Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann Preschnofsky, in der Rechtssache der Revision des L K, vertreten durch Mag. Florian Kreiner, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Friedrich Schmidt Platz 7/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21. April 2023, W146 1252245 3/20E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein aus Tschetschenien stammender russischer Staatsangehöriger, reiste als Minderjähriger gemeinsam mit seiner Tante im Jahr 2003 in das Bundesgebiet ein und stellte erstmals am 14. Juli 2003 einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 2. August 2004 wies das damals zuständige Bundesasylamt diesen Antrag ab, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers in die Russische Föderation fest und wies ihn aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der (damalige) Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 25. März 2010 ab.
2 Am 24. Mai 2011 stellte der Revisionswerber einen Folgeantrag, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16. Juli 2011 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und eine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet angeordnet wurde. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 7. September 2011 als unbegründet ab.
3 Der Revisionswerber blieb im Bundesgebiet und stellte nach einem „Aufgriff“ durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 27. Juli 2021 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
4 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18. Februar 2022 wurde dieser (dritte) Antrag wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Weiters erteilte die Behörde dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte die Zulässigkeit der Abschiebung in die Russische Föderation fest (Spruchpunkt V.), legte keine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt VI.) und erließ gegen den Revisionswerber ein auf zwei Jahre befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).
5 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis VI. des angefochtenen Bescheides als unbegründet ab, gab der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt VII. statt und behob diesen Ausspruch (Erlassung eines Einreiseverbotes) ersatzlos. Unter einem sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
6 Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 4. Oktober 2023, E 2886/2023 5, die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis an ihn gerichteten Beschwerde ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Versäumung der Einbringungsfrist, Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes oder Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, oder denen die Einwendung der entschiedenen Sache oder der Mangel der Berechtigung an ihrer Erhebung entgegensteht, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Gemäß § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG hat die Revision die Bezeichnung der Rechte, in denen der Revisionswerber verletzt zu sein behauptet (Revisionspunkte), zu enthalten.
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt bei der Prüfung eines angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses eines Verwaltungsgerichts dem Revisionspunkt nach § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG entscheidende Bedeutung zu, denn der Verwaltungsgerichtshof hat nicht zu prüfen, ob irgendein subjektives Recht des Revisionswerbers verletzt worden ist, sondern nur, ob jenes verletzt worden ist, dessen Verletzung der Revisionswerber behauptet. Durch den Revisionspunkt wird der Prozessgegenstand des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof festgelegt und der Rahmen abgesteckt, an den dieser bei der Prüfung des angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses gebunden ist. Wird der Revisionspunkt unmissverständlich ausgeführt, so ist er einer Auslegung aus dem Gesamtzusammenhang der Revision nicht zugänglich (vgl. VwGH 14.9.2023, Ra 2023/20/0009, mwN).
12 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ab, mit dem (unter anderem) der vom Revisionswerber gestellte (Folge )Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden war. Es liegt daher in Bezug auf die Begehren auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten eine ausschließlich verfahrensrechtliche Entscheidung vor, mit der die Entscheidung in der Sache abgelehnt wurde. Im Hinblick auf diesen normativen Gehalt des angefochtenen Erkenntnisses käme in diesen Punkten allein die Verletzung des Revisionswerbers im Recht auf meritorische Entscheidung über seinen Antrag, nicht aber die Verletzung in den, den Inhalt des Antrages auf internationalen Schutz bildenden Rechten in Betracht. Der Revisionswerber konnte daher schon deswegen in den als Revisionspunkt genannten Rechten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Status des Asylberechtigten) und Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht verletzt werden (vgl. erneut VwGH Ra 2023/20/0009, mwN). Auf das diesbezügliche Zulässigkeitsvorbringen in der Revision ist daher nicht mehr einzugehen.
13 Weiters wendet sich der Revisionswerber in seinem von einem tauglichen Revisionspunkt erfassten Zulässigkeitsvorbringen gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung erfolgte Interessenabwägung nach § 9 BFA VG und bringt zusammengefasst vor, dass aufgrund seines 20 jährigen Aufenthaltes, seiner ausreichenden Integration und des bestehenden Familienlebens im Bundesgebiet die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unzulässig sei. Das Bundesverwaltungsgericht habe dem Revisionswerber vorgehalten, dass er seinen Meldepflichten nicht nachgekommen sei und sich im Verborgenen aufgehalten habe, ohne dabei zu berücksichtigen, dass eine Meldung ohne einen gültigen Lichtbildausweis „faktisch nicht möglich“ sei.
14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG (vgl. VwGH 19.10.2023, Ra 2022/20/0406, mwN).
15 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 12.9.2023, Ra 2023/20/0278, Rz 25, mwN)
16 Dabei geht der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur davon aus, dass bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an seinem Verbleib in Österreich auszugehen ist. Nur wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurde eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (oder die Nichterteilung eines humanitären Aufenthaltstitels) ausnahmsweise nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber auch zum Ausdruck gebracht, dass ungeachtet eines mehr als zehnjährigen Aufenthaltes und des Vorhandenseins gewisser integrationsbegründender Merkmale auch gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen und für ein größeres öffentliches Interesse an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme (oder an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels) sprechende Umstände in Anschlag gebracht werden können (vgl. VwGH 20.12.2021, Ra 2021/20/0437, mwN). So wurde in der Rechtsprechung bei maßgeblichem (Fehl-)Verhalten des Fremden, das dazu geführt hatte, dass es der Behörde nicht möglich war, gegen einen unrechtmäßig aufhältigen Fremden eine aufenthaltsbeendende Maßnahme zu erlassen oder zu effektuieren, auch nach einem langen Zeitraum des Aufenthalts im Bundesgebiet die Aufenthaltsbeendigung für zulässig angesehen (vgl. dazu das letztzitierte Erkenntnis mit Verweis auf VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005, samt näheren Hinweisen zu Konstellationen, in denen trotz eines zehnjährigen Aufenthalts die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht als unverhältnismäßig angesehen wurde).
17 Eine solche Gesamtabwägung unter Einbeziehung der fallbezogen maßgeblichen Aspekte und unter Gewichtung der mehr als zehnjährigen Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers im Bundesgebiet hat das Bundesverwaltungsgericht, nachdem es sich in einer Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschafft und auch seine Lebensgefährtin zum gemeinsamen Familienleben befragt hatte, vorgenommen.
18 Das Bundesverwaltungsgericht begründete das Überwiegen öffentlicher Interessen trotz des langjährigen Aufenthaltes des Revisionswerbers im Bundesgebiet vor allem damit, dass er mehr als acht Jahre im Verborgenen gelebt und gegen seine Meldeverpflichtungen verstoßen habe. Er habe die gegen ihn erlassenen rechtskräftigen Ausweisungen beharrlich nicht befolgt, sei 13 Jahre illegal im Bundesgebiet aufhältig und von der Staatsanwaltschaft Wien (wegen des Verdachts der schweren Körperverletzung, Hausfriedensbruch, der Sachbeschädigung, des Diebstahls, des Betruges sowie des Suchtgifthandels nach § 28a SMG) zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben gewesen.
19 Dass die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes vor dem Hintergrund dieses vom Revisionswerber gesetzten Fehlverhaltens, ungeachtet der langen Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet sei die Erlassung einer Rückkehrentscheidung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK nicht unzulässig, mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Fehler behaftet wäre, wird in der Revision mit dem bloßen Hinweis auf einen fehlenden Lichtbildausweis in Bezug auf seine Verstöße gegen das Meldegesetz nicht dargetan.
20 Im Ergebnis mangelt es der vorliegenden Revision zum einen daher an der Berechtigung zu ihrer Erhebung, zum anderen werden aber auch keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 21. Dezember 2023
Rückverweise