Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Senatspräsidentin Mag. a Kohlroser als Vorsitzende sowie die Richter Mag. Obmann, LL.M. und Mag. Scherr, LL.M., BA in der Strafsache gegen A*wegen des Vergehens der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 und Abs 2 Z 1 und 2 StGB über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 22. Mai 2025, GZ **-14, und seine Beschwerde gegen den zugleich ergangenen Beschluss gemäß § 494 StPO nach der am 5. November 2025 in Anwesenheit der Oberstaatsanwältin Mag. a Dexer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführten Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:
Auf die Berufung wegen Nichtigkeit wird keine Rücksicht genommen.
Der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld und die privatrechtlichen Ansprüche wird nicht Folge gegeben.
Hingegen wird der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf zwei Monate und 10 Tage herabgesetzt.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
GRÜNDE:
Mit Urteil vom 22. Mai 2025, berichtigt mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 22. Juli 2025 (ON 12), wurde der am ** geborene österreichische Staatsangehörige A* des Vergehens der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 und Abs 2 Z 1 und Z 2 StGB schuldig erkannt und unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgerichts Graz-West vom 1. April 2025, rechtskräftig am 5. April 2025, AZ **, nach § 107a Abs 1 StGB zur unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Zusatzfreiheitsstrafe von vier Monaten sowie gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt.
Gemäß § 369 Abs 1 StPO wurde A* weiters schuldig erkannt, der Privatbeteiligten B* den Betrag von EUR 58,00 (Ersatz der ihr aus der Tat erwachsenen Therapiekosten) binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Unter einem erging der (nicht gesondert ausgefertigte; vgl aber RS0120887 [T2] [T3]) Beschluss auf Anordnung der Bewährungshilfe und Erteilung der Weisung zur psychotherapeutischen Behandlung (Sozialtherapie).
Dem Schuldspruch zufolge hat A* im Zeitraum von 20. November 2024 bis zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im März 2025, mithin eine längere Zeit hindurch, in ** seine Nachbarin B* vorsätzlich dadurch widerrechtlich beharrlich verfolgt, dass er in einer Weise, die geeignet war, sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, fortgesetzt gegen ihren Willen ihre räumliche Nähe aufsuchte und im Wege einer Telekommunikation Kontakt zu ihr herstellte, wobei er sie wiederholt persönlich aufsuchte, teils mehrmals täglich anrief und ihr teilweise Sprachnachrichten auf der Mailbox hinterließ.
Dagegen richtet sich die rechtzeitig angemeldete, jedoch unausgeführt gebliebene „volle“ Berufung des Angeklagten.
Auf die Berufung wegen Nichtigkeit ist gemäß §§ 489 Abs 1, 467 Abs 2 StPO keine Rücksicht zu nehmen, weil der Angeklagte weder bei der Anmeldung der Berufung noch im Rahmen einer Berufungsschrift ausdrücklich erklärt hat, welche Nichtigkeitsgründe er geltend machen will. Eine amtswegig wahrzunehmende Nichtigkeit haftet dem Urteil nicht an.
Die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Schuld ist nicht erfolgreich, weil gegen die Richtigkeit der im Urteil erster Instanz enthaltenen Feststellungen keine Bedenken bestehen (vgl §§ 489 Abs 1 iVm 473 Abs 2 StPO; zum Prüfungsumfang des Berufungsgerichts generell siehe RIS-Justiz RS0132299). Die freie Beweiswürdigung ist ein kritisch-psychologischer Vorgang, bei dem durch Subsumtion der Gesamtheit der durchgeführten Beweise in ihrem Zusammenhang unter allgemeinen Erfahrungssätzen logische Schlussfolgerungen zu gewinnen sind ( Kirchbacher, StPO 15§ 258 Rz 8). Die Frage der Glaubwürdigkeit des Angeklagten und der Zeugin B*, von denen sich das Erstgericht einen persönlichen Eindruck verschaffen konnte, und der Beweiskraft ihrer Aussagen ist der freien richterlichen Beweiswürdigung vorbehalten. Wenn aus den vom Erstgericht aus den vorliegenden Beweisergebnissen folgerichtig abgeleiteten Urteilsannahmen auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen möglich wären, so tut dies nichts zur Sache (OLG Graz 9 Bs 32/24k; OLG Wien 32 Bs 5/25g). Der Grundsatz „in dubio pro reo“ stellt nämlich keine negative Beweisregel dar, die das erkennende Gericht – im Falle mehrerer denkbarer Schlussfolgerungen – verpflichten würde, sich durchwegs für die dem Angeklagten günstigste Variante zu entscheiden, es kann sich vielmehr jede Meinung bilden, die den Denkgesetzen und der Lebenserfahrung nicht widerspricht ( Mayerhofer, StPO 6§ 258 E 65; RIS-Justiz RS0098336).
Fallkonkret stützte das Erstgericht die Feststellungen zur objektiven Tatseite ohne Bedenken auf die Angaben der Zeugin B* im Rahmen ihrer Einvernahme durch den Erstrichter in Verbindung mit ihren Angaben vor der Polizei im Ermittlungsverfahren (ON 2.5 und ON 13, S 3 ff). So konnte diese die Kontaktaufnahmeversuche des Angeklagten schildern und ergibt sich daraus kein Zweifel, dass sie ihm gegenüber klar erkennen ließ, dass diese unterbleiben sollten. Gründe dafür, weshalb die Zeugin den Angeklagten zu Unrecht belasten sollte, finden sich nicht.
Die leugnende Verantwortung stellte sich für das Erstgericht vor diesem Hintergrund nachvollziehbar als Schutzbehauptung dar. Lebensnah ist auch die Ableitung der subjektiven Tatseite aus dem äußeren Geschehen und ist der Schluss von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrundeliegendes Wissen oder Wollen bei – wie hier – leugnenden Angeklagten in aller Regel ohnedies methodisch nicht zu ersetzen (RIS-Justiz RS0098671, RS 0116882).
Zusammengefasst bestehen keinerlei Bedenken an der Richtigkeit der Feststellungen des Erstgerichts, sodass der Schuldspruch Bestand hat.
Erfolgreich ist hingegen die Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe.
Strafbestimmend ist § 107a Abs 1 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen.
Erschwerend ist das Zusammentreffen strafbarer Handlungen verschiedener Art (hier unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgerichts Graz-West zu AZ **: zwei Vergehen; § 33 Abs 1 Z 1 StGB). Den Schuldgehalt (§ 32 StGB) erhöht zudem die Tatbegehung während anhängigen Strafverfahrens (nämlich des zitierten Verfahrens des Bezirksgerichts Graz-West [ Riffel in Höpfel/Ratz WK 2StGB § 33 Rz 9]).
Mildernd ist hingegen die Tatsache, dass der Angeklagte bisher einen ordentlichen Lebenswandel geführt hat und die Tat mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch steht (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB).
Ausgehend von diesen Strafzumessungsgründen (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) ist auf Grundlage der Schuld des Angeklagten (§ 32 Abs 1 StGB) und mit Blick auf den konkreten Handlungsunwert die Verhängung einer Zusatzfreiheitsstrafe von zwei Monaten und zehn Tagen tat- und schuldangemessen und ist die Strafe daher spruchgemäß herabzusetzen. Die Verhängung einer Geldstrafe scheitert bereits an der mangelnden Zustimmung des Angeklagten (§§ 489 Abs 1, 471 StPO iVm § 295 Abs 2 StPO).
Zur Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche der B* (zum rechtzeitig bezifferten Privatbeteiligtenanschluss und zur Vernehmung des Angeklagten [§ 245 Abs 1a StPO] vgl ON 13, S 5 f) ist auszuführen, dass sich anhand der nicht zu beanstandenden Feststellungen im Urteil (US 5) ergibt, dass die psychotherapeutische Beratung der Privatbeteiligten durch die Tat des Angeklagten verursacht wurde. Die Feststellungen zur Höhe der Beratungskosten von EUR 58,00 ist durch eine Honorarnote und einen Zahlungsnachweis belegt (ON 7). Diese Aufwendungen sind durch die Tat verursachte Kosten, die im Sinne des § 1325 ABGB zu ersetzen sind, weil psychische Beeinträchtigungen (insoweit über den strafrechtlichen Begriff hinausgehend) jedenfalls dann als Körperverletzung zu werten sind, wenn es sich um eine massive Einwirkung in die psychische Sphäre des Betroffenen handelt (12 Os 104/95; Reischauer in Rummel, ABGB³ § 1325 Rz 1). Diesbezüglich ist auf die Angaben der Zeugin in der Hauptverhandlung zu verweisen (ON 13, S 5), die der Erstrichter nachvollziehbar seiner Entscheidung zu Grunde legte (US 5).
Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.
Durch die Abänderung des Strafausspruchs ist der vom Erstgericht gefasste Beschluss gemäß § 494 StPO gegenstandslos. Gemäß § 494 Abs 1 zweiter Satz StPO obliegt die zur Gewährung bedingter Nachsicht hinzutretende Entscheidung über Weisungen und Bewährungshilfe außerhalb der Hauptverhandlung dem Vorsitzenden (Einzelrichter). Diese spezielle Zuständigkeitsnorm gilt auch in den Fällen der im Rahmen einer Rechtsmittelentscheidung gewährten Nachsicht (RIS-Justiz RS0092156, RS0092379, RS0086098 insbesondere [T5]), weshalb die Entscheidung über eine allfällige neuerliche Anordnung der Bewährungshilfe oder die Erteilung einer Weisung dem Erstgericht obliegt ( Jerabek/Ropper in Fuchs/Ratz, WK StPO § 494 Rz 1 mwN) und der Rechtsmittelwerber darauf zu verweisen ist. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf § 51 Abs 3 StGB, wonach eine psychotherapeutische Behandlung die Zustimmung des Rechtsbrechers erfordert.
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