Rückverweise
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision 1. der X. X., und 2. des Y. Y., beide vertreten durch Mag. Nikolaus Rast und Mag. Mirsad Musliu, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. September 2022, 1. W112 2216583 1/123E und 2. W112 2216584 1/11E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Die revisionswerbenden Parteien sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und gehören der tschetschenischen Volksgruppe an. Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter des minderjährigen Zweitrevisionswerbers.
2 Die Erstrevisionswerberin reiste erstmals im Jahr 2002 als Minderjährige mit ihren Eltern und Geschwistern nach Österreich ein, wo ihre Eltern am 15. Juli 2002 Anträge auf internationalen Schutz für sich selbst und die Kinder stellten. Mit Bescheiden vom 27. April 2004 gewährte der Unabhängige Bundesasylsenat im Instanzenzug dem Vater der Erstrevisionswerberin den Status des Asylberechtigten und erhielten seine Familienangehörigen unter anderem die Erstrevisionswerberin den Status der Asylberechtigten im Wege der Erstreckung. In Österreich wurde die Erstrevisionswerberin Mutter von vier Kindern, die sich nach wie vor in Österreich aufhalten. Die Erstrevisionswerberin trennte sich vom Vater der Kinder. In der Folge reiste die Erstrevisionswerberin wiederholt ohne Rücksprache mit ihrer Familie allein aus Österreich aus und hielt sich unter anderem in Tschetschenien auf.
3 Mit Bescheid vom 23. Februar 2017 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) der Erstrevisionswerberin den mit Bescheid vom 27. April 2004 zuerkannten Status der Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und stellte fest, dass ihr die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme. Außerdem erkannte das BFA der Erstrevisionswerberin den Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
4 Begründend führte das BFA aus, dass sich der Lebensmittelpunkt der Erstrevisionswerberin in der Russischen Föderation befinde und sie sich freiwillig unter den Schutz des Herkunftsstaates gestellt habe. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
5 In Folge reiste die Erstrevisionswerberin gemeinsam mit dem im Ausland geborenen minderjährigen Zweitrevisionswerber erneut nach Österreich ein und stellte am 24. August 2018 für sich und den Zweitrevisionswerber Anträge auf internationalen Schutz. Zur Begründung gab sie an, dass sie für die tschetschenische Regierung geheimdienstlich tätig gewesen sei. Sie habe diese Tätigkeit abgebrochen, weshalb sie nun Verfolgung fürchte.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diese Anträge in Bestätigung entsprechender Bescheide des BFA vom 22. Februar 2019 zur Gänze ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte jeweils eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.
7 Begründend führte das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung an mehreren Terminen und gestützt auf die Ergebnisse eines umfangreichen Beweisverfahrens aus, das Vorbringen der Erstrevisionswerberin zu ihren Fluchtgründen sei aufgrund näher bezeichneter Widersprüche und nicht plausibler Angaben in entscheidenden Punkten nicht glaubhaft. Der Erstrevisionswerberin drohe keine asylrelevante Verfolgung bei ihrer Rückkehr. Für den Zweitrevisionswerber seien keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht worden.
8 Zur Rückkehrentscheidung nahm das BVwG eine näher begründete Abwägung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK bzw. § 9 Abs. 1 BFA VG vor. Es kam zu dem Ergebnis, dass die näher dargestellten öffentlichen Interessen an einer Außerlandesbringung die privaten Interessen der revisionswerbenden Parteien am Verbleib im Bundesgebiet auch unter Berücksichtigung des Kindeswohls hinsichtlich der in Österreich lebenden Kinder der Erstrevisionswerberin überwiegen würden.
9 Gegen dieses Erkenntnis erhoben die revisionswerbenden Parteien zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 28. November 2022, E 2711 2712/2022 8, ablehnte und sie an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
10 Die vorliegende außerordentliche Revision macht zu ihrer Zulässigkeit geltend, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Beweiswürdigung ab. Die Erstrevisionswerberin habe ihr Vorbringen durchgehend gleichbleibend und detailreich erstattet; das BVwG hätte dieses durch Recherchen vor Ort bzw. im Internet auf seine „Echtheit“ überprüfen müssen. Zudem habe das BVwG aktuelle Berichte nicht ausreichend in seine Beweiswürdigung miteinbezogen. Im Zusammenhang mit den Rückkehrentscheidungen habe das BVwG die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK in unvertretbarer Weise vorgenommen.
11 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
12 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
13 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
14 Sofern sich die Revision zur Begründung der Zulässigkeit gegen die Beweiswürdigung des BVwG richtet, ist Folgendes festzuhalten: Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 10.11.2022, Ra 2022/18/0250 bis 0253, mwN).
15 Das BVwG setzte sich in seinen sehr umfangreichen beweiswürdigenden Erwägungen mit dem Fluchtvorbringen der Erstrevisionswerberin nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck von ihr selbst verschaffen konnte sowie zahlreiche Zeuginnen und Zeugen einvernahm detailreich auseinander und legte umfassend dar, warum es das Vorbringen in entscheidenden Punkten für nicht glaubhaft erachtete. Die Revision nimmt mit keinem Wort auf die ausführliche Beweiswürdigung des BVwG Bezug und vermag schon deshalb nicht aufzuzeigen, dass diese in unvertretbarer Weise vorgenommen worden wäre.
16 Die Revision rügt zur Begründung ihrer Zulässigkeit des Weiteren pauschal das Unterlassen von Recherchen und die Außerachtlassung von aktuellen Berichten, macht also Verfahrensmängel geltend. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für die revisionswerbenden Parteien günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass auf das Wesentliche zusammengefasst jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. erneut VwGH 10.11.2022, Ra 2022/18/0250 bis 0253, mwN). Eine solche Darlegung enthält die Revision in der Zulässigkeitsbegründung jedoch nicht.
17 Sofern die Revision ihre Zulässigkeit weiters darauf stützt, dass die Interessenabwägung des BVwG insbesondere zur Rückkehrentscheidung hinsichtlich der Erstrevisionswerberin unvertretbar erfolgt sei, ist zunächst auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur in diesem Zusammenhang gebotenen Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK zu verweisen. Eine solche ist wenn sie unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführt wurde, auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde im Allgemeinen nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG (vgl. VwGH 24.11.2022, Ra 2022/18/0205, mwN).
18 Das BVwG führte zur Frage der familiären Beziehungen der Revisionswerberin insbesondere zu ihren in Österreich lebenden Kindern ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch. Es vernahm auch die Kinder im Rahmen der mündlichen Verhandlung und bezog den Pflegschaftsakt des familiengerichtlichen Obsorgeverfahrens, insbesondere umfangreiche Berichte der Kinder- und Jugendhilfe, in seine Erwägungen mit ein. Davon ausgehend setzte sich das BVwG ausführlich mit den Auswirkungen einer Rückkehrentscheidung hinsichtlich der Erstrevisionswerberin auf ihre in Österreich geborenen Kinder auseinander, wobei es insbesondere darauf verwies, dass die Erstrevisionswerberin diese Kinder bereits in der Vergangenheit mehrfach ohne „Vorwarnung“ verlassen habe, was zu einer großen Verunsicherung der Kinder geführt habe, und es auch nach ihrer Rückkehr nicht gelungen sei, die familiären Beziehungen zu stabilisieren; nach den Berichten der Kinder- und Jugendhilfe ergebe sich ein akuter Handlungsbedarf und sei eine „Fremdunterbringung“ der Kinder anzudenken. Gleichwohl verkannte das BVwG nicht die Auswirkungen einer Rückkehrentscheidung gegen die Erstrevisionswerberin auf das Kindeswohl, hielt fest, dieses sei durch die zerrütteten Beziehungen relativiert, und stellte ihm das hohe öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts der Erstrevisionswerberin in Österreich aufgrund ihrer nach den Feststellungen des BVwG weiterhin ausgeübten Tätigkeiten im geheimdienstlichen Bereich für einen anderen Staat und ihrer der nationalen Sicherheit abträglichen Beziehungen ins Ausland gegenüber. Dass sich das BVwG bei dieser Abwägung von den Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung entfernt hätte, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.
19 Gleiches gilt auch für die Rückkehrentscheidung hinsichtlich des minderjährigen Zweitrevisionswerbers. Das BVwG stellte fest, dass der Zweitrevisionswerber im russisch tschetschenischen Kulturkreis sozialisiert worden sei und verwies insbesondere darauf, dass die Beziehung zu seiner Mutter, der Erstrevisionswerberin, für ihn die engste sei und durch eine gemeinsame Rückkehr kein Eingriff in dieses Familienleben erfolge. In der Russischen Föderation würden sich zudem noch Familienangehörige aufhalten, bei denen die revisionswerbenden Parteien gemeinsam vor der Einreise nach Österreich gelebt hätten. Mit seinen Halbgeschwistern in Österreich habe sich der Zweitrevisionswerber mangels Sprachkenntnissen bisher nur mangelhaft verständigen können. Vor diesem Hintergrund zeigt die Revision auch in diesem Punkt keine vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmende Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Erkenntnisses auf.
20 Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass auch der Verfassungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 28. November 2022 (vgl. Rz 9) ausführte, dem BVwG könne unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn es auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgegangen sei, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art. 8 EMRK überwiege, und im Ergebnis eine Verletzung von Art. 8 EMRK durch die aufenthaltsbeendende Maßnahme verneinte.
21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 31. März 2023