Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Cornelia Pretis-Pösinger in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Dr. Thomas Hofer-Zeni, Landstraßer Hauptstraße 82 Tür 11, 1030 Wien, (gerichtlich bestellter Erwachsenenvertreter), über die Beschwerde vom 19. August 2024 gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 18. Juli 2024 betreffend erhöhte Familienbeihilfe ab 10/2021, Steuernummer ***BF1StNr1***, Ordnungsbegriff ***1***, zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.Der angefochtene Bescheid wird - ersatzlos -aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Die gerichtliche Erwachsenenvertretung beantragt mit 17.07.2024 die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe für ***Bf1***, geb. ***2***, ab 12/2021 mittels Beih 3. Sie leide an Depressionen, Borderline und Autismus. Beigelegt wurde das psychiatrische Gutachten Univ. Doz. Dr. ***3*** vom 15.05.2024, das iR des Verfahrens der Bestellung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung erstellt wurde.
Mit Bescheid vom 18.07.2024 wies das Finanzamt (FA) den Antrag auf Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung ab. Begründend führte es aus, dass der Erhöhungsbetrag als Zuschlag zur allgemeinen Familienbeihilfe gewährt werde. Da die allgemeine Familienbeihilfe nicht zustehe bzw. nicht beantragt worden sei, könne auch ein Erhöhungsbetrag nicht ausbezahlt werden.
Gegen den Abweisungsbescheid betreffend Erhöhungsbetrag erhob der gerichtliche Erwachsenenvertreter mit Schriftsatz vom 19.08.2024 Beschwerde. Im Einzelnen führte er aus:
[...]
Beweis: Beiliegender Meldezettel
Aus diesem Grunde wird daher der Antrag gestellt:
Das FA wies die Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid vom 18.07.2024 mit Beschwerdevorentscheidung vom 16.12.2024 ab.
Mit 17.01.2025 langte der Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde (Vorlageantrag) beim FA ein. Gerügt wird der Umstand, dass ihm als Erwachsenenvertreter kein Gutachten vorliege bzw. ihm ein solches nicht zugestellt worden sei. Es liege daher ein wesentlicher Verfahrensfehler und eine Verletzung des Parteiengehörs vor. Im Übrigen stünde ein derartiges Gutachten im diametralen Widerspruch zu den im Verfahren vorgelegten Befunden und Urkunden, sodass eine derartige Entscheidung auch sachlich nicht nachvollziehbar sei.
Das FA legte die Beschwerde mit Bericht vom 22.09.2025 dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor. In der Stellungnahme wird - unter Hinweis darauf, dass ein Anspruch nach § 8 Abs. 4 FLAG 1967 zwar einen Anspruch auf den Grundbetrag nach § 8 Abs. 1 FLAG 1967 voraussetze - ausgeführt, dass aufgrund des Alters der Bf. ein Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages auch als Antrag auf Gewährung des Grundbetrages angesehen werden könne.
Das FA beantragte die Abweisung der Beschwerde.
Der gerichtlich bestellte Erwachsenenvertreter beantragte am 17.07.2024 anhand des Beih 3 die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für ***Bf1***, ab 12/2021.
Das FA spricht mittels Bescheid vom 18.07.2024 nur über den Erhöhungsbetrag, und zwar "ab 10/2021" ab. In der Beschwerdevorentscheidung vom 16.12.2024 wird spruchmäßig ausschließlich auch wieder auf den Bescheid vom 18.07.2024 Bezug genommen. Schließlich wertet das FA im Vorlagebericht den Antrag auf Erhöhungsbetrag auch als Antrag auf den Grundbetrag.
Der Verfahrensgang und der dargestellte Sachverhalt ergeben sich aus den vom Finanzamt vorgelegten Verwaltungsakten sowie aus den Angaben und Vorbringen der beschwerdeführenden Partei.
Gemäß § 10 Abs. 1 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe, abgesehen von den hier nicht interessierenden Fällen des § 10a FLAG 1967, nur auf Antrag gewährt; die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind ist besonders zu beantragen.
Insoweit einem Antrag nicht oder nicht vollinhaltlich stattzugeben ist, ist gemäß § 13 FLAG 1967 ein Bescheid zu erlassen.
Wird in einem Verfahren nur ein Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages gestellt, ist ein Bescheid, der die Nichtgewährung der erhöhten Familienbeihilfe betrifft, rechtswidrig und aufzuheben (BFG 19.7.2017, RV/2100179/2017).
Spricht ein antragsbedürftiger Bescheid über einen Antrag vom Tag X ab, ist Sache des Beschwerdeverfahrens einen Antrag vom Tag X und nicht ein solcher vom Tag Y. Hat die Behörde, mit ihrem Bescheid ein nicht gestelltes Anbringen vom Tag X vermeintlich erledigt, ist der diesbezügliche Bescheid ersatzlos aufzuheben.
Nach der Rechtsprechung des VwGH (VwGH 14.12.2015, Ro 2015/16/0006 unter Hinweis auf weitere nicht zum FLAG 1967 ergangenen Erkenntnisse des Höchstgerichtes) ist im Fall, dass auf Grund eines seinerzeitigen Antrages weiterhin Anspruch auf FB besteht, ohne dass es zwischendurch zu einem Erlöschen dieses Anspruchs kam, ein neuerlicher Antrag (infolge Einstellung der Auszahlung der FB) nicht als neuer Antrag iSv § 10 Abs. 1 (mit der dort geregelten Befristung), sondern als Urgenz der Fortzahlung auf Grund des seinerzeitigen Antrages zu sehen (FLAG Kommentar2, § 10 Tz 6ff).
Ein derartiger Fall liegt im Beschwerdeverfahren nicht vor. Vielmehr hat die gerichtliche Erwachsenenvertretung - zunächst nur einen Antrag auf den Erhöhungsbetrag "ab 12/2021" gestellt.
Das FA hat am 18.07.2024 ausschließlich über den Antrag auf Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung bescheidmäßig abgesprochen. Über den Grundbetrag wurde bescheidmäßig nicht abgesprochen. Die Behörde hat im Abweisungsbescheid weiters über einen nicht beantragten Zeitraum abgesprochen. Der Bescheid spricht über den Zeitraum "ab Okt. 2021" ab, beantragt war der Erhöhungsbetrag erst " ab 12/2021".
Wird aber erhöhte Familienbeihilfe infolge erheblicher Behinderung beantragt, handelt es sich um ein einziges Anbringen (§ 85 BAO), auch wenn für die Gewährung des Erhöhungsbetrages ein eigenes weiteres Formular (Beih 3) zusätzlich zum Formular Beih 1 und für die Feststellung der erheblichen Behinderung ein eigenes weiteres Verfahren im Rahmen des Familienbeihilfenverfahrens vorgesehen ist. Im Fall einer bescheidmäßigen Erledigung (§ 13 FLAG 1967) ist daher über das gesamte Anbringen zu entscheiden, also im Fall einer entsprechenden Antragstellung sowohl über den Grundbetrag nach § 8 Abs. 2 FLAG 1967 auch über den allfälligen Erhöhungsbetrag nach § 8 Abs. 3 FLAG 1967 bzw. nach § 8 Abs. 4 FLAG 1967 (BFG 4.6.2015, RV/7104516/2014).
Das Gebot "immer in der Sache selbst zu entscheiden" setzt voraus, dass die zu erledigende "Sache", also die Angelegenheit, die Gegenstand des Verfahrens der Abgabenbehörde erster Instanz war, mit der "Sache" identisch ist, die in der Sachentscheidung der Rechtsmittelbehörde einbezogen wird (VwGH 18.9.1969, 383/68). Die Abgabenbehörde zweiter Instanz darf sohin in einer Angelegenheit, die überhaupt noch nicht oder nicht in der von der Rechtsmittelentscheidung in Aussicht genommenen rechtlichen Art Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen war, keinen Sachbescheid (im Ergebnis erstmals) erlassen (VwGH 23.9.1965, 2124/64 u 21.3.1972, 2123/71). Würde die Rechtsmittelbehörde diese Befugnis für sich in Anspruch nehmen, wäre dies ein Eingriff in die sachliche Zuständigkeit der Behörde erster Instanz (VwGH 26.4.1967, 1392/66; 4.7.1979, 364/79 u 24.10.1986, 84/17/151 uvam; vgl. Stoll, BAO Kommentar Band 3, S. 2800).
Erst im Vorlagebericht wird dargelegt, dass aufgrund des Alters des Kindes ausschließlich von einem Anspruch nach § 6 Abs. 1 lit. d FLAG 1967 auszugehen sei, weil eine untrennbare Verknüpfung von Grund- und Erhöhungsbetrag bestehe. Diese Ansicht ist richtig, tatsächlich erging aber bislang kein Bescheid über den Grundbetrag. Würde nunmehr das Bundesfinanzgericht erstmals materiell über die Familienbeihilfe, also über den Anspruch auf den Grundbetrag erkenntnismäßig absprechen, wäre dies iSd zitierten Rechtsprechung ein Eingriff in die sachliche Zuständigkeit des FA.
Im Sinne der im Vorlagebericht vertretenen Ansicht des FA und unter Bedachtnahme auf den in der Beschwerde getätigten Antrag auf Familienbeihilfe, wird idF über den Antrag auf Familienbeihilfe und den Anspruch auf Erhöhungsbetrag ab 12/2021 abzusprechen sein. Res judicata (entschiedene Sache) steht dem Antrag auf Erhöhungsbetrag nicht entgegen, da mit dem gegenständlichen Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes keine inhaltliche Entscheidung über die erhöhte Familienbeihilfe getroffen wurde.
Durch die Aufhebung des abweisenden Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung dieses Bescheides befunden hat.
Was die Rüge der Vertretung anlangt, dass ihr ein Gutachten nicht vorgelegt worden sei, ist auf § 8 Abs. 6 dritter Satz FLAG 1967 zu verweisen, wonach "das ärztliche Sachverständigengutachten vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) gegen Ersatz der Kosten aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen an die antragstellende Person zu übermitteln ist, eine Übermittlung des gesamten ärztlichen Sachverständigengutachtens an das Finanzamt Österreich hat nicht zu erfolgen."
Dem Finanzamt werden ausschließlich die Metadaten seitens des Sozialministeriumservice übermittelt.
Es war daher wie im Spruch ausgeführt zu entscheiden.
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Eine derartige Rechtsfrage liegt im Beschwerdefall nicht vor.
Klagenfurt am Wörthersee, am 6. Oktober 2025
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