Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Tolar als Richter sowie die Hofrätin Dr. Kronegger als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Hahn, LL.M., über die Revision des I E, vertreten durch Mag. Ralf Niederhammer, Rechtsanwalt in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. November 2024, W603 2272649 1/16E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, stellte am 6. Juli 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend führte er im Wesentlichen aus, er habe einen Einberufungsbefehl erhalten und fürchte, im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation entweder als Soldat an die Front in der Ukraine geschickt oder inhaftiert zu werden. Zudem wolle er in Österreich mit seiner nach islamischem Ritus angetrauten, hier asylberechtigten Ehefrau sowie den beiden ebenfalls asylberechtigten gemeinsamen Kindern (die Eheschließung sowie die Zeugung der Kinder habe in den Jahren 2018 bzw. 2022 bei Treffen in der Ukraine zwischen der zu diesen Zeitpunkten bereits in Österreich asylberechtigten Frau und dem Revisionswerber, der sich bis zu seiner Flucht niemals in Österreich aufgehalten habe, stattgefunden) zusammenleben.
2 Mit Bescheid vom 24. April 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
4 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 25. Februar 2025, E 4883/2024 7, deren Behandlung ablehnte und sie mit Beschluss vom 28. März 2025, E 4883/2024 9, über nachträglichen Antrag des Revisionswerbers dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
5 Daraufhin wurde die vorliegende außerordentliche Revision eingebracht.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9Dem Vorbringen der Revision zu ihrer Zulässigkeit, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, das BVwG habe Verfahrensfehler begangen (etwa die Ermittlungs- und Begründungspflicht verletzt), indem es den vom Revisionswerber vorgelegten Einberufungsbefehl keiner kriminaltechnischen Untersuchung auf seine Echtheit unterzogen und dessen Inhalt nicht gewürdigt habe, ist zu entgegnen, dass das BVwG die Annahme der Unglaubhaftigkeit einer Einberufung des Revisionswerbers zum Wehrdienst in den Streitkräften der Russischen Föderation auf detaillierte beweiswürdigende Überlegungen gestützt hat. Das BVwG erachtete es etwa als nicht plausibel, dass der Revisionswerber zunächst wie behauptet einem aufrechten Einberufungsbefehl nicht entsprochen hätte, drei Tage später jedoch mit seinem russischen Auslandsreisepass legal aus dem Herkunftsstaat ausreisen habe können. Zudem setzte sich das BVwG ausführlich mit den Länderfeststellungen auseinander, vor deren Hintergrund es nicht wahrscheinlich sei, dass dem Revisionswerber, der das wehrdienstpflichtige Alter bereits deutlich überschritten und weder über ein Wehrbuch verfügt, noch den Grundwehrdienst absolviert habe, eine Einberufung zu den Streitkräften drohe. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung jedoch nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. z.B. VwGH 22.10.2024, Ra 2024/18/0359, mwN), was die Revision nicht darlegt.
10Letztlich kann die Frage, ob das BVwG im Zusammenhang mit der unterlassenen Echtheitsprüfung des vorgelegten Einberufungsbefehls einen Verfahrensfehler begangen hat, dahingestellt bleiben. Denn im Fall der Geltendmachung eines Abweichens von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wegen eines Verfahrensmangels ist nicht nur der Verfahrensmangel zu präzisieren, sondern auch seine Relevanz für den Verfahrensausgang darzutun, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können (vgl. etwa VwGH 17.6.2024, Ra 2024/18/0028, mwN).
11Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass die (bloße) Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrelevante Verfolgung darstellt, sondern nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen kann. Neben Fällen, in denen die Wehrdienstverweigerung des Betroffenen auf einem Verfolgungsgrund, wie etwa politischer Gesinnung oder religiöser Überzeugung, beruht, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einer Wehrdienstverweigerung bei entsprechenden Verfolgungshandlungen auch dann Asylrelevanz zukommen, wenn dem Betroffenen wegen seines Verhaltens vom Verfolger eine oppositionelle (politische oder religiöse) Gesinnung unterstellt wird (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 4.7.2023, Ra 2023/18/0108).
12 Das BVwG hat im angefochtenen Erkenntnis näher begründet dargelegt, dass der Revisionswerber weder eine oppositionelle Gesinnung in Bezug auf das tschetschenische bzw. russische Regime hege, noch ihm eine solche von den jeweiligen Behörden unterstellt werden würde. Dem hält die Revision mit ihren pauschalen Ausführungen, mit denen sie im Wesentlichen lediglich die Aussagen des Revisionswerbers wiedergibt und auf die vom BVwG als nicht glaubhaft befundene Einberufung des Revisionswerbers Bezug nimmt, nichts Stichhaltiges entgegen.
13Zum Vorbringen der Revision, das BVwG habe im Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung das Wohl der beiden in Österreich asylberechtigten minderjährigen Kinder des Revisionswerbers nicht ausreichend beachtet, ist zunächst festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurdenicht revisibel ist (vgl. VwGH 13.12.2023, Ra 2023/18/0436, mwN).
14Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind die Auswirkungen von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen auf das Kindeswohl zu bedenken und müssen bei der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK bzw. § 9 BFA VG hinreichend berücksichtigt werden. Dies gilt auch dann, wenn es sich beim Adressaten der Entscheidung nicht um die Minderjährigen selbst, sondern wie hierum deren Vater handelt (vgl. VwGH 3.12.2021, Ra 2021/18/0299, mwN und unter Hinweis auf EuGH 11.3.2021, C 112/20, Rs. M.A. ).
15Im vorliegenden Fall ist das BVwG davon ausgegangen, dass die Trennung des Revisionswerbers von seinen Familienangehörigen einen Eingriff in die durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte darstellt. Es hat jedoch zutreffend auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, wonach bei der Gewichtung der für den Fremden sprechenden Umstände im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFAVG maßgeblich relativierend einbezogen werden darf, dass er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Diese Überlegungen gelten insbesondere auch für eine Eheschließung mit einer in Österreich aufenthaltsberechtigten Person, wenn dem Fremden zum Zeitpunkt des Eingehens der Ehe die Unsicherheit eines gemeinsamen Familienlebens in Österreich in evidenter Weise klar sein musste, und daher umso mehr für eine in einer solchen Situation begründete Lebensgemeinschaft (vgl. VwGH 30.6.2025, Ra 2025/19/0147, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat im Übrigen in Fällen, in denen ein Fremder seinen in Österreich aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen (Ehegatten und Kindern) nachgereist war und einen Antrag auf internationalen Schutz missbräuchlich zur von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug gestellt hatte, festgehalten, dass in solchen Konstellationen das öffentliche Interesse besonders schwer wiegt, zumal von den Beteiligten nicht von einem (rechtmäßigen) Verbleib in Österreich ausgegangen werden konnte (vgl. VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0683, mwN).
16 Diese Erwägungen haben auch für den vorliegenden Fall Geltung. Das BVwG führte insbesondere ins Treffen, dass der Revisionswerber seine Familie außerhalb Österreichs zu einem Zeitpunkt, als er wusste, dass er über kein Aufenthaltsrecht in Österreich verfügte, gegründet und damit bewusst in Kauf genommen hat, dass er zumindest zeitweise von seiner Lebensgefährtin getrennt sein würde und seine Kinder zumindest zeitweise ohne ihn aufwachsen würden.
17 Diese besonderen Umstände des Einzelfalls hat das BVwG unter gewichtender Abwägung der öffentlichen Interessen mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen neben dem Fehlen sonstiger gewichtiger Integrationsmerkmale des Revisionswerbers bzw. der nur kurzen Dauer seines Inlandsaufenthaltes bei seiner Interessenabwägung daher zu Recht zu Ungunsten des Revisionswerbers berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund zeigt die Revision auch im Hinblick auf das „Kindeswohl“ nicht auf, dass das Ergebnis der einzelfallbezogenen Beurteilung des BVwG im vorliegenden Fall auf der Grundlage der (unstrittigen) Feststellungen als unvertretbar anzusehen wäre.
18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGVG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 20. August 2025
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