Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident MMag. Maislinger, die Hofrätin Dr. in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis, die Hofrätin Dr. in Wiesinger und den Hofrat Mag. Mayr als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision des H F in S, vertreten durch Mag. Klaudius May, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Franz Josef Straße 41, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom 23. Februar 2023, Zl. RV/6100268/2021, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde nach § 248 BAO, zu Recht erkannt:
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Mit Urteil des Landesgerichts Salzburg von Jänner 2018 wurde der Revisionswerber für schuldig erkannt, als Geschäftsführer der I GmbH näher bezeichnete Abgaben verkürzt bzw. zu verkürzen versucht zu haben. Damit wurde das Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG bzw. nach § 13 Abs. 1 iVm § 33 Abs. 1 FinStrG (Versuch) begangen.
2 Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wurde nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts durch den Obersten Gerichtshof zurückgewiesen. Dadurch wurde der Schuldspruch rechtskräftig.
3 Das Finanzamt zog aufgrund dieser Verurteilung den Revisionswerber als Haftungspflichtigen gemäß § 11 BAO für die aushaftenden Abgabenschulden der I GmbH heran.
4 Die vom Revisionswerber erhobene Beschwerde gegen den Haftungsbescheid wurde rechtskräftig abgewiesen.
Der Revisionswerber erhob auch Beschwerde gegen die im Haftungsbescheid genannten Abgabenbescheide gemäß § 248 BAO und brachte vor, dass die im Rahmen der Abgabenbescheide festgesetzten Beträge unrichtig seien. Das Finanzamt wies mit Beschwerdevorentscheidung diese Beschwerde als unzulässig zurück. Der Revisionswerber stellte einen Vorlageantrag.
5 Das Bundesfinanzgericht wies die Beschwerde als nicht zulässig zurück. Es führte aus, dass gemäß § 11 BAO rechtskräftig verurteilte Täter und andere an der Tat Beteiligte bei vorsätzlichen Finanzvergehen und bei vorsätzlicher Verletzung von Abgabenvorschriften der Länder und Gemeinden für den Betrag, um den die Abgaben verkürzt wurden, haften würden. Ein rechtskräftiges Strafurteil entfalte nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bindende Wirkung hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen, auf denen sein Spruch beruhe. Dazu gehörten jene Tatumstände, aus denen sich die jeweilige strafbare Handlung nach ihren gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen zusammensetze. Für eine Haftung nach § 11 BAO bedeute diese Bindungswirkung, dass der Gesamtbetrag an hinterzogenen Abgaben, für den gemäß § 11 BAO eine Haftung ausgesprochen werden könne, mit dem im Urteil genannten Betrag begrenzt sei und lediglich die im Urteil angeführten Abgabenarten und Jahre betreffen könne. Der Revisionswerber sei vom Landesgericht rechtskräftig (unter anderem) wegen des Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung verurteilt worden. Die maßgeblichen Verkürzungsbeträge fänden sich in den Entscheidungsgründen sowie im Spruch des Erkenntnisses des Landesgerichtes und seien im Verfahren sachverhaltsmäßig festgestellt worden.
6 Gemäß § 248 BAO könne der nach den Abgabenvorschriften Haftungspflichtige unbeschadet der Einbringung einer Bescheidbeschwerde gegen seine Heranziehung zur Haftung innerhalb der für die Einbringung der Bescheidbeschwerde offenstehenden Frist auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch Bescheidbeschwerde einbringen. Der Bestimmung des § 248 BAO liege erkennbar der Gedanke zu Grunde, dass es einem Haftungspflichtigen ermöglicht werden solle, nicht nur gegen die Heranziehung zur Haftung selbst, sondern auch gegen den zugrundeliegenden Bescheid über den Abgabenanspruch ein Rechtsmittel einbringen zu können. Hintergrund sei, dass eine Bindung des Haftungsbescheides an den Bescheid über den Abgabenanspruch bestehe und somit dem Haftenden die Möglichkeit eröffnet werden solle, wenn schon das Rechtsmittel gegen den Haftungsbescheid nicht erfolgreich sei, zumindest gegen die Höhe des sich aus dem Bescheid über den Abgabenanspruch ergebenden Haftungsbetrages vorgehen zu können.
7 Die Haftungsinanspruchnahme nach § 11 BAO beruhe allerdings gerade nicht auf einem Abgabenbescheid. Einziges Tatbestandsmerkmal des § 11 BAO sei die rechtskräftige Verurteilung des Haftungspflichtigen wegen eines vorsätzlichen Finanzvergehens oder wegen vorsätzlicher Verletzung von Abgabenvorschriften der Länder und Gemeinden in einem gerichtlichen oder finanzbehördlichen Verfahren. Im Strafverfahren sei das Gericht (die Strafbehörde) weder an den Inhalt noch an die Rechtskraft des Steuerbescheids gebunden, sondern vielmehr verpflichtet, die objektive und die subjektive Tatseite eigenständig zu erforschen. Schließlich sei die Feststellung des verkürzten Abgabenbetrags nicht Vorfrage, sondern Hauptfrage des Strafverfahrens, die nach den strengeren Beweisregeln des Strafrechts, jedoch anhand der maßgeblichen Vorschriften des Abgaben oder Zollrechts zu lösen sei. Die im Verfahren vor dem Landesgericht festgestellten und spruchmäßig festgehaltenen Verkürzungsbeträge seien von diesem somit selbständig und ohne Bindung an die vom belangten Finanzamt erlassenen und im gegenständlichen Verfahren bekämpften Abgabenbescheide erhoben worden.
8 Die Abgabenbescheide würden im Falle einer Haftung nach § 11 BAO somit nicht einmal indirekte Auswirkungen auf den Haftungsbescheid entfalten, weil sie im vorhergehenden Verfahren vor dem Gericht/der Strafbehörde keine Bindungswirkung zu entfalten vermögen. Die Haftungsbestimmung des § 11 BAO stelle lediglich auf eine rechtskräftige Verurteilung und nicht auch auf etwaige Abgabenbescheide ab. Die Verurteilung, und nicht die im gegenständlichen Verfahren angefochtenen Abgabenbescheide, dienten als Grundlage für den vom belangten Finanzamt erlassenen Haftungsbescheid.
9 § 248 BAO könne somit im Falle einer Haftung nach § 11 BAO nicht zur Anwendung gelangen. Auch der Zweck des § 248 BAO lasse nicht zwingend auf eine Anwendbarkeit in derartigen Fällen schließen. Dem Revisionswerber sei es nämlich bereits im Verfahren vor dem Landesgericht offen gestanden, Einwendungen gegen die Verkürzungsbeträge (sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach) vorzubringen. Ein in diesem Verfahren erfolgreiches Vorbringen hätte direkt auch die maximale Höhe des Haftungsbetrages beeinflusst. Ein separater, erneuter Rechtsmittelweg zur Bekämpfung der Abgabenbescheide, die wie dargestellt nicht einmal Grundlage für die Haftung des § 11 BAO seien, erscheine überschießend. Im Ergebnis komme dem Revisionswerber somit kein Beschwerderecht gemäß § 248 BAO gegen die im gegenständlichen Verfahren angefochtenen Bescheide zu.
10 Die Revision ließ das Bundesfinanzgericht zu, weil zur Frage, ob aus der Bestimmung des § 248 BAO ein Beschwerderecht gegen die der Haftung nicht zugrundeliegenden Abgabenbescheide abgeleitet werden könne, noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes existiere.
11 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, die vorbringt, hinsichtlich der vom Bundesfinanzgericht aufgeworfenen Frage der Bindungswirkung der erfolgten rechtskräftigen Verurteilung des Revisionswerber sei auszuführen, dass § 248 BAO eben nicht das Strafurteil „bekämpfe“, sondern die der Haftung zugrunde liegenden Abgabenbescheide. Der Spruch des Strafgerichts werde durch die erfolgte Bescheidbeschwerde in keiner Weise berührt, infolge dessen sei die Zurückweisung der Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht nicht verständlich. Das Bundesfinanzgericht hätte die Bescheidbeschwerde inhaltlich überprüfen bzw. darauf eingehen müssen. Richtigerweise hätte das Bundesfinanzgericht daher die Bescheidbeschwerde nicht zurückweisen dürfen, sondern vielmehr „inhaltlich“ behandeln müssen. Die Revision sei daher zulässig, weil zur Entscheidung des Bundesfinanzgerichts nicht nur höchstgerichtliche Entscheidungen fehlten, sondern auch der bekämpfte Beschluss diametral zum Inhalt des § 248 BAO stehe, sohin dessen Auslegung durch den bekämpften Beschluss die Rechtssicherheit und Rechtseinheit massiv gefährde.
12 Das Finanzamt hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
14 Die Revision ist zulässig, sie ist auch begründet.
§ 11 und § 248 BAO lauten:
„§ 11. Bei vorsätzlichen Finanzvergehen und bei vorsätzlicher Verletzung von Abgabenvorschriften der Länder und Gemeinden haften rechtskräftig verurteilte Täter und andere an der Tat Beteiligte für den Betrag, um den die Abgaben verkürzt wurden.“
„§ 248. Der nach Abgabenvorschriften Haftungspflichtige kann unbeschadet der Einbringung einer Bescheidbeschwerde gegen seine Heranziehung zur Haftung (Haftungsbescheid, § 224 Abs. 1) innerhalb der für die Einbringung der Bescheidbeschwerde gegen den Haftungsbescheid offenstehenden Frist auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch Bescheidbeschwerde einbringen. Beantragt der Haftungspflichtige die Mitteilung des ihm noch nicht zur Kenntnis gebrachten Abgabenanspruches, so gilt § 245 Abs. 2, 4 und 5 sinngemäß.“
15 Die Haftung nach § 11 BAO setzt eine Entscheidung im gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahren voraus, mit der der Verurteilte eines vorsätzlichen Finanzvergehens rechtskräftig schuldig gesprochen wurde. Der Täter oder andere an der Tat Beteiligte muss somit schon vor seiner Heranziehung zur Haftung nach § 11 BAO wegen eines vorsätzlichen Finanzvergehens rechtskräftig verurteilt worden sein (vgl. VwGH 26.1.2012, 2009/16/0210, mwN).
16 § 11 BAO dient der Sicherung und Hereinbringung der verkürzten Abgaben. Die Haftung nach § 11 BAO ist anders als jene nach § 9 BAO keine Ausfallshaftung, sondern eine unbeschränkte Primärhaftung (vgl. VwGH 13.10.2022, Ra 2022/13/0090, mwN).
17 Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entfaltet ein rechtskräftiges Strafurteil bindende Wirkung hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen, auf denen sein Spruch beruht, wozu jene Tatumstände gehören, aus denen sich die jeweilige strafbare Handlung nach ihren gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen zusammensetzt. Ein vom bindenden Strafurteil abweichendes Abgabenverfahren würde zu Lasten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes einer Durchbrechung der materiellen Rechtskraft und einer unzulässigen Kontrolle der Organe der Rechtsprechung durch die Verwaltung gleichkommen; die Bindungswirkung erstreckt sich auf die vom Gericht festgestellten und durch den Spruch gedeckten Tatsachen, wobei die Bindung selbst dann besteht, wenn die maßgebliche Entscheidung rechtswidrig ist (vgl. zu alldem VwGH 30.3.2000, 99/16/0141; 10.3.1998, 95/16/0324; 18.8.1994, 94/16/0013, mwN).
18 Die Abgabenbehörden sind an den im Spruch des den Revisionswerber verurteilenden Strafurteils genannten Abgabenbetrag gebunden. Der Betrag der Abgaben ist als strafbestimmender Wertbetrag Tatbestandsmerkmal des Finanzvergehens. Darüber hinaus kommt dem strafbestimmenden Wertbetrag auch sonst rechtliche Relevanz, etwa für die Abgrenzung der gerichtlichen von der verwaltungsbehördlichen Zuständigkeit zur Ahndung von Finanzvergehen zu (vgl. VwGH 16.12.1999, 97/16/0006, mwN).
19 § 248 BAO spricht generell von Haftungspflichtigen, womit vom Wortlaut der Bestimmung grundsätzlich auch ein Haftungspflichtiger gemäß § 11 BAO erfasst ist. Das Bundesfinanzgericht hat im Ergebnis eine teleologische Reduktion des Wortlautes vorgenommen, weil seiner Ansicht nach die Haftungsfälle nach § 11 BAO nicht vom Sinn und Zweck des § 248 BAO erfasst seien und eine Änderung der Abgabenbescheide keine Auswirkung auf die Haftung hätte.
20 Die Bestimmung sieht ein Beschwerderecht eines Haftungspflichtigen gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch vor. Dies hat seine Grundlage darin, dass eine Bindungswirkung des Abgabenbescheides für das Haftungsverfahren besteht (vgl. VwGH 29.4.2010, 2008/15/0085; 19.4.2007, 2005/15/0129; 13.4.2005, 2004/13/0027; jeweils mwN). Durch § 248 BAO wird dem Haftenden ein eigenständiger Rechtszug gegen den seiner Haftungsinanspruchnahme zugrundeliegenden Abgabenbescheid eingeräumt (vgl. VwGH 28.5.2019, Ra 2019/15/0032).
21 Demgegenüber knüpft § 11 BAO allerdings nicht an einen Abgabenbescheid, sondern an ein rechtskräftiges Strafurteil an, mit dem der Haftungspflichtige für ein vorsätzliches Finanzvergehen verurteilt wurde. Nach der zitierten Rechtsprechung ist die Abgabenbehörde an das Strafurteil gebunden, selbst dann, wenn die maßgebliche Entscheidung rechtswidrig ist; die Bindungswirkung besteht auch für den im Spruch genannten Betrag.
22 Die Strafbehörde bzw. das Strafgericht ist bei seiner Entscheidung im Gegensatz dazu nicht an die Abgabenbescheide gebunden; dies gilt sowohl für den Abgabenanspruch dem Grunde als auch der Höhe nach (vgl. VwGH [vS] 5.12.1983, 1055/79; 24.1.2013, 2011/16/0238; auch OGH [vS] 21.11.1991, 14 Os 127/90). Sowohl die Sachverhaltsannahmen als auch die rechtliche Beurteilung werden durch die Strafbehörde bzw. das Strafgericht eigenständig vorgenommen.
23 Grundsätzlich würde eine Änderung des Abgabenbescheides somit nicht auch zu einer Änderung des Haftungsbetrages nach § 11 BAO führen, was für die Vorgehensweise des Bundesfinanzgerichts spricht.
24 § 165 Abs. 1 lit. d FinStrG sieht allerdings vor, dass die Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis (Bescheid, Rechtsmittelentscheidung) abgeschlossenen Finanzstrafverfahrens auf Antrag zu verfügen ist, wenn ein ordentliches Rechtsmittel gegen die Entscheidung nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Abgabenbetrag, der der Ermittlung des strafbestimmenden Wertbetrages zugrunde gelegt wurde, nachträglich nach den Bestimmungen des Abgabenverfahrens geändert wurde (vgl. auch §§ 222 f FinStrG).
25 Ein auf Grundlage des § 248 BAO geänderter Abgabenbescheid kann somit zu einer Wiederaufnahme gemäß § 165 Abs. 1 lit. d sowie § 223 FinStrG und damit zu einer Änderung des Strafurteils führen. Dies hätte aufgrund der Bindungswirkung auch eine Auswirkung auf den Haftungsbetrag nach § 11 BAO.
26 Auch wenn dem Haftungspflichtigen bereits im Strafverfahren alle Möglichkeiten zur Geltendmachung seiner Rechte offenstanden, schließt dies sohin nicht aus, gemäß § 248 BAO die zugrundeliegenden Abgabenbescheide zu bekämpfen.
27 Nach dem Gesagten war der Beschluss des Bundesfinanzgerichts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
28 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
29 Die beantragte Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 und 6 VwGG entfallen.
Wien, am 25. Juni 2025
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