Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm und die Hofrätin MMag. Ginthör, den Hofrat Dr. Faber sowie die Hofrätinnen Dr. in Oswald und Dr. Kronegger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. aJanitsch, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen (an deren Stelle gemäß § 22 VwGG eingetreten: Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz) gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 1. September 2022, Zl. LVwG 000530/2/FP, betreffend Übertretung des Tabak- und Nichtraucherinnen- bzw. Nichtraucherschutzgesetzes (mitbeteiligte Partei: M M in H, vertreten durch die bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schreyvogelgasse 2), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 1.1. Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 30. Mai 2022 wurde der Mitbeteiligte schuldig erkannt, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer einer Gesellschaft mit Sitz in Österreich zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Großhändlerin, die in die Vertriebskette von dem Tabak und Nichtraucherinnen- bzw. NichtraucherschutzgesetzTNRSG unterliegenden Waren eingebunden sei, ein näher beschriebenes Tabakerzeugnis durch Lieferung an eine bestimmte Trafik in Verkehr gebracht und dabei gegen § 5d Abs. 1 Z 3 TNRSG verstoßen habe, weil die Angaben auf der Packung „perfekt abgerundet“ und „mit slow curing“ Elemente darstellten, die sich auf den Geschmack beziehen. Der Mitbeteiligte habe dadurch gegen § 14 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 1 und § 5d Abs. 1 Z 3 TNRSG verstoßen, weswegen über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von € 1.000, (Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag und 20 Stunden) verhängt wurde.
21.2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten Folge, hob das behördliche Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 bzw. 2 VStG ein. Das Verwaltungsgericht sprach weiters aus, dass der Mitbeteiligte weder einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens noch zu jenen des behördlichen Strafverfahrens zu leisten habe. Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zulässig.
3Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, die belangte Behörde sei davon ausgegangen, dass das „in Verkehr bringen“ durch die Lieferung des Tabakerzeugnisses von der Großhändlerin an die Trafik erfolgt sei. Das TNRSG übernehme in § 1 Z 2 die Begriffsbestimmung des „Inverkehrbringens“ aus Art. 2 Z 40 der Richtlinie 2014/40/EU. Der Begriffsinhalt sei „stark eingeschränkt“ zu verstehen und meine die entgeltliche oder unentgeltliche Bereitstellung von Produkten unabhängig vom Ort ihrer Herstellung für Verbraucher. Der Begriff „Bereitstellung“ sei in der Richtlinie nicht definiert. Zur Auslegung könne jedoch auf die Begriffsbestimmung des Art. 2 Z 41 der Richtlinie 2014/40/EU gegriffen werden. Daraus ergebe sich, dass ein „in Verkehr bringen“ an Konsumenten in Verkaufsstellen oder im Fernabsatz erfolge.
4 Der österreichische Gesetzgeber habe sich mit der bloßen Übernahme dieser Definition begnügt. Hingegen sei in Deutschland ausdrücklich geregelt, dass sämtliche Marktteilnehmer in der Lieferkette für die Einhaltung der Bestimmungen zur Verantwortung gezogen werden könnten. Eine solche Regelung bestehe in Österreich nicht.
5 Nach dem Wortlaut der Begriffsbestimmung sei davon auszugehen, dass die „Bereitstellung“ für Verbraucher das Vorhalten von Tabakerzeugnissen zur unmittelbaren Abgabe an den Verbraucher meine, also den letzten Schritt vor dem Verkauf an Konsumenten, der etwa in einer Trafik stattfinde.
6Das Verwaltungsgericht zog daraus den Schluss, die Großhändlerin habe das Tabakerzeugnis nicht „in Verkehr gebracht“, weil sie dieses an den Betreiber einer Verkaufsstelle (Trafik) geliefert habe, der ebenfalls Unternehmer und nicht Verbraucher sei. Gemäß § 14 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 1 TNRSG sei aber nur das „in Verkehr bringen“ von Tabakerzeugnissen, die den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes (hier: § 5d Abs. 1 Z 3) nicht entsprechen, verboten. Der Mitbeteiligte habe die ihm angelastete Tat folglich nicht begangen.
7Auch sei die Verfolgungshandlung gegen den Mitbeteiligten nicht hinreichend konkret iSd § 32 Abs. 2 und des § 44a VStG gewesen. Die belangte Behörde habe den Mitbeteiligten im Spruch des Straferkenntnisses nämlich als zur Vertretung nach außen Berufenen der Großhändlerin, die in die Vertriebskette von dem TNRSG unterliegenden Waren eingebunden sei, zur Verantwortung gezogen und ihm damit eine „Rolle“ vorgeworfen, die das TNRSG nicht kenne. Dem Verwaltungsgericht sei es aber verwehrt, über den Gegenstand des Straferkenntnisses hinauszugehen und den Tatvorwurf zu ändern.
8Die ordentliche Revision sei zulässig, da keine Rechtsprechung zur Auslegung der Begriffsbestimmung des „Inverkehrbringens“ gemäß § 1 Z 2 TNRSG vorliege.
91.3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision der belangten Behörde. Mit Eingabe vom 22. Dezember 2022 erklärte der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß § 22 VwGG seinen Eintritt in das Revisionsverfahren.
10 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11 2.1. Die Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG lautet (auszugsweise):
„Artikel 1
Gegenstand
Ziel dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für
...
b)bestimmte Aspekte der Kennzeichnung und Verpackung von Tabakerzeugnissen, unter anderem die gesundheitsbezogenen Warnhinweise, die auf den Packungen und den Außenverpackungen von Tabakerzeugnissen erscheinen müssen, sowie die Rückverfolgbarkeit und die Sicherheitsmerkmale, die für Tabakerzeugnisse angewendet werden, um ihre Übereinstimmung mit dieser Richtlinie zu gewährleisten;
...
damit ausgehend von einem hohen Schutz der menschlichen Gesundheit, besonders für junge Menschen das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts für Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse erleichtert wird und die Verpflichtungen der Union im Rahmen des WHO Rahmenübereinkommens zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (Framework Convention on Tobacco Control, im Folgenden ‚FCTC‘) eingehalten werden.
...
Artikel 2
Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
...
40. ‚in Verkehr bringen‘ die entgeltliche oder unentgeltliche Bereitstellung von Produkten unabhängig vom Ort ihrer Herstellung für Verbraucher, die sich in der Union befinden, auch mittels Fernabsatz; im Fall von grenzüberschreitendem Fernabsatz gilt das Produkt als in dem Mitgliedstaat in Verkehr gebracht, in dem sich der Verbraucher befindet;
41. ‚Verkaufsstelle‘ eine Verkaufsstelle, wo Tabakerzeugnisse in Verkehr gebracht werden, auch von einer natürlichen Person.
...
Artikel 13
Erscheinungsbild der Erzeugnisse
(1) Die Kennzeichnung der Packung und der Außenverpackung sowie das Tabakerzeugnis selbst dürfen weder Elemente noch Merkmale aufweisen, die
...
c)sich auf den Geschmack, Geruch, eventuelle Aromastoffe oder sonstige Zusatzstoffe oder auf deren Fehlen beziehen;
...
Artikel 23
Zusammenarbeit und Durchsetzung
...
(2) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse, die dieser Richtlinie sowie den darin vorgesehenen Durchführungs- und delegierten Rechtsakten nicht entsprechen, nicht in Verkehr gebracht werden. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Tabakerzeugnisse oder verwandte Erzeugnisse nicht in Verkehr gebracht werden, wenn die in dieser Richtlinie festgelegten Meldepflichten nicht eingehalten werden.
(3) Die Mitgliedstaaten legen für Verstöße gegen die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften Sanktionen fest und treffen die zur Anwendung dieser Sanktionen erforderlichen Maßnahmen. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Verwaltungssanktionen finanzieller Art, die für vorsätzliche Verstöße verhängt werden, dürfen so gestaltet sein, dass sie den durch den Verstoß angestrebten wirtschaftlichen Vorteil aufheben.
...“
122.2. Das Tabak- und Nichtraucherinnen- bzw. Nichtraucherschutzgesetz - TNRSG, BGBl. Nr. 431/1995 in der im Tatzeitpunkt maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 66/2019, lautet (auszugsweise):
„Begriffsbestimmungen
§ 1. Im Sinne dieses Bundesgesetzes gilt als
1.‚Tabakerzeugnis‘ jedes Erzeugnis, das zum Rauchen, Schnupfen, Lutschen oder Kauen bestimmt ist, sofern es ganz oder teilweise aus Tabak, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Tabak in gentechnisch veränderter oder unveränderter Form handelt, besteht,
...
2.‚Inverkehrbringen‘ die entgeltliche oder unentgeltliche Bereitstellung von Produkten unabhängig vom Ort ihrer Herstellung für Verbraucherinnen bzw. Verbraucher,
...
Verbot des Inverkehrbringens
§ 2. (1) Das Inverkehrbringen von
1.Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen, die den §§ 4 bis 10e oder nach diesem Bundesgesetz erlassenen Verordnungen nicht entsprechen oder
...
ist verboten.
...
Erscheinungsbild
§ 5d. (1) Die Kennzeichnung der Packung und der Außenverpackung sowie das Tabakerzeugnis selbst dürfen weder Elemente noch Merkmale aufweisen, die
...
3.sich auf den Geschmack, Geruch, eventuelle Aromastoffe oder sonstige Zusatzstoffe oder auf deren Fehlen beziehen,
...
(3) Unter die nach den Abs. 1 und 2 verbotenen Elemente und Merkmale fallen insbesondere Texte, Symbole, Namen, Markennamen, figurative und sonstige Zeichen.
...
Strafbestimmungen
§ 14. (1) Wer
1.Tabakerzeugnisse oder verwandte Erzeugnisse entgegen § 2 in Verkehr bringt,
...
begeht, sofern die Tat nicht nach anderen Verwaltungsbestimmungen mit strengerer Strafe bedroht ist, eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 7 500 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 15 000 Euro zu bestrafen.
...“
13 3. Die Revision ist aus den vom Verwaltungsgericht genannten Gründen, denen sich die Revision anschließt, zulässig.
14 4. Sie ist auch begründet:
154.1. Im Revisionsfall ist unstrittig, dass es sich bei dem beanstandeten Produkt um ein Tabakerzeugnis iSd § 1 Z 1 TNRSG (Zigaretten) handelt. Der Mitbeteiligte hat im verwaltungsbehördlichen Strafverfahren hingegen bestritten, dass sich die angelasteten Angaben auf der Zigarettenpackung auf den Geschmack beziehen und daher mit den Vorschriften über das Erscheinungsbild gemäß § 5d Abs. 1 Z 3 TNRSG unvereinbar sind. Das Verwaltungsgericht ist auf diese Frage allerdings nicht weiter eingegangen. Es hob das Straferkenntnis der belangten Behörde schon deswegen auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein, weil es die Auffassung vertrat, dass die vom Mitbeteiligten nach außen vertretene Gesellschaft, eine Großhändlerin von Tabakerzeugnissen, das gegenständliche Tabakerzeugnis nicht dadurch iSd § 2 Abs. 1 TNRSG „in Verkehr gebracht“ habe, dass sie es an eine Trafik abgab. Gegen diese Rechtsauffassung wendet sich die vorliegende Amtsrevision.
164.2. Der österreichische Gesetzgeber hat mit der Begriffsbestimmung des „Inverkehrbringens“ in § 1 Z 2 TNRSG die entsprechende Begriffsbestimmung des Art. 2 Z 40 der Richtlinie 2014/40/EU umgesetzt; durch § 5d TNRSG über das Erscheinungsbild von Tabakerzeugnissen wird Art. 13 der Richtlinie 2014/40/EU umgesetzt (vgl. RV 1056 BlgNR XXV. GP, 1 und 3). Weiters wird durch das in § 2 Abs. 1 Z 1 TNRSG vorgesehene Verbot des Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen, die den §§ 4 bis 10e dieses Bundesgesetzesdamit auch dem § 5d TNRSG über das Erscheinungsbildnicht entsprechen, Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40/EU umgesetzt. Die von Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie 2014/40/EU geforderte Sanktion bei einem Verstoß gegen dieses Verbot setzt die Strafbestimmung des § 14 Abs. 1 Z 1 TNRSG fest.
174.3. Vor diesem Hintergrund hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 17. November 2023 dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„Ist Art. 23 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 2 Z 40 und Art. 13 Abs. 1 lit. c der Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 zur Angleichung der Rechts und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG, ABl. L 127/1 vom 29. April 2014, so auszulegen, dass das Verbot, ein Tabakerzeugnis in Verkehr zu bringen, dessen Packung Elemente bzw. Merkmale aufweist, die sich auf den Geschmack beziehen, bereits die Abgabe dieses Tabakerzeugnisses durch einen Großhändler an eine Verkaufsstelle oder erst den Verkauf bei einer Verkaufsstelle an Verbraucher erfasst?“
18 4.4. Mit Urteil vom 15. Mai 2025, C 717/23, hat der Gerichtshof der Europäischen Union Folgendes ausgesprochen:
„33 [Es] ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 in Verbindung mit ihrem Art. 2 Nr. 40 dahin auszulegen ist, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass keine Tabakerzeugnisse in Verkehr gebracht werden, deren Kennzeichnung der Packung gegen die Vorschriften über das Erscheinungsbild dieser Erzeugnisse verstößt, auf den Zeitpunkt beschränkt ist, zu dem sie von einer Verkaufsstelle an den Verbraucher abgegeben werden.
34 Gemäß Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse, die dieser Richtlinie sowie den darin vorgesehenen Durchführungs- und delegierten Rechtsakten nicht entsprechen, nicht in Verkehr gebracht werden. Art. 2 Nr. 40 der Richtlinie definiert den Begriff ‚in Verkehr bringen‘ als die entgeltliche oder unentgeltliche Bereitstellung von Produkten unabhängig vom Ort ihrer Herstellung für Verbraucher, die sich in der Union befinden, auch mittels Fernabsatz.
35 Auf der Grundlage dieser Definition hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Tabakerzeugnis dann als in Verkehr gebracht anzusehen ist, wenn sich die Verbraucher es beschaffen können, d. h., wenn das Erzeugnis zum Verkauf bereitsteht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. März 2023, Pro Rauchfrei II, C 356/22, EU:C:2023:174, Rn. 20).
36 Diese Auslegung des Begriffs ‚in Verkehr bringen‘, die sich auf die übliche Bedeutung des in Art. 2 Nr. 40 der Richtlinie 2014/40 enthaltenen Begriffs ‚Bereitstellung‘ stützt, lässt jedoch wie der Generalanwalt in den Nrn. 46 und 49 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat nicht die Feststellung zu, ob die Erfüllung der Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie von diesen verlangt, eine Kontrolle nur auf der Stufe des Verkaufs durch die Verkaufsstelle an den Verbraucher oder auch auf einer früheren Stufe der Lieferkette vorzunehmen.
37 Im Übrigen kann ebenso wenig die deutsche Fassung dieser Bestimmung entscheidend sein, auf die sich das vorlegende Gericht bezieht und die sich u. a. von den Fassungen dieser Bestimmung in französischer oder englischer Sprache unterscheidet. Denn nach ständiger Rechtsprechung kann die in einer der Sprachfassungen einer Bestimmung des Unionsrechts verwendete Formulierung nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Bestimmung herangezogen werden oder Vorrang vor den anderen Sprachfassungen beanspruchen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. November 1969, Stauder, 29/69, EU:C:1969:57, Rn. 3, und vom 21. März 2024, Cobult, C 76/23, EU:C:2024:253, Rn. 25).
38 Zur Beantwortung der vom vorlegenden Gericht vorgelegten Frage sind daher der Zusammenhang, in den sich Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 einfügt, und die Ziele, die mit der Regelung, zu der diese Bestimmung gehört, verfolgt werden, zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Januar 2019, Planta Tabak, C 220/17, EU:C:2019:76, Rn. 60).
39 Was als Erstes den Zusammenhang betrifft, in den sich Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 einfügt, ist erstens festzustellen, dass diese Bestimmung transversale Tragweite hat, da sie darauf abzielt, dass Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse, die einer der Bestimmungen dieser Richtlinie sowie den darin vorgesehenen Durchführungs- und delegierten Rechtsakten nicht entsprechen, nicht in Verkehr gebracht werden.
40 Zweitens wird zur Gewährleistung der Wirksamkeit von Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 den Mitgliedstaaten in Art. 23 Abs. 3 vorgeschrieben, Sanktionen für Verstöße gegen die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften festzulegen und die zur Anwendung dieser Sanktionen erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Wie der Generalanwalt in Nr. 55 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, betrifft die Einführung dieses Sanktionssystems alle Bestimmungen der Richtlinie 2014/40, unabhängig von der Stufe der Lieferkette, auf die sie Anwendung finden, und ist somit nicht auf die Abgabe vorschriftswidriger Tabakerzeugnisse durch eine Verkaufsstelle an Verbraucher beschränkt.
41 Daher wäre eine Auslegung der Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40, die auf die Bereitstellung von Tabakerzeugnissen an Verbraucher beschränkt wäre, nicht nur mit der in Art. 23 Abs. 3 vorgesehenen Möglichkeit unvereinbar, jedes Verhalten, das den Bestimmungen der Richtlinie nicht entspricht, unabhängig von der Stufe der Lieferkette, auf die diese Bestimmungen Anwendung finden, zu ahnden, sondern würde auch die Wirksamkeit der den Mitgliedstaaten obliegenden Kontrollpflicht beeinträchtigen und damit gegen die Richtlinie verstoßen.
42 Drittens wird die Auslegung dieser Verpflichtung der Mitgliedstaaten in dem Sinne, dass sie die verschiedenen Stufen der Lieferkette betrifft, ohne sich allein auf die Abgabe von Tabakerzeugnissen durch eine Verkaufsstelle an Verbraucher zu beschränken, auch durch den weiteren Regelungszusammenhang bestätigt, in den sich die Richtlinie 2014/40 einfügt.
43 Insoweit ergibt sich aus Art. 2 und Anhang I Nr. 55 der Verordnung 2019/1020, dass die Verordnung für Erzeugnisse gilt, die unter die Richtlinie 2014/40 fallen. Nach Art. 1 der Verordnung 2019/1020 besteht das Ziel der Verordnung in der Stärkung der Marktüberwachung von Produkten, die unter die zu ihrem Anwendungsbereich gehörenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union fallen, so dass sichergestellt ist, dass nur konforme Produkte auf dem Unionsmarkt bereitgestellt werden.
44 Nach Art. 3 Nr. 2 der Verordnung 2019/1020 bezeichnet der Ausdruck ‚Inverkehrbringen‘ ‚die erstmalige Bereitstellung eines Produkts auf dem Unionsmarkt‘, d. h. gemäß Art. 3 Nr. 1 der Verordnung die erste ‚entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe eines Produkts zum Vertrieb, Verbrauch oder zur Verwendung auf dem Unionsmarkt im Rahmen einer Geschäftstätigkeit‘.
45 Eine Auslegung der Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40, wonach diese Verpflichtung auf die Abgabe von Tabakerzeugnissen durch eine Verkaufsstelle an Verbraucher beschränkt würde, wäre jedoch mit dem Ziel der Verordnung 2019/1020 nicht vereinbar. Dies gilt umso mehr, als die Verordnung, wie sich aus ihren Erwägungsgründen 12 und 14 ergibt, auf alle Wirtschaftsakteure anzuwenden ist, die an den Lieferketten beteiligt sind und direkt von den in der Verordnung aufgeführten Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union betroffen sind.
46 Außerdem wird im 43. Erwägungsgrund der Verordnung 2019/1020 darauf hingewiesen, dass die Marktüberwachungsbehörden im Interesse der Wirtschaftsakteure, der Endnutzer und der Öffentlichkeit handeln, damit die Konformität mit den genannten Rechtsvorschriften in der Lieferkette durch zweckmäßige Überprüfungen gewährleistet ist. Zu den Marktüberwachungsmaßnahmen, die von den Behörden angeordnet werden können, gehört nach Art. 16 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung 2019/1020 die Möglichkeit, zu verhindern, dass ein Produkt auf dem Markt bereitgestellt wird.
47 Somit ergibt sich aus dem Zusammenhang, in den sich Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 einfügt, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Verpflichtung der Mitgliedstaaten nicht dahin ausgelegt werden kann, dass sie auf die Abgabe von Tabakerzeugnissen durch eine Verkaufsstelle an die Verbraucher beschränkt ist.
48 Als Zweites ist festzustellen, dass diese Auslegung durch das Ziel des Gesundheits- und Verbraucherschutzes gestützt wird, das mit der Richtlinie 2014/40 verfolgt wird.
49 Mit der auf Art. 114 AEUV gestützten Richtlinie 2014/40 wird nach ihrem Art. 1 ein zweifaches Ziel verfolgt, denn sie soll ausgehend von einem hohen Schutz der menschlichen Gesundheit, besonders für junge Menschen das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts für Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse erleichtern (Urteile vom 4. Mai 2016, Polen/Parlament und Rat, C 358/14, EU:C:2016:323, Rn. 80, und vom 30. Januar 2019, Planta Tabak, C 220/17, EU:C:2019:76, Rn. 38). Der Wille des Unionsgesetzgebers, ein hohes Gesundheits- und Verbraucherschutzniveau sicherzustellen, kommt in den Erwägungsgründen 8 und 59 der Richtlinie 2014/40 eindeutig zum Ausdruck.
50 Wäre die den Mitgliedstaaten nach Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 obliegende Kontrollpflicht auf die Abgabe von Tabakerzeugnissen durch eine Verkaufsstelle an Verbraucher zu beschränken, so bestünde wie der Generalanwalt in Nr. 69 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat ein nicht zu vernachlässigendes Risiko, dass den Verbrauchern Erzeugnisse bereitgestellt werden könnten, die dieser Richtlinie nicht entsprechen und somit für ihre Gesundheit schädlich sind.
51 Um das Ziel der Gewährleistung eines hohen Gesundheits- und Verbraucherschutzniveaus zu erreichen, setzt diese Kontrollpflicht eine Überwachung auf den verschiedenen Stufen der Lieferkette voraus, indem sichergestellt wird, dass bei jedem Vorgang, der dazu führt, dass das Produkt letztlich für die Verbraucher bereitgestellt wird, die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass die Anforderungen der Richtlinie 2014/40 eingehalten werden.
52 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 in Verbindung mit ihrem Art. 2 Nr. 40 dahin auszulegen ist, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass keine Tabakerzeugnisse in Verkehr gebracht werden, deren Kennzeichnung der Packung gegen die Vorschriften über das Erscheinungsbild dieser Erzeugnisse verstößt, nicht auf den Zeitpunkt beschränkt ist, zu dem sie von einer Verkaufsstelle an den Verbraucher abgegeben werden.“
19 4.5. Für den Revisionsfall ergibt sich daraus, dass sich das die entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie 2014/40/EU umsetzendeVerbot des § 2 Abs. 1 Z 1 TNRSG, Tabakerzeugnisse, die den §§ 4 bis 10e TNRSG oder nach diesem Bundesgesetz erlassenen Verordnungen nicht entsprechen, in Verkehr zu bringen, nicht bloß auf die Abgabe von Tabakerzeugnissen durch einen Tabaktrafikanten an einen Verbraucher bezieht, sondern bereits die Abgabe eines solchen Tabakerzeugnisses von einem Großhändler, wie der vom Mitbeteiligten nach außen vertretenen Gesellschaft, an einen Tabaktrafikanten erfasst.
20 Vor diesem Hintergrund geht auch das Argument des Verwaltungsgerichts ins Leere, die dem Mitbeteiligten als zur Vertretung nach außen Berufenem einer Tabakgroßhändlerin angelastete Tathandlung entspreche nicht den Anforderungen an die hinreichende Konkretheit einer Verfolgungshandlung bzw. des Spruches eines Straferkenntnisses.
214.6. Da somit das Verwaltungsgericht die Rechtslage in Bezug auf die Verbotsnorm des § 2 Abs. 1 Z 1 TNRSG verkannt hat, und der durch das Verwaltungsgericht für die Aufhebung des Straferkenntnisses der belangten Behörde herangezogene Grund das angefochtene Erkenntnis nicht zu tragen vermag, belastete das Verwaltungsgericht seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
225. Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 27. Mai 2025
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