Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm sowie den Hofrat Dr. Schwarz und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Bamer, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Juli 2023, Zl. G310 2268079-1/4E, betreffend Ausweisung (mitbeteiligte Partei: K B in Linz), zu Recht erkannt:
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit Bescheid der revisionswerbenden Behörde (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [BFA]) vom 24. Jänner 2023 wurde der Mitbeteiligte, ein ungarischer Staatsangehöriger, gemäß § 66 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) iVm. § 55 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Unter einem wurde ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat gewährt.
2 Mit dem angefochtenen Beschluss vom 3. Juli 2023 wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Mitbeteiligten zurück. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, aus den vom Mitbeteiligten an das Verwaltungsgericht übermittelten Unterlagen (Befund eines rumänischen Krankenhauses vom 27. Mai 2023) gehe hervor, dass sich der Mitbeteiligte „zwischenzeitig“ in Rumänien medizinisch habe behandeln lassen. Da eine Ausweisung gemäß § 69 Abs. 1 FPG gegenstandslos werde, wenn der EWR Bürger wie hier der Mitbeteiligte durch seine Ausreise nach Rumänien zwecks medizinischer Behandlung seiner Ausreiseverpflichtung (§ 70 FPG) nachgekommen sei, und mit der Ausweisung ein Verbot, nach Österreich zurückzukehren, nicht verbunden sei, mache es für die Rechtsstellung des Mitbeteiligten keinen Unterschied, ob seiner Beschwerde stattgegeben werde oder nicht. Folglich stehe das mangelnde Rechtsschutzbedürfnis des Mitbeteiligten einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Ausweisungsentscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht entgegen. Infolgedessen sei dessen Beschwerde zurückzuweisen gewesen.
4 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die sich insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer Abweichung von der hg. Rechtsprechung gegen die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts wendet, in der gegenständlichen Konstellation sei das Rechtsschutzinteresse des Mitbeteiligten durch seine Ausreise weggefallen. Die im angefochtenen Erkenntnis vertretene Rechtsauffassung widerspreche zudem der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (Hinweis: EuGH [GK] 22.6.2021, FS gegen Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid , C 719/19).
5 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Die Amtsrevision erweist sich aus dem von ihr dargestellten Grund als zulässig. Sie ist auch begründet.
7 Gemäß § 10 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 106/2022, werden (u.a.) Dokumentationen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts insbesondere dann ungültig, wenn gegen Fremde eine Ausweisung durchsetzbar oder rechtskräftig wird. Solche Fremde verlieren ihr Recht auf Aufenthalt. Eine Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts lebt von Gesetzes wegen wieder auf, sofern innerhalb ihrer ursprünglichen Geltungsdauer die Ausweisung im Rechtsweg nachträglich behoben wird.
8 Die Annahme des Verwaltungsgerichts, in der gegenständlichen Konstellation sei das Rechtsschutzinteresse des Mitbeteiligten durch seine „zwischenzeitige“ Ausreise nach Rumänien weggefallen, ist schon deshalb unzutreffend, weil nach den Feststellungen im Bescheid der revisionswerbenden Behörde dem Mitbeteiligten im Jahr 2018 eine Anmeldebescheinigung ausgestellt wurde (vgl. auch den im Akt befindlichen, am 27. April 2022 erstellten IZR Auszug sowie die Kopie der Anmeldebescheinigung vom 28. September 2018).
9 Dass mit Durchsetzbarkeit oder Rechtskraft der Ausweisung die dem Mitbeteiligten ausgestellte Dokumentation gemäß § 10 Abs. 1 NAG ungültig wird, hat das Verwaltungsgericht nicht beachtet (zu den Rechtswirkungen einer Dokumentation vgl. auch VwGH 16.5.2019, Ro 2019/21/0004, Rn. 12). Bereits aus dem genannten Grund konnte das Rechtsschutzinteresse des Mitbeteiligten mit dem bloßen Hinweis auf seine „zwischenzeitige“ Ausreise nicht verneint werden.
10 Da das Verwaltungsgericht schon aus diesem Grund die Rechtslage verkannte, belastete es den angefochtenen Beschluss mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
11 Im Hinblick auf dieses Verfahrensergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Revisionsvorbringen.
Wien, am 20. Februar 2024
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