Rückverweise
Das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen hat durch die Senatspräsidentin Mag a . Fabsits als Vorsitzende, die Richterin Dr in . Meier und den Richter Mag. Schweiger sowie die fachkundigen Laienrichter Färber (Arbeitgeber) und Zimmermann (Arbeitnehmer) als weitere Senatsmitglieder in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, vertreten durch Mag. Markus Hager, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , per Adresse Landesstelle **, **, vertreten durch ihre Angestellte Mag a . B*, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 27. Mai 2025, **-20, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung, deren Kosten die klagende Partei selbst zu tragen hat, wird nicht Folge gegeben.
Die Revision ist nichtnach § 502 Abs 1 ZPO zulässig .
Entscheidungsgründe:
Der (am ** geborene) Kläger absolvierte nach der Volksschule und vier Klassen der Hauptschule, zwei Klassen eines Gymnasiums, legte aber keine Matura ab. Er schloss eine qualifizierte Berufsausbildung nach dem Berufsausbildungsgesetz als Einzelhandelskaufmann ab. Ab 1996 war er als Großhandelskaufmann im Außendienst (Handelsvertreter) tätig. Seit einem im Jahr 2024 erlittenen Verkehrsunfall befindet er sich im Krankenstand.
Der Kläger weist - vom Erstgericht detailliert festgestellte (Urteilsseite 5) - Leiden, darunter insbesondere eine Reaktion nach Belastung mit leichten Traumafolgestörungen und geringem Krankheitswert, Dysthymie, ein Zustand nach Knalltrauma mit Hörverminderung links und Ohrgeräuschen mit Hörgeräteversorgung und ein Zustand nach Einpflanzung einer Kniegelenkstotalendoprothese links, auf.
Aufgrund diese physischen und psychischen Gesundheitszustands ist der Kläger seit 4. September 2024 in der Lage, leichte körperliche Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen, im Freien, sowie in geschlossenen Räumen unter Einhaltung der üblichen Arbeitszeiten und Ruhebedingungen zu verrichten, wobei auch feinmotorische Arbeiten zumutbar sind.
Hebe- und Tragearbeiten leichter Lasten sind möglich. Wirbelsäulenbelastende Arbeiten in dynamischer oder statisch gebückter Körperhaltung sind auf ein Drittel des Arbeitstags zu verringern. Überkopfarbeiten mit dem rechten Arm scheiden aus. Ein gelegentlicher Überkopfgriff ist zumutbar. Auch Arbeiten im Knien und Hocken sind zu vermeiden. Ein gelegentliches sich Hinknien oder Hinhocken ist möglich. Insgesamt sollen die Arbeiten im Gehen oder Stehen gerecht auf den Arbeitstag verteilt bis zu vier Stunden stattfinden. Arbeiten an exponierten Stellen scheiden ebenso aus wie Akkord- und Fließbandarbeiten sowie Nachtarbeiten. Ein forciertes Arbeitstempo ist bis zu einem Drittel des Arbeitstags möglich.
Das berufliche Lenken eines Fahrzeugs ist zumutbar. Die Kontakt- und Führungsfähigkeit sowie das Durchsetzungsvermögen sind überdurchschnittlich. Der Kläger kann ein schwieriges, geistiges Anforderungsprofil erbringen. Seine Auffassung liegt über dem Durchschnittsbereich. Die Aufmerksamkeit und Konzentration sind durchschnittlich ausgeprägt. Der Kläger ist umschul-, schul- und anlernbar.
Es ist mit vermehrten Krankenständen von zwei Wochen pro Jahr zu rechnen. Eine signifikante Verschlechterung des dargestellten Leistungskalküls ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten.
Unter Berücksichtigung des medizinischen Leistungskalküls ist der Kläger ohne seine Gesundheit zu gefährden weiterhin in der Lage, die von ihm zuletzt ausgeübte Tätigkeit eines Handelsvertreters (Außendienstmitarbeiters) an über 100 möglichen Arbeitsplätzen in Österreich auszuüben. Darüber hinaus könnte er auch die innerhalb des Berufsfelds der kaufmännischen Angestellten gelegenen Verweisungstätigkeiten eines Handelsvertreters von Sicherheitsanlagen oder eines Fakturisten ohne Gefährdung seiner Gesundheit an über 100 möglichen Arbeitsplätzen in Österreich ausüben. Das Erstgericht trifft auf Urteilsseiten 2 bis 5 detaillierte Feststellungen zu den Berufsbildern und den Anforderungsprofilen eines Handelsvertreters und eines Handelsvertreters von Sicherheitsanlagen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden kann.
Mit Bescheid vom 23. Dezember 2024 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 4. September 2024 auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab, weil Berufsunfähigkeit nicht dauerhaft vorliege. Sie sprach weiters aus, dass auch vorübergehende Berufsunfähigkeit nicht vorliege und daher kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung oder auf medizinische/berufliche Maßnahmen der Rehabilitation bestehe.
Dagegen richtet sich die vorliegende Klage mit dem Begehren auf Zahlung der Berufsunfähigkeitspension in der gesetzlichen Höhe ab dem 1. Oktober 2024, in eventu 1. auf Feststellung, dass der Kläger ab 1. Oktober 2024 Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung und auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation habe, hilfsweise 2. auf Gewährung von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation. Begründend bringt der Kläger vor, seine Arbeitsfähigkeit sei vor allem durch psychische Beschwerden maßgeblich beeinträchtigt. Er leide an Panikattacken und Depressionen. Er habe Aufmerksamkeitsschwierigkeiten und eine anhaltend reduzierte Konzentrationsspanne. Aufgrund eines Verkehrsunfalls leide er an posttraumatischen Belastungsstörungen mit rezidivierenden Flashbacks. Zudem leide er linksseitig unter einem Knalltrauma und einem Tinnitus.
Die Beklagtebeantragt Klagsabweisung und wendet ein, dass der Kläger weiterhin in der Lage sei, die im Beobachtungszeitraum gemäß § 273 Abs 1 ASVG über zumindest 90 Pflichtversicherungsmonate hindurch ausgeübte bzw eine innerhalb des Verweisungsfelds liegende Berufstätigkeit auszuüben.
Mit dem angefochtenen Urteil weist das Erstgericht das Klagebegehren ab und meint ausgehend vom eingangs zusammengefassten, soweit kursiv wiedergegebenen strittigen Sachverhalt rechtlich, dass der Kläger weiterhin in der Lage sei, den von ihm vor dem Stichtag (1. Oktober 2024) zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben. Darüber hinaus wäre er in der Lage, die Tätigkeiten eines Handelsvertreters von Sicherheitsanlagen oder eines Fakturisten auszuüben. Es liege daher weder eine dauerhafte, noch eine vorübergehende Berufsunfähigkeit vor.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil in Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Die Berufung ist nicht berechtigt.
In seiner allein erhobenen Beweisrüge bekämpft der Kläger die eingangs in Kursivschrift dargestellten Feststellungen.
Ersatzweise begehrt er folgende Feststellungen:
„Aufgrund dieses physischen und psychischen Gesundheitszustands ist der Kläger seit 04.09.2024 in der Lage, leichte körperliche Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen, im Freien, sowie in geschlossenen Räumen im Ausmaß von höchstens 30 Wochenstunden unter Einhaltung der Ruhebedingungen zu verrichten, wobei auch feinmotorische Arbeiten zumutbar sind“.
Die begehrten Ersatzfeststellungen unterscheiden sich von den bekämpften Feststellungen (die in weiten Teilen wörtlich wiedergegeben werden) nur dahingehend, dass eine Einschränkung der möglichen Wochenarbeitszeit auf „höchstens 30 Stunden“ begehrt wird. Der Kläger argumentiert, dass (gemeint offenbar) der neurologisch-psychiatrische Sachverständige die in mehreren Befunden diagnostizierte Depression unberücksichtigt gelassen habe. Insbesondere Situationen mit Zeitdruck, sozialen Konflikten oder Reizüberflutung führten zur raschen Erschöpfung. Aus medizinischer Sicht sei dem Kläger ein reguläres Vollzeitpensum von 38,5 oder 40 Wochenstunden nicht mehr zumutbar. Eine Tätigkeit im Ausmaß von maximal 30 Wochenstunden sei das medizinisch vertretbare Höchstmaß. Bei einer Überschreitung dieser Belastungsgrenze wäre mit einer deutlichen Verschlechterung des psychischen Zustandsbilds zu rechnen. Die Ersatzfeststellungen wären rechtlich relevant, weil der Kläger am 5. Mai 2025 das 60. Lebensjahr vollendet habe und somit die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Tätigkeitsschutzes nach § 255 Abs 4 ASVG erfüllt seien.
Mit diesen Argumenten (die in Wahrheit Tatsachenvorbringen darstellen) bringt der Kläger die Beweisrüge nicht gesetzmäßig zur Ausführung. Das ist nämlich nur dann der Fall, wenn bestimmt angegeben wird, a) welche konkreten Feststellungen der Rechtsmittelwerber angreift bzw durch welche Tatsachen er sich für beschwert erachtet, b) weshalb diese Feststellungen Ergebnis einer unrichtigen Wertung der Beweisergebnisse sind, c) welche Tatsachenfeststellungen der Berufungswerber stattdessen anstrebt und d) aufgrund welcher Beweise diese anderen Feststellungen zu treffen gewesen wären (RS0041835). Die Ausführungen zur Beweisrüge müssen somit eindeutig erkennen lassen, aufgrund welcher Umwürdigung bestimmter Beweismittel welche vom angefochtenen Urteil abweichenden Feststellungen angestrebt werden. Diesen Erfordernissen genügt die Beweisrüge nicht, legt der Kläger doch nicht dar, aufgrund welcher aktenmäßigen Grundlage die begehrte Feststellung („höchstens 30 Wochenstunden“) getroffen hätte werden sollen (vgl Kodekin Rechberger/Klicka, ZPO 5§ 471 ZPO Rz 15). Keiner der beigezogenen medizinischen Sachverständigen machte eine Einschränkung in die vom Kläger begehrte Richtung. Der neurologisch-psychiatrische Sachverständige nahm in der Tagsatzung vom 27. Mai 2025 (ON 12) ausführlich zur posttraumatischen Belastungsstörung und zu deren Auswirkungen auf das medizinische Leistungskalkül des Klägers Stellung. Eine Änderung seines im Gutachten vom 25. März 2025, ON 6, erstellten Leistungskalküls, wonach der Kläger einem normalen Arbeitstempo ganztägig gewachsen ist, ergab sich daraus nicht. Es genügt auch nicht, den bekämpften Feststellungen bloß Gegenbehauptungen entgegenzuhalten (7 Ob 253/10x, RS0041830). Der Rechtsmittelwerber muss vielmehr plausibel darlegen, dass die bekämpften Feststellungen entweder evident unrichtig sind, oder zumindest bedeutend überzeugendere Beweisergebnisse für die ersatzweise begehrten Feststellungen vorliegen (SVSlg 62.416, 62.412 und 57.287). Letzteres fehlt hier überhaupt. Die auf die medizinischen Sachverständigengutachten gegründete Feststellung ist unbedenklich, auch weil der Kläger ihr nichts - aktenmäßig bereits Vorliegendes - entgegenzusetzen vermag. Die Tätigkeit des Sachverständigen hat regelmäßig einen zweifachen Inhalt: Der Sachverständige zieht mit Hilfe seiner Fachkunde (also unter Anwendung besonderer Erfahrungssätze) Schlussfolgerungen auf feststehenden Tatsachen, was in die Feststellung (weiterer) streiterheblicher Tatsachen mündet. Andererseits stellt der Sachverständige von vornherein selbst streiterhebliche Tatsachen fest, wenn dies - wie hier - ohne besondere Fachkunde gar nicht möglich ist ( Schneiderin Fasching/Konecny³ III/1 Vor §§ 351ff ZPO Rz 4f). Der Kläger legt nicht ansatzweise dar, warum das Erstgericht den medizinischen Sachverständigengutachten nicht folgen hätte dürfen.
Das Berufungsgericht übernimmt daher die Feststellungen des Erstgerichts als Ergebnis einer plausibel begründeten, durch die vorliegenden Beweisergebnisse gut abgesicherten, jedenfalls aber durch den Vortrag in der Beweisrüge nicht erschütterten Beweiswürdigung und legt sie seiner Entscheidung zugrunde (§ 498 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).
Soweit der Kläger mit seinen - knappen - weiteren Ausführungen in der Beweisrüge („die Frage des zumutbaren Ausmaßes der Beschäftigung wurde jedoch im erstinstanzlichen Verfahren nicht genauer erörtert“) einen - der Mängelrüge zuzuordnenden - Erörterungsmangel geltend machen wollte, ist ihm zu entgegnen:
Im Sinne des § 87 ASGG hat zwar der Vorsitzende die Parteien über Vorbringen und Beweisanbote zu belehren, wie sie bei solchen Arbeits- und Sozialrechtssachen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung bzw Rechtsverteidigung typisch sind und sie zu den sich daraus anbietenden, für sie günstigen Prozesshandlungen anzuleiten, jedoch trifft den Vorsitzenden keine Erkundigungspflicht in Richtung von Tatsachen, für die sich kein Anhaltspunkt im bisherigen Prozessverlauf und seinen Ergebnissen findet ( Neumayrin Neumayr/Reissner, ZellKomm³ § 87 ASGG Rz 4). Gegenüber - wie hier - qualifiziert vertretenen Parteien hat sich die amtswegige Beweisaufnahme gemäß § 87 Abs 1 ASGG innerhalb der - allerdings weit zu steckenden - Grenzen des Parteienvorbringens zu bewegen ( Haslinger/Leitner/Nowak, Handbuch ASGG Rz 765). Da das Beweisverfahren keine Anhaltspunkte dahingehend ergeben hat, dass der Kläger nicht mehr in der Lage sein sollte, vollzeitig zu arbeiten, war das Erstgericht auch nicht zu einer weiteren Erörterung (welche das sein hätte sollen, legt die Berufung auch nicht dar) verpflichtet. Dies umso mehr, als sich aus dem neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachten eine überdurchschnittlich ausgeprägte Kontakt- und Führungsfähigkeit und ein überdurchschnittlich ausgeprägtes Durchsetzungsvermögen des Klägers ergeben hat.
Die Argumente des Klägers vermögen keine Bedenken des Berufungsgerichts an der Beweiswürdigung des Erstgerichts und den darauf basierenden Feststellungen zu erwecken. Damit muss die allein die Tatsachenebene rügende Berufung des Klägers erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden weder behauptet noch ergeben sich solche aus der Aktenlage.
Die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO ist nicht zuzulassen, weil Gegenstand des Berufungsverfahrens ausschließlich nicht revisible Tatumstände waren und eine im Berufungsverfahren unterbliebene Rechtsrüge nach ständiger Rechtsprechung im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden kann (RS0043573).
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