W128 2255487-3/23E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael FUCHS-ROBETIN über die Beschwerde des syrischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH), gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.02.2024, Zl. 1291575705/231300872, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.07.2024, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art.133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger sunnitisch muslimischen Glaubens und Angehöriger der Volksgruppe der Araber, stellte erstmals am 17.12.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgründe brachte er vor, dass er bei einer Rückkehr nach Syrien vom Regime verhaftet, gefoltert und getötet werde, da er sich dem Regime gegenüber illoyal verhalten habe. Außerdem fürchte er den in Syrien herrschenden Bürgerkrieg und den damit im Zusammenhang stehenden Militärdienst.
2. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 23.03.2022 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass er vom polizeilichen Sicherheitsdienst des syrischen Regimes desertiert sei und deswegen vom syrischen Regime verfolgt werde, um ihn in weiterer Folge zu töten.
3. Mit Bescheid vom 28.03.2022 Zl. 1291575705/211965187 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Syrien zulässig sei (Spruchpunkt V.), und gewährte ihm eine Frist von 14 Tagen für eine freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
4. Mit Erkenntnis vom 18.10.2022, Zl. W278 2255487-2/17E, wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobene Beschwerde ab, erkannte dem Beschwerdeführer den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung von einem Jahr. Im Übrigen wurden die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.
Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass dem Beschwerdeführer in Syrien keine asylrelevante Verfolgung drohe. Er habe die Desertion von seinem Polizeidienst und eine daraus unterstellte oppositionelle Gesinnung durch das syrische Regime nicht glaubhaft darlegen können. Des Weiteren bestehe auch keine Gefahr, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien zum Reservedienst einberufen werde. Im Übrigen sei er auch nicht gefährdet, aufgrund seiner Ausreise aus Syrien sowie seiner Asylantragstellung in Österreich einer asylrelevanten Verfolgung in seinem Herkunftsstaat ausgesetzt zu sein.
5. Am 07.07.2023 stellte der Beschwerdeführer einen Folgeantrag auf internationalen Schutz und legte neue Dokumente zum Beweis, dass er als desertierter Polizist in Syrien gesucht werde, vor.
6. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 16.02.2024 legte der Beschwerdeführer einen syrischen Polizeiausweis, einen syrischen Strafregisterauszug einen Online-Auszug der syrischen Geheimdienstabteilung mit seinem Namen und Fotos von der Teilnahme an regimekritischen Demonstrationen in Österreich vor. Aufgrund seiner Desertion vom syrischen Polizeidienst und seiner Teilnahme an regimekritischen Demonstrationen in Österreich drohe ihm von Seiten der syrischen Regierung eine asylrelevante Verfolgung.
7. Mit dem (hier) angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Folgeantrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab.
Begründend führte sie im Wesentlichen aus, dass die Echtheit des vorgelegten Strafregisterauszuges und des Onlineauszuges der syrischen Geheimdienstabteilung nicht festgestellt werden könne. Die vorgelegten Fotos würden keine Informationen darüber enthalten, welche Demonstrationen der Beschwerdeführer tatsächlich besucht hätte. Somit habe der Beschwerdeführer keine neuen Fluchtgründe glaubhaft machen können.
8. Dagegen erhob der Beschwerdeführer fristgerecht die gegenständliche Beschwerde, in welcher er zusammengefasst vorbringt, einen syrischen Strafregisterauszug erhalten zu haben. Diesen habe er erst nach Abschluss des Erstverfahrens erhalten, welcher eine Verfolgung durch das syrische Regime infolge einer Desertion vom staatlichen Polizeidienst belege. Außerdem bezog er sich auf den bereits vor der belangten Behörde vorgelegten Online-Auszug der syrischen Geheimdienstabteilung, wonach er bei einer Rückkehr nach Syrien mit Verfolgungshandlungen von Seiten des syrischen Regimes zu rechnen habe. Des Weiteren habe er in Österreich am 19.03.2023 an einer regimekritischen Demonstration teilgenommen. Seine regimekritischen Ansichten habe der Beschwerdeführer durch einschlägige Facebook-Beiträge verdeutlicht, die er der verfahrensgegenständlichen Beschwerde beifügte.
9. Am 26.03.2024 legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor, ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen.
10. Am 18.07.2024 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, an der der Beschwerdeführer, seine Rechtsvertretung und ein Dolmetscher für die Sprache Arabisch teilnahmen. Die belangte Behörde entschuldigte ihr Fernbleiben.
11. Mit Schreiben an das Bundeskriminalamt vom 30.07.2024 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den vorgelegten syrischen Polizeiausweis in Kopie sowie den vorgelegten syrischen Strafregisterauszug, mit dem Ersuchen um Echtheitsüberprüfung und Verifizierung, ob das Aussehen von syrischen Polizeiausweisen allgemein bekannt sei.
12. Mit Stellungnahme vom 30.07.2024 brachte der Beschwerdeführer vor, dass er aufgrund der Teilnahme an öffentlich exilpolitischen Demonstrationen gegen das Assad-Regime eine regimekritische politische Überzeugung verinnerlicht habe. Die dabei entstandenen Fotos habe er in den sozialen Medien tausenden Personen gegenüber veröffentlicht. Der Beschwerdeführer sei bereits seit über 10 Jahren auf verschiedenen sozialen Medien (Instagram, Facebook) politisch aktiv und sei aufgrund der Anzahl seiner Abonnenten in einer politisch exponierten Stellung. Staatliche Einrichtungen in Syrien seien daher in der Lage, Informationen über im Ausland lebende Dissidenten zu sammeln sowie die sozialen Medien zu überwachen, um diese für Verfolgungshandlungen zu verwenden. Der von ihm vorgelegte Online-Auszug des syrischen Geheimdienstes gebe nicht nur Auskunft über Wehrdienstverweigerer, sondern auch allgemein über vom syrischen Regime gesuchte Personen.
13. Mit Untersuchungsbericht, eingelangt beim Bundesverwaltungsgericht am 13.11.2024, führte das Bundeskriminalamt aus, dass die Authentizität des vorgelegten Strafregisterauszuges und die gegenständlichen Ausstellungsmodalitäten, mangels Vergleichs- bzw. Informationsmaterial, einer Überprüfung nicht zugänglich seien. Der syrische Polizeiausweis sei lediglich ein Ausdruck und somit eine Reproduktion. Für eine kriminaltechnische Untersuchung sei die Vorlage des Originaldokumentes notwendig. Im Übrigen würde es zu dem abgebildeten Ausweis kein Informations- oder Vergleichsmaterial geben. Bisher vorgelegte und als unbedenklich beurteilte syrische Polizeiausweise würden ein anderes Erscheinungsbild aufweisen. Eine kriminaltechnische Untersuchung könne nur anhand eines Originaldokumentes vorgenommen werden.
14. Mit Schreiben vom 19.11.2024 ersuchte das Bundesverwaltungsgericht die belangte Behörde um Übermittlung des originalen Polizeiausweises, woraufhin sie das Original mit Schreiben vom 22.11.2024 vorlegte.
15. Mit Schreiben vom 04.12.2024 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht eine Kopie des vorgelegten syrischen Polizeiausweises an eine allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Dolmetscherin für eine Übersetzung in die deutsche Sprache.
16. Mit Schreiben vom 04.12.2024 wurde dem Bundesverwaltungsgericht die gewünschte Übersetzung übermittelt. Zusammengefasst geht aus der Übersetzung das Hauptquartier der Inneren Sicherheitskräfte (Abteilung der Kriminalpolizei) als ausstellende Behörde, der Dienstgrad des Beschwerdeführers und die Unterschrift des Direktors der Kriminalpolizei hervor.
17. Mit Schreiben vom 06.12.2024 ersuchte das Bundesverwaltungsgericht das Bundeskriminalamt abermals um Überprüfung der Echtheit des nunmehr eingeholten originalen syrischen Polizeiausweises.
18. Im Hinblick auf den Sturz des Assad-Regimes forderte das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführer mit Parteiengehör vom 07.04.2025 auf, binnen zwei Wochen hinsichtlich des Weiterbestandes der in der mündlichen Beschwerdeverhandlung geschilderten Fluchtgründe eine Stellungnahme abzugeben und mitzuteilen, ob die Beschwerde aufrechterhalten wird.
19. Mit Stellungnahme vom 16.04.2025 führte der Beschwerdeführer aus, dass er nunmehr von der derzeitig sich an der Macht befindlichen syrischen Übergangsregierung verfolgt werde. Er würde aufgrund seines einjährigen Polizeidienstes beim Assad-Regime als dessen Unterstützer eingestuft werden. Daher würde die derzeitige Übergangsregierung dem Beschwerdeführer eine politisch oppositionelle Gesinnung unterstellen.
20. Am 22.04.2025 übermittelte das Bundeskriminalamt dem Bundesverwaltungsgericht den angeforderten kriminaltechnischen Untersuchungsbericht. Darin wurde ausgeführt, dass (trotz Vorlage des syrischen Dienstausweises im Original) die Authentizität des Ausweises sowie dessen Ausstellungsmodalitäten aufgrund mangelnden Vergleichs- und Informationsmaterials nicht beurteilt werden könnten.
21. Mit Parteiengehör vom 18.06.2025 führte das Bundesverwaltungsgericht das am 08. Mai 2025 erschienene (aktuelle) Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien in das Verfahren ein und räumte dem Beschwerdeführer eine zweiwöchige Frist ein, um hierzu Stellung zu beziehen und bekannt zu geben, ob auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werde.
Der Beschwerdeführer äußerte sich dazu nicht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der arabischen Volksgruppe an und ist sunnitischer Moslem.
1.2. Am 17.12.2021 stellte der Beschwerdeführer seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Dass dem Beschwerdeführer in Syrien keine asylrelevante Verfolgung drohe, begründete das Bundesverwaltungsgericht in seinem Erkenntnis vom 18.10.2022, Zl. W278 2255487-2, damit, dass eine Verfolgung aufgrund einer Desertion vom Polizeidienst unglaubwürdig sei. Dazu führte der erkennende Richter aus, dass es sich dabei um ein gesteigertes Vorbringen handle, da der Beschwerdeführer dazu erst in der mündlichen Verhandlung entsprechende Angaben machte. Außerdem brachte er in der niederschriftlichen Einvernahme vor, in Syrien als Lehrer gearbeitet zu haben, während er in der mündlichen Verhandlung vorbrachte, in genau dieser Zeit die Polizeischule besucht zu haben. Im Übrigen erfolgte dieses Vorbringen erst auf Nachfrage und ohne eine Beschreibung von genauen Details sowohl über die inhaltliche Tätigkeit als auch über die Desertion selbst. Die Vorderseite des vorgelegten Polizeiausweises sei großteils in englischer Sprache abgefasst und nicht auf den Beschwerdeführer ausgestellt. Insgesamt habe somit eine Echtheit des Dokumentes nicht festgestellt werden können (Erkenntnis vom 18.10.2022, S. 51 ff.). Die Gefahr, für den syrischen Reservedienst rekrutiert zu werden, sei nicht maßgeblich wahrscheinlich, da der Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt bereits XXXX Jahre alt war. Daher habe er die Altersgrenze für eine Einberufung bereits überschritten und verfüge auch nicht über eine entsprechende Spezialausbildung.
Am 07.07.2023 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz.
1.3. Der Beschwerdeführer stützte sein Fluchtvorbringen, vom syrischen Regime verfolgt zu werden, auf neu vorgelegte Beweismittel, nämlich einen syrischen Strafregisterauszug vom 21.11.2022, einen Online-Auszug der Geheimdienstabteilung mit seinem Namen und Fotos von einer Demonstrationsteilnahme in Österreich. Im Übrigen stützte der Beschwerdeführer sein neues Fluchtvorbringen auf seine politischen Aktivitäten über das soziale Medium „Instagram“.
1.4. Die maßgebliche Situation in Syrien hat sich in Bezug auf die bereits im Erstverfahren behandelten Aspekte durch den Umsturz des Assad-Regimes am 08.12.2024 und durch die Einsetzung der aktuellen Übergangsregierung wesentlich geändert.
Seine neuen Fluchtgründe stützte der Beschwerdeführer mit Stellungnahme vom 16.04.2025 auf eine Verfolgung durch die derzeitige syrische Übergangsregierung. Aufgrund seines einjährigen Polizeidienstes für das Assad-Regime würde er bei einer Rückkehr nach Syrien als Anhänger dieses Regimes eingestuft werden, weshalb ihm eine politisch oppositionelle Gesinnung unterstellt werde.
1.5. Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsort weder eine Verfolgung durch das mittlerweile gestürzte Assad-Regime noch durch die derzeit sich an der Macht befindliche syrische Übergangsregierung.
1.6. Zur hier relevanten Situation in Syrien:
1.6.1. Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)
Am 8.12.2024 erklärten die Oppositionskräfte in Syrien die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad für beendet. Zuvor waren Kämpfer in die Hauptstadt eingedrungen, nachdem Oppositionsgruppierungen am 27.11.2024 eine Offensive gegen das Regime gestartet und innerhalb weniger Tage die Städte Aleppo, Hama und große Teile des Südens eingenommen hatten. Al-Assad war aus Damaskus geflohen (AJ 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl in Russland gewährt (VB Moskau 10.12.2024). Er hatte das Land seit 2000 regiert, nachdem er die Macht von seinem Vater Hafez al-Assad übernommen hatte, der zuvor 29 Jahre regiert hatte (BBC 8.12.2024a). Er kam mit der Baath-Partei an die Macht, die in Syrien seit den 1960er-Jahren Regierungspartei war (NTV 9.12.2024). Bashar al-Assad hatte friedliche Proteste gegen sein Regime im Jahr 2011 gewaltsam unterdrückt, was zu einem Bürgerkrieg führte. Mehr als eine halbe Million Menschen wurden getötet, sechs Millionen weitere wurden zu Flüchtlingen (BBC 8.12.2024a). Die Offensive gegen al-Assad wurde von der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) angeführt (BBC 9.12.2024). Die HTS wurde ursprünglich 2012 unter dem Namen Jabhat an-Nusra (an-Nusra Front) gegründet, änderte ihren Namen aber 2016 nach dem Abbruch der Verbindungen zur al-Qaida in Hay’at Tahrir ash-Sham. Sie festigte ihre Macht in den Provinzen Idlib und Aleppo, wo sie ihre Rivalen, darunter Zellen von al-Qaida und des Islamischen Staates (IS), zerschlug. Sie setzte die sogenannte Syrische Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) ein, um das Gebiet nach islamischem Recht zu verwalten (BBC 9.12.2024). Die HTS wurde durch die von der Türkei unterstützte Syrische Nationale Armee (Syrian National Army -SNA), lokale Kämpfer im Süden und andere Gruppierungen unterstützt (Al-Monitor 8.12.2024). Auch andere Rebellengruppierungen erhoben sich (BBC 8.12.2024b), etwa solche im Norden, Kurdenmilizen im Nordosten, sowie Zellen der Terrormiliz IS (Tagesschau 8.12.2024). Im Süden trugen verschiedene bewaffnete Gruppierungen dazu bei, die Regierungstruppen aus dem Gebiet zu vertreiben. Lokale Milizen nahmen den größten Teil der Provinz Dara’a sowie die überwiegend drusische Provinz Suweida ein (Al-Monitor 8.12.2024). Die Abteilung für Militärische Operationen (Department for Military Operations - DMO) dem auch die HTS angehört, kontrollierte mit Stand 11.12.2024 70 % des syrischen Territoriums (Arabiya 11.12.2024).
In der ersten Woche nach der Flucht al-Assads aus dem Land gelang es Syrien, ein vollständiges Chaos, zivile Gewalt und den Zusammenbruch des Staates abzuwenden (MEI 19.12.2024). Ehemalige Regimeoffiziere sollen viele Regierungsgebäude niedergebrannt haben, um Beweise für ihre Verbrechen zu verstecken, nachdem sie nach dem Sturz des Regimes von Präsident Bashar al-Assad aus dem Innenministerium geflohen waren (Araby 16.12.2024). Die neuen defacto-Führer Syriens bemühten sich um Sicherheit, Stabilität und Kontinuität. Obwohl es Berichte über Plünderungen in der Zentralbank und über Menschen gab, die den persönlichen Wohnsitz al-Assads und die Botschaft des Iran, seines Hauptunterstützers, durchwühlten, standen am 9.12.2024 Rebellenkämpfer vor Regierungsgebäuden in der gesamten Hauptstadt Wache. Die neuen Behörden verbreiteten auch Bilder von Sicherheitspersonal, das durch die Straßen von Damaskus patrouillierte, in den sozialen Medien (NYT 12.12.2024).
Der HTS-Anführer Mohammed al-Joulani, der mittlerweile anstelle seines Kampfnamens seinen bürgerlichen Namen Ahmad ash-Shara’ verwendet (Nashra 8.12.2024), traf sich am 9.12.2024 mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten und Vizepräsidenten von al-Assad, um die Modalitäten für eine Machtübergabe zu besprechen (DW 10.12.2024). Bis zu ihrer Übergabe blieben die staatlichen Einrichtungen Syriens unter seiner Aufsicht (REU 8.12.2024). Die Macht des Assad-Regimes wurde auf ein Übergangsgremium übertragen, das vom Premierminister der SSG, Mohammed al-Bashir, geleitet wurde (MEI 9.12.2024). Al-Bashir kündigte am ersten Tag seiner Ernennung an, dass die Prioritäten seiner Regierung folgende seien: Gewährleistung von Sicherheit, Bereitstellung von Dienstleistungen und Aufrechterhaltung der staatlichen Institutionen. (AJ 27.1.2025a). Am 29.1.2025 wurde de-facto-Herrscher Ahmed ash-Shara’ zumÜbergangspräsidenten ernannt (Standard 29.1.2025).
Die Übergangsregierung ließ laut Medienberichten die Verwaltungsbeamten auf ihren Posten (LTO 9.12.2024). Eine diplomatische Quelle eines europäischen Staates wiederum berichtet von einer Beurlaubung aller Staatsbeamten: Durch die Beurlaubung aller Staatsbeamter gibt es in Syrien zwar nun (interimistische) Minister, aber kaum Beamte, soll heißen, keine funktionierende Verwaltung. Mit ganz wenigen Ausnahmen stehen die Ministerien leer. Die einzigen Ordnungskräfte sind diejenigen Gruppen, die aus Idlib mitgekommen sind und die sich – personell überlastet – um ein Minimum an Ordnung in den Städten bemühen. Die kommunale Versorgung ist nicht vorhanden bzw. derzeit auf Privatinitiativen reduziert (SYRDiplQ1 5.2.2025). In Damaskus und anderen Orten kam es häufig zu Gewaltausbrüchen, weil Polizei und Armee nicht über genügend Personal verfügen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Straßen sind oft mit Müll übersät, und anstelle der Polizei leiten Teenager den Verkehr (FT 25.3.2025). Syrienexperte Daniel Gerlach sagte, dass die leitende Beamtenebene im Land fehlt, die zwischen politischen Entscheidungsträgern und der Verwaltung – die ihre Arbeit wieder aufgenommen hat – steht. Es fehlen diejenigen, die mit den Verwaltungsträgern in Kontakt sind und die Politik umsetzen. Diejenigen, die in Syrien politische Entscheidungen träfen, seien ungefähr 15 bis 16 Personen, schätzt Gerlach (AC 23.1.2025). Alle Minister der Übergangsregierung waren aus dem 7. Kabinett der SSG, das im Februar 2024 ernannt worden war (AlMon 11.12.2024). Ash-Shara’ und der Interims-Premierminister haben Loyalisten zu Gouverneuren in mehreren Provinzen und zu Ministern in der Übergangsregierung ernannt (ISW 19.12.2024). Al-Bashir hat gegenüber Al Jazeera erklärt, dass die Minister der SSG vorerst die nationalen Ministerämter übernehmen werden (AJ 15.12.2024a). Ash-Shara’, sagte, dass in den ersten 100 Tagen keine internen und externen Parteien berücksichtigt werden. Er hat allen seinen Kameraden, die der HTS oder anderen Gruppierungen angehören, sehr deutlich gemacht, dass er diese Phase nur Leuten anvertraut, die sein persönliches Vertrauen haben. Er hat seine Partner und Freunde gebeten, ihm in dieser Phase beizustehen und sich darauf vorzubereiten, die Form einer neuen Regierung zu diskutieren (Akhbar 31.12.2024). Die HTS, die in der neuen Regierung erheblichen Einfluss hat, verfügt einem Bericht des Atlantic Council zufolge nicht über ausreichende technokratische Fachkenntnisse, um eine so komplexe Nation wie Syrien zu verwalten (AC 23.1.2025).
Die Regierung hat keinen Zeitplan für die Durchführung von Wahlen festgelegt. Ash-Shara’ stellte am 16.12.2024 fest, dass Syrien nicht bereit für Wahlen sei. Die Amtszeit der Übergangsregierung wurde bis März 2025 festgesetzt (ISW 16.12.2024). Am 29.3.2025 ernannte der Präsident die neue syrische Regierung. Diese besteht aus Technokraten, ethnischen Minderheiten und mehreren engen Vertrauten ash-Shara’s. Fast die Hälfte der Ernannten steht in keiner Verbindung zur HTS. Unter den Ernannten ist eine Frau, ein Angehöriger der drusischen Minderheit, ein Kurde und ein Alawit (FT 30.3.2025). Das einzige weibliche Kabinettsmitglied ist katholische Christin (VN 1.4.2025). Keiner davon erhielt ein wichtiges Ressort. Syrien-Experte Fabrice Balanche erklärte, dass wichtige Ressorts an „ehemalige Mitstreiter vergeben wurden, die bereits Teil der Syrischen Heilsregierung in der Provinz Idlib“ im Nordwesten Syriens waren (AlMon 30.3.2025). Der Verteidigungsminister und der Außenminister der Übergangsregierung behielten ihre Ämter. Innenminister Khattab war zuvor Leiter des Geheimdienstes (Independent 29.3.2025). Auch Außenminister ash-Shaibani behielt sein Amt (AlMon 30.3.2025). Mehrere der neuen Minister waren unter dem Assad-Regime tätig. Zu den ehemaligen Assad-Beamten gehören Yarab Badr, der neue Verkehrsminister, und Nidal ash-Sha’r, der zum Wirtschaftsminister ernannt wurde (NYT 30.3.2025). Die Mitglieder sind für fünf Jahre bestellt (FT 30.3.2025). Das Kabinett hat keinen Premierminister, da gemäß der vorläufigen Verfassung die Regierung einen Generalsekretär haben wird (Independent 29.3.2025). Ein neues Gremium, das Ende März per Dekret bekannt gegeben wurde, das Generalsekretariat für politische Angelegenheiten, gewährte ash-Shara’s Stellvertreter, Außenminister ash-Shaibani, weitreichende Befugnisse über die Führung von Ministerien und Regierungsbehörden – ähnlich der Rolle eines Premierministers (FT 30.3.2025).
Die Kurden im Nordosten Syriens stellen sich gegen die neu vorgestellte syrische Regierung. Das Kabinett spiegele nicht die Vielfalt des Landes wider, teilte die Demokratische Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) mit. Man sehe sich daher nicht an die Entscheidungen der neuen Regierung gebunden (Zeit Online 30.3.2025; vgl. Standard 30.3.2025; K24 30.3.2025). Obwohl der neuen Regierung mit Bildungsminister Mohammad Turko ein Kurde angehört, sind keine Vertreter der DAANES ins neue Kabinett berufen worden (MEE 30.3.2025). Einige Kritiker weisen auf die Diskrepanz zwischen ash-Shara’s Rhetorik bei Treffen mit internationalen Vertretern und dem vermeintlichen Fehlen eines integrativen Diskurses mit einheimischen Akteuren hin (Etana 10.1.2025). In den ersten fünfzig Tagen der neuen Regierung wurden in den Regierungsinstitutionen eine Reihe von Ernennungen vorgenommen, darunter neben den Ministern auch die meisten Gouverneure und Direktoren der wichtigsten Regierungsbehörden und Abteilungen, die eine hoheitliche Dimension haben, wie der Geheimdienst, die Zentralbank und der Kassationshof (AJ 27.1.2025a). Die Problematik besteht darin, dass der Kreis der Entscheidungsträger – zumindest derzeit - ein besonders kleiner, ausschließlich aus engsten Vertrauten aus Idlib bestehender ist, d. h. ein in sich geschlossener Kreis. Hinzu kommen bereits interne Unstimmigkeiten: So mancher militärischen Gruppierung und manchem Weggefährten aus Idlib geht der moderate Zugang der Übergangsbehörden bereits zu weit. War man in den ersten euphorischen Wochen nach der Machtübernahme noch zuversichtlich-optimistisch bzw. vielmehr überzeugt, die Erfahrungen aus dem Modell Idlib auf das ganze Land übertragen zu können (die Argumentation dabei: Idlib als erfolgreicher Mikrokosmos Gesamtsyriens, da ja bewaffnete Gruppen aus dem ganzen Land nach Idlib transferiert worden waren), so hat 50 Tage nach dem Fall des Regimes Assad die Realität die neuen Machthaber eingeholt. Das katastrophale administrative Erbe, die schlechte Wirtschaftslage, die schiere Größe und Vielfalt des Landes, sowie der Mangel an allem, auch an eigenem Fachwissen und Erfahrung. Die Verwaltung eines Stadtstaates (Idlib) hat eine ganz andere Dimension als die eines komlpexen, zerstörten Landes (SYRDiplQ1 5.2.2025).
Während ash-Shara’ ein gewisses Maß an Pragmatismus gezeigt hat, insbesondere im Umgang mit lokalen Gemeinschaften, sind die Strukturen der Übergangsregierung nach wie vor zentralisiert und hierarchisch, wobei die Macht in einem kleinen Führungskreis konzentriert ist. Dies schränkt die Möglichkeiten für eine integrative Entscheidungsfindung ein und verstärkt die Wahrnehmung der Ausgrenzung von Minderheiten und Frauen (AC 20.12.2024). HTS hat in Idlib einerseits bemerkenswerte Zugeständnisse an die lokale Bevölkerung gemacht. So erlaubte sie beispielsweise Christen, Gottesdienste abzuhalten und Frauen, Universitäten zu besuchen und Autos zu fahren – Maßnahmen, die angesichts der radikalen dschihadistischen Vergangenheit der Gruppe bemerkenswert sind. Darüber hinaus hat HTS Zivilisten in seine Regierungsverwaltung integriert und einen technokratischen Regierungsstil eingeführt, selbst in sensiblen ideologischen Bereichen wie Bildung und Religion, in denen die Gruppe ursprünglich ausschließlich eigenes Personal ernennen wollte. Andererseits ist die mangelnde Bereitschaft, politische Opposition zuzulassen, nach wie vor besorgniserregend. In Idlib hat HTS nach und nach die Macht monopolisiert und agierte praktisch als Einparteienstaat. Politische Opposition und zivilgesellschaftlicher Aktivismus wurden unterdrückt (DIIS 16.12.2024). Zu den ersten Entscheidungen der Übergangsregierung unter al-Bashir gehörten die Entsendung von Polizeikräften in Großstädte und das Verbot von Rauchen und Alkoholkonsum (MAITIC 17.12.2024). Der HTS wurden unter anderem von Human Rights Watch, immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Oppositionelle, Frauen und religiöse Minderheiten vorgeworfen. Es kam auch zu groß angelegten Protesten gegen die HTS und ihren Anführer, ash-Shara(Rosa Lux 17.12.2024). Laut Terrorismusexperte Peter Neumann haben die Kämpfer der HTS für ein islamistisches Regime gekämpft. Er hält es für möglich, dass es zu einer Opposition in der eigenen Bewegung kommen könnte (Spiegel 11.12.2024). Auch Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler spricht von Videos von Personen aus dem Umfeld der HTS, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024). Alberto M. Fernandez, Vizepräsident des Middle East Media Research Institutes, wiederum sieht nicht so sehr die Gefahr, dass Syrien nun ein islamischer Staat sein wird, sondern dass es ein gescheiterter Staat sein wird. Die Gefahr besteht eher darin, dass die Anarchie die Oberhand gewinnt und nicht das Scharia-Recht. Dennoch sehen auch sie, al-Shara, seine Organisation die HTS und viele ihrer Verbündeten als Hardcore-Islamisten. Der beste Vergleich sind nicht der Islamische Staat (IS) und al-Qaida, sondern die Taliban und die Hamas, politische Projekte, die sowohl islamistisch als auch nationalistisch sind (MEMRI 9.12.2024). Etwa 70 % der syrischen Bevölkerung sind sunnitische Muslime, darunter auch Kurden, die etwa 10 % der Bevölkerung ausmachen. Die arabischen Sunniten sind sich jedoch in ihren Zielen nicht einig, und viele wünschen sich für die Zukunft Syriens keinen islamischen Staat (SWI 13.2.2025).
Trotz der Kritik ergab eine im März 2025 im Auftrag von „The Economist“ durchgeführte Umfrage, an der 1.500 Syrer aus allen Provinzen und konfessionellen Gruppen des Landes teilnahmen, dass 81 % die Herrschaft von ash-Shara’ befürworten. Nur 22 % sind der Meinung, dass seine Vergangenheit als al-Qaida-Führer ihn für eine Führungsrolle disqualifiziert. Eine große Zahl der Befragten gibt an, dass sie seine neue Ordnung als sicherer, freier und weniger konfessionell geprägt empfinden als das Regime von al-Assad. Etwa 70 % sind optimistisch, was die allgemeine Richtung des Landes angeht. Die zufriedenste Provinz ist Idlib, ash-Shara’s ehemaliges Machtgebiet, wo 99 der 100 Befragten sich optimistisch äußern. Tartus, wo Anfang März 2025 mehrere Massaker an der alawitischen Minderheit stattgefunden haben, ist die pessimistischste Provinz. Selbst dort gaben 49 % an, optimistisch zu sein, während 23 % sich pessimistisch äußerten. (Economist 2.4.2025).
Ash-Shara’s Regierung kontrolliert begrenzte Teile Syriens, darunter die meisten westlichen Städte und Teile des ländlichen Raums (TWI 28.2.2025). Nordostsyrien wird von einer Kombination aus den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Focres - SDF) und arabischen Stammeskräften regiert (MEI 19.12.2024). Die SDF führen Gespräche mit ash-Shara’, bleiben aber vorsichtig, was seine Absichten angeht (TWI 28.2.2025). Nord-Aleppo wird von der von der Türkei unterstützten Syrischen Übergangsregierung kontrolliert (MEI 19.12.2024). Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen innerhalb der SNA kontrollieren Teile Nordsyriens nahe der türkischen Grenze, darunter ’Afrin, Suluk und Ra’s al-’Ain. Diese Gebiete hat die SNA 2018 und 2019 von den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Forces - SDF) erobert (Al-Monitor 8.12.2024). Am 29.1.2025 zwang die Türkei den Anführer dieser Gruppe, Sayf Abu Bakr, nach Damaskus zu reisen und dem neuen Präsidenten persönlich zu gratulieren, aber dies ist das einzige Zugeständnis, das er ash-Shara’ bisher gemacht hat. Die beiden Anführer haben eine lange Geschichte gegenseitiger Feindseligkeit, insbesondere da viele Kämpfer der Syrischen Nationalarmee Veteranen des blutigen Krieges sind, den HTS 2017–2020 um die Kontrolle über die Provinz Idlib führte (TWI 28.2.2025). Südsyrien wird von einer halbunabhängigen Struktur in Suweida zusammen mit ehemaligen Oppositionsgruppen in Dara’a kontrolliert (MEI 19.12.2024). Im Euphrat-Tal ist die Loyalität der sunnitischen Stämme gegenüber HTS weniger sicher, während in Dara’a die vom ehemaligen Rebellen Ahmad al- Awda und anderen südlichen Fraktionen kontrollierten Truppen sich der Integration in die neue syrische Armee widersetzen (TWI 28.2.2025). Anfang Jänner 2025 hinderten lokale Gruppierungen, die in der Provinz Suweida operieren, einen Militärkonvoi der DMO an der Einfahrt in die südsyrische Provinz. Quellen erklärten gegenüber Al Jazeera, dass die Entscheidung auf Anweisung des geistlichen Oberhaupts der monotheistischen Gemeinschaft der Drusen, Hikmat al-Hijri, getroffen wurde, der betonte, dass keine militärische Präsenz von außerhalb der Provinz erlaubt sei. Die Quellen erklärten, dass der Militärkonvoi in die mehrheitlich drusische Provinz Suweida kam, ohne sich vorher mit den lokalen Gruppierungen in der Provinz abzustimmen (AJ 1.1.2025a). Etana zufolge soll die HTS zunehmend versucht haben, ihre Macht und militärische Reichweite in der gesamten Provinz Dara’a und im weiteren Süden Syriens auszunutzen, was zu Spannungen mit Ahmad al-’Awda führte. In intensiven Verhandlungen im Gebäude des Gouvernements Dara’a wurde die Auflösung sowohl des 5. Korps als auch der Gruppen von Ahmad al-’Awda (die einst die 8. Brigade des 5. Korps bildeten) sowie anderer ehemaliger Oppositionsgruppen aus der Stadt Dara’a und at-Tafas angestrebt. Während HTS die Integration aller ehemaligen Oppositionsgruppen unter einem neuen Verteidigungsministerium nach al-Assad anstrebt, wuchs der Druck auf al-’Awda, der sich unter den bisherigen Bedingungen gegen die Auflösung gewehrt hatte (Etana 17.1.2025). Am 13.4.2025 gab die Gruppierung dem politischen und militärischen Druck schließlich nach und ihre Auflösung bekannt. Die Waffen werden an die Regierung übergeben (National 14.4.2025), schwere Waffen wurden von den Sicherheitskräften der Regierung beschlagnahmt (Etana 16.4.2025). Ash-Shara’s politisches Projekt eines zentralisierten Syriens steht im Widerspruch zur aktuellen Realität vor Ort. Er glaubt, dass der Föderalismus die „Nation“ spalten könnte – eine Auffassung, die zum Teil auf der antiisraelischen Stimmung in der syrischen Bevölkerung beruht (TWI 28.2.2025).
Als Teil des Übergangs von der Revolution zum Staatsaufbau arbeitet die neue syrische Regierung daran, diesen Aufbau zu stärken und zu konsolidieren, indem sie eine nationale Armee aufbaut, die alle militärischen Formationen und Gruppierungen umfasst, die sich aufgrund bestimmter Umstände und Fakten während der syrischen Revolution gebildet haben (AJ 29.1.2025).
(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 08. Mai 2025, S. 1-23 ff)
1.6.2. Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes
Die Syrische Arabische Armee wurde noch von al-Assad vor seiner Flucht nach Mitternacht am 8.12.2024 per Befehl aufgelöst. Die Soldaten sollten ihre Militäruniformen gegen Zivilkleidung tauschen und die Militäreinheiten und Kasernen verlassen (AAA 10.12.2024). Aktivisten des Syrian Observatory for Human Rights (SOHR) in Damaskus haben berichtet, dass Hunderte von Regimesoldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie darüber informiert wurden, dass sie entlassen wurden, da das Assad-Regime gestürzt war (SOHR 8.12.2024). Ca. 2.000 syrische Soldaten sind in den Irak geflohen. Einem Beamten aus dem Irak zufolge sollen 2.150 syrische Militärangehörige, darunter auch hochrangige Offiziere, wie Brigadegeneräle und Zollangestellte, in einem Lager in der Provinz al-Anbar untergebracht sein. Die Mehrheit soll nach Syrien zurückkehren wollen (AlMada 15.12.2024). Syrischen Medien zufolge verhandelte die syrische Übergangsregierung mit der irakischen Regierung über die Rückführung dieser Soldaten (ISW 16.12.2024). Am 19.12.2024 begannen die irakischen Behörden damit, die syrischen Soldaten nach Syrien auszuliefern (TNA 19.12.2024). Die Mehrheit der führenden Soldaten und Sicherheitskräften des Assad-Regimes sollen sich noch auf syrischem Territorium befinden, jedoch außerhalb von Damaskus (Stand 13.12.2024) (AAA 10.12.2024). Nach der Auflösung der ehemaligen Sicherheits- und Militärinstitutionen verloren Hunderttausende ihren Arbeitsplatz und ihr Einkommen – vor allem in den Küstenregionen. Zehntausende wurden auch aus staatlichen und zivilen Einrichtungen entlassen, ohne alternative Einkommens- oder Arbeitsmöglichkeiten. Darüber hinaus wurden Mitgliedern der aufgelösten Armee, Polizei und Sicherheitsdienste Umsiedlungsmaßnahmen aufgezwungen, was zu wachsender Unzufriedenheit und Wut in den Reihen dieser Männer führte (Harmoon 17.3.2025).
Nach dem Umsturz in Syrien hat die von Islamisten angeführte Rebellenallianz eine Generalamnestie für alle Wehrpflichtigen verkündet. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie seien untersagt, teilte die Allianz auf Telegram mit (Presse 9.12.2024). HTSAnführer ash-Shara’ kündigte in einem Facebook-Post an, dass die Wehrpflicht der Armee abgeschafft wird, außer für einige Spezialeinheiten und „für kurze Zeiträume“. Des Weiteren kündigte er an, dass alle Gruppierungen aufgelöst werden sollen und über Waffen nur mehr der Staat verfügen soll (CNBC Ara 15.12.2024a; vgl. MEMRI 16.12.2024). Unklar ist, wie eine Freiwilligenarmee finanziert werden soll (ISW 16.12.2024). Auch die Auflösung der Sicherheitskräfte kündigte ash-Shara’ an (REU 11.12.2024a). In einem Interview am 10.2.2025 wiederholte ash-Shara’, dass er sich für eine freiwillige Rekrutierung entschieden habe und gegen eine Wehrpflicht. Bereits Tausende von Freiwilligen hätten sich der neuen Armee angeschlossen (Arabiya 10.2.2025a; vgl. AJ 10.2.2025a). Wehrpflichtigen der Syrischen Arabischen Armee (Syrian Arab Army - SAA) wurde eine Amnestie gewährt (REU 11.12.2024b). Ahmed ash-Shara’ hat versprochen, dass die neue Führung die höchsten Ränge des ehemaligen Militärs und der Sicherheitskräfte wegen Kriegsverbrechen strafrechtlich verfolgen wird. Was dies jedoch für die Fußsoldaten des ehemaligen Regimes bedeuten könnte oder wo die diesbezüglichen Grenzen gezogen werden, bleibt unklar (Guardian 13.1.2025). Die neue Übergangsregierung Syriens hat sogenannte „Versöhnungszentren“ eingerichtet, sagte Abu Qasra, neuer syrischer Verteidigungsminister. Diese wurden bereits gut genutzt, auch von hochrangigen Personen, und die Nutzer erhielten vorübergehende Niederlassungskarten. Eine beträchtliche Anzahl habe auch ihre Waffen abgegeben (Al Majalla 24.1.2025). Der Hauptsitz des Geheimdienstes in Damaskus ist jetzt ein „Versöhnungszentrum“, wo die neuen syrischen Behörden diejenigen, die dort gedient haben, auffordern, sich zu stellen und ihre Waffen im Geheimdienstgebäude abzugeben. Im Innenhof warten Menschenschlangen darauf, Zettel zu erhalten, die besagen, dass sie sich offiziell ergeben und mit der neuen Regierung versöhnt haben, während ehemalige Aufständische in neuen Uniformen im Militärstil die abgegebenen Pistolen, Gewehre und Munition untersuchen. Ehemalige Offiziere, die sich für die neue Regierung Syriens als nützlich erweisen könnten, beispielsweise, weil sie Informationen über Personen haben, die international gesucht werden, haben wenig zu befürchten, solange sie kooperieren (Guardian 13.1.2025). In diesen „Versöhnungszentren“ erhielten die Soldaten einen Ausweis mit dem Vermerk „desertiert“. Ihnen wurde mitgeteilt, dass man sie bezüglich ihrer Wiedereingliederung kontaktieren würde (Chatham 10.3.2025) Die Rolle der übergelaufenen syrischen Armeeoffiziere in der neuen Militärstruktur ist unklar. Während ihr Fachwissen beim Aufbau einer Berufsarmee von unschätzbarem Wert sein könnte, bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich ihrer Marginalisierung innerhalb der neuen Machtstruktur (DNewsEgy 3.2.2025). Unter al-Assad war die Einberufung in die Armee für erwachsene Männer obligatorisch. Wehrpflichtige mussten ihren zivilen Ausweis abgeben und erhielten stattdessen einen Militärausweis. Ohne einen zivilen Ausweis ist es schwierig, einen Job zu finden oder sich frei im Land zu bewegen, was zum Teil erklärt, warum Zehntausende in den „Versöhnungszentren“ in verschiedenen Städten aufgetaucht sind (BBC 29.12.2024). Ehemalige Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter des Assad-Regimes, ca. 4.000 bis 5.000 Männer in Latakia und Tartus, haben sich diesen „Versöhnungsprozessen“ entzogen. Einige von ihnen wurden im Rahmen einer landesweiten Kampagne mit täglichen Suchaktionen und gezielten Razzien gefasst, andere jedoch haben sich zu bewaffnetem Widerstand gegen die Übergangsregierung entschlossen (MEI 13.3.2025).
Der Übergangspräsident Ahmed ash-Shara’ hat die Vision einer neuen „Nationalen Armee geäußert, die alle ehemaligen Oppositionsgruppen einbezieht. Diese Vision beinhaltet einen Prozess der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung, bei dem Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) angeblich die Führung übernehmen soll (DNewsEgy 3.2.2025). Der syrische Verteidigungsminister Abu Qasra kündigte am 6.1.2025 den Beginn von Sitzungen mit militärischen Gruppierungen an, um Schritte zu deren Integration in das Verteidigungsministerium zu entwickeln (Arabiya 6.1.2025b). Hochrangige Beamte des neuen Regimes führten Gespräche über die Eingliederung von Milizen in das Verteidigungsministerium und die Umstrukturierung der syrischen Armee mit Vertretern unterschiedlicher bewaffneter Gruppierungen, wie Fraktionen der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) (MAITIC 9.1.2025). Die Behörden gaben Vereinbarungen mit bewaffneten Rebellengruppen bekannt, diese aufzulösen und in die vereinte syrische Nationalarmee zu integrieren (UNSC 7.1.2025). Die einzige Möglichkeit, eine kohärente militärische Institution aufzubauen, besteht laut Abu Qasra darin, die Gruppierungen vollständig in das Verteidigungsministerium unter einer einheitlichen Struktur zu integrieren. Die Grundlage für diese Institution muss die Rechtsstaatlichkeit sein (Al Majalla 24.1.2025). Es bleibt abzuwarten, wie die neue Armee Syriens aussehen wird und ob sie auf einer anderen Struktur als die Armee des Assad-Regimes basieren wird.
Die Umstrukturierung des syrischen Militärs hat gerade erst begonnen. Der neue de-facto-Führer hat versprochen, die neue Armee in eine professionelle, auf Freiwilligen basierende Truppe umzuwandeln, um die Professionalität in den Reihen zu fördern und sich von der Wehrpflichtpolitik zu entfernen, die das zusammengebrochene Assad-Regime charakterisierte (TR-Today 8.1.2025). Medienberichten zufolge wurden mehrere ausländische islamistische Kämpfer in hohe militärische Positionen berufen. Ash-Shara’ hatte Berichten zufolge außerdem vorgeschlagen, ausländischen Kämpfern und ihren Familien aufgrund ihrer Rolle im Kampf gegen al-Assad die Staatsbürgerschaft zu verleihen (UNSC 7.1.2025).
Syrische Medien berichten, dass die neue Regierung aktiv Personen für die Armee und die Polizei rekrutiert. Damit soll der dringende Bedarf an Kräften gedeckt werden. Neue Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere werden Berichten zufolge durch intensive Programme rekrutiert, die von den traditionellen akademischen und Ausbildungsstandards abweichen. Der Prozess der Vorbereitung von Militär- und Sicherheitskadern wird beschleunigt, um den Bedürfnissen des neuen Staates gerecht zu werden (SCI o.D.). Am 10.2.2025 gab Übergangspräsident ash-Shara’ an, dass sich Tausende von Freiwilligen der neuen Armee angeschlossen haben (Arabiya 10.2.2025a). Viele junge Männer ließen sich einem Bericht des syrischen Fernsehsenders Syria TV zufolge für die neue Armee rekrutieren. Insbesondere seien junge Männer in Idlib in dieser Hinsicht engagiert. Die Rekrutierungsabteilung der neuen syrischen Verwaltung in der Provinz Deir ez-Zour gab bekannt, dass wenige Wochen nach der Übernahme der Kontrolle über die Provinz durch den Staat etwa 1.200 neue Rekruten in ihre Reihen aufgenommen wurden. In den ländlichen Gebieten von Damaskus treten junge Männer vor allem der Kriminalpolizei bei (Syria TV 21.2.2025). Die Rekrutierungsabteilung von Aleppo teilte am 12.2.2025 mit, dass bis zum 15.2.2025 eine Rekrutierung in die Reihen des Verteidigungsministeriums läuft. Dort ist die Aufnahmebedingung für junge Männer, dass sie zwischen 18 und 22 Jahre alt, ledig und frei von chronischen Krankheiten und Verletzungen sein müssen (Enab 12.2.2025). Das syrische Verteidigungsministerium hat am 17.3.2025 mehrere Rekrutierungszentren im Gouvernement Dara’a in Südsyrien eröffnet (NPA 17.3.2025). Das Innenministerium hat seitdem Rekrutierungszentren in allen von der Regierung kontrollierten Gebieten eröffnet (ISW 16.4.2025). Berichten zufolge verlangt die neue Regierung von neuen Rekruten eine 21-tägige Scharia-Ausbildung (FDD 28.1.2025).
Ende Februar 2025 verbreiteten Facebook-Seiten die Behauptung, die Allgemeine Sicherheit habe in Jableh, Banyas und Qardaha Checkpoints eingerichtet, um jeden zu verhaften, der eine Siedlungskarte besitzt. Die Seiten behaupten, dass die Allgemeine Sicherheit die Verhafteten nach Südsyrien verlegt, wo es zu einer Eskalation durch die israelische Besatzung kommt. Die syrische Regierung dementierte die Durchführung von Rekrutierungskampagnen in den Provinzen Latakia und Tartus. Die Rekrutierung basiere weiterhin auf Freiwilligkeit (Syria TV 26.2.2025).
(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 08. Mai 2025, S. 139 ff)
1.6.3. Rückkehr - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes
Mit dem Sturz al-Assads kehrten Tausende Syrer aus dem Libanon und der Türkei nach Syrien zurück. Für viele war das Assad-Regime das Haupthindernis für die Rückkehr in ihre Heimat. Die Aufnahmeländer haben diese Begeisterung genutzt, um weitere Rückkehrer zu ermutigen (CSIS 11.12.2024). Zehn Tage nach dem Sturz des syrischen Regimes am 8.12.2024 erklärte die Europäische Union (EU), sie schätze, dass zwischen Januar und Juni 2025 etwa eine Million syrische Flüchtlinge in ihr Land zurückkehren würden. Das wurde durch die Direktorin des Büros des UNHCR für den Nahen Osten und Nordafrika bestätigt. Ahmad ash-Shara’, der Befehlshaber der Militäroperationen in Syrien, der später zum Übergangspräsidenten des Landes wurde, betonte bei einem Treffen mit dem UN-Sondergesandten Geir Pedersen, dass eine seiner ersten Prioritäten darin bestehe, zerstörte Häuser wieder aufzubauen und die Vertriebenen in das letzte Zelt zurückzubringen, während er gleichzeitig sehr wichtige wirtschaftliche Entscheidungen treffe (Almodon 13.2.2025).
Bis August 2024 waren schätzungsweise 34.000 Flüchtlinge zurückgekehrt, aber nach der Invasion Israels im Libanon im Oktober 2024 flohen weitere 350.000 aus dem Libanon zurück nach Syrien, um dem Konflikt zu entkommen. Mit weiteren 125.000 Rückkehrern seit dem Sturz al-Assads Anfang Dezember erreichte die Gesamtzahl der Rückkehrer im Jahr 2024 fast eine halbe Million (FA 11.2.2025). Laut UNOCHA wurden bis 15.12.2024 225.000 Rückkehrer in ganz Syrien registriert. Die Mehrheit ist in die Gouvernements Hama und Aleppo zurückgekehrt. Das bedeutet, dass die Zahl der Menschen, die neu vertrieben wurden, von 1,1 Millionen, wie am 12.12.2024 gemeldet, auf 882.000 Menschen am 15.12.2024 gesunken ist. Von dieser Zahl wurden mindestens 150.000 Menschen mehr als einmal vertrieben. Viele Familien sind in frühere Lager in ihren Herkunftsgebieten zurückgekehrt, weil es in ihren Heimatstädten an grundlegenden Versorgungsleistungen mangelt oder die Infrastruktur beschädigt ist. Einige Familien gaben auch an, dass sie auf die Räumung von Kampfmittelrückständen in ihren Herkunftsgebieten warten, bevor sie zurückkehren (UNOCHA 16.12.2024). UNHCR schätzt, dass von 8.12.2024 bis 2.1.2025 über 115.000 Syrer nach Syrien zurückgekehrt sind, basierend auf öffentlichen Erklärungen von Aufnahmeländern, Kontakten mit Einwanderungsbehörden in Syrien und dem UNHCR sowie der Grenzüberwachung durch Partner (UNHCR 2.1.2025). Insgesamt sind nach Angaben des UNHCR 800.000 vertriebene Syrer in ihre Heimat zurückgekehrt, darunter 600.000 Binnenvertriebene (Internal Displaced Persons - IDPs) (Stand 31.1.2025) (AlHurra 31.1.2025). Die Zahl der Personen, die in das Gouvernement Aleppo zurückkehren, ist am höchsten, wobei die Rückkehrer die verbesserte Sicherheitslage und die Abschaffung des Wehrdienstes als Hauptgründe für ihre Rückkehr nennen (UNHCR 2.1.2025). Grundsätzlich verzeichnen die UN einen Anstieg an rückkehrwilligen Syrern, die im Nahen Osten leben. Fast 30 % geben an, in ihre Heimat zurückzuwollen. Als großes Hindernis für die Rückkehr sieht UNHCR-Chef Grandi die Sanktionen (Zeit Online 26.1.2025). Die syrischen Behörden gaben an, dass innerhalb von zwei Monaten nach der Befreiung Syriens 100.905 Bürger über die Grenzübergänge der Türkei zurückgekehrt sind. Der Grenzübergang Jdaydat Yabous/ Masna’ zum Libanon fertigte in zwei Monaten 627.287 Reisende ab, darunter 339.018 syrische Staatsbürger und arabische und ausländische Gäste, und 288.269 Ausreisende. Im gleichen Zeitraum wurden am Grenzübergang Nassib/ al-Jaber zu Jordanien 174.241 Passagiere syrischer Staatsbürger und arabischer und ausländischer Gäste abgefertigt, davon 109.837 bei der Einreise und 64.404 bei der Ausreise. Am Grenzübergang al-Bu Kamal/ al-Qa’im wurden 5.460 syrische Staatsbürger abgefertigt, die im Irak leben und zurückkehren, um sich dauerhaft in Syrien niederzulassen (Nashra 11.2.2025). Bei den Angaben zu Rückkehrern sind die zuständigen Behörden und Forschungszentren nicht in der Lage festzustellen, ob diese Menschen lediglich zurückgekehrt sind, um ihre Familien zu besuchen und zu treffen, oder ob sie freiwillig und dauerhaft zurückgekehrt sind (Almodon 13.2.2025).
Die Karte von UNHCR zeigt die Aufteilung der seit Anfang 2025 zurückgekehrten Syrer nach Gouvernements:

CNN zufolge gab es nicht nur einen Strom von Rückkehrern, sondern auch zahlreiche Familien, die - meist aufgrund ihrer Konfession - aus Angst vor der neuen Regierung das Land verlassen wollten (CNN 12.12.2024).
Im Jänner 2025 führte UNHCR eine Befragung zu Wahrnehmungen und Absichten von Flüchtlingen in Jordanien, Libanon, Irak und Ägypten durch. Ein zunehmender Anteil erklärte die klare Absicht, zurückzukehren. Insgesamt hoffen 80 % der Flüchtlinge, eines Tages nach Syrien zurückkehren zu können. Dies stellt eine deutliche Veränderung der Rückkehrabsichten der Flüchtlinge im Vergleich zur letzten Umfrage im April 2024 dar, bei der nur 57 % der Flüchtlinge die Hoffnung äußerten, eines Tages zurückkehren zu können. Viele Flüchtlinge weisen auf erhebliche Hindernisse für eine Rückkehr hin, darunter Schulden in den Aufnahmeländern und Schäden an ihren Häusern in Syrien (UNHCR 23.1.2025). In der erwähnten Umfrage gab ein Viertel der Befragten an, in den nächsten zwölf Monaten zurückkehren zu wollen. Mehr als die Hälfte der Befragten, die nicht innerhalb der nächsten zwölf Monate zurückkehren möchte, hat vor, innerhalb der nächsten fünf Jahre zurückzukehren. Fast alle möchten in ihre Herkunftsregion zurückkehren. Über 60 % der Befragten erachten einen „go and see“-Besuch für essenziell, bevor sie eine endgültige Rückkehrentscheidung treffen. 52 % gaben an, dass al-Assads Sturz ihre Rückkehrentscheidung beeinflusst hat. Aus dem Feedback, das UNHCR durch direkte Kommunikation mit Flüchtlingen erhalten hat, geht hervor, dass die Hauptanliegen derjenigen, die an einer Rückkehr interessiert sind, die Bereitstellung von Transportmitteln und Bargeldzuschüssen zur Deckung der Grundbedürfnisse sowie Unterstützung innerhalb Syriens beim Wiederaufbau ihrer Häuser und ihres Lebens sind. Während immer mehr Syrer ihre Absicht bekundeten, in den nächsten zwölf Monaten zurückzukehren, zeigt die Umfrage auch, dass 55 % der Flüchtlinge noch nicht beabsichtigen, zurückzukehren. Von den 61 % der Flüchtlinge, die ein Haus/Eigentum in Syrien besitzen, geben 81 % an, dass es entweder vollständig zerstört oder teilweise beschädigt und unbewohnbar ist, was nach wie vor ein großes Hindernis für ihre Rückkehr darstellt (UNHCR 6.2.2025). Einer Umfrage zufolge, bei der 1.100 in der Türkei ansässige Syrer zwischen 9. und 11.12.2024 befragt wurden, wollten 70 % nach Syrien zurückkehren, im Vergleich zu 45 % vor dem Sturz al-Assads. Die Studie ergab, dass 45,5 % der Syrer bereit sind, in ihre Heimat zurückzukehren, wenn sich die Lage in Syrien verbessert, während 26,7 % „so schnell wie möglich“ zurückkehren möchten (DS 27.12.2024). Das Journal „Just Security“ führte zwischen Februar und April 2024 eine Umfrage unter 87 zurückgekehrten Syrern in verschiedenen Regionen Syriens durch. In den von der Türkei kontrollierten Gebieten ist das Misstrauen unter den arabischen Rückkehrern besonders ausgeprägt. 60 % von ihnen haben überhaupt kein Vertrauen in die örtlichen Behörden. Auch unter den turkmenischen Rückkehrern herrscht große Skepsis. 55 % von ihnen haben wenig oder gar kein Vertrauen in diese Behörden (35 % haben wenig Vertrauen und 20 % gar kein Vertrauen). 50,6 % der befragten Rückkehrer aus allen Regionen Syriens berichteten von Erfahrungen mit Diskriminierung, Ungerechtigkeit und Gewalt. Während in den von Kurden kontrollierten Gebieten der höchste Anteil der Befragten angab, sich in der Lage zu fühlen, ihre Rechte uneingeschränkt auszuüben, berichteten arabische Rückkehrer in den von der Türkei kontrollierten Gebieten am wenigsten, sich in der Lage zu fühlen, ihre Rechte auszuüben (JS 29.1.2025).Das Norwegian Refugee Council führte eine Befragung von 4.206 Vertriebenen im Nordwesten Syriens zu ihren Zukunftsplänen durch und sprach mit Hunderten von Familien, die Jahre nach ihrer Flucht zurückgekehrt sind. In Vertriebenenlagern im Nordwesten gaben nur 8 % der Befragten an, dass sie innerhalb der nächsten drei Monate in ihre Herkunftsgebiete zurückkehren wollen (NRC 13.2.2025).
Das Land, in das die Menschen zurückkehren, unterscheidet sich grundlegend von jenem, das sie verlassen haben. Die Zerstörung von Häusern und wichtiger Infrastruktur, vermisste Angehörige, weitverbreitete Armut, das Risiko wieder aufflammender Gewalt und die Unsicherheit über die unerfahrenen neuen Staats- und Regierungschefs des Landes – zusätzlich zu der anhaltenden humanitären Krise des letzten Jahrzehnts – sind zu nennen (FA 11.2.2025). Die anhaltende Unsicherheit – einschließlich bewaffneter Zusammenstöße, zunehmender krimineller Aktivitäten und nicht-explodierter Kampfmittel – stellt die Zivilbevölkerung weiterhin vor Herausforderungen und wird wahrscheinlich die potenzielle Entscheidung der außerhalb des Landes lebenden Syrer, nach Hause zurückzukehren, beeinflussen (UNHCR 2.1.2025). Neben den Sicherheitsbedenken beeinflussen auch die Zerstörung von Eigentum und eine unzureichende Infrastruktur die Rückkehrentscheidungen von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen (UNOCHA 30.1.2025). Viele wollen auch wegen des Mangels an Arbeitsplätzen und grundlegenden Dienstleistungen nicht zurückkehren. Viele Flüchtlinge haben auch kein Zuhause, in das sie zurückkehren können. Einige Häuser wurden während des Krieges zerstört, in anderen leben neue Bewohner und viele Flüchtlinge haben keine Dokumente, die ihre Besitzansprüche belegen (CSIS 11.12.2024). Viele Flüchtlinge und Vertriebene sind nach dem Sturz des Regimes bei der Rückkehr in ihre Gebiete, Städte und Dörfer schockiert, wenn sie feststellen, dass andere in ihren Häusern wohnen. In einigen Fällen besitzen diese derzeitigen Bewohner Dokumente, die belegen, dass sie die Immobilien gekauft haben, aber Untersuchungen zeigen, dass es sich oft um Fälschungen handelt, einschließlich gefälschter Eigentumsnachweise und Gerichtsurteile, die äußerst schwer aufzuspüren sind (HLP Syria 20.1.2025). Die Rückkehr im Winter ist besonders schwierig, da die Flüchtlinge nicht wissen, ob ihre Häuser Schutz vor der Kälte bieten oder nicht. Es ist unklar, an wen sich Flüchtlinge wenden können, wenn sie nach ihrer Rückkehr Probleme mit Wohnraum oder Eigentumsrechten haben, und ob die Übergangsregierung in der Lage sein wird, grundlegende Dienstleistungen bereitzustellen (CSIS 11.12.2024). Partnerorganisationen von UNOCHA betonen auch, dass der Zugang zu zivilen Dokumenten und Rechtsdienstleistungen, einschließlich solcher im Zusammenhang mit Fragen zu Wohnraum, Land und Eigentum, entscheidende Hindernisse für die Rückkehr darstellt. Gegenwärtig sind nicht alle Standesämter und Gerichte im ganzen Land funktionsfähig oder teilweise funktionsfähig, was den Zugang erschwert (UNOCHA 30.1.2025). Es ist unrealistisch zu erwarten, dass die bestehenden Probleme allein durch die Absetzung al-Assads gelöst werden. Es gibt kaum Anhaltspunkte dafür, dass Syrien einen einzigartigen oder anderen Weg einschlagen wird als andere vergleichbare Fälle (JS 29.1.2025). Einem Wirtschaftswissenschaftler zufolge ist das größte Hindernis für die Rückkehrer das Fehlen staatlicher Institutionen, die in der Lage sind, grundlegende Dienstleistungen wie Strom und Wasser bereitzustellen, was das tägliche Leben kostspielig und schwierig macht. Das Fehlen von organisierten Märkten, die grundlegende Waren anbieten, und das Fehlen einer Angebotskontrolle haben zu einem wirtschaftlichen Chaos geführt, wodurch sich die Rückkehrer in einem finanziell instabilen Umfeld wiederfinden. Der dramatische Anstieg der Preise, sowohl bei den Mieten als auch bei den Grundversorgungsleistungen, stellt eine zusätzliche Belastung für die Rückkehrer dar, da sie bei begrenztem Einkommen hohe Lebenshaltungskosten zu tragen haben. Zusätzlich zu den wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Herausforderungen erleben viele Rückkehrer aufgrund der großen Kluft zwischen ihren Hoffnungen und der Realität, die sie vorgefunden haben, eine psychische Krise (AlHurra 11.2.2025). Die meisten Flüchtlinge, die sich in die neuen Gesellschaften im Ausland integriert und Arbeitsmöglichkeiten und ein angemessenes Einkommen gefunden haben, wollen nicht zurückkehren, andere fürchten sich vor der Sicherheitslage, dabei zögern die Minderheiten am meisten, zurückzukehren (Almodon 13.2.2025). Eine schlecht organisierte Massenrückkehr werde die bereits begrenzten Ressourcen des Landes belasten und die syrischen Übergangsbehörden, die UN-Organisationen und die syrische Zivilgesellschaft unter enormen Druck setzen, schreibt das Magazin Foreign Affairs (FA 11.2.2025). Es gibt derzeit vor Ort moderate UN-Hilfen, etwa zum Wiederaufbau der Häuser (ÖB Amman 6.2.2025).
Viele vertriebene Familien, die sich auf die Rückkehr vorbereiten, äußerten auch Sicherheitsbedenken im Zusammenhang mit der Kontaminierung durch explosive Kampfmittel. Seit November 2024 wurden in Idlib, Aleppo, Hama, Deir ez-Zour und Latakia insgesamt 136 Landminenfelder und Minenpräsenzpunkte neu identifiziert. Allein in den ersten drei Januarwochen wurden bei 87 Vorfällen mit explosiven Kampfmitteln im ganzen Land nach Angaben von Partnerorganisationen von UNOCHA mindestens 51 Menschen getötet und 75 weitere verletzt (UNOCHA 30.1.2025).
Die neue Regierung hat die Zollgebühren vereinheitlicht. Diese Entscheidung dient nicht den Interessen der Syrer, sondern belastet ihren Lebensunterhalt. Diese Maßnahme soll zum einen so schnell wie möglich den Weg für die Rückkehr Hunderter syrisches Fabriken und Unternehmen in den Nachbarländern zu ebnen, damit diese wieder auf syrischem Territorium arbeiten können. Zum anderen möchte man syrische Auswanderer und ausländische Investoren einladen, Fabriken und Unternehmen in Syrien zu gründen, mit dem Ziel, das Rad der Wirtschaft in Bewegung zu setzen, Tausende von Arbeitsplätzen für Syrer zu schaffen und so eine integrierte Volkswirtschaft aufzubauen. Dadurch werden syrische Produkte nun mit Zollgebühren nach Syrien eingeführt, um es für und syrische Händler und Unternehmen im Ausland attraktiver zu machen, wieder nach Syrien kommen. Die neue Regierung hat viele Vorteile angeboten, um Investitionen nach Syrien zu locken (AJ 10.2.2025b).
(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 08. Mai 2025, S. 321 ff)
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zum Beschwerdeführer und dem bisherigen Verfahren ergeben sich aus dem Verwaltungsakt sowie den Akten zum Verfahren W278 2255487-2 vom 18.10.2022.
Die Feststellung zum gegenständlichen Folgeantrag ergibt sich aus der Aktenlage und ist unstrittig.
2.2. Die Feststellung, dass der Folgeantrag des Beschwerdeführers neue Fluchtgründe enthält, ergibt sich ebenfalls aus der Aktenlage. So stütze der Beschwerdeführer seinen Folgeantrag explizit auf die Desertion vom syrischen Polizeidienst, indem er nunmehr einen Strafregisterauszug und einen Online-Auszug der syrischen Geheimdienstabteilung mit seinem Namen der belangten Behörde vorlegte. Des Weiteren stützt er seine Nachfluchtgründe auf diverse politische Aktivitäten wie die Teilnahme an Assad-feindlichen Demonstrationen in Österreich und oppositionelle Tätigkeiten über das soziale Medium „Instagram“.
2.3. Dass eine maßgebliche Sachverhaltsänderung seit dem Erstverfahren eingetreten ist, ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
Aus dem Erkenntnis vom 18.10.2022, Zl. W278 2255487-2 ergibt sich, dass der Beschwerdeführer bereits im Erstverfahren die Furcht aufgrund seiner Desertion vom syrischen Polizeidienst vorgebracht hat. Jedoch legte er im gegenständlichen Verfahren neue Unterlagen (Strafregisterauszug, Online-Auszug) vor, um zu beweisen, dass er in Syrien als politisch Oppositioneller durch das Assad-Regime eingestuft werde. Des Weiteren begründen die vorgelegten Demonstrationsfotos und die Einsicht in sein öffentlich einsehbares Instagram-Profil neue Tatsachen, die nicht Gegenstand des Erstverfahrens waren.
Das neue Fluchtvorbringen, der Beschwerdeführer werde aufgrund seines einjährigen Polizeidienstes nunmehr als Assad-Anhänger von der syrischen Übergangsregierung angesehen, ergibt sich aus seiner Stellungnahme vom 16.04.2025.
2.4. Dass sich die Situation in Syrien in Bezug auf die bereits im vorangegangenen Asylverfahren behandelten Aspekte maßgeblich geändert hat, geht aus dem Vergleich der maßgeblichen Teile der aktuellen Länderinformationen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 08.05.2025) mit den im Erstverfahren herangezogenen Länderinformationen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 10.08.2022) hervor.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Spruchpunkt I:
3.1.1 Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Antrag abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Nach Art. 9 Abs. 2 lit b der Richtlinie 2011/95/EU gelten gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewendet werden als Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A GFK.
Nach Art. 9 Abs. 2 lit c der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) gilt unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung als Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A GFK.
3.1.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (siehe etwa VwGH 28.02.2024, Ra 2023/20/0619, m.w.N.).
3.1.3. Zum neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz
Bei wiederholten Anträgen auf internationalen Schutz kann nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung – nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen – berechtigen und verpflichten, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt (vgl. VwGH 02.10.2024, Ra 2024/14/0180, Rn. 16 mit Verweis auf VwGH 13.06.2024, Ra 2024/14/0310 mwN).
Können die neuen Elemente oder Erkenntnisse erheblich zur Wahrscheinlichkeit beitragen, dass dem Antragsteller internationaler Schutz zuzuerkennen ist, ist die Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache im Hinblick auf die im österreichischen Recht nicht korrekt erfolgte Umsetzung von Unionsrecht nicht statthaft. Dies gilt im Besonderen auch dann, wenn das Vorbringen schon in einem früheren Verfahren hätte erstattet werden können und den Antragsteller ein Verschulden daran trifft, den fraglichen Sachverhalt nicht schon im früheren Verfahren geltend gemacht zu haben (vgl. zum Ganzen VwGH 19.10.2021, Ro 2019/14/0006, unter Bezugnahme auf EuGH 09.09.2021, C-18/20).
Das VwG hat auch zu prüfen, ob sich die Sach- und Rechtslage seit der Stellung eines neuerlichen Antrages, der von der Behörde wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde, geändert hat. Es darf nicht die Frage, ob res iudicata vorliegt, nach dem Sachverhalt beurteilen, der der Verwaltungsbehörde zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung vorlag (vgl. allgemein VwGVG § 28). Geht das VwG zu Unrecht davon aus, dass nachfolgende Sachverhaltsänderungen unberücksichtigt zu bleiben haben, und unterlässt es diesbezügliche Ermittlungen betreffend den neuen Sachverhalt, belastet es sein Erkenntnis ebenfalls mit Willkür (Hengstschläger/Leeb, AVG § 68 Rz 27 [Stand 1.3.2018, rdb.at] mit Hinweis auf VfGH 11.06.2015, E 1286/2014).
Der Verfassungsgerichtshof führte in seiner Entscheidung vom 11.06.2015, E 1286/2014, insbesondere Folgendes aus:
Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 18. Juni 2014, G5/2014, ausgesprochen hat, hat das Verwaltungsgericht in jenen Fällen, in denen der Sachentscheidung der Verwaltungsbehörde res iudicata entgegenstand oder sonstige Prozessvoraussetzungen fehlten, keine prozessuale, sondern eine meritorische und (grundsätzlich auch) reformatorische Entscheidung in Form eines Erkenntnisses zu treffen. § 28 VwGVG gebietet dem Verwaltungsgericht – bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 130 Abs. 4 B-VG –, die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrages zum Inhalt seiner Sachentscheidung zu machen, wenn im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hervorkommt, dass es schon bei Bescheiderlassung durch die belangte Behörde an einer Prozessvoraussetzung mangelte. § 17 VwGVG trifft Vorkehrungen für die von den Verwaltungsgerichten anzuwendenden Verfahrensregeln, ist aber nicht als Einschränkung der den Verwaltungsgerichten durch Art. 130 Abs. 4 B-VG und § 28 VwGVG eingeräumten Befugnis und Pflicht zu verstehen, grundsätzlich eine reformatorische Entscheidung zu erlassen (VfGH 18.6.2014, G5/2014).
3.1.4. Zur Verfolgung durch die Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS)
Im Umstand, dass im Heimatland des Beschwerdeführers Bürgerkrieg herrscht, liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. VwGH 26.11.1998, 98/20/0309, 0310 und VwGH 19.10.2000, 98/20/0233). Um asylrelevante Verfolgung vor dem Hintergrund einer Bürgerkriegssituation erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten eines Bürgerkrieges hinausgeht. Eine solche hat der Beschwerdeführer aber nicht hinreichend nachvollziehbar glaubhaft machen bzw. dartun können.
Da im vorliegenden Fall keine von der HTS oder sonstigen Akteuren ausgehende asylrelevante Verfolgung festzustellen war, erübrigt sich eine gesonderte Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Beschwerdeführer im Zuge des Grenzübertritts bzw. der Rückkehr in die Herkunftsregion mit asylrelevanten Verfolgungshandlungen konfrontiert sein wird (vgl. VfGH 29.06.2023, E 3450/2022, Rz 17; VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108; siehe jüngst auch VwGH 11.10.2024, Ra 2023/20/0284 Rz 13).
Dass der Beschwerdeführer allenfalls nicht in einem von der HTS kontrollierten Gebiet leben möchte, reicht für sich genommen nicht hin, um eine asylrechtlich relevante Verfolgung zu begründen (VwGH 14.10.2024, Ra 2024/20/0491).
Dem Schutz vor Gefahren, die dem Beschwerdeführer bei einer theoretischen Rückkehr nach Syrien aufgrund der allgemein prekären Sicherheitslage drohen würden, ist bereits durch im Erstverfahren rechtskräftig erteilten subsidiären Schutzstatus ausreichend Rechnung getragen worden. Dasselbe gilt für den Schutz vor willkürlichen Zwangsakten bei Fehlen eines Konnexes mit einem in der GFK genannten Verfolgungsgrund (siehe dazu statt vieler VwGH 14.10.2024, Ra 2024/20/0491 Rz 52 mwN).
3.1.5. Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies:
3.1.5.1. Verfolgung durch das syrische Regime:
Der Beschwerdeführer brachte im zweiten Asylverfahren neue Fluchtgründe vor. Ungeachtet der bereits im Erstverfahren vorgebrachten Furcht, aufgrund der Desertion vom Polizeidienst vom Assad-Regime verfolgt zu werden, ist die belangte Behörde zu Recht nicht von einer res iudicata ausgegangen. Durch die Vorlage eines Strafregisterauszuges und eines Online-Auszuges mit dem angeführten Namen des Beschwerdeführers (VHS, S. 12) sind im Vergleich zum bereits rechtskräftig abgeschlossenen Erstverfahren neue Erkenntnisse vorgebracht worden, die im Kern geeignet sind, zur Wahrscheinlichkeit beizutragen, dass dem Beschwerdeführer internationaler Schutz zuzuerkennen ist.
Des Weiteren brachte der Beschwerdeführer vor, dass ihm aufgrund der Teilnahme an regimekritischen Demonstrationen in Österreich und seiner allgemein abneigenden Haltung zum syrischen Regime, welche er über die sozialen Medien veröffentlichte, eine politisch oppositionelle Gesinnung unterstellt werde. In Zusammenschau mit dem übrigen Vorbringen hat die belangte Behörde daher zurecht eine neuerliche Sachentscheidung getroffen. Die in diesem Verfahren vorgebrachten Fluchtgründe waren vom Erstverfahren nicht umfasst. Dass der Beschwerdeführer sich auf die im gegenständlichen Folgeantrag vorgebrachten Fluchtgründe nicht schon im Erstverfahren stützte, ist nach der bereits unter 3.1.3 zitierten Judikatur nicht von Bedeutung.
Wie unter 3.1.3. ausgeführt, hat das Bundesverwaltungsgericht in einem ersten Schritt zu prüfen, ob sich seit der Stellung eines neuerlichen Antrags auf internationalen Schutz die Sach- und Rechtslage nach einer zurückweisenden Entscheidung der Behörde maßgeblich geändert hat. Dies muss daher erst recht für eine neuerliche meritorische Entscheidung der belangten Behörde gelten.
Dazu ist festzuhalten, dass die Möglichkeit einer Verfolgung des Beschwerdeführers durch das syrische Regime wegen Desertion vom Polizeidienst politischer Aktivitäten über die sozialen Medien oder eine Verfolgung aufgrund der Teilnahme an regimekritischen Demonstrationen in Anbetracht des – sich aus den Länderinformationen zu Syrien unzweifelhaft ergebenden – Machtwechsels in Syrien jedenfalls nicht (mehr) anzunehmen ist.
3.1.5.2. Verfolgung durch die syrische Übergangsregierung:
Das Vorbringen, dass der Beschwerdeführer nunmehr von der derzeitigen syrischen Übergangsregierung als Assad-Anhänger angesehen wird und ihm somit eine politisch oppositionelle Gesinnung unterstellt wird, ist nicht maßgeblich wahrscheinlich und angesichts seines bisherigen Vorbringens unglaubwürdig. So brachte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor, sich seit dem Jahr 2018 über die soziale Plattform „Instagram“ negativ über das mittlerweile gestürzte Assad-Regime geäußert zu haben (VHS. 11). Aus diesem Grund ist nicht ersichtlich, warum dem Beschwerdeführer durch die neuen Machthaber in Syrien deswegen eine politisch oppositionelle Gesinnung unterstellt werden würde. Das Vorbringen, dass der Beschwerdeführer den Polizeidienst für das syrische Regime abgeleistet hat, wurde bereits im Erstverfahren als unglaubwürdig erachtet. So konnte er weder seine genauen Tätigkeiten im Rahmen des Polizeidienstes beschreiben noch seinen genauen Rang angeben (Erkenntnis vom 18.10.2022, S. 52 ff.). Selbst unter Zugrundelegung des eigenen Vorbringens des Beschwerdeführers, wonach er in der Vergangenheit aus dem Polizeidienst für das Assad-Regime desertiert sei, ist nicht erkennbar, dass ihm daraus im gegenwärtigen Syrien eine beachtliche Verfolgungsgefahr erwächst. Angesichts des anhaltenden Mangels an qualifiziertem Sicherheitspersonal ist vielmehr davon auszugehen, dass ehemaligen Angehörigen des Polizeiapparats – insbesondere solchen, die sich durch regimekritische Online-Äußerungen, wie vom Beschwerdeführer behauptet, von der früheren Staatsführung distanziert haben – keine systematische Verfolgung durch oppositionelle oder neu formierte staatliche Stellen droht. Er hätte daher die Möglichkeit, dass ihm eine vergleichsweise leichte Eingliederung in die syrische Gesellschaft ermöglicht werden könnte (vgl. 1.3.2).
Da im vorliegenden Fall somit keine von der HTS oder sonstigen Akteuren ausgehende asylrelevante Verfolgung festzustellen war, erübrigt sich eine gesonderte Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Beschwerdeführer im Zuge des Grenzübertritts bzw. der Rückkehr in die Herkunftsregion mit asylrelevanten Verfolgungshandlungen konfrontiert sein wird (vgl. VfGH 29.06.2023, E 3450/2022, Rz 17; VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108; siehe jüngst auch VwGH 11.10.2024, Ra 2023/20/0284, Rz 13).
Dem Schutz vor (mit realem Risiko drohenden) willkürlichen Zwangsakten dient bei Fehlen eines kausalen Konnexes zu einem in der GFK genannten Grund die – dem Mitbeteiligten ohnedies zuteil gewordene – Gewährung subsidiären Schutzes (vgl. auch dazu VwGH 28.2.2024, Ra 2023/20/0619, mwN; siehe dazu, dass der Status des Asylberechtigten nur dann zuzuerkennen ist, wenn die Verfolgungshandlung kausal auf einen Verfolgungsgrund im Sinn der GFK zurückzuführen ist, die oben zitierte Rechtsprechung sowie zudem noch unten).
Wie oben festgestellt, konnte der Beschwerdeführer keine Verfolgung im Herkunftsstaat glaubhaft vorbringen, mit welcher sich – für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten – ein Konnex zu einem in der GFK genannten Grund herstellen ließe. Asylrelevante Verfolgungen aufgrund einer Wehrdienstverweigerung bei der syrischen Armee wie auch seine oppositionellen Tätigkeiten im Rahmen von Demonstrationen gegen das Regime sind nach dem Umsturz des Assad-Regimes nicht mehr aktuell. Wie oben ausgeführt, hat die neue Übergangsregierung sogenannte „Versöhnungszentren“ eingerichtet, welche auch bereits von hochrangigen Personen genutzt wurden. Aus diesem Grund würde dem Beschwerdeführer erst recht eine Eingliederung in die syrische Gesellschaft ermöglicht werden. Der Beschwerdeführer hat auch nie öffentlich oder im Geheimen eine verinnerlichte oppositionelle Gesinnung gegen die HTS zum Ausdruck gebracht und war auch nie ein Anhänger des bereits gestürzten syrischen Regimes.
Im Ergebnis ist es nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien eine Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe droht, weshalb die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen und die Beschwerde sohin hinsichtlich Spruchpunkt I als unbegründet abzuweisen ist (vgl. wieder VwGH 28.02.2024, Ra 2023/20/0619, m.w.N.).
3.2. Spruchpunkt B)
3.2.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
3.2.2. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, da die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass dem Beschwerdeführer in Syrien keine asylrelevante Verfolgung droht, entspricht der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Zudem waren im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten im Wesentlichen Fragen der Beweiswürdigung entscheidend.
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