position gehalten werden können. Es habe sich eine schmerzhafte Kapsel gebildet. Es liege ein Behandlungsfehler vor, weil im konkreten Fall besser geeignete Implantate (leichtere, kleinere, weichere) gewählt werden hätten müssen. Die Implantate seien außerdem falsch positioniert worden; die gewählte Operationsmethode sei nicht lege artis gewesen. Im Übrigen habe Dr. D* präoperativ mangelhaft aufgeklärt, weil er die Klägerin nicht über die mögliche Folge des Vorklappens der Implantate und alternative Behandlungsmethoden aufgeklärt habe. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte die Klägerin die Operation nicht bzw nicht im C* B* durchführen lassen. Sie hätte sich jedenfalls für ein Implantat hinter dem Brustmuskel entschieden. Ein Schmerzengeld von EUR 15.000 sei angemessen. Darüber hinaus seien Spätfolgen nicht auszuschließen, weshalb auch ein Feststellungsanspruch bestehe. Mangels Beauftragung der Brustvergrößerung habe die Klägerin weiters Anspruch auf Rückzahlung der Operationskosten in Höhe der Differenzkosten zum Materialaufwand, sohin EUR 2.071,02.
Die Beklagte bestritt, beantrage die Klagsabweisung und wandte im Wesentlichen ein, die Operation am 9.4.2019 sei lege artis unter Einsatz geeigneter Implantate durchgeführt worden. Es liege weder ein Behandlungs- noch ein Aufklärungsfehler vor.
Mit Urteil vom 2.10.2023 wies das Erstgericht das Klagebegehren zur Gänze ab. Der dagegen von der Klägerin erhobenen Berufung gab das Berufungsgericht mit Beschluss vom 17.1.2024 Folge, hob das Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Mit dem nunmehr angefochtenen Urteil wies das Erstgericht neuerlich das Leistungs- sowie das Feststellungsbegehren ab und verhielt die Klägerin zum Kostenersatz. Ergänzend zu den bereits im Urteil vom 2.10.2023 getroffenen Feststellungen traf es die auf den Seiten 3 und 4 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen, auf welche ebenso wie auf jene auf den Seiten 5 bis 11 der Urteilsausfertigung vom 2.10.2023 (ON 60), sofern diese nicht von der Aufhebung des Urteils betroffen waren, verwiesen wird.
Rechtlich gelangte das Erstgericht zum Ergebnis, die Klägerin hätte auch bei Aufklärung über die möglichen Varianten einer Operation zugestimmt, sodass die Kausalität der Verletzung der Aufklärungspflicht zu verneinen sei.
Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass der Klage zur Gänze stattgeben werde; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Die Berufung ist teilweise berechtigt .
1.1 Im Rahmen der Verfahrensrüge argumentiert die Berufungswerberin, das angefochtene Urteil sei mangelhaft begründet, weil sich das Erstgericht für eine „unzulässige Mischform“ entschieden habe, indem es einerseits neue und ergänzende Feststellungen treffe, andererseits jedoch pauschal auf die in seinem früheren Urteil getroffenen Feststellungen verweise.
1.2 Dazu war zu erwägen, dass die Aufhebung des Urteils vom 2.10.2023 wegen eines Verstoßes gegen die Begründungspflicht gemäß § 272 Abs 3 ZPO und somit gemäß § 496 Abs 1 Z 2 ZPO erfolgte. Gemäß § 496 Abs 2 ZPO hat sich das Verfahren vor dem Prozessgericht im Fall des § 496 Abs 1 Z 2 ZPO jedoch auf die durch den Mangel betroffenen Teile des erstrichterlichen Verfahrens und Urteils zu beschränken. Die Aufhebung hat sich somit lediglich auf die Zustimmung der Klägerin zur tatsächlich durchgeführten Operationsmethode und die non-liquet-Feststellung hinsichtlich der Zustimmung zur alternativen Operationsmethode bezogen. Die vom Mangel überhaupt nicht betroffenen Teile bleiben jedoch unberührt und dürfen auch nicht mehr neuerlich zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden ( Pimmer in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ § 496 ZPO Rz 71). Das fortgesetzte Verfahren ist nur im vom Mangel betroffenen Teil ein neues Verfahren ( G. Kodek in Kodek/Oberhammer, ZPO-ON § 496 ZPO Rz 46 f).
1.3 Da sich auch die Beweisrüge der Berufung gegen das Urteil vom 2.10.2023 nur auf jene Feststellungen bezogen hat, die von der Aufhebung betroffen waren, bestehen keine Bedenken dagegen, dass das Erstgericht die vom Verfahrensmangel nicht betroffenen Feststellungen seiner neuen Entscheidung zugrunde legt.
2.1 Aus Zweckmäßigkeitsgründen ist sogleich auf die Rechtsrüge einzugehen. Bereits im Aufhebungsbeschluss vom 17.1.2024 (ON 70) hat das Berufungsgericht wie folgt ausgeführt:
„Die ärztliche Aufklärung soll den Patienten in die Lage versetzen, die Tragweite seiner Einwilligung in die Heilbehandlung zu überschauen (RS0026413). Sie hat ihm die für seine Entscheidung maßgebenden Kriterien zu liefern (RS0026413 [T3]). Stehen für den konkreten Behandlungsfall mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden zur Verfügung, die – im Sinn einer echten Wahlmöglichkeit – gleichwertig sind, so ist über die zur Wahl stehenden diagnostischen oder therapeutischen adäquaten Alternativerfahren zu informieren und das Für und Wider mit dem Patienten abzuwägen (5 Ob 107/20a ua).
Die Wahl der Behandlungsmethode ist primär Sache des Arztes. Die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten erfordert jedoch eine Unterrichtung über eine alternative Behandlungsmöglichkeit, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten. Besteht mithin für den Patienten eine echte Wahlmöglichkeit, dann muss ihm durch eine entsprechend vollständige Aufklärung die Entscheidung darüber überlassen bleiben, auf welchem Weg die Behandlung erfolgen soll und auf welches Risiko er sich einlassen will.
Daraus folgt aber auch, dass sofern sich erst intraoperativ voraussehbare, für die Wahl der Behandlungsmethode (im Sinne einer voranstehend beschriebenen echten Wahlmöglichkeit) ausschlaggebende Umstände zeigen, eine entsprechende Information rechtzeitig noch vor Durchführung des indizierten operativen Eingriffs vom Arzt gegenüber den Patienten zu erteilen ist.“
2.2 Das Erstgericht stellte in diesem Zusammenhang zwar fest, die Klägerin hätte auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die zur Verfügung stehenden Operationsmethoden und deren Risiken der Durchführung der Operation zugestimmt. Es traf jedoch in weiterer Folge eine Negativfeststellung zur Frage, für welche Operationsmethode sie sich bei entsprechender Aufklärung tatsächlich entschieden hätte. Darüber hinaus stellte es fest, dass die Beurteilung, welche Variante bei der Klägerin die Bessere gewesen wäre, sich im konkreten Fall erst intraoperativ ergeben habe.
2.3 Damit ist der Beklagten jedoch der ihr obliegende Beweis, dass die Klägerin auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zum Eingriff erteilt hätte (RS0038485 [T7], RS0108185) nicht gelungen. Das Erstgericht stellte zwar positiv fest, dass die Klägerin – grundsätzlich – der Operation zugestimmt hätte, konnte jedoch nicht feststellen, für welche Operationsmethode sie sich entschieden hätte. Damit steht jedoch gerade nicht fest, dass sich die Klägerin für die Operationsmethode, die tatsächlich durchgeführt wurde (vgl 8 Ob 116/21y), entschieden hätte. Die Beweislast eines non liquet liegt beim Arzt, auf dessen Aufklärungspfichtverstoß die Ungewissheit über den wahrscheinlichen Verlauf, das heißt die real nicht mehr reproduzierbare Willensbildung des Patienten, ja schließlich zurückzuführen ist (RS0038485 [T6]).
2.4 Da die Behandlung somit ungeachtet der Frage, ob der Eingriff lege artis erfolgte, rechtswidrig war, ist auf allfällige widersprüchliche Feststellungen im Urteil ON 60 sowie im Urteil ON 72 zur Frage, ob ein Behandlungsfehler vorlag (ON 60, Seite 9: „Die Operation erfolgte lege artis mit geeigneten Implantaten“ bzw ON 72, Seite 4: „Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der später tatsächlich eingetretenen Folgen der gewählten Operationsmethode war bei der Klägerin aufgrund deren Vorschäden an den Weichteilen höher“), nicht weiter einzugehen.
2.5 Das Erstgericht hat im Urteil vom 2.10.2023 (ON 60) Feststellungen zu den Folgen der Operation und den damit verbundenen Schmerzen getroffen. In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Klägerin auch vorbrachte, sie habe eine schwere ängstliche und depressive Symptomatik sowie eine deutliche psychische Belastung entwickelt, welche aufgrund der postoperativen Schmerzsymptomatik und im Zusammenhang mit der misslungenen Brustoperation stehe. Dazu traf das Erstgericht jedoch keine Feststellungen, sodass das Urteil diesbezüglich mit einem sekundären Feststellungsmangel behaftet ist.
2.6 Die Klägerin beantragte bereits im aufgetragenen Schriftsatz vom 28.5.2020 (ON 6) ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet Psychiatrie. In der Tagsatzung vom 30.11.2020 erörterte die zu diesem Zeitpunkt zuständige Erstrichterin, dass zunächst nur ein Verfahren zum Grunde des Anspruches und erst anschließend, sofern sich daraus ergebe, dass dem Grunde nach der Anspruch bestehe, das Verfahren betreffend der Höhe durchgeführt werde. Die Einholung des Gutachtens aus dem Gebiet der Psychiatrie werde erst anschließend eingeholt und werde nur die Höhe des Anspruchs betreffen.
2.7 Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren das von der Klägerin beantragte Gutachten einzuholen und ergänzende Feststellungen zu den von der Klägerin behaupteten psychischen Folgen der Operation sowie den damit in Zusammenhang allenfalls zusätzlichen Schmerzen zu treffen und sodann über den Anspruch der Höhe nach zu entscheiden haben. Eine Verfahrensergänzung durch das Berufungsgericht kommt nicht in Betracht, weil die Weiterungen des Verfahrens noch nicht abzusehen sind.
3.1 Da jedoch bereits ohne die fehlenden Feststellungen der Anspruch der Klägerin hinsichtlich des Leistungsbegehrens dem Grunde nach entscheidungsreif ist, war der Berufung teilweise Folge zu geben und dem Leistungsbegehren als Zwischenurteil (§ 393 Abs 1 ZPO) stattzugeben. Eine Vorgehensweise nach § 437a Abs 1 ZPO war nicht angezeigt, weil sich die Berufungswerberin ausdrücklich auf die Feststellungen des Erstgerichts zur Zustimmung der Klägerin (vgl Berufung Seite 4) bezogen hat (§ 468 Abs 2 zweiter Satz ZPO).
3.2 Auch hinsichtlich des Feststellungsbegehrens ist die Rechtssache in Anbetracht der nicht auszuschließenden Dauerfolgen aufgrund eines eventuell späteren Revisionseingriffs (vgl RS0038920, RS0038865 [T2]) spruchreif.
Die ein Feststellungsinteresse begründende Möglichkeit einer Revisionsoperation aus kosmetischen Gründen wurde im Urteil des ersten Rechtsgangs festgestellt und blieb in den Berufungsbeantwortungen unbekämpft.
Diesbezüglich war jedoch zu beachten, dass über die Haftung für künftige Schäden kein Zwischenurteil über den Grund des Anspruchs gefällt werden darf, weil für die Bejahung des Anspruchsgrunds alle Anspruchsvoraussetzungen feststehen müssen, dann aber schon eine Endentscheidung über den Feststellungsanspruch gefällt werden kann. Entweder das Feststellungsbegehren besteht zu Recht, weil mit künftigen Schäden zu rechnen ist, dann kann ihm schon jetzt stattgegeben werden, oder künftige Schäden sind auszuschließen, dann ist es zur Gänze schon jetzt abzuweisen (RS0120248; ausführlich 6 Ob 187/05a). Dem Feststellungsbegehren war daher in Gestalt eines Teilurteils (§ 391 Abs 1 ZPO) stattzugeben (vgl OLG Wien 11 R 259/13h).
4. Der Kostenvorbehalt für das erstinstanzliche Verfahren sowie für das Berufungsverfahren beruht auf §§ 392 Abs 2, 393 Abs 4 ZPO.
5. Der Bewertungsausspruch gründet sich auf § 500 Abs 2 Z 1 lit b ZPO und folgt der unbedenklichen Bewertung der Klägerin.
6. Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision beruht auf § 500 Abs 2 Z 3 ZPO. Rechtsfragen von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO waren im Berufungsverfahren nicht zu beantworten. Der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht ist eine Frage des Einzelfalls (RS0026529).
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