Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richterin und weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers H*, vertreten durch Hintermeier Brandstätter Engelbrecht Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen den Antragsgegner S*, vertreten durch Mag. Oliver Simoncic, Rechtsanwalt in St. Pölten, wegen Feststellung der Nichtabstammung (§ 153 Abs 1 ABGB) über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 26. März 2025, GZ 23 R 106/25y 20, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 19. Februar 2025, GZ 8 FAM 64/24t 16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
De m Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Der Antragsgegner ist der 1998 in aufrechter Ehe geborene Sohn des Antragstellers. Die Ehe wurde 2009 geschieden.
[2] Der Antragsteller hatte ungeachtet des Umstands, dass ihm damals „Wirtshausgespräche“ über andere Männerbekanntschaften seiner Frau zugetragen wurden, weder im empfängniskritischen Zeitraum noch zum Zeitpunkt der Geburt Zweifel an seiner Vaterschaft. Erst im Jahr 2023 begann er an seiner (biologischen) Vaterschaft zu zweifeln, weil die Mutter des Antragsgegners ihm gegenüber im Zusammenhang mit einer gescheiterten Übergabe der Landwirtschaft des Antragstellers auf den Antragsgegner äußerte , dass letzterer „nichts, gar nichts von ihm habe“.
[3] Der Antragsteller begehrt die Feststellung der Nichtabstammung des Antragsgegners. Die Äußerung der Mutter im Jahr 2023 habe im Zusammenhang mit den ihm schon lange bekannten „Wirtshausgesprächen“ Zweifel an der Abstammung des Antragsgegners geweckt.
[4] Der Antragsgegner wendet ein, der Antrag sei verfristet, weil dem Antragsteller die „Männerbekanntschaften“ der Mutter schon lange bekannt gewesen seien.
[5] Das Erstgericht wies den Antrag ohne Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens nach Einvernahme der Parteien ab. Feststellungen zur (Nicht )Abstammung des Antragsgegners vom Antragsteller traf es nicht.
[6] Das Rekursgerichtbestätigte die Entscheidung. Zwar sei eine Verfahrenseinleitung auch schon vor Beginn der Zweijahresfrist des § 153 Abs 1 ABGB möglich. Ohne de n Nachweis konkreter Tatsachen, die den Antragsteller an seiner Vaterschaft einigermaßen nachvollziehbar zweifeln l ießen , seien aber keine umfangreichen, noch dazu kostenintensiven Erhebungen, wie die beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens, durchzuführen.Den Revisionsrekurs ließ es zur Frage zu, ob eine Verfahrenseinleitung auch ohne konkrete Anhaltspunkte, also vor Beginn der Frist des § 153 Abs 1 ABGB zulässig sei, oder es ausreichend konkreter Hinweise bed ürfe , um das Abstammungsverfahren einzuleiten und ein Sachverständigengutachten einzuholen.
[7] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Antragstellers mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
[8] Der Antragsgegner beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung , den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
[9] Die Mutter beteiligte sich nicht am Revisionsrekursverfahren.
[10] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und im Sinn der beantragten Aufhebung auch berechtigt .
[11]1. Gemäß § 153 Abs 1 ABGB kann ein Antrag auf Feststellung, dass das Kind nicht vom Ehemann der Mutter abstammt, binnen zwei Jahren ab Kenntnis der hiefür sprechenden Umstände gestellt werden.
[12]2. Die Frist des § 153 Abs 1 ABGB ist eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist ( 5 Ob 237/12g Pkt 3. mwN). Für den Beginn der Frist ist entscheidend, wann dem Ehemann Umstände von so großer Beweiskraft bekannt werden, dass er objektiv die Nichtabstammung des Kindes von ihm als höchst wahrscheinlich ansehen muss und erwarten kann, seiner Beweispflicht im Verfahren nachkommen zu können ( RS0048265 ). Dabei ist auf den Maßstab eines objektiv-verständig denkenden Mannes abzustellen ( RS0048265 [T9]).
[13] Die bloße Kenntnis von Männerbekanntschaften aufgrund von „Wirtshausgesprächen“ reicht auch im Zusammenhang mit der Äußerung der Mutter, der Antragsgegner habe „nichts, gar nichts von ihm“, nicht aus, um die Frist in Gang zu setzen (vgl 6 Ob 63/16g ).
[14]3. Eine Antragstellung ist aber auch schon vor Beginn der Frist des § 153 Abs 1 ABGB möglich.
[15]3.1. Der Oberste Gerichtshof hat im Zusammenhang mit der Bestreitung der Ehelichkeit nach § 156 ABGB aF wiederholt festgehalten, dass es eine „verfrühte“ Ehelichkeitsbestreitungsklage nach der Geburt des Kindes nicht gibt und auch bei Fehlen genügend beweiskräftiger, für die Unehelichkeit des Kindes sprechender Umstände keine Klagsabweisung „mangels Ingangsetzen der Bestreitungsfrist des § 156 ABGB“ in Betracht kommt ( 2 Ob 571/91 ; 8 Ob 514/92 ).
[16] 3.2. Die Literatur ( Kodek , Zur Verwertbarkeit heimlicher Vaterschaftstest, ecolex 2005, 108; Stefula in Klang 3§ 158 ABGB Rz 2; Mokrejs-Weinhappel in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB 4 § 153 Rz 16; Pierer in Schneider/Verweijen, AußStrG § 85 Rz 17; Spitzer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I 2 § 85 Rz 13; Beck , Kindschaftsrecht³ Rz 70) steht – soweit überblickbar – einhellig auf dem Standpunkt, dass auch ein Antrag auf Feststellung, dass das Kind nicht vom Ehemann der Mutter abstammt, keinen „Anfangsverdacht“ voraussetzt. Für eine Zurückweisung eines „ins Blaue hinein“ gestellten Antrags als verfahrensrechtlich unzulässig bestehe keine gesetzliche Grundlage.
[17]3.3. Der Senat schließt sich diesen überzeugenden Argumenten an. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die schon zu § 156 ABGB aF entwickelte Rechtsprechung nicht auch auf eine Antragstellung nach § 153 ABGB anwendbar sein sollte, fehlt doch jede gesetzliche Grundlage dafür, einen bloß aufgrund subjektiver Besorgnis gestellten Antrag nach § 153 Abs 1 ABGB als verfahrensrechtlich unzulässig zurückzuweisen.
3.4. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten:
[18]Ein Antrag nach § 153 Abs 1 ABGB kann auch schon vor Beginn des Laufs der Zweijahresfrist – also vor der Kenntnis von Umständen von so großer Beweiskraft, dass der Ehemann die Unehelichkeit des Kindes als höchst wahrscheinlich ansehen und erwarten kann, seiner Beweispflicht im Verfahren nachkommen zu können – gestellt werden.
[19] 4. Da die Antragstellung verfahrensrechtlich zulässig ist und – worauf Stefula (in Klang 3§ 158 ABGB Rz 2) zutreffend hinweist – für eine schlüssige Antragstellung das Vorbringen ausreicht, die rechtlich gegebene Vaterschaft entspreche nicht den wahren (biologischen) Verhältnissen, ist das Gericht verpflichtet, den entscheidungserheblichen Sachverhalt (hier: Abstammungsverhältnis zwischen Antragsgegner und Antragsteller) zu erheben und entsprechende Feststellungen zu treffen. Die Vorinstanzen haben sich aber – offenbar in Anlehnung an Beck (Kindschaftsrecht³ Rz 70) – auf eine bloße „Schlüssigkeitsprüfung des Antragsvorbringens“ in Bezug auf begründete, objektive Zweifel beschränkt und keine Feststellungen zum Abstammungsverhältnis getroffen, sodass der vom Revisionsrekurs aufgezeigte sekundäre Feststellungsmangel vorliegt. Es erweist sich daher schon aus diesem Grund eine Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen als unumgänglich.
[20] 5. Davon zu trennen ist die Frage, in welchem Umfang das Gericht Beweise zur Feststellung der (Nicht )Abstammung aufzunehmen hat.
[21] 5.1. Grundsätzlich ist das Gericht im Außerstreitverfahren in der Wahl der Beweismittel, durch die er die Wahrheit zu finden erwartet, in keiner Richtung gebunden ( RS0006319). Nach § 13 AußStrG ist das Verfahren so zu gestalten, dass eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung des Verfahrensgegenstands und eine möglichst kurze Verfahrensdauer gewährleistet sind. Im Außerstreitverfahren besteht Beweisaufnahmeermessen ( 6 Ob 148/16g Pkt 5.1. mwN). Hinsichtlich des Umfangs der Beweisaufnahme ist der Richter daher nicht streng an die Anträge der Parteien gebunden; er kann darüber hinausgehen, aber auch nach seinem Ermessen im Interesse einer zügigen Verfahrensführung von der Aufnahme einzelner Beweismittel Abstand nehmen, wenn auch auf andere Weise eine (ausreichend) verlässliche Klärung möglich ist ( RS0006319 [T6]).
[22]5.2. Das Recht, die eigene Abstammung zu kennen, fällt in den Schutzbereich des nach Art 8 EMRK, der wichtige Aspekte der persönlichen Identität, wie die Kenntnis der Identität des eigenen Erzeugers, umfasst (RS0127252). Art 8 EMRK enthält insbesondere auch ein – hier relevantes – Recht der vermeintlichen Eltern auf Überprüfung einer gesetzlichen Vaterschaftsvermutung (vgl EGMR 12. 1. 2006, Mizzi , Bsw 26111/02).
[23]5.3. § 85 AußStrG regelt vor diesem Hintergrund die Mitwirkungspflichten von Personen im Abstammungsverfahren.
[24]Nach § 85 Abs 1 AußStrG haben die Parteien und alle Personen, die nach den Ergebnissen des Verfahrens zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen können, bei der Befundaufnahme durch einen vom Gericht bestellten Sachverständigen, insbesondere an der notwendigen Gewinnung von Gewebeproben, Körperflüssigkeiten und Blutproben, mitzuwirken, soweit es zur Feststellung der Abstammung erforderlich ist.
[25] Der Oberste Gerichtshof hat unter Hinweis auf die grundrechtliche Implikation schon betont, dass die Feststellung der Abstammung nicht an der ungerechtfertigten Weigerung beteiligter Personen scheitern darf. Dem Gericht ist es durch das Amtswegigkeitsprinzip und den Untersuchungsgrundsatz nicht nur erlaubt, sondern, wenn es zur Sachverhaltsklärung notwendig ist, sogar aufgetragen, DNA-Gutachten einzuholen ( 9 Ob 3/17gPkt 3.1.). Allgemein wird – wie auch schon zur Vorgängerbestimmung des § 7 Abs 1 FamRAnglV – angenommen, dass die Mitwirkung im Abstammungsverfahren gemäß § 85 Abs 1 AußStrG dann erforderlich ist, wenn dies zur Klärung des Sachverhalts offenbar notwendig ist (9 Ob 3/17g = RS0131465).
[26] Zwar steht es dem Gericht daher im Rahmen des ihm eingeräumten Beweisaufnahmeermessens grundsätzlich offen, das Fehlen jeglicher Indizien für eine Nichtabstammung zu würdigen und allenfalls von der mit Anordnung und Durchsetzung der Mitwirkungspflicht verbundenen Einholung eines Sachverständigengutachtens abzusehen ( Pierer in Schneider/Verweijen, AußStrG § 85 Rz 20). Ziel der gerichtlichen Klärung des Abstammungs- verhältnisses ist es aber, die größtmögliche Übereinstimmung mit den wahren Abstammungsverhältnissen zu erreichen. Für deren Klärung stehen objektive, naturwissenschaftliche Methoden zur Verfügung. Auch wenn das Gericht durch den Untersuchungsgrundsatz weder in seiner freien Beweiswürdigung beschränkt noch verpflichtet ist, unnötige Beweise aufzunehmen, ist die Verpflichtung, alle für die Entscheidung wichtigen Tatumstände aufzuklären, regelmäßig nicht erfüllt, solange die durch die Wissenschaft gebotenen Möglichkeiten der Aufklärung der Abstammung nicht genützt sind. Die Ermessensübung des Gerichts ist daher in diesem Zusammenhang einer besonders strengen Prüfung zu unterziehen ( 9 Ob 40/24h [Rz 39 mwN]).
[27] 5.4. Welche Beweisaufnahmen im Einzelfall zur verlässlichen Klärung des Abstammungsverhältnisses notwendig sind, obliegt aber letztlich dem Ermessen der Tatsacheninstanzen und ist einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen ( RS0043320 [T10]; 8 Ob 54/13v [Abstammungsverfahren]).
[28]6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 78 Abs 1 Satz 2 AußStrG.
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