Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer sowie die Hofrätinnen Dr. in Sembacher und Mag. Bayer als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Kreil, MA, über die Revision der H A, vertreten durch A A, dieser vertreten durch Mag. Ingo Weber, BSc, Rechtsanwalt in 6060 Hall in Tirol, Rosengasse 15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Februar 2024, I421 22832851/2E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Syriens, stellte am 30. September 2022, vertreten durch ihren Onkel, einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 16. November 2023 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als unbegründet abwies, aber unter einem der Revisionswerberin den Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannte und eine auf die Dauer eines Jahres befristete Aufenthaltsberechtigung erteilte.
2 Diesen Bescheid begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zusammengefasst und soweit für das vorliegende Verfahren wesentlich hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten damit, dass die Revisionswerberin Syrien wegen des Krieges verlassen und seitdem im Libanon gelebt habe. Weder die Revisionswerberin noch ihr gesetzlicher Vertreter hätten „eine entscheidende Komponente einer individuellen Betroffenheit“ mit asylrechtlicher Relevanz vorgebracht. Weder sei die Familie politisch exponiert noch werde nach der Revisionswerberin oder deren Familienmitgliedern in Syrien gefahndet. Auch lebe ihre Mutter mit den Geschwistern wieder in der Heimatregion, die unter syrischer Kontrolle stehe. Es sei kein Sachverhalt hervorgekommen, der die Annahme der Flüchtlingseigenschaft zu begründen vermöge.
3 Die gegen die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status der Asylberechtigten erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit der angefochtenen Entscheidung ohne Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab (Spruchpunkt A.) und sprach aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).
4 Das Bundesverwaltungsgericht stützte seine Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass für die minderjährige Revisionswerberin aufgrund ihres Alters keine Gefahr einer Zwangsrekrutierung bestehe und sie auch nicht in Anbetracht ihres Geschlechts und der Zugehörigkeit zur Gruppe der Kinder einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sei.
5 Im Rahmen seiner Beweiswürdigung schloss sich das Bundesverwaltungsgericht zunächst jener der belangten Behörde an und führte aus, dass in der Beschwerdeschrift erstmals unter Referenzierung entsprechender Länderberichte vorgebracht worden sei, dass die Revisionswerberin bei einer Rückkehr der Gefahr von Ausbeutung, Zwangsverheiratung, Menschenhandel und Kindesmissbrauch ausgesetzt sei. Dieses Vorbringen stelle sich als unsubstantiiert dar. Zwar gebe es in Syrien generell Kinder , Früh- und Zwangsehen ebenso wie Kindermisshandlungen und Kinderarbeit. Dafür wären aber im Hinblick auf die Revisionswerberin keine Anhaltspunkte hervorgetreten. Auch ergebe sich aus dem weiteren, ebenso erstmals in der Beschwerde erstatteten Vorbringen, der Familie der Revisionswerberin drohe aufgrund der Reservedienstverweigerung des Vaters aufgrund der unterstellten oppositionellen Gesinnung asylrelevante Gefahr, keine, die Revisionswerberin konkret betreffende Gefährdung.
6 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die ihre Zulässigkeit mit der Verletzung der Verhandlungspflicht durch das Bundesverwaltungsgericht begründet und dazu vorbringt, dass die Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA VG zur Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung nicht vorgelegen wären. Die Revisionswerberin habe in ihrer Beschwerde neues, substantiiertes Vorbringen erstattet, das vom Bundesverwaltungsgericht sodann einer ergänzenden Beweiswürdigung unterzogen worden sei, ohne dass es eine mündliche Verhandlung durchgeführt habe. Darüberhinaus verstoße das angefochtene Erkenntnis gegen das Gebot der Gleichbehandlung Fremder untereinander.
7 Der Verwaltungsgerichtshof führte nach Vorlage der Verfahrensakten ein Vorverfahren durch. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hatin einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch begründet:
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA VG geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:
10 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFAVG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 11.4.2023, Ra 2022/14/0343, mwN).
11Schließt das Bundesverwaltungsgericht sich nicht nur der Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde an, sondern zeigt darüber hinaus in seiner Beweiswürdigung noch weitere bedeutsame Aspekte auf, mit welchen es die Widersprüchlichkeit des Vorbringens begründet, nimmt es damit eine zusätzliche Beweiswürdigung vor, die dazu führt, dass das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzt. Eine solche (ergänzende) Beweiswürdigung hat jedoch regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung, in der auch ein persönlicher Eindruck von der betroffenen Person gewonnen werden kann, zu erfolgen (vgl. aus vielen erneut VwGH 11.4.2023, Ra 2022/14/0343, mwN).
12 Im vorliegenden Fall nahm das Bundesverwaltungsgericht mehrere Aspekte des von der Revisionswerberin (erstmals) in der Beschwerde erstatteten Vorbringen zur Verfolgung ihrer Familienmitglieder aufgrund der Reservedienstverweigerung des Vaters, zur Verfolgung ihrer Person aufgrund der Situation für Kinder in Syrien und deren Gefährdung durch sexuelle Ausbeutung und durch Menschenhandel zum Anlass, sich beweiswürdigend damit auseinander zu setzen und ergänzte die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung damit nicht bloß unwesentlich. Dies zeigt die Revision zutreffend auf.
13 Sohin lagen die oben dargestellten Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Durchführung einer Verhandlung nicht vor.
14Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und wie hier gegebendes Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. VwGH 7.11.2022, Ra 2022/14/0048, mwN).
15Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen eingegangen werden musste.
16Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 17. Oktober 2024
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