Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** vertreten durch VertretungsNetz - Erwachsenenvertretung, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung, Grazbachgasse 39, 8010 Graz, betreffend Beschwerde vom 4. April 2023 gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 15. März 2023 mit dem der Antrag vom 07.02.2023 "auf Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung" für den Zeitraum ab Februar 2018 abgewiesen wurde, SV-Nr. ***1***, beschlossen:
Der angefochtene Bescheid vom 15. März 2023 und die Beschwerdevorentscheidung vom 11. Juli 2023 werden aufgehoben. Die Sache wird gemäß § 278 Abs. 1 BAO an die Abgabenbehörde zurückverwiesen.Die Beschwerde vom 04. April 2023 wird als unzulässig geworden zurückgewiesen.
Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Der am xx.xx.1987 geborene Beschwerdeführer (Bf.) beantragte mit dem Formular "Beih 3" am 07.02.2023 (nur) die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung, den die/der medizinische Sachverständige feststellt im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung. Er gab auch an seit 01.01.2020 Pflegegeld von der PVA zu beziehen.
In dem im Auftrag des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen ("Sozialministeriumservice") erstellten ärztlichen Sachverständigengutachten vom 13.03.2023 wurde ein Gesamtgrad der Behinderung (GdB) von 60 v. H. und eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit seit Februar 2015 festgestellt.
Im Bescheid vom 15.03.2023, zugestellt an die Erwachsenenvertretung des Bf., wurde der "Antrag auf Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung vom 07.02.2023" des Bf. für den Zeitraum ab Februar 2018 abgewiesen und begründend ausgeführt:"Sie haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn Sie voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig sind. Die Erwerbsunfähigkeit muss vor dem 21. Geburtstag oder während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag eingetreten sein. Bei Ihnen trifft dies nicht zu (§ 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967). Da bei Ihnen eine dauernde Erwerbsunfähigkeit bescheinigt wurde aber nach den 21. Lebensjahr und Sie sich nicht mehr in Berufsausbildung befinden, war wie im Spruch zu entscheiden."
Dagegen brachte die Erwachsenenvertretung des Beschwerdeführers die Beschwerde ein und legte weitere Befunde und Unterlagen vor.
Aufgrund der Beschwerde wurde vom Finanzamt ein zweites Sachverständigengutachten beim Sozialministeriumservice angefordert. Der medizinische Sachverständige stellte im Gutachten vom 29.06.2023 unter Berücksichtigung aller vorgelegten Unterlagen wiederum einen GdB von 60 v.H. und eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit seit Februar 2015 fest.
Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom 11.07.2023 ab und verwies auf die Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice, in dem eine Erwerbsunfähigkeit des Beschwerdeführers vor seinem vollendetem 21. Lebensjahr nicht festgestellt worden sei.
Daraufhin stellte die Erwachsenenvertretung des Beschwerdeführers fristgerecht den Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag) und reichte zusätzlich eine Bestätigung als Beweis nach.
Mit Vorlagebericht vom 11.10.2023 legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht (BFG) zur Entscheidung vor. Beantragt wurde die Abweisung der Beschwerde.
Das BFG ersuchte in der Folge das Finanzamt um Mitteilung, ob vom Beschwerdeführer für den beschwerdeggst. Zeitraum auch ein Antrag über den Grundbetrag der Familienbeihilfe (§ 10 Abs. 1 FLAG 1967) gestellt wurde und ersuchte diesen sowie die Erledigung dieses Antrages vorzulegen.
Im Antwortschreiben vom 03.11.2025 teilte das Finanzamt mit, dass bis dato vom Beschwerdeführer im beschwerdegegenständlichen Zeitraum kein Antrag auf den Grundbetrag der Familienbeihilfe gemäß § 10 Abs 1 FLAG eingebracht wurde.
Rechtliche Beurteilung
Ist gemäß § 278 Abs. 1 Bundesabgabenordnung (BAO) die Bescheidbeschwerde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtesa) weder als unzulässig oder nicht rechtzeitig eingebracht zurückzuweisen (§260)nochb) als zurückgenommen (§ 85 Abs. 2, § 86a Abs. 1) oder als gegenstandslos (§ 256 Abs. 3, § 261) zu erklären,so kann das Verwaltungsgericht mit Beschluss die Beschwerde durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können.
Der Beschwerdeführer (Bf.) hat am 07.02.2023 (nur) einen "Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung" beim Finanzamt eingebracht.
Einen Antrag auf Gewährung des Grundbetrages der Familienbeihilfe hat der Bf., wie das Finanzamt in der Vorhaltsbeantwortung vom 03.11.2025 mitteilte, nicht gestellt.
Das Finanzamt hat mit dem angefochtenen Bescheid nur über den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung abgesprochen.
Gemäß § 10 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) wird die Familienbeihilfe, abgesehen von den hier nicht interessierenden Fällen des § 10a FLAG 1967, nur auf Antrag gewährt; die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind ist besonders zu beantragen.
Gemäß § 10 Abs 1 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe (abgesehen von den Fällen des § 10a) nur auf Antrag gewährt; die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind ist besonders zu beantragen. Insoweit einem Antrag nicht oder nicht vollinhaltlich stattzugeben ist, ist gemäß § 13 ein Bescheid zu erlassen. Wird in einem Verfahren nur ein Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages gestellt, ist ein Bescheid, der die (Nicht-)Gewährung der (erhöhten) Familienbeihilfe betrifft, rechtswidrig und aufzuheben (BFG 19.7.2017, RV/2100179/2017); (vgl. Reinalter in Lenneis/Wanke, FLAG2, § 10, Rz 3).
Als Sache des Beschwerdeverfahrens, somit als Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, ist jene Angelegenheit anzusehen, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde gebildet hat (vgl. für viele etwa VwGH 10.11.2015, Ro 2015/19/0001 oder 29.1.2015, 2012/15/0030). Siehe hiezu auch BFG 13.5.2016, RV/7101741/2015, sowie 1.3.2016, RV/7100093/2016; (vgl. Reinalter in Lenneis/Wanke, FLAG2, § 10, Rz 5).
Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag zusteht. Somit muss entweder ein Anspruch nach § 2 Abs. 1 lit a (für minderjährige Kinder), nach § 2 Abs. 1 lit b-l (für volljährige Kinder) oder ein Eigenanspruch nach § 6 Abs. 1 (minderjährige Vollwaisen), Abs. 2 (volljährige Vollwaisen) oder Abs. 5 (sog "Sozialwaisen") bestehen (vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 8, Rz 5).
Das bedeutet, dass bei volljährigen Kindern, denen nicht schon aus anderen Gründen als aus dem Titel der Behinderung der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht, der Grad der Behinderung ohne jede Bedeutung ist, und würde er auch 100 % betragen. Besteht also keine vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder - im Beschwerdefall nicht relevant - während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu. Besteht eine derartige Unterhaltsunfähigkeit, stehen sowohl Grund- als auch Erhöhungsbetrag zu (vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 8 Rz 18 u. 19).
Da im vorliegenden Fall ein Antrag für den Grundbetrag der Familienbeihilfe gar nicht gestellt wurde, hätte das Finanzamt den allein gestellten Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages nicht in der Sache behandeln, somit dem Antrag weder stattgeben, aber diesen Antrag auch nicht in der Sache mit Bescheid abweisen dürfen.
Der beschwerdeggst. Abweisungsbescheid ist daher mit Rechtswidrigkeit behaftet und wird aufgehoben.
Durch die Aufhebung des abweisenden Bescheides und der Beschwerdevorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde tritt das Verfahren gemäß § 278 Abs. 2 BAO in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung dieses Bescheides befunden hat.
Für das weitere Verfahren bedeutet dies, dass das Finanzamt in dem Falle, dass der Beschwerdeführer einen Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe einbringt, über diesen Antrag und auch über den wieder unerledigten Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung zu entscheiden haben wird (vgl. BFG 06.10.2025, RV7102970/2025, BFG 11.06.2024, RV/4100032/2024, BFG 10.02.2020, RV/5100809/2018 und BFG 19.07.2017, RV/2100179/2017).
Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt im Beschwerdefall nicht vor, daher war die Unzulässigkeit der Revision auszusprechen.
Graz, am 5. November 2025
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