Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Mag. Malesich als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. A* D*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 9.696 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 23. Oktober 2024, GZ 2 R 117/24d 43, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 23. Mai 2024, GZ 28 Cg 73/20a 38, teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 922,41 EUR (darin enthalten 158,45 EUR an 19 % USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1]Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[2] 1. Der Ersatz des Minderwerts beiVerletzung des unionsrechtlichen Schutzgesetzes der Verordnung (EG) 715/2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge wird primär nach unionsrechtlichen Anforderungen bestimmt. Macht der Fahrzeugkäufer nicht die Rückabwicklung des Kaufvertrags, sondern nur einen Minderwert geltend, ist dieser im Sinn des § 273 Abs 1 ZPO nach freier Überzeugung innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des vom Kläger gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises festzusetzen (RS0134498). Dies schließt aber nicht aus, dass die Wertminderung exakt festgestellt wird und der Käufer Ersatz derselben verlangen kann (RS0134498 [T6]). Dafür bedarf es Feststellungen zu einer allfälligen Wertdifferenz im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags, insbesondere dazu, welchen Verkehrswert das Fahrzeug in Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung aufwies bzw zu welchem Preis ein solches Fahrzeug (damals) gehandelt worden wäre (10 Ob 7/24p =RS0113651 [T6]; 7 Ob 194/24s; 8 Ob 93/24w; 7 Ob 4/25a; 8 Ob 7/25z; 7 Ob 55/25a).
[3] 2. Davon ging der Oberste Gerichtshof – entgegen der Ansicht des Klägers – auch in den Entscheidungen zu4 Ob 61/24k und 4 Ob 88/24f nicht ab. Er legte lediglichdar, dass die Rechtsprechung zur Bandbreite von 5 % und 15 % für die Berechnung der Schadenshöhe bei Festhalten am Vertrag nicht zur Anwendung kommt, wenn der Anspruchsgrund in § 874 und/oder § 1295 Abs 2 ABGB liegt. In diesen Fällen hat sie vielmehr nach nationalen Regeln, also nach der relativen Berechnungsmethode zu erfolgen (RS0134498 [T7]).
[4] Ob betreffend diese Anspruchsgrundlagen ein Widerspruch zwischen den Entscheidungen zu 4 Ob 61/24k und 4 Ob 88/24f einerseits und zu 10 Ob 13/24wandererseits besteht, ist hier schon deshalb nicht von Bedeutung, weil sich die Revision nicht auf § 874 und/oder § 1295 Abs 2 ABGB beruft.
[5]3.1. Die Entscheidung des Gerichts darüber, ob es den § 273 ZPO anwenden darf, ist eine rein verfahrensrechtliche Entscheidung. Wurde zu Unrecht die Anwendbarkeit des § 273 ZPO bejaht oder verneint, muss dies mit Mängelrüge bekämpft werden (RS0040282). Die Anwendbarkeit des § 273 ZPO hängt aber von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab und hat daher keine über diesen hinausgehende Bedeutung. Im Rahmen eines außerordentlichen Rechtsmittels kann – sofern die Grenzen der Ermessensentscheidung nicht offenbar überschritten wurden – die Frage der Richtigkeit der Anwendung des § 273 ZPO nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (RS0040494 [insb T4]).
[6] 3.2. Das Berufungsgericht übernahm die vom Erstgericht auf Basis des Sachverständigengutachtens getroffene Feststellung, wonach „der merkantile Minderwert beziehungsweise der Preisnachlass“ beim Fahrzeug zum Verkaufszeitpunkt aufgrund der Betroffenheit vom „Abgasskandal“ in der Größenordnung von 250 bis 500 EUR gewesen wäre nicht, weil es sie für in sich widersprüchlich und unverständlich erachtete.
[7] 3.3. Der Kläger argumentiert hier ausschließlich, auf Basis des Sachverständigengutachtens wäre eine (positive) Feststellung des relevanten Minderwerts in Höhe von 10 % bis 30 % zu treffen gewesen. Die zitierte Passage aus dem Sachverständigengutachten besagt nur, dass es ab einem Nachlass in der Größenordnung von 10 % bis 30 % eine Gruppe von Käufern gegeben hätte, die bereit gewesen wäre, das Risiko einer Entziehung der Typengenehmigung aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung zu tragen. Dies beleuchtet jedoch nur die Nachfrageseite des Marktes. Konstatierungen in diesem Sinne, also wie sich „durchschnittliche“ oder „nicht durchschnittliche“ Käufer bei Kenntnis vom Vorliegen einer Abschalteinrichtung verhalten würden, sind nicht als positive Feststellungen des Minderwerts eines konkreten Fahrzeugs aufzufassen (vgl 10 Ob 46/2 3x; 4 Ob 99/24y ; 5 Ob 33/24z ; 7 Ob 194/24s ;8 Ob 30/24f uva ). Selbst aus diesen vom Kläger (zusätzlich) gewünschten Feststellungen lässt sich demnach schon keine exakte Wertminderung ableiten.
[8]3.4. Vor diesem Hintergrund zeigt der Kläger nicht auf, aus welchem Grund die Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO durch das Berufungsgericht mangelhaft erfolgt sein soll, zumal diese Bestimmung auch dann angewendet werden kann, wenn die vorliegenden Beweise (insbesondere Sachverständigengutachten) nur Grundlagen für die Ermessensentscheidung geliefert haben (RS0040440 [T1]).
[9]4.1. Soweit sich der Kläger in seiner Rechtsrüge gegen das Ergebnis der Schadensschätzung durch das Berufungsgericht wendet, ist darauf Bedacht zu nehmen, dass dem Gericht bei Anwendung des § 273 ZPO die Befugnis zukommt, die Höhe des Anspruchs nach freier Überzeugung festzusetzen (RS0040459 [T1]). Für die Ausübung des richterlichen Ermessens sind die Umstände des Einzelfalls maßgeblich (vgl RS0121220 [T1]; RS0111576 [T2]). Es können daher nur gravierende, an die Grenzen des Missbrauchs gehende Fehler der Ermessensentscheidung auch noch in dritter Instanz an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (9 ObA 31/23h; 7 Ob 55/25a; RS0007104 [insb T1, T5]). Dass das Berufungsgericht bei seiner Ausmittlung der zu ersetzenden Wertminderung die Grenzen des gebundenen Ermessens überschritten hätte, zeigt die Revision nicht auf:
[10]4.2. Dass bei ähnlicher Sachverhaltsgrundlage unterschiedliche Ergebnisse nicht beanstandet wurden, belegt keine Judikaturdivergenz; es handelt sich vielmehr um eine notwendige Folge des den Vorinstanzen zukommenden Beurteilungsspielraums. Ebenso wenig können aus Fällen, denen ein tatsächlich festgestellter Minderwert zugrunde lag, Schlussfolgerungen auf eine uneinheitliche Rechtsprechung gezogen werden, ist doch der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz und demnach an die von den Vorinstanzen im Einzelfall getroffenen Feststellungen gebunden (RS0042903 [T5, T7, T10]; RS0123663 ua).
[11]4.3. Die Berücksichtigung von nach dem Kauf eingetretenen Umständen (langjährige Nutzung bis zum Verkauf) als wertaufhellende Faktoren im Rahmen der Schätzung nach § 273 Abs 1 ZPO ist von der Judikatur des Obersten Gerichtshofs gedeckt (vgl etwa 2 Ob 3/24s; 3 Ob 219/23m; 5 Ob 149/24h mwN; 7 Ob 191/24z).
[12]5. Die Revision ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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